Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.11.2023, Az. IX K 2/21

9. Senat | REWIS RS 2023, 8591

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Gegenstand

(Teilweise inhaltsgleich mit Urteil des BFH vom 10.10.2023 IX K 1/21 - Unstatthaftigkeit einer Nichtigkeitsklage bei Verletzung der Vorlagepflicht)


Leitsatz

NV: Die Nichtigkeitsklage ist nicht statthaft, wenn mit ihr lediglich eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union geltend gemacht wird.

Tenor

Die Nichtigkeitsklage wird als unzulässig abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand

I.

1

Die Revisionsklägerin und Klägerin (Klägerin) begehrt die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Revisionsverfahrens unter [X.]ufhebung des [X.] vom 07.09.2021 - IX R 5/19.

2

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft [ausländischen] Rechts mit Sitz in [X.] (Mitgliedstaat der [X.] --[X.]--). Die Klägerin betrieb im Streitzeitraum … bis … eine Wettbörse und wurde auch gegenüber in der [X.] ansässigen Nutzern tätig.

3

Mit [X.]escheiden vom 15.08.2013 setzte das seinerzeit zuständige Finanzamt [X.] die Sportwettensteuer auf der Grundlage einer Steuer von 5 % auf den Spieleinsatz fest. Der von der Klägerin gegen die Festsetzung für den Monat … 2012 eingelegte Einspruch blieb mit Einspruchsentscheidung vom 28.08.2015 ohne Erfolg.

4

[X.]ereits am 13.08.2014 beantragte die Klägerin den Erlass der für den Zeitraum vom … bis … festgesetzten Sportwettensteuer. Das Finanzamt [X.] lehnte den Erlass mit [X.]escheid vom 05.06.2015 ab. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 31.08.2015 zurückgewiesen.

5

Die gegen beide [X.] beim [X.] ([X.]) erhobene Klage wurde mit Urteil vom 12.11.2018 - 5 K 1837/15 abgewiesen.

6

Die nachfolgende Revision hat der erkennende [X.] mit Urteil vom 07.09.2021 - IX R 5/19 als unbegründet zurückgewiesen. Der [X.] qualifizierte die Klägerin als Veranstalter im Sinne des § 17 [X.]bs. 2, § 19 [X.]bs. 2 des Rennwett- und Lotteriegesetzes. Der [X.] kam unter anderem nicht zu der für eine Vorlage an das [X.]undesverfassungsgericht ([X.]VerfG) nach [X.]rt. 100 [X.]bs. 1 des Grundgesetzes (GG) erforderlichen Überzeugung, dass das Rennwett- und Lotteriegesetz wegen Verstoßes gegen die Gesetzgebungskompetenz des [X.]undes formell verfassungswidrig oder wegen Verstoßes gegen [X.]rt. 12 [X.]bs. 1 GG oder [X.]rt. 3 [X.]bs. 1 GG materiell verfassungswidrig ist. Ebenso verneinte der [X.] die von der Klägerin gerügten Verstöße gegen das Recht der [X.]. Ein Verstoß gegen die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs ([X.]rt. 56 des Vertrags über die [X.]rbeitsweise der [X.] --[X.][X.]V--) liege nicht vor. [X.]uch ein Verstoß gegen die [X.] nach der Richtlinie 98/34/[X.] und des [X.] über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft ([X.]mtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --[X.][X.]lEG--, Nr. L 204 vom 21.07.1998, S. 37), geändert durch die Richtlinie 98/48/[X.] und des [X.] ([X.][X.]lEG, Nr. L 217 vom 05.08.1998, S. 18) und die Richtlinie 2006/96/[X.] ([X.]mtsblatt der [X.], Nr. L 363 vom 20.12.2006, [X.]) --nachfolgend [X.] 98/34-- wurde verneint. Die [X.]usführungen des [X.] zur [X.]blehnung des Erlasses aus [X.]illigkeitsgründen ließen nach [X.]nsicht des [X.]s keine Rechtsfehler erkennen.

