Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.10.2023, Az. IX K 1/21

9. Senat | REWIS RS 2023, 7133

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Gegenstand

Statthaftigkeit einer Nichtigkeitsklage bei Verletzung der Vorlagepflicht


Leitsatz

Die Nichtigkeitsklage ist nicht statthaft, wenn mit ihr lediglich eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union geltend gemacht wird.

Tenor

Die Nichtigkeitsklage wird als unzulässig abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand

I.

1

Die Revisionsklägerin und Klägerin (Klägerin) begehrt die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Revisionsverfahrens unter [X.]ufhebung des [X.] vom 17.05.2021 - IX R 20/18 ([X.], 246).

2

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft [ausländischen] Rechts mit Sitz in [X.] (Mitgliedstaat der [X.]). Sie veranstaltete im Streitzeitraum Juli 2012 Sportwetten unter anderem in der [X.]republik Deutschland.

3

Die Klägerin reichte am 17.08.2012 eine [X.]nmeldung der Sportwettensteuer für den Monat Juli 2012 beim Finanzamt … ein. Gegen die [X.]nmeldung legte die Klägerin anschließend Einspruch ein. Dieser wurde mit Einspruchsentscheidung vom 29.05.2015 durch das seinerzeit zuständige Finanzamt … als unbegründet zurückgewiesen.

4

Die beim Finanzgericht ([X.]) erhobene Klage hatte mit Urteil vom 18.04.2018 - 5 K 1108/15 (Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht 2018, 480) keinen Erfolg.

5

Die nachfolgende Revision hat der erkennende [X.] mit Urteil vom 17.05.2021 - IX R 20/18 ([X.], 246) als unbegründet zurückgewiesen. Der [X.] kam nicht zu der für eine Vorlage an das [X.] ([X.]) nach [X.]rt. 100 [X.]bs. 1 des Grundgesetzes (GG) erforderlichen Überzeugung, dass das Rennwett- und Lotteriegesetz wegen Verstoßes gegen die Gesetzgebungskompetenz des [X.] formell verfassungswidrig ist. Ebenfalls verneinte er eine europarechtswidrige Doppelbesteuerung unter Verstoß gegen [X.]rt. 401 der Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) sowie eine europarechtswidrige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach [X.]rt. 56 des Vertrags über die [X.]rbeitsweise der [X.] ([X.]EUV). [X.]uch ein Verstoß gegen die [X.] nach der Richtlinie 98/34/[X.] und des [X.] über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft ([X.]mtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --[X.]BlEG-- Nr. L 204 vom 21.07.1998, S. 37), geändert durch die Richtlinie 98/48/[X.] und des [X.] ([X.]BlEG Nr. L 217 vom 05.08.1998, S. 18) und die Richtlinie 2006/96/[X.] ([X.]mtsblatt der [X.] Nr. L 363 vom 20.12.2006, [X.]) --nachfolgend [X.] 98/34-- wurde verneint. Eine Vorlage an den Gerichtshof der [X.] ([X.]) lehnte der [X.] ab.

6

Hiergegen richtet sich die Nichtigkeitsklage der Klägerin vom 22.11.2021. Sie macht den Wiederaufnahmegrund der vorschriftswidrigen Besetzung des [X.]s im Sinne des § 579 [X.]bs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 134 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) geltend. Die angefochtene Entscheidung verletze [X.]rt. 101 [X.]bs. 1 Satz 2 GG. Das [X.]usgangsgericht als letztinstanzliches Gericht habe in willkürlicher und nicht vertretbarer Weise seine Verpflichtung verletzt, Rechtsfragen dem [X.] vorzulegen und sie dadurch [X.] entzogen. Eine Vorlageverpflichtung habe in allen drei europarechtlichen Fragen bestanden, mit denen sich die angefochtene Entscheidung befasst habe. [X.]" habe nicht vorgelegen. [X.] sei zunächst die Frage gewesen, ob sich aus [X.]rt. 135 [X.]bs. 1 Buchst. i MwStSystRL ergebe, dass der [X.] Gesetzgeber nicht befugt sei, die Sportwettensteuer zu erheben. Die Doppelbelastung mit [X.]r und ausländischer Sportwettensteuer könne europarechtswidrig sein. Ebenso hätte dem [X.] die Frage vorgelegt werden müssen, ob die Erhebung der Sportwettensteuer nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach [X.]rt. 56 [X.]EUV darstelle. Der Verstoß gegen die [X.] nach der [X.] 98/34 hätte ebenfalls zu einer Vorlage führen müssen.

