Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.05.2010, Az. 6 B 84/09

6. Senat | REWIS RS 2010, 6889

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Gegenstand

Einberufung zum Zivildienst; Auslandsstudium; Vertrauen auf behördliche Auskunft


Gründe

1

Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 75 Satz 2 [X.] i.V.m. § 135 Satz 3 VwGO, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte [X.]eschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne dieser Vorschriften kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Der [X.]eschwerdeführer muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.

3

a) Der dienstpflichtige Kläger verfolgt mit seiner Klage das [X.]egehren, die [X.]eklagte zu verpflichten, ihn bis zum Ablauf seines rechtswissenschaftlichen Studiums an der [X.] ([X.]) vom Zivildienst zurückzustellen und ihm - nachträglich - zu genehmigen, die [X.] für die [X.] zu verlassen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage - soweit hier erheblich - mit der [X.]egründung abgewiesen, der Kläger könne sich nicht auf einen Zurückstellungsanspruch nach § 11 Abs. 4 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 [X.]uchst. [X.] berufen, weil die von ihm insoweit geltend gemachten Gründe darauf zurückzuführen seien, dass er [X.] vor seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ohne wehrbehördliche Genehmigung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] verlassen habe und er auch keine nachträgliche Genehmigung - nach seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach dem Maßstab des § 23 Abs. 4 [X.] - beanspruchen könne. Eine solche Genehmigung könne nicht nach § 23 Abs. 4 Satz 3 [X.] erteilt werden, weil der Kläger für eine Einberufung zum Zivildienst heranstehe. Auch § 23 Abs. 4 Satz 4 [X.] scheide als Grundlage eines Genehmigungsanspruchs aus, weil eine besondere Härte im Sinne dieser Vorschrift nicht in Umständen gefunden werden könne, die - wie hier - entstanden seien, nachdem und weil der Dienstpflichtige [X.] ohne die nach § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] bzw. § 23 Abs. 4 Satz 1 [X.] erforderliche Genehmigung verlassen habe. Die Wehrgerechtigkeit als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG verbiete es, diejenigen Dienstpflichtigen hinsichtlich der Zurückstellung vom Wehr- oder Zivildienst zu benachteiligen, die der gesetzlichen Pflicht zur Einholung der Genehmigung rechtzeitig genügt hätten, die Genehmigung aber wegen Fehlens der Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht hätten erhalten können. Das Verwaltungsgericht hat sich für diesen Ansatz auf die Rechtsprechung des [X.] (Urteile vom 3. August 1977 - [X.]VerwG 8 [X.] 6.76 - [X.]VerwGE 54, 240 <246 ff.> = [X.] 448.0 § 13a [X.] Nr. 9 S. 6 ff., vom 24. Oktober 1979 - [X.]VerwG 8 [X.] 22.78 - [X.]VerwGE 59, 23 <27 f.> = [X.] 448.0 § 3 [X.] Nr. 10 S. 8 f. und vom 26. Juli 1996 - [X.]VerwG 8 [X.] 4.95 - [X.] 448.0 § 3 [X.] Nr. 18 S. 4, [X.]eschluss vom 18. November 1998 - [X.]VerwG 6 [X.] - [X.] 448.11 § 23 [X.] Nr. 1 S. 1 f., Urteil vom 22. September 2004 - [X.]VerwG 6 [X.] 1.04 - [X.] 448.0 § 3 [X.] Nr. 22 S. 19) zu den Maßstäben für die Annahme einer besonderen Härte im [X.] von § 3 Abs. 2 Satz 4 und § 12 Abs. 4 [X.] berufen.

4

Hieran anknüpfend und unter zusätzlicher [X.]ezugnahme auf die Rechtsprechung des [X.] (Urteile vom 10. Dezember 1969 - [X.]VerwG 8 [X.] 207.67 - [X.]VerwGE 34, 273 <276> = [X.] 448.0 § 12 [X.] Nr. 42 S. 52 und vom 22. August 2007 - [X.]VerwG 6 [X.] 5.07 - [X.] 448.0 § 12 [X.] Nr. 213 S. 35) über den Ausschluss einer Zurückstellung aus Gründen, die ein Dienstpflichtiger unter missbräuchlicher Ausnutzung einer aus anderem Anlass gewährten Zurückstellung geschaffen hat, hält der Kläger für grundsätzlich bedeutsam die Frage, "ob eine [X.]erufung auf derart entstandene Härtefallgründe ausnahmsweise dann möglich ist, wenn das nicht genehmigte Verlassen [X.]s und/oder das Entstehen von [X.] während einer Zurückstellung aufgrund eines anderen Sachverhaltes auf einen ausdrücklichen Rat der [X.]ehörde zurückgeht, die den [X.]ürger im Hinblick auf die vorab dargestellte Rechtsprechung des [X.] mit diesen Gründen nicht mehr hören möchte". Dahinter stehe die allgemeine Frage, "ob es behördliche Anstiftungen des [X.]ürgers zu einem pflichtwidrigen Verhalten der [X.]ehörde dennoch erlauben, sich gegenüber dem [X.]ürger auf eben dieses ihm angeratene pflichtwidrige Verhalten berufen zu können". Diese Fragestellung rechtfertigt nicht die Zulassung der Grundsatzrevision.