7

Hiergegen richtet sich die Nichtigkeitsklage der Klägerin vom 09.12.2021. Sie macht den Wiederaufnahmegrund der vorschriftswidrigen [X.]esetzung des [X.]s im Sinne des § 579 [X.]bs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 134 der [X.]sordnung ([X.]O) geltend und regt erneut die Vorlage der unionsrechtlichen Fragen an den Gerichtshof der [X.] ([X.]) an. Der [X.]undesfinanzhof ([X.]FH) habe als letztinstanzliches Gericht willkürlich und in unvertretbarer Weise seine Verpflichtung verletzt, Rechtsfragen dem [X.] vorzulegen und sie [X.] im Sinne des [X.]rt. 101 [X.]bs. 1 Satz 2 GG entzogen. Sie habe eine Vorlage an den [X.] im [X.]usgangsverfahren ausdrücklich angeregt. Dies gelte zunächst für die Frage der [X.] nach der [X.] 98/34. Ebenso bedürfe der Klärung, ob an die Rechtfertigung der [X.]eschränkung der Dienstleistungsfreiheit besondere oder erhöhte [X.]nforderungen zu stellen seien. So sei mit [X.]lick auf [X.]rt. 56 [X.][X.]V problematisch, dass es für die Sportwettensteuer keine [X.]nrechnungsregelung oder sonstige Vorschrift zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung gebe. [X.]uch müsse geklärt werden, ob die zur Rechtfertigung der Sportwettensteuer nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz angeführten Gründe geeignet seien, eine mittelbar diskriminierende [X.]eschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen. Schließlich sei auch von einem [X.]esetzungsmangel auszugehen. Der [X.]FH habe zu Unrecht Sachverhaltsannahmen getätigt, für die der Rechtsstreit richtigerweise an das [X.] zurückzuverweisen sei. Insoweit verweist sie auf das Vorbringen im Rahmen ihrer [X.]nhörungsrüge unter dem [X.]ktenzeichen IX S 17/21.

8

Zum … hat bei der Finanzverwaltung ein [X.] stattgefunden. [X.]nstelle des Finanzamts [X.] ist nunmehr der Revisionsbeklagte und [X.]eklagte (Finanzamt C --F[X.]--) zuständig geworden.

9

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.]FH vom 07.09.2021 - IX R 5/19 aufzuheben und in der Sache neu zu verhandeln sowie wie in der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2021 im Verfahren IX R 5/19 beantragt zu entscheiden.

Das F[X.] beantragt sinngemäß,
die Nichtigkeitsklage als unzulässig zurückzuweisen.

Mit [X.]eschluss vom 16.05.2023 - IX K 2/21 hat der erkennende [X.] beim IV., VIII. und [X.]. [X.] gemäß § 11 [X.]bs. 3 Satz 1 [X.]O angefragt, ob diese an der in den Entscheidungen vom [X.] - IV K 1/09 ([X.]FH/NV 2010, 218), vom 13.07.2016 - VIII K 1/16 ([X.]FHE 254, 481, [X.]St[X.]l II 2017, 198) und vom 07.02.2018 - [X.] K 1/17 ([X.]FHE 260, 410) vertretenen Rechtsauffassung festhalten, der zufolge die Nichtigkeitsklage nach § 134 [X.]O i.V.m. § 579 [X.]bs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft ist, wenn mit ihr lediglich eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den [X.] geltend gemacht wird. Der erkennende [X.] beabsichtige, in diesem Fall eine Nichtigkeitsklage als nicht statthaft anzusehen und die Klage als unzulässig abzuweisen.

[X.]lle drei [X.]e haben mitgeteilt, an der in den zuvor genannten Entscheidungen vertretenen Rechtsauffassung nicht mehr festzuhalten und sich der Rechtsauffassung des erkennenden [X.]s anzuschließen.

Entscheidungsgründe

[X.]

[X.] ist unzulässig. Das Verfahren ist nicht wieder aufzunehmen, denn die Nichtigkeitsklage ist nicht statthaft.