7

Zum 01.12.2021 hat bei der Finanzverwaltung ein [X.] stattgefunden. [X.]nstelle des Finanzamts … ist nunmehr der Revisionsbeklagte und Beklagte (Finanzamt … --F[X.]--) zuständig geworden.

8

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.]finanzhofs ([X.]) vom 17.05.2021 - IX R 20/18, das Urteil des Hessischen [X.] vom 18.04.2018 - 5 K 1108/15 und die [X.]nmeldung der Sportwettensteuer vom 17.08.2012 für den Monat Juli 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.05.2015 aufzuheben.

9

Das F[X.] beantragt,
die Nichtigkeitsklage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.

Mit Beschluss vom 16.05.2023 - IX K 1/21 hat der erkennende [X.] beim IV., VIII. und [X.]. [X.] gemäß § 11 [X.]bs. 3 Satz 1 [X.]O angefragt, ob diese an der in den Entscheidungen vom [X.] - IV K 1/09, vom 13.07.2016 - VIII K 1/16 ([X.]E 254, 481, [X.], 198) und vom 07.02.2018 - [X.] K 1/17 ([X.]E 260, 410) vertretenen Rechtsauffassung festhalten, der zufolge die Nichtigkeitsklage nach § 134 [X.]O i.V.m. § 579 [X.]bs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft ist, wenn mit ihr lediglich eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den [X.] geltend gemacht wird. Der erkennende [X.] beabsichtige, in diesem Fall eine Nichtigkeitsklage als nicht statthaft anzusehen und die Klage als unzulässig abzuweisen.

[X.]lle drei [X.]e haben mitgeteilt, an der in den zuvor genannten Entscheidungen vertretenen Rechtsauffassung nicht mehr festzuhalten und sich der Rechtsauffassung des erkennenden [X.]s anzuschließen.

Entscheidungsgründe

[X.]

[X.] ist unzulässig. Das Verfahren ist nicht wieder aufzunehmen, denn die Nichtigkeitsklage ist nicht statthaft.

1. Nach § 134 FGO i.V.m. § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage erfolgen.

a) Mit der Nichtigkeitsklage im Sinne des § 579 ZPO ist neben der Restitutionsklage nach § 580 ZPO ein Mittel geschaffen worden, um eine Durchbrechung der Rechtskraft in Fällen zu ermöglichen, in denen schwerste Mängel des Verfahrens oder gravierende inhaltliche Fehler gegen den Bestand des Urteils sprechen und dadurch das Vertrauen der Parteien in die [X.] in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise erschüttert ist (vgl. [X.] --BAG--, Beschluss vom 13.10.2015 - 3 [X.] 915/15 (F), Rz 16 und [X.] vom 28.07.2022 - 6 [X.] 24/22, Rz 20, m.w.N.; [X.]-Urteil vom 02.12.1998 - X R 15-16/97, [X.], 1, [X.] 1999, 412, unter [X.]; [X.] --BSG--, Urteil vom 23.03.1965 - 11 RA 304/64, [X.], 30, unter [X.]; [X.] --BVerwG--, Urteil vom 26.01.1994 - 6 [X.] 2/92, [X.], 64; MüKoZPO/[X.]/Heiß, § 579 Rz 1; Musielak/[X.]/Musielak, ZPO, 20. Aufl., § 579 Rz 2; An[X.]/[X.], Zivilprozessordnung, 81. Aufl., § 579 Rz 1; [X.] in: [X.]/[X.], ZPO, 2. Aufl., § 579 ZPO Rz 5; [X.] in [X.], Zivilprozessordnung, 10. Aufl., § 579 Rz 2; [X.] ZPO/Fleck, [X.]. [01.09.2023], ZPO § 579 Rz 3; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 579 Rz 2). Diesem Zweck entspricht es, die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 ZPO auf eng begrenzte Ausnahmefälle zu beschränken. Sie dient insbesondere nicht dazu, eine im Ausgangsverfahren vom Gericht bereits beantwortete Rechtsfrage erneut zur Überprüfung zu stellen.

b) Nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Das ist jedenfalls der Fall, wenn die [X.]bank bei der Entscheidung fehlerhaft besetzt war (vgl. [X.] vom 13.10.2015 - 3 [X.] 915/15 (F), Rz 16; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 579 Rz 2). Der klare Wortlaut der Vorschrift ("das erkennende Gericht") spricht dafür, ihren Anwendungsbereich auch auf diese Fallgruppe zu beschränken. [X.] erfasst sind danach nur Fehler, die die personelle Besetzung des erkennenden Spruchkörpers betreffen. Dagegen fallen die Fragen, ob der richtige Spruchkörper oder das richtige Gericht entschieden haben, nicht mehr in den Anwendungsbereich (vgl. [X.] vom 29.01.1992 - VIII K 4/91, [X.], 569, [X.] 1992, 252; vom 26.05.1992 - VII S 17/92, [X.] 1993, 305, unter 2. und vom 12.11.1996 - II K 1/96, juris, unter 2.; [X.], Urteil vom 22.11.1994 - X ZR 51/92, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1995, 332, unter I.1.; [X.] vom 23.03.1965 - 11 RA 304/64, [X.], 30, unter [X.]; vgl. auch [X.]-Beschluss vom 22.01.1992 - 2 BvR 40/92, [X.], 1030, unter 3.b; [X.] in Festschrift für [X.] zum 70. Geburtstag, 2001, S. 89, 121 f; Hummel, [X.] --UR-- 2021, 736, 738). Ein [X.] kann daher vorliegen, wenn es zu Verstößen bei der Geschäftsverteilung gekommen ist. Mit der Vorschrift soll insbesondere verhindert werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen [X.] das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst werden kann (vgl. [X.] vom 29.01.1992 - VIII K 4/91, [X.], 569, [X.] 1992, 252, unter 4.a).

c) Die Verkennung einer [X.] (durch das vorschriftsmäßig besetzte Gericht) ist dagegen kein Besetzungsmangel (so auch Hummel, UR 2021, 736, 738). Eine Nichtigkeitsklage ist daher nicht statthaft, wenn sie lediglich darauf gestützt wird, dass im Ausgangsverfahren eine Vorlage an das [X.] oder an den [X.] angeregt worden war, das erkennende Gericht dem aber nicht gefolgt ist. Dabei ist unerheblich, ob die Beurteilung der [X.] durch das Ausgangsgericht rechtlich zutreffend war (vgl. [X.] vom 28.07.2022 - 6 [X.] 24/22, Rz 22 f.; [X.] vom 23.03.1965 - 11 RA 304/64, [X.], 30, unter [X.]; [X.] vom 26.01.1994 - 6 [X.] 2/92, [X.], 64; a.[X.] in: [X.]/[X.], [X.] in Theorie und Praxis, Festschrift 75 Jahre Finanzgericht des Saarlandes, S. 73; [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], Kommentar zum [X.]G, 2. Aufl., § 90 Rz 163). [X.] ist auch dann nicht gegeben, wenn das Ausgangsgericht seine [X.] zu Unrecht verneint haben sollte.

