Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.03.2016, Az. VI B 89/15

6. Senat | REWIS RS 2016, 15351

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Gegenstand

(Kein Finanzrechtsweg bei Verweigerung der Einsichtnahme in die Akten eines abgeschlossenen finanzgerichtlichen Verfahrens - Sachlicher Anwendungsbereich von § 23 GVGEG - Keine Übertragbarkeit der Regelung des § 21 GKG auf außergerichtliche Kosten)


Leitsatz

1. NV: Gegen die Verweigerung der Einsichtnahme in die Akten eines abgeschlossenen finanzgerichtlichen Verfahrens ist der Finanzrechtsweg nicht eröffnet .

2. NV: Das Akteneinsichtsrecht nach § 78 FGO dient allein der Prozessführung und erlischt, sobald das betreffende Verfahren endgültig abgeschlossen ist .

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des [X.] vom 13. August 2015  1 K 3633/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Kläger gegen die Verfügung des Vorsitzenden des 1. Senats des [X.] vom 13. August 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen. Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) führten gegen den Beklagten, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) vor dem Finanzgericht ([X.]) ein Klageverfahren, für das sie auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragten.

2

Das [X.] erließ während des Klageverfahrens einen Änderungsbescheid, mit dem es dem Klagebegehren der Kläger teilweise entsprach. Die Beteiligten erklärten das Klageverfahren daraufhin übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.

3

Das [X.] legte mit Beschluss vom 26. Mai 2015 die Kosten des Verfahrens den Klägern auf. Den Antrag auf PKH lehnte das [X.] mit Beschluss vom selben Tag ab.

4

Die Kläger beantragten nach Abschluss des Klageverfahrens am 7. August 2015, ihrem Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht zu gewähren. Die Akteneinsicht sei erforderlich, um die Kläger hinsichtlich ihres weiteren Vorgehens sachgerecht beraten zu können.

5

Der Vorsitzende des [X.]-Senats, bei dem das Klageverfahren anhängig gewesen war, lehnte den Antrag ab. Ein Anspruch auf Akteneinsicht bestehe nicht. § 78 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) gewähre den Beteiligten ein Akteneinsichtsrecht nur im Rahmen eines noch nicht abgeschlossenen Streitverfahrens. Akteneinsicht sei auch nicht gemäß § 155 [X.]O i.V.m. § 299 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu gewähren, da ein berechtigtes Interesse an der begehrten Akteneinsicht nicht erkennbar sei.

6

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kläger, der das [X.] nicht abgeholfen hat.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit sich die Kläger gegen den Beschluss des [X.] wenden, ihnen gemäß § 78 Abs. 1 [X.]O keine Akteneinsicht zu gewähren, ist die Beschwerde zulässig (§ 128 Abs. 1 und 2 [X.]O), aber unbegründet. Soweit sich die Kläger --die für ihr Begehren auf Gewährung von Akteneinsicht keine Rechtsgrundlage angegeben haben-- auch gegen die Verfügung des Vorsitzenden des [X.]-Senats wenden, mit der die Gewährung von Akteneinsicht entsprechend § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O abgelehnt wurde, ist die Beschwerde unzulässig.

8

1. § 78 Abs. 1 [X.]O gewährt den Beteiligten ein Recht auf Einsicht in die Gerichtsakten und in die dem Gericht vorgelegten ([X.]. Die Entscheidung über ein diesbezügliches Begehren kann, sofern nicht die Übersendung der Akten verlangt wird, in der Regel der [X.] der Geschäftsstelle treffen; anderenfalls entscheidet über einen solchen Antrag der Spruchkörper oder sein Vorsitzender (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 20. Oktober 2005 VII B 207/05, [X.], 15, [X.], 41; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 78 Rz 26 und 27). Dementsprechend ist das [X.] verfahren. Es hat ein Akteneinsichtsrecht nach § 78 [X.]O auch zutreffend verneint. Denn § 78 Abs. 1 [X.]O gewährt den Beteiligten ein Recht auf Akteneinsicht nur im Rahmen eines anhängigen, noch nicht abgeschlossenen Streitverfahrens, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich von den dem Gericht vorliegenden Entscheidungsgrundlagen Kenntnis zu verschaffen und aufgrund dieser Kenntnis zu ihnen in Wahrnehmung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör Stellung zu nehmen ([X.] in [X.], 15, [X.], 41, m.w.N.). Im Streitfall waren das Klageverfahren und das Verfahren wegen PKH vor Anbringung des Antrags auf Akteneinsicht aber bereits abgeschlossen, sodass kein Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 78 Abs. 1 [X.]O (mehr) bestand.