1. Nach § 134 [X.]O i.V.m. § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage erfolgen.

a) Mit der Nichtigkeitsklage im Sinne des § 579 ZPO ist neben der Restitutionsklage nach § 580 ZPO ein Mittel geschaffen worden, um eine Durchbrechung der Rechtskraft in Fällen zu ermöglichen, in denen schwerste Mängel des Verfahrens oder gravierende inhaltliche Fehler gegen den Bestand des Urteils sprechen und dadurch das Vertrauen der Parteien in die [X.] in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise erschüttert ist (vgl. Beschluss des [X.] vom 13.10.2015 - 3 [X.] 915/15 (F), Rz 16 und [X.] vom 28.07.2022 - 6 [X.] 24/22, Rz 20, m.w.N.; [X.]-Urteil vom 02.12.1998 - X R 15-16/97, [X.], 1, [X.] 1999, 412, unter [X.]; Urteil des [X.] --BSG-- vom 23.03.1965 - 11 RA 304/64, [X.], 30, unter [X.]; Urteil des [X.] --BVerwG-- vom 26.01.1994 - 6 [X.] 2/92, [X.], 64; MüKoZPO/[X.]/Heiß, § 579 Rz 1; Musielak/[X.]/Musielak, ZPO, 20. Aufl., § 579 Rz 2; Anders/[X.], Zivilprozessordnung, 81. Aufl., § 579 Rz 1; [X.] in: [X.]/[X.], ZPO, 2. Aufl., § 579 ZPO Rz 5; [X.] in [X.], Zivilprozessordnung, 10. Aufl., § 579 Rz 2; [X.] ZPO/Fleck, [X.]. [01.09.2023], ZPO § 579 Rz 3; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 579 Rz 2). Diesem Zweck entspricht es, die Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 ZPO auf eng begrenzte Ausnahmefälle zu beschränken. Sie dient insbesondere nicht dazu, eine im Ausgangsverfahren vom Gericht bereits beantwortete Rechtsfrage erneut zur Überprüfung zu stellen.

b) Nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Das ist jedenfalls der Fall, wenn die [X.]bank bei der Entscheidung fehlerhaft besetzt war (vgl. [X.] vom 13.10.2015 - 3 [X.] 915/15 (F), Rz 16; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 579 Rz 2). Der klare Wortlaut der Vorschrift ("das erkennende Gericht") spricht dafür, ihren Anwendungsbereich auch auf diese Fallgruppe zu beschränken. [X.] erfasst sind danach nur Fehler, die die personelle Zusammensetzung des erkennenden Spruchkörpers betreffen. Dagegen fallen die Fragen, ob der richtige Spruchkörper oder das richtige Gericht entschieden haben, nicht mehr in ihren Anwendungsbereich (vgl. [X.] vom 29.01.1992 - VIII K 4/91, [X.], 569, [X.] 1992, 252; vom 26.05.1992 - VII S 17/92, [X.] 1993, 305, unter 2. und vom 12.11.1996 - II K 1/96, juris, unter 2.; Urteil des [X.] vom 22.11.1994 - X ZR 51/92, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1995, 332, unter I.1.; [X.] vom 23.03.1965 - 11 RA 304/64, [X.], 30, unter [X.]; vgl. auch [X.]-Beschluss vom 22.01.1992 - 2 BvR 40/92, [X.], 1030, unter 3.b; [X.] in Festschrift für [X.] zum 70. Geburtstag, 2001, S. 89, 121 f.; Hummel, [X.] --UR-- 2021, 736, 738). Ein [X.] kann daher vorliegen, wenn es zu Verstößen bei der Geschäftsverteilung gekommen ist. Mit der Vorschrift soll insbesondere verhindert werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen [X.] das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst werden kann (vgl. [X.] vom 29.01.1992 - VIII K 4/91, [X.], 569, [X.] 1992, 252, unter 4.a).

c) Die Verkennung einer [X.] (durch das vorschriftsmäßig besetzte Gericht) ist dagegen kein Besetzungsmangel (so auch Hummel, UR 2021, 736, 738). Eine Nichtigkeitsklage ist daher nicht statthaft, wenn sie lediglich darauf gestützt wird, dass im Ausgangsverfahren eine Vorlage an das [X.] oder an den [X.] angeregt worden war, das erkennende Gericht dem aber nicht gefolgt ist. Dabei ist unerheblich, ob die Beurteilung der [X.] durch das Ausgangsgericht rechtlich zutreffend war (vgl. [X.] vom 28.07.2022 - 6 [X.] 24/22, Rz 22 f.; [X.] vom 23.03.1965 - 11 RA 304/64, [X.], 30, unter [X.]; [X.] vom 26.01.1994 - 6 [X.] 2/92, [X.], 64; a.[X.] in: [X.]/[X.], [X.] in Theorie und Praxis, Festschrift 75 Jahre Finanzgericht des Saarlandes, S. 73; [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], Kommentar zum [X.]G, 2. Aufl., § 90 Rz 163). [X.] ist auch dann nicht gegeben, wenn das Ausgangsgericht seine [X.] zu Unrecht verneint haben sollte.

d) Der Senat stellt nicht in Abrede, dass eine willkürliche Nichtbeachtung der Vorlagepflicht den Anspruch auf den gesetzlichen [X.] verletzt (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, vgl. u.a. [X.]-Beschluss vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19) und dass der [X.] gesetzlicher [X.] für die Auslegung des Unionsrechts ist. Eine willkürliche Verletzung der Vorlagepflicht betrifft aber nicht die vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Sie ist deshalb (unmittelbar) mit der Verfassungsbeschwerde gegen die letztinstanzliche Entscheidung geltend zu machen (vgl. u.a. [X.]-Beschlüsse vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09, [X.]E 129, 78, beginnend unter [X.].I[X.] und vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, Rz 52 ff.).

e) Ein anderes Ergebnis ist nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgegeben. Zwar entspricht es der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen [X.] zu gewähren haben. Jedoch ist für die Rüge von Grundrechtsverletzungen durch letztinstanzliche Entscheidungen der (außerordentliche) Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde nach § 90 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ([X.]G) gegeben (vgl. [X.] in: [X.]/[X.]/[X.], Kommentar zum [X.]G, 2. Aufl., § 90 Rz 7). Der Gesetzgeber hat bei Schaffung der [X.] die Nichtigkeitsgründe auch nicht mit Blick auf mögliche Grundrechtsverletzungen konzipiert (vgl. [X.] in: Festschrift für [X.] zum 70. Geburtstag, 2001, S. 89, 127; [X.], Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 2, Materialien zur Zivilprozessordnung, S. 1017 und 1232) und damit auch keine verfassungsrechtliche ([X.] gerichtlicher Entscheidungen beabsichtigt.

f) Ebenso dient die Nichtigkeitsklage nicht dazu, wegen unzutreffender oder unvollständiger Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 [X.]O) oder Missachtung der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 [X.]O) die Zurückverweisung eines Verfahrens an die Vorinstanz zu erreichen. Denn sie bewirkt nur eine Wiederaufnahme des Verfahrens durch das erkennende Gericht (§ 578 Abs. 1 ZPO).

Etwas anderes gilt nur, wenn es der Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet hat, bestimmte Verfassungsfragen vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde einer nochmaligen fachgerichtlichen Selbstkontrolle zu unterwerfen. Dies hat er für die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in Gestalt der Anhörungsrüge (z.B. § 133a [X.]O) getan. Dass der Gesetzgeber mit der Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eine vergleichbare Selbstüberprüfung im Hinblick auf die Verletzung des gesetzlichen [X.]s (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) schaffen oder nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ermöglichen wollte, ist nicht ersichtlich. Anderenfalls stellte sich auch die Frage, ob bei einer Verletzung des gesetzlichen [X.]s nicht auch innerhalb des Instanzenzugs im Rechtsmittelrecht eine Fortsetzung des Ausgangsverfahrens vorgesehen sein müsste.

g) In gleicher Weise verpflichtet eine europarechtskonforme Auslegung des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht dazu, die Nichtigkeitsklage für den Fall einer willkürlichen Verletzung der Vorlagepflicht an den [X.] seitens des Ausgangsgerichts für statthaft zu erachten. Im Rahmen des [X.] zwischen [X.] und [X.] (vgl. dazu u.a. [X.]-Urteil vom 12.10.1993 - 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, [X.]E 89, 155; [X.], NJW 2013, 1329, 1330 f.) prüft das [X.] in ständiger Rechtsprechung, ob eine Verletzung der [X.] an den [X.] zu einer Verletzung des gesetzlichen [X.]s im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geführt hat (vgl. u.a. [X.]-Beschlüsse vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09, [X.]E 129, 78, unter [X.].I[X.] und vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, Rz 52 ff.). Weder das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) noch die Sicherstellung der Geltung und Durchsetzbarkeit europarechtlicher Regelungen zwingen aber für diesen Fall dazu, die Nichtigkeitsklage als statthaft zu erachten. Über die Einhaltung der [X.] nach Art. 267 AEUV wacht das [X.].