d) Der Senat stellt nicht in Abrede, dass eine willkürliche Nichtbeachtung der Vorlagepflicht den Anspruch auf den gesetzlichen [X.] verletzen kann (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; vgl. u.a. [X.]-Beschluss vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19) und dass der [X.] gesetzlicher [X.] für die Auslegung des Unionsrechts ist. Eine willkürliche Verletzung der Vorlagepflicht betrifft aber nicht die vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Sie ist deshalb (unmittelbar) mit der Verfassungsbeschwerde gegen die letztinstanzliche Entscheidung geltend zu machen (vgl. u.a. [X.]-Beschlüsse vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09, [X.]E 129, 78, beginnend unter [X.].I[X.] und vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, Rz 52 ff.).

e) Ein anderes Ergebnis ist nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgegeben. Zwar entspricht es der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen [X.] zu gewähren haben. Jedoch ist für die Rüge von Grundrechtsverletzungen durch letztinstanzliche Entscheidungen der (außerordentliche) Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde nach § 90 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ([X.]G) gegeben (vgl. [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], Kommentar zum [X.]G, 2. Aufl., § 90 Rz 7). Der Gesetzgeber hat bei Schaffung der [X.] die Nichtigkeitsgründe auch nicht mit Blick auf mögliche Grundrechtsverletzungen konzipiert (vgl. [X.] in: Festschrift für [X.] zum 70. Geburtstag, 2001, S. 89, 127; [X.], Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 2, Materialien zur Zivilprozessordnung, S. 1017 und 1232) und damit auch keine verfassungsrechtliche ([X.] gerichtlicher Entscheidungen beabsichtigt.

Etwas anderes gilt nur, wenn es der Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet hat, bestimmte Verfassungsfragen einer nochmaligen fachgerichtlichen Selbstkontrolle zu unterwerfen. Dies hat er für die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in Gestalt der Anhörungsrüge (z.B. § 133a FGO) getan. Dass der Gesetzgeber mit der Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eine vergleichbare Selbstüberprüfung im Hinblick auf die Verletzung des gesetzlichen [X.]s (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) schaffen oder nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ermöglichen wollte, ist nicht ersichtlich. Anderenfalls stellte sich auch die Frage, ob bei einer Verletzung des gesetzlichen [X.]s nicht auch innerhalb des Instanzenzugs im Rechtsmittelrecht eine Fortsetzung des Ausgangsverfahrens vorgesehen sein müsste.

f) In gleicher Weise verpflichtet eine europarechtskonforme Auslegung des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht dazu, die Nichtigkeitsklage für den Fall einer willkürlichen Verletzung der Vorlagepflicht an den [X.] seitens des Ausgangsgerichts für statthaft zu erachten. Im Rahmen des [X.] zwischen [X.] und [X.] (vgl. dazu u.a. [X.]-Urteil vom 12.10.1993 - 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, [X.]E 89, 155; [X.], NJW 2013, 1329, 1330 f.) prüft das [X.] in ständiger Rechtsprechung, ob eine Verletzung der [X.] an den [X.] zu einer Verletzung des gesetzlichen [X.]s im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geführt hat (vgl. u.a. [X.]-Beschlüsse vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09, [X.]E 129, 78, unter [X.].I[X.] und vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, Rz 52 ff.). Weder das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) noch die Sicherstellung der Geltung und Durchsetzbarkeit europarechtlicher Regelungen zwingen aber für diesen Fall dazu, die Nichtigkeitsklage als statthaft zu erachten. Über die Einhaltung der [X.] nach Art. 267 AEUV wacht das [X.].

