Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2012, Az. IX ZB 267/11

9. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4725

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO: Zulässigkeit von nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den titulierten Anspruch


Leitsatz

Beruft sich der Schuldner im Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach der Verordnung auf nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind, so wird er damit nicht gehört (Anschluss an EuGH, 13. Oktober 2011, C-139/10, NJW 2011, 3506).

Tenor

Dem Antragsgegner wird für das Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats des [X.] vom 1. September 2011 Prozesskostenhilfe ohne Eigenbeitrag bewilligt.

Ihm werden die Rechtsanwälte     P.                 beigeordnet.

Seine Rechtsbeschwerde gegen den genannten Beschluss wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 24.300 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin erwirkte gegen den Antragsgegner ein vollstreckbares Urteil des [X.] 10 vom 27. Februar 2009, durch das dieser verurteilt wurde, an sie 600.000 [X.] nebst Zinsen zu zahlen. Am 20. August 2010 verkaufte sie ihre Forderung an einen [X.]. In der Folge stritten die Parteien, ob die Antragstellerin noch Forderungsinhaberin ist.

2

Auf ihren Antrag hat das [X.] angeordnet, dass das Urteil des [X.] 10 vom 27. Februar 2009 mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Die sofortige Beschwerde des Antraggegners hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte dieser die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erreichen. Weiter begehrt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 15 [X.], Art. 44 [X.] statthaft, sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 55 Abs. 2 [X.]). Sie ist in der Sache jedoch unbegründet.

4

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Ein nach Rechtskraft der zu vollstreckenden Entscheidung eingetretener Forderungsübergang sei gemäß § 12 Abs. 1 [X.] im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen, soweit der zugrundeliegende Sachverhalt unstreitig sei. Das Verbot der "révision au fond" stehe der Berücksichtigung im Vollstreckbarkeitsverfahren nicht entgegen, weil die Berücksichtigung eines nachträglichen Forderungsübergangs die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht beträfe. Zwischen den Parteien sei jedoch streitig, ob die Antragstellerin noch oder wieder Inhaberin der streitgegenständlichen Forderung sei. Diese habe jedenfalls schlüssig vorgetragen, dass es zu einer Rückübertragung der streitgegenständlichen Forderung gekommen sei. Damit sei die Behauptung des Antraggegners, die Antragstellerin sei nicht mehr aktiv legitimiert, nicht unstreitig und damit nicht berücksichtigungsfähig.

5

2. Die Ausführungen des [X.] halten rechtlicher Nachprüfung stand.

6

a) Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen ist der Ausgangspunkt des [X.], dass das [X.] Zahlungsurteil auf der Grundlage von Art. 38 ff der Verordnung ([X.]) Nummer 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan: [X.] oder Verordnung) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2, § 55 [X.] in [X.] vollstreckt werden kann. Die Voraussetzungen gemäß Art. 40, 41, 53 [X.] liegen vor (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Dezember 2007 - [X.], [X.], 586 Rn. 15); [X.] nach Art. 34 und 35 [X.] (Art. 45 [X.]) macht der Antragsgegner nicht geltend und sind auch nicht ersichtlich.

7

b) Gemäß § 12 Abs. 1 [X.] kann der Schuldner mit der Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung in [X.] aus einem ausländischen Titel auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind. Nach § 14 Abs. 1 [X.] kann der Schuldner, wenn die Zwangsvollstreckung in [X.] aus dem ausländischen Titel zugelassen ist, Einwendungen gegen den Anspruch selbst nach § 767 ZPO nur geltend machen, wenn die Gründe, auf denen seine Einwendungen beruhen, entweder nach Ablauf der Beschwerdefrist entstanden oder, falls die Beschwerde eingelegt worden ist, nach Beendigung dieses Verfahrens entstanden sind. Die Anwendung dieser beiden Regelungen ist durch § 55 [X.] für den Bereich der Verordnung nicht ausgeschlossen.

8

Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob § 12 [X.] im Vollstreckbarerklärungsverfahren auf der Grundlage der Verordnung bei "nicht liquiden", das heißt bei streitigen oder nicht rechtskräftig festgestellten Einwendungen anwendbar ist. Nach Auffassung des [X.]s ist die Frage zu verneinen.