9

2. Wird --wie im [X.] Akteneinsicht nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens beantragt, muss der Vorstand des Gerichts eine Entscheidung darüber treffen, ob einem Beteiligten Akteneinsicht gewährt werden soll. Das entspricht der nach § 155 [X.]O sinngemäß anzuwendenden Regelung des § 299 Abs. 2 ZPO, die den Anspruch eines [X.] auf Akteneinsicht betrifft, jedoch auf den in einer ähnlichen Lage befindlichen früheren Beteiligten des Verfahrens entsprechend anzuwenden ist ([X.] in [X.], 15, [X.], 41).

a) Im vorliegenden Fall hat der Vorsitzende des [X.]-Senats auch über den Anspruch der Kläger entsprechend § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O entschieden. Der zu dieser Entscheidung nach der gesetzlichen Regelung berufene Vorstand des Gerichts, hier also der Präsident des [X.] (dazu [X.] in [X.], 15, [X.], 41), hatte die Entscheidung durch Dienstanweisung auf den Vorsitzenden des Senats übertragen, der die abschließende Entscheidung in dem zugrundeliegenden finanzgerichtlichen Verfahren getroffen hatte. Der Präsident des [X.] war befugt, diese Aufgabe der [X.] --wie geschehen-- an [X.] zu delegieren (allgemeine Meinung, z.B. [X.]/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 299 Rz 42, m.w.N.). Der Vorsitzende des [X.]-Senats hat sich bei seiner Entscheidung über die Ablehnung der Akteneinsicht entsprechend § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O auch ausdrücklich auf die ihm vom Präsidenten des [X.] durch Delegation übertragene Entscheidungsbefugnis berufen.

b) Die Kläger können die Verfügung des Vorsitzenden des [X.]-Senats, mit der er entsprechend § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O einen Anspruch der Kläger auf Akteneinsicht verneint hat, jedoch nicht mit der Beschwerde nach § 128 Abs. 1 [X.]O anfechten ([X.] vom 24. Februar 2009 I B 172/08, juris; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 33 [X.]O Rz 94; gleiche Auffassung für das verwaltungsgerichtliche Verfahren Verwaltungsgerichtshof --VGH-- [X.], Beschluss vom 25. Oktober 2011  3 S 1616/11, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2012, 1163).

Denn die Nichtgewährung der Akteneinsicht entsprechend § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O ist keine Entscheidung i.S. von § 128 Abs. 1 [X.]O. Der Vorsitzende des [X.]-Senats wurde bei seiner Entscheidung entsprechend § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O nicht in einem finanzgerichtlichen Verfahren auf dem Gebiet der Rechtspflege, sondern der [X.] tätig. Die Entscheidung über [X.] entsprechend § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O ist eine allgemeine Aufgabe der Justizverwaltung ([X.] in [X.], 15, [X.], 41). Es handelt sich um einen --im Ermessen des Gerichtspräsidenten oder des von diesem beauftragten [X.] stehenden-- Justizverwaltungsakt. Der Rechtsschutz richtet sich folglich allein nach den gegen Maßnahmen der Justizverwaltung vorgesehenen Rechtsbehelfen (VGH [X.], Beschluss in NJW 2012, 1163).

