Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.04.2013, Az. 3 StR 521/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2013, 6910

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
3 StR
521/12
vom
4. April 2013
in der Strafsache
gegen

wegen Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

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Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 4.
April 2013, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Schäfer

als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Pfister,
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. Spaniol

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 26. Juni 2012 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf, Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen verbreitet zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
1. Nach den Feststellungen gab der Angeklagte etwa seit dem Jahre 1995 die Produktion von insgesamt 20 bis 30 [X.] mit Rockmusik in Auftrag, deren Liedtexte politisch rechtes Gedankengut transportierten. Im Jahre 2008 verfasste eine Rechtsanwältin, die der Angeklagte bereits in der Vergangenheit regelmäßig mit der
Prüfung der strafrechtlichen Relevanz der Liedtexte [X.] hatte, gegen Honorar eine Stellungnahme zu 14 Texten von Liedern, die auf einer [X.] gepresst werden sollten. Die Rechtsanwältin befasste sich in ihrer Stellungnahme unter
Einarbeitung auch neuerer Rechtsprechung mit möglichen Verstößen der Texte gegen die §§ 86, 90a, 111, 130, 185 StGB, § 27 JuSchG 1
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und sah mehrere Änderungen als notwendig an; diese wurden sodann vorge-nommen. Im Vertrauen auf die Stellungnahme der Rechtsanwältin, wonach die teilweise geänderten Texte keinen strafbaren Inhalt mehr aufwiesen, erteilte der
Angeklagte im April 2009 einem kleinen Presswerk den Auftrag, 1.000 Exemp-lare der [X.] herzustellen. Nach ihrer Produktion wurden die [X.] an die [X.] des Angeklagten versandt. Die [X.] wurde im Oktober 2009 von der [X.] indiziert. Dabei kam das zuständige Gremium nicht zu dem Ergebnis, dass die jugendgefährdenden Texte einen strafbaren Inhalt aufwiesen und nahm den Tonträger deshalb ge-mäß § 18 Abs. 2 Nr. 1 JuSchG in Teil A der [X.], nicht aber gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 2 JuSchG in Teil B dieser Liste auf.
2. a) Das [X.] hat die Auffassung vertreten, der Angeklagte habe mit der Erteilung des Auftrags zur Produktion der [X.] als mittelbarer Täter ge-mäß § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des
§ 86 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 StGB erfüllt. Indes sei zu seinen Gunsten davon [X.], dass er ohne Schuld gehandelt habe, weil ihm bei Begehung der Tat die Einsicht gefehlt habe, Unrecht zu tun. Ihm sei nicht nachzuweisen gewesen, dass er die Strafbarkeit der auf der [X.] enthaltenen Liedtexte mit einem zumin-dest bedingten Unrechtsbewusstsein billigend in Kauf genommen
habe. Diesen Irrtum habe er nicht vermeiden können, § 17 Satz 1 StGB.
b) Die Revision macht hiergegen im Wesentlichen geltend, die [X.] habe es versäumt, den vollständigen Inhalt des von der Rechtsanwäl-tin erstellten Gutachtens in den schriftlichen Urteilsgründen wiederzugeben. Die Urteilsfeststellungen seien nicht geeignet, die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums zu tragen; auch sei die Beweiswürdigung des [X.]s rechtsfehlerhaft.
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3. Die von der Revision erhobenen Beanstandungen dringen nicht durch. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat auch im Übrigen einen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§
301 StPO) des Angeklagten nicht ergeben.
Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
a) Die Wiedergabe des von der Rechtsanwältin erstellten Gutachtens in den schriftlichen Urteilsgründen genügt den in diesem Zusammenhang zu stel-lenden Anforderungen; sie ermöglicht insbesondere die revisionsrechtliche Überprüfung der Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums des Angeklagten.
Das [X.] hat die für den vorliegenden Fall in erster Linie bedeut-samen Ausführungen in der Stellungnahme der Rechtsanwältin zu einem Ver-stoß der Liedtexte gegen § 86 StGB wörtlich wiedergegeben. Darüber hinaus hat die [X.] ausgeführt, mit welchen sonstigen Strafvorschriften sich die Stellungnahme befasst. Deren Inhalt hat sie noch weiter dahin mitgeteilt, dass die einzelnen Abschnitte nach Normen gegliedert seien, die gesetzlichen Tatbestände jeweils anhand von Fallbeispielen illustriert und die inkriminierten Textstellen hierzu in Beziehung gesetzt würden. Der Umfang der vorhandenen Kasuistik bestimme die Ausführlichkeit der Darstellung zu den einzelnen Vor-schriften. Zu allen geprüften Straftatbeständen sei obergerichtliche Rechtspre-chung zitiert, auch auf staatsanwaltschaftliche Verfügungen werde Bezug ge-nommen.
Damit wird aus den schriftlichen Urteilsgründen der wesentliche Inhalt der Stellungnahme, soweit er für die in der Revisionsinstanz relevanten [X.] ist, hinreichend deutlich. Unter diesen Umständen war ent-gegen der Auffassung der Revisionsführerin eine vollständige wörtliche Wie-dergabe der Stellungnahme nicht erforderlich.
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b) Der vom [X.] angenommene unvermeidbare Verbotsirrtum des Angeklagten wird durch die Feststellungen belegt.
aa) Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässli-chen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des [X.] verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt ha-ben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prü-fung der Sach-
und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entspre-chende Auskunftserteilung bietet. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen
verschließen darf. [X.] sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfah-rung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.
Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des [X.] zu [X.]. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versier-ten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der 9
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Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidba-rer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangel-haft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "[X.]" erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. [X.] bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen un-vermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (vgl. [X.], Urteil vom 3. April 2008
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3 [X.], [X.]R StGB § 17 Vermeidbarkeit 8 mwN).
bb) Den Feststellungen des [X.]s ist zu entnehmen, dass der Angeklagte den nach diesen Maßstäben hohen Erkundigungs-
und Prüfungs-pflichten in ausreichendem Umfang nachkam.
Die Revision führt zwar zu Recht aus, dass die Stellungnahme der Rechtsanwältin, soweit sie sich mit einer möglichen Strafbarkeit der Texte nach § 86 StGB auseinandersetzte, deutliche inhaltliche Defizite aufwies. Hieraus folgt
jedoch mit Blick auf die sonstigen von der [X.] festgestellten Um-stände im vorliegenden Fall nicht, dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Angeklagten ausschied. Danach hatte sich der
Angeklagte
bereits in der [X.] regelmäßig an die auch im vorliegenden Fall tätig gewesene Rechtsanwältin gewandt und diese beauftragt, ihm gegen [X.] eine fundierte Auskunft darüber zu erteilen, ob die Texte gegen geltendes Recht verstießen. Er schätzte die Rechtsanwältin als fachkundige Person ein, die ei-nen Ruf als besonders strenge Gutachterin genieße. Tatsächlich verfasste die Rechtsanwältin in den letzten 15 Jahren mehr als 300 Stellungnahmen in [X.] der vorliegenden Art. Anfängliche Versuche des Angeklagten, sie dazu zu veranlassen, gegen ihre Überzeugung die rechtliche Unbedenklichkeit von Tex-12
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ten zu bescheinigen, wies sie zurück. Dies akzeptierte der Angeklagte ebenso wie die Veränderungen und Streichungen, welche die Rechtsanwältin empfahl. Die Auskünfte der Rechtsanwältin erwiesen sich für den Angeklagten als zutref-fend; er wurde bisher wegen der Herstellung der von ihm in Auftrag gegebenen [X.] noch nie strafrechtlich belangt. Auch im vorliegenden Fall erstattete die Rechtsanwältin ein immerhin mehrseitiges schriftliches Gutachten;
ihre Ände-rungsvorschläge wurden sodann befolgt.
Die von ihr vorgenommene [X.] wurde schließlich im Ergebnis von der Bundesprüfstelle für jugendgefähr-dende Medien geteilt.
c) [X.] lässt einen Rechtsfehler ebenfalls nicht erken-nen.
aa) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an [X.] [X.]chaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regel-mäßig hinzunehmen; denn die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§
261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem [X.] Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder [X.] des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung
des Tatrichters mit Rechtsfeh-lern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderun-gen
stellt (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 9. Juni 2005 -
3 [X.], NJW 2005, 2322, 2326). Liegt ein solcher Rechtsfehler nicht vor, ist die vom Tatge-richt vorgenommene Würdigung hinzunehmen, auch wenn ein anderes Ergeb-nis ebenso möglich gewesen wäre oder gar näher gelegen hätte.
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bb) Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, aufgrund seiner langjäh-rigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der betreffenden Rechtsanwältin habe er keine Zweifel an deren Einschätzung gehabt, dass die nach ihren Vor-gaben geänderten Texte nicht gegen strafrechtliche Normen verstoßen würden. Dies hat das [X.] nicht zu widerlegen vermocht. Dabei hat es u.a. die Rechtsanwältin als Zeugin vernommen und deren die Angaben des Angeklag-ten bestätigende Aussage als glaubhaft gewertet. Bei der Beurteilung, ob der Angeklagte einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlag, hat es die
hierfür bedeutsamen Beweisergebnisse -
darunter auch den Inhalt der von der Rechtsanwältin abgegebenen Stellungnahme und ihre politische Einstellung
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in den Blick genommen. Eine rechtlich relevante Lücke ergibt sich insoweit aus den Urteilsgründen nicht. Die vom [X.] aus dem gesamten Beweisstoff gezogenen Schlüsse sind möglich und deshalb hinzunehmen. Dies gilt insbe-sondere auch für die Bewertung des Inhalts der Stellungnahme der Rechtsan-wältin. Nicht zu beanstanden ist dabei insbesondere, dass die [X.] vor dem Hintergrund der Entscheidung der Bundesprüfstelle für [X.] die strafrechtliche Relevanz
der Liedtexte als nicht derart bedeutend bewertet hat, als dass der Angeklagte habe annehmen müssen, die Rechtsan-wältin habe sie bewusst ausgeblendet. Soweit die Revision in diesem Zusam-menhang rügt, vor allem aus dem Inhalt der Stellungnahme sei darauf zu

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schließen, dass der Angeklagte sich nicht auf einen unvermeidbaren Verbotsirr-tum berufen könne, setzt sie im Ergebnis lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts. Dies kann dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Dasselbe gilt bezüglich der
Bewertung urteilsfremder
Umstände; [X.] sind im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge unbeachtlich.
[X.] [X.]

[X.]

Spaniol

Meta

3 StR 521/12

04.04.2013

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.04.2013, Az. 3 StR 521/12 (REWIS RS 2013, 6910)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6910

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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