9

aa) Der [X.] hat entschieden, dass der Schuldner im Beschwerdeverfahren gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem ausländischen Titel gegebenenfalls rechtskräftige oder unbestrittene ("liquide") Einwendungen geltend machen kann ([X.], Beschluss vom 14. März 2007 - [X.] 174/04, [X.]Z 171, 310 Rn. 26 ff; vom 12. Dezember 2007 – [X.], aaO Rn. 42). Das Verbot der Nachprüfung in der Sache (Art. 45 Abs. 2 [X.]) stehe nicht entgegen, weil es um die Behandlung von nachträglichen rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einwendungen gehe, die dem Gericht im [X.] vor Erlass der Entscheidung nicht zur Überprüfung gestellt hätten werden können (Beschluss vom 14. März 2007, aaO Rn. 27). Die Annahme, dass im Rechtsbehelfsverfahren nach der Verordnung grundsätzlich auch Vollstreckungsgegeneinwände zur Überprüfung gestellt werden könnten, stehe auch im Übrigen im Einklang mit Gemeinschaftsrecht (aaO Rn. 28 ff).

bb) [X.] hat der [X.] die Frage, ob der Kreis der zulässigen Einwendungen nach § 12 [X.] generell auf "liquide" Einwendungen beschränkt werden müsse (Beschluss vom 14. März 2007, aaO Rn. 26).

Hierzu wird einerseits vertreten, dass § 12 [X.] als gemeinschaftswidrige Norm im Anwendungsbereich der Verordnung nicht anzuwenden sei, weil Art. 45 Abs. 1 [X.] den Prüfungsrahmen für das [X.] in einer abschließenden und keiner ergänzenden Auslegung zugänglichen Weise festlege. Die mit dem Rechtsbehelf nach Art. 43 [X.] befassten Gerichte dürften danach ausschließlich die [X.] nach Art. 34 und 35 [X.], nicht aber materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch prüfen. Diese Einwendungen könnten nur im Wege einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO geltend gemacht werden (vgl. [X.], [X.], 276, 277; [X.], NJW-RR 2007, 418 f; [X.], 4. Aufl., Art. 45 [X.] Rn. 4; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 33. Aufl., Art. 45 [X.] Rn. 3, vgl. auch [X.]/Mankowski, [X.], 2011, Art. 45 [X.] Rn. 5 ff mwN). Nach dieser Auffassung kann der Einwand des Antraggegners keine Berücksichtigung finden. Zum gleichen Ergebnis kommt die Ansicht, die im Bereich der Verordnung § 12 [X.] einschränkend dahingehend auslegt, dass der Schuldner im Beschwerdeverfahren nur liquide Einwendungen erheben kann ([X.], NJW-RR 2005, 933, 934 f; [X.], 803, 804; [X.], [X.], 359, 360; [X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., Art. 45 [X.] Rn. 1; [X.]/[X.], 3. Aufl., Art. 43 [X.] Rn. 7; [X.]/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 45, Rn. 11; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 43 [X.] Rn. 14).

Im Gegensatz dazu ist eine dritte Meinung der Ansicht, dass § 12 [X.] auch im Rechtsbehelfsverfahren nach der Verordnung umfassend Anwendung finde. Zu den nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen verhalte sich die [X.] nicht, so dass es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleibe, wie sie mit dieser Regelungslücke umgingen und welche Rechtsbehelfe sie dem Schuldner zur Verfügung stellten (vgl. Kropholler/von [X.], Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 43 [X.] Rn. 27 f; Art. 45 [X.] Rn. 6; Wagner, [X.] 2002, 75, 83; [X.], [X.], 898 f).

cc) Jedenfalls die letztgenannte Auffassung ist überholt. Nunmehr hat der [X.] entschieden (Urteil vom 13. Oktober 2011 - [X.]/10, NJW 2011, 3506: [X.] BV gegen [X.]), Art. 45 [X.] sei dahin auszulegen, dass er der Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung durch ein Gericht, das über einen Rechtsbehelf gemäß Art. 43 oder 44 [X.] zu entscheiden habe, aus einem anderen als einem in Art. 34 und 35 [X.] genannten Grund entgegenstehe. Geklärt hat der [X.] die Frage für den Einwand der nachträglichen Erfüllung durch Aufrechnung; für den Verlust der Aktivlegitimation durch Abtretung kann nichts Anderes gelten.

(1) Zur Begründung hat der [X.] ausgeführt, das Vollstreckbarerklärungsverfahren umfasse nur eine "einfache formale Prüfung der Schriftstücke" (Rn. 28, 42), die Behörden dürften lediglich kontrollieren, ob die Förmlichkeiten zur Erteilung der Vollstreckbarerklärung des ausländischen Titels erfüllt seien (Rn. 30). Es werde kein neues Verfahren in Gang gesetzt, sondern "auf der Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens