Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.10.2018, Az. 4 StR 149/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 2771

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Gegenstand

Urkundenfälschung mit Kraftfahrzeug-Kennzeichen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. November 2017, soweit es den Angeklagten betrifft,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Versicherungsschutz und mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort sowie des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Versicherungsschutz schuldig ist; die Einzelstrafen für die Taten [X.], 2. und 5. der Urteilsgründe entfallen;

b) im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Gesamtstrafe und der Entscheidung über eine Kompensation überlanger Verfahrensdauer mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag und mit Urkundenfälschung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in zwei Fällen zu der Gesamtstrafe von einem Jahr verurteilt. Des Weiteren hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf eines Jahres keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Annahme selbständiger, realkonkurrierender Taten in den Fällen [X.] bis 3. sowie [X.] und 5. der Urteilsgründe hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

3

a) Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte, ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein, am 17. November 2013 mit einem – wie er wusste – nicht haftpflichtversicherten Pkw [X.] öffentliche Straßen in [X.]    und Umgebung. An dem Pkw hatte er zu einem früheren Zeitpunkt die für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichen angebracht, um eine amtliche Zulassung des Pkw vorzutäuschen. Am Ende einer Straße in [X.]    wendete der Angeklagte das Auto, stieg aus und verrichtete seine Notdurft. Anschließend setzte er die Fahrt fort. Wenig später kam dem Angeklagten der spätere Geschädigte entgegen, der seinen Pkw [X.] auf der schmalen Straße so zum Stehen brachte, dass der Angeklagte zunächst nicht weiterfahren konnte. Als der Angeklagte, der sein Fahrzeug kurz zurückgesetzt hatte, sodann an dem Fahrzeug des Geschädigten auf der Beifahrerseite vorbeifuhr, kollidierte er – für ihn unvorhersehbar – mit dem zwischenzeitlich aus seinem Pkw ausgestiegenen Geschädigten, der dadurch in Richtung der Motorhaube seines Fahrzeugs fiel und eine Prellung am rechten Knie sowie Schmerzen am rechten Arm davontrug. Der Angeklagte, der die Kollision wahrgenommen hatte, setzte seine Fahrt fort, ohne Feststellungen zu seiner Person und zum Unfall zu ermöglichen (Taten [X.] bis 3. der Urteilsgründe). Am 20. Dezember 2013 war der Angeklagte erneut ohne die erforderliche Fahrerlaubnis mit einem anderen nicht haftpflichtversicherten Pkw in [X.]        unterwegs. Als er sein Fahrzeug aus einer Parklücke auf die Fahrbahn steuerte, kollidierte er mit dem Fahrzeug einer anderen Verkehrsteilnehmerin. Nachdem die Unfallbeteiligten ihre Personalien ausgetauscht hatten, fuhr der Angeklagte mit dem von ihm geführten Auto davon (Taten [X.] und 5. der Urteilsgründe).

4

b) Bei den Taten [X.] bis 3. der Urteilsgründe hat das [X.] unabhängig von der – vom [X.] zutreffend bejahten – Frage, ob sich die Taten [X.] und 2. der Urteilsgründe trotz der kurzzeitigen [X.] als einheitliches Gebrauchmachen von einer unechten zusammengesetzten Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 3. Alternative StGB in Tateinheit mit § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und § 6 Abs. 1 [X.] darstellen (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Januar 2014 – 4 [X.], [X.], 272), übersehen, dass auch der mehrfache selbständige Gebrauch einer unechten Urkunde mit dem Herstellen der unechten Urkunde eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit eine materiell-rechtliche Tat bilden, wenn der mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des [X.] entspricht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 – 3 [X.], [X.]R StGB § 267 Abs. 1 Konkurrenzen 3; vom 26. Oktober 2016 – 4 [X.], [X.], 26; vom 15. Februar 2017 – 4 StR 629/16, [X.], 124). Bringt der Täter die für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichen – wie hier – an einem Fahrzeug an, um dieses als vermeintlich zugelassen im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, ist ein solcher Gesamtvorsatz naheliegend gegeben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. Oktober 2016 – 4 [X.], aaO; vom 16. Juli 2015 – 4 StR 279/15 Rn. 5).

5

c) Hinsichtlich der Taten [X.] und 5. der Urteilsgründe tragen die Feststellungen die Annahme selbständiger Taten ebenfalls nicht.

6

Die Dauerdelikte des § 21 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 6 Abs. 1 [X.] umfassen die gesamte von vornherein auch über eine längere Wegstrecke geplante Fahrt bis zu deren endgültigem Abschluss, ohne dass kurzzeitige [X.]en zu einer Aufspaltung der einheitlichen Tat führen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 7. November 2003 – 4 [X.], [X.], 214; vom 22. Juli 2009 – 5 [X.], [X.], 273; Urteil vom 30. September 2010 – 3 [X.], [X.], 212; Beschluss vom 9. März 2016 – 4 StR 60/16, [X.], 262). Etwas anderes gilt nur, wenn die Fortsetzung der Fahrt auf einem neu gefassten Willensentschluss des [X.] beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Juni 1997 – 5 [X.], [X.], 508; [X.], [X.], 142; [X.], [X.], 285; [X.] in MünchKomm zum Straßenverkehrsrecht, § 21 StVG Rn. 40 f.; zu § 316 StGB vgl. [X.] in [X.]/Schluckebier/[X.], StGB, 3. Aufl., § 316 Rn. 40). Dementsprechend beginnt nach der Rechtsprechung des [X.] eine neue Dauerstraftat, wenn der Täter nach einem Unfallgeschehen weiterfährt, weil er den Entschluss gefasst hat, sich der Feststellung seiner Unfallbeteiligung durch Flucht zu entziehen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 17. Februar 1967 – 4 [X.], [X.]St 21, 203; Beschluss vom 10. April 1973 – 4 [X.], [X.], 354; Urteil vom 17. Februar 1983 – 4 [X.], [X.], 131). Dass der Angeklagte nach dem Halt zum Austausch der Personalien mit der [X.] nicht seine ursprünglich geplante Fahrt fortsetzte, sondern einen neuen [X.] fasste, hat das [X.] nicht festgestellt. Die Annahme von zwei materiell-rechtlich selbständigen Taten ist daher nicht belegt.

7

d) Der Senat schließt angesichts des Zeitablaufs seit Tatbegehung aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch tatsächliche Feststellungen getroffen werden können, die in den Fällen [X.] bis 3. sowie [X.] 4. und 5. der Urteilsgründe eine Verurteilung wegen selbständiger Taten tragen könnten. Er ändert den Schuldspruch daher entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen.

8

Die Schuldspruchänderung führt zum Wegfall der in den Fällen [X.], 2. und 5. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen. In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO können die Freiheitsstrafen von acht Monaten ([X.]3. der Urteilsgründe) und sieben Monaten ([X.] der Urteilsgründe) als alleinige Einzelstrafen für die jeweils einheitlichen Taten vom 17. November und 20. Dezember 2013 bestehen bleiben. Die Gesamtstrafe bedarf einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung.

9

2. Schließlich begegnen die Erwägungen der [X.] zu dem für die Verfahrensdauer zu gewährenden Ausgleich durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Das [X.] hat auf der Grundlage zum Verfahrensablauf getroffener Feststellungen, wonach das Verfahren von Tatbegehung bis zum Urteil knapp vier Jahre dauerte, eine nicht vom Angeklagten zu vertretende überlange Verfahrensdauer angenommen und hierfür bei der Bemessung der Gesamtstrafe einen Abschlag von einem Monat und zwei Wochen gewährt. Bei dieser Sachlage wäre die [X.] aus Gründen sachlichen Rechts aber gehalten gewesen, die eingetretene Verfahrensverzögerung konkret zu bestimmen und gegebenenfalls eine Kompensationsentscheidung nach Maßgabe der in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 2008 – [X.], [X.]St 52, 124) zu treffen. Dies wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter nachzuholen haben.

VRi‘in[X.] Sost-Scheible
ist wegen Urlaubs gehindert
zu unterschreiben.

        

Roggenbuck     

        

Cierniak

Roggenbuck

                                   
        

     Bender     

        

Feilcke     

        

Meta

4 StR 149/18

17.10.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dessau-Roßlau, 7. November 2017, Az: 692 Js 1504/14 - 8 KLs

§ 52 StGB, § 142 StGB, § 267 Abs 1 StGB, § 21 Abs 1 S 1 StVG, § 6 Abs 1 PflVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.10.2018, Az. 4 StR 149/18 (REWIS RS 2018, 2771)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2771

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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