h) Im Übrigen ist eine Nichtigkeitsklage auch nur dann statthaft, wenn sie auf einen Wiederaufnahmegrund gestützt wird, der im Ausgangsverfahren übersehen worden oder unerkannt geblieben ist. Denn insbesondere die Bestimmungen in § 579 Abs. 1 Nr. 2 und § 579 Abs. 2 ZPO lassen den Willen des Gesetzgebers erkennen, eine Wiederaufnahme im Wege einer Nichtigkeitsklage nur in den Fällen zuzulassen, in denen die Berücksichtigung des Rechtsfehlers nicht schon vor der Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung möglich war. Damit soll die doppelte Prüfung einer bereits entschiedenen Rechtsfrage verhindert werden. [X.] scheidet daher aus, wenn der [X.] im Vorprozess nicht übersehen worden und bereits geprüft worden ist (vgl. [X.] vom 28.07.2022 - 6 [X.] 24/22, Rz 21; [X.]-Urteil vom 02.12.1998 - X R 15-16/97, [X.], 1, [X.] 1999, 412, unter [X.]; [X.] vom 23.03.1965 - 11 RA 304/64, [X.], 30, unter [X.]; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 134 Rz 1; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 134 [X.]O Rz 48; [X.] in Gosch, [X.]O § 134 Rz 28; [X.], ZPO, 23. Aufl., § 579 Rz 2; [X.] in: Festschrift für [X.] zum 70. Geburtstag, 2001, S. 89, 124 f.; derselbe in: Festschrift für [X.] zum 65. Geburtstag, 1986, S. 157, 158).

2. Daran gemessen ist die Nichtigkeitsklage nicht statthaft. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Nichtigkeitsklage nicht gegen die personelle Zusammensetzung des [X.]. Senats des [X.] (beim Erlass der Ausgangsentscheidung [X.] R 5/19 am 07.09.2021), sondern gegen dessen Entscheidung, dass eine Verpflichtung zur Vorlage an den [X.] nicht besteht. Damit vertritt sie lediglich eine von der Ausgangsentscheidung abweichende Rechtsmeinung. Im Übrigen wiederholt, untermauert und ergänzt sie lediglich ihr bisheriges rechtliches Vorbringen. Die schlüssige Rüge einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegt darin nicht.

[X.] ist auch nicht deshalb statthaft, weil ihre Erhebung Voraussetzung für die Erschöpfung des Rechtswegs nach § 90 Abs. 2 [X.]G ist. Zwar muss im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.]G nach Maßgabe der materiellen Subsidiarität dargelegt werden, dass das Vorbringen vor dem Fachgericht eine Vorlage an den [X.] als naheliegend hat erscheinen lassen. Im Rahmen einer Rüge der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erstreckt sich die Obliegenheit des Prozessbeteiligten regelmäßig darauf, durch entsprechende Anträge oder Anregungen an das Fachgericht eine Befassung des gesetzlichen [X.]s zu erreichen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 31.07.2001 - 1 BvR 304/01, juris, unter [X.]1.a; vom 19.07.2011 - 1 BvR 1916/09, [X.]E 129, 78, beginnend ab B.I[X.]2. und vom 27.04.2021 - 1 BvR 2731/19, Rz 2 f.; vgl. auch Hummel, UR 2021, 736, 737). Diesen Anforderungen an die Rechtswegerschöpfung ist die Klägerin aber bereits im Ausgangsverfahren gerecht geworden. Eine Vorlage an den [X.] hatte die Klägerin im Rahmen ihrer Revisionsbegründung angeregt. Einer Wiederholung dieses Vorbringens im Rahmen einer Nichtigkeitsklage bedarf es daher für Zwecke der Rechtswegerschöpfung nicht.

3. Mittels der Nichtigkeitsklage kann die Klägerin keine Zurückverweisung an das [X.] erreichen. Soweit die Klägerin auf ihr Vorbringen im Rahmen ihrer Anhörungsrüge unter dem Aktenzeichen [X.] S 17/21 verweist, hat der Senat diese Rüge mit Entscheidung vom [X.] als unbegründet zurückgewiesen. Auf die Ausführungen in dieser Entscheidung wird Bezug genommen.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

IX K 2/21

14.11.2023

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend BFH, 16. Mai 2023, Az: IX R 2/21, Beschluss

§ 579 Abs 1 Nr 1 ZPO, § 134 FGO, Art 267 AEUV, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 90 Abs 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.11.2023, Az. IX K 2/21 (REWIS RS 2023, 8591)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8591


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX R 5/19

Bundesfinanzhof, IX R 5/19, 07.09.2021.


Az. IX S 17/21

Bundesfinanzhof, IX S 17/21, 03.05.2023.

Bundesfinanzhof, IX S 17/21, 03.05.2023.


Az. IX K 2/21

Bundesfinanzhof, IX K 2/21, 14.11.2023.

Bundesfinanzhof, IX K 2/21, 16.05.2023.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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