g) Im Übrigen ist eine Nichtigkeitsklage auch nur dann statthaft, wenn sie auf einen Wiederaufnahmegrund gestützt wird, der im Ausgangsverfahren übersehen worden oder unerkannt geblieben ist. Denn insbesondere die Bestimmungen in § 579 Abs. 1 Nr. 2 und § 579 Abs. 2 ZPO lassen den Willen des Gesetzgebers erkennen, eine Wiederaufnahme im Wege einer Nichtigkeitsklage nur in den Fällen zuzulassen, in denen die Berücksichtigung des Rechtsfehlers nicht schon vor der Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung möglich war. Damit soll die doppelte Prüfung einer bereits entschiedenen Rechtsfrage verhindert werden. [X.] scheidet daher aus, wenn der [X.] im Vorprozess nicht übersehen worden und bereits geprüft worden ist (vgl. [X.] vom 28.07.2022 - 6 [X.] 24/22, Rz 21; [X.]-Urteil vom 02.12.1998 - X R 15-16/97, [X.], 1, [X.] 1999, 412, unter [X.]; [X.] vom 23.03.1965 - 11 RA 304/64, [X.], 30, unter [X.]; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 134 Rz 1; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 134 FGO Rz 48; [X.] in Gosch, FGO § 134 Rz 28; [X.], ZPO, 23. Aufl., § 579 Rz 2; [X.] in: Festschrift für [X.] zum 70. Geburtstag, 2001, S. 89, 124 f.; [X.]. in: Festschrift für [X.] zum 65. Geburtstag, 1986, S. 157, 158).

2. Daran gemessen ist die Nichtigkeitsklage nicht statthaft. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Nichtigkeitsklage nicht gegen die personelle Zusammensetzung des [X.]. Senats des [X.] (beim Erlass der Ausgangsentscheidung [X.] R 20/18 am 17.05.2021), sondern gegen dessen Entscheidung, dass eine Verpflichtung zur Vorlage an den [X.] nicht besteht. Damit vertritt sie lediglich eine von der Ausgangsentscheidung abweichende Rechtsmeinung. Im Übrigen wiederholt, untermauert und ergänzt sie lediglich ihr bisheriges rechtliches Vorbringen. Die schlüssige Rüge einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegt darin nicht.

[X.] ist auch nicht deshalb statthaft, weil ihre Erhebung Voraussetzung für die Erschöpfung des Rechtswegs nach § 90 Abs. 2 [X.]G ist. Zwar muss im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.]G nach Maßgabe der materiellen Subsidiarität dargelegt werden, dass das Vorbringen vor dem Fachgericht eine Vorlage an den [X.] als naheliegend hat erscheinen lassen. Im Rahmen einer Rüge der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erstreckt sich die Obliegenheit des Prozessbeteiligten regelmäßig darauf, durch entsprechende Anträge oder Anregungen an das Fachgericht eine Befassung des gesetzlichen [X.]s zu erreichen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 31.07.2001 - 1 BvR 304/01, juris, unter [X.]1.a; vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09, [X.]E 129, 78, beginnend ab B.I[X.]2. und vom 27.04.2021 - 1 BvR 2731/19, Rz 2 f.; vgl. auch Hummel, UR 2021, 736, 737). Diesen Anforderungen an die Rechtswegerschöpfung ist die Klägerin bereits im Ausgangsverfahren gerecht geworden. Eine Vorlage an den [X.] hatte die Klägerin im Rahmen ihrer Revisionsbegründung mehrfach angeregt. Einer Wiederholung dieses Vorbringens im Rahmen einer Nichtigkeitsklage bedarf es daher für Zwecke der Rechtswegerschöpfung nicht.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Meta

IX K 1/21

10.10.2023

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend BFH, 16. Mai 2023, Az: IX K 1/21, Beschluss

§ 134 FGO, § 579 Abs 1 Nr 1 ZPO, Art 267 AEUV, § 90 BVerfGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.10.2023, Az. IX K 1/21 (REWIS RS 2023, 7133)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7133


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX R 20/18

Bundesfinanzhof, IX R 20/18, 17.05.2021.


Az. IX K 1/21

Bundesfinanzhof, IX K 1/21, 10.10.2023.

Bundesfinanzhof, IX K 1/21, 16.05.2023.


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(Teilweise inhaltsgleich mit Urteil vom 17.05.2021 - IX R 20/18 - Keine Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit …


Referenzen
Wird zitiert von

2 BvR 1079/20

RiSt 1/21

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