5

b) Soweit die [X.]eschwerde auf das "Entstehen von [X.] während einer Zurückstellung aufgrund eines anderen Sachverhaltes" und die Rechtsprechung des [X.] dazu abstellt, erfasst sie die tragenden Gründe des angefochtenen Urteils nicht zutreffend. Denn das Verwaltungsgericht hat einen Zurückstellungsanspruch des Klägers allein wegen des ungenehmigten und auch nachträglich nicht genehmigungsfähigen Auslandsaufenthaltes als ausgeschlossen angesehen. Es hat dementsprechend offengelassen, ob dem Kläger auch vorgeworfen werden könne, die ihm aus anderem Grund (rechtsverbindlich zugesagte [X.]erufsausbildung) gewährte [X.] rechtsmissbräuchlich für die Herbeiführung der Voraussetzungen eines neuen Zurückstellungsgrundes (Fortschritt des Studiums und erheblicher Zeitverlust bei Wiederaufnahme des Studiums nach dessen zivildienstbedingter Unterbrechung) ausgenutzt zu haben ([X.]). Eine Rechtsfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat oder auf die diese nicht entscheidend abgehoben hat, kann indes regelmäßig und so auch hier nicht zur Zulassung der Revision führen ([X.]eschlüsse vom 14. November 2008 - [X.]VerwG 6 [X.] 14.06 - [X.] 422.2 Rundfunkrecht Nr. 47 S. 17 und vom 5. Oktober 2009 - [X.]VerwG 6 [X.] 17.09 - juris Rn. 7).

6

c) Sofern die aufgeworfene Frage den Ausschluss einer nachträglichen Genehmigung nach § 3 Abs. 2 Satz 4 [X.] bzw. § 23 Abs. 4 Satz 4 [X.] betrifft, kann sie die Revision ebenfalls nicht eröffnen. Das folgt bereits daraus, dass das Verwaltungsgericht seine Einschätzung der Unbeachtlichkeit des von dem Kläger erstmals mit der Klagebegründung erhobenen Einwands, eine Mitarbeiterin des Kreiswehrersatzamtes M. habe ihm von der Meldung des Abbruchs seiner Lehre zum Versicherungskaufmann und der Aufnahme des Studiums in der [X.] abgeraten, nicht allein auf die Erwägung gestützt hat, dieser Ratschlag habe den [X.] gemacht. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht in erster Linie und die Entscheidung ersichtlich selbstständig tragend darauf abgestellt, § 3 Abs. 2 Satz 1 [X.] verlange von dem betroffenen Wehrpflichtigen die Einholung einer (ausdrücklichen) Genehmigung, die bloße mündliche Anzeige der Absicht eines Auslandsaufenthaltes erfülle das Genehmigungserfordernis nicht ([X.]). Zu dieser [X.]egründung verhält sich die [X.]eschwerde nicht. Ist jedoch eine angegriffene Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende [X.]egründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser [X.]egründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Wenn nur für eine [X.]egründung ein Zulassungsgrund eingreift, kann diese [X.]egründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Weder beruht dann das vorinstanzliche Urteil auf der hinwegdenkbaren [X.]egründung, noch ist die Klärung mit ihr etwa zusammenhängender Grundsatzfragen in einem Revisionsverfahren zu erwarten (vgl. allgemein: [X.]eschlüsse vom 9. Dezember 1994 - [X.]VerwG 11 PKH 28.94 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4, vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 15 und vom 16. April 2009 - [X.]VerwG 6 [X.] 106.08 - juris Rn. 4).

7

Abgesehen hiervon bedürfte die Frage, ob Wehrpflichtige oder anerkannte Kriegsdienstverweigerer im Falle ihrer [X.]ösgläubigkeit geltend machen können, das ungenehmigte Verlassen [X.]s gehe auf einen ausdrücklichen Rat der befassten [X.]ehörde zurück, auch deshalb keiner revisionsgerichtlichen Klärung, weil sie sich nach der gefestigten Rechtsprechung zu dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes ohne Weiteres verneinen lässt. Ein Eingreifen dieses Grundsatzes erfordert unter anderem die Schutzwürdigkeit der Vertrauensbetätigung (Urteile vom 15. April 1983 - [X.]VerwG 8 [X.] 170.81 - [X.]VerwGE 67, 129 <131,134> = [X.] 401.9 [X.]eiträge Nr. 21 S. 8, 10 und vom 16. Juni 1989 - [X.]VerwG 8 [X.] 39.87 - [X.] 401.9 [X.]eiträge Nr. 32 S. 10 f.). Es liegt auf der Hand, dass das Vertrauen auf eine behördliche Auskunft regelmäßig dann nicht schützenswert sein kann, wenn dem Adressaten bekannt ist, dass die Auskunft der Rechtslage widerspricht (vgl. [X.]FH, Urteil vom 13. Dezember 1989 - [X.]/87 - NVwZ 1990, 1110 <1111>). Im Übrigen erfordert eine Prüfung am Maßstab des [X.] die einem Revisionsverfahren nicht zugängliche Würdigung und Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalles.

Meta

6 B 84/09

06.05.2010

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend VG Düsseldorf, 3. September 2009, Az: 11 K 1756/09, Urteil

§ 3 Abs 2 S 1 WehrPflG, § 3 Abs 2 S 4 WehrPflG, § 23 Abs 4 S 3 ErsDiG, § 23 Abs 4 S 4 ErsDiG, § 11 Abs 4 S 1 ErsDiG, § 11 Abs 4 S 2 Nr 3 Buchst b ErsDiG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.05.2010, Az. 6 B 84/09 (REWIS RS 2010, 6889)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6889

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