Für Entscheidungen von Organen der (Finanz-)Gerichtsbarkeit, die nicht im Rahmen der Rechtsprechung, sondern der Justizverwaltung ergehen, ist aber nicht die Beschwerde nach § 128 Abs. 1 [X.]O, sondern der öffentlich-rechtliche Rechtsweg nach § 40 der Verwaltungsgerichtsordnung gegeben ([X.] vom 25. Oktober 2000 VII B 230/00, [X.] 2001, 472; Rüsken in [X.], [X.]O, § 128 Rz 19; [X.] in [X.], § 128 [X.]O Rz 28), unabhängig davon, ob die Maßnahme einen Verwaltungsakt oder ein schlicht hoheitliches Handeln darstellt (vgl. Urteil des [X.] --BVerwG-- vom 14. April 1988  3 [X.] 65.85, NJW 1989, 412, betreffend Klage auf Widerruf einer Presseerklärung der Staatsanwaltschaft; BVerwG-Urteil vom 26. Februar 1997  6 [X.] 3.96, [X.], 105, Anspruch auf Veröffentlichung; BVerwG-Beschluss vom 17. Mai 2011  7 B 17.11, NJW 2011, 2530, Hausrecht des Gerichtspräsidenten; Verwaltungsgericht [X.], Urteil vom 11. Januar 2011  8 K 2602/10.F, NJW 2011, 2229, Akteneinsicht eines [X.]). Die Voraussetzungen des § 23 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz liegen bereits deshalb nicht vor, weil sich die Bestimmung nur auf [X.] bezieht, die innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ergehen (Beschluss des [X.] vom 16. Juli 2003 IV AR (VZ) 1/03, [X.], 2989). Auch die in Bezug auf die Verfügung des Vorsitzenden des [X.]-Senats unrichtige Rechtsmittelbelehrung des [X.] führt nicht dazu, dass das nach dem Gesetz unzulässige Rechtsmittel der Beschwerde nach § 128 Abs. 1 [X.]O als zulässiges Rechtsmittel behandelt wird (vgl. [X.] vom 24. Januar 2008 XI R 63/06, [X.] 2008, 606, m.w.N.).

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

a) Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 21 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) abgesehen. Nach dieser Vorschrift sind Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Die Voraussetzung ist regelmäßig gegeben, wenn in einer Rechtsmittelbelehrung ein unzulässiges Rechtsmittel als gegeben bezeichnet wird und der Rechtsmittelführer dadurch veranlasst wird, dieses einzulegen ([X.] in [X.] 2008, 606, m.w.N.).

Im Streitfall war die Rechtsmittelbelehrung zwar nur in Bezug auf die Verfügung des Vorsitzenden des [X.]-Senats entsprechend § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O unzutreffend, in Bezug auf die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 [X.]O war sie demgegenüber nicht zu beanstanden. Da die Kläger in der Beschwerdebegründung allerdings eingeräumt haben, dass das [X.] zutreffend vom Abschluss des vorangegangenen Klageverfahrens ausgegangen sei, geht der Senat davon aus, dass sich die Kläger mit ihrer Beschwerde in erster Linie gegen die Verfügung des Vorsitzenden des [X.]-Senats entsprechend § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 [X.]O wenden wollten. Im Streitfall ist deshalb davon auszugehen, dass die Beschwerde bei zutreffend erteilter Rechtsmittelbelehrung überhaupt nicht eingelegt und die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht verursacht worden wären.

b) Im Übrigen haben die Kläger jedoch gemäß § 135 Abs. 2 [X.]O die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. § 21 GKG enthält eine abschließende Regelung, die wegen ihres eindeutigen Wortlauts nicht auf außergerichtliche Kosten übertragen werden kann ([X.] in [X.] 2008, 606).

Meta

VI B 89/15

01.03.2016

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 13. August 2015, Az: 1 K 3633/13, Beschluss

§ 78 Abs 1 FGO, § 128 Abs 1 FGO, § 128 Abs 2 FGO, § 155 FGO, § 299 Abs 2 ZPO, § 40 VwGO, § 23 GVGEG, § 21 GKG, § 135 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.03.2016, Az. VI B 89/15 (REWIS RS 2016, 15351)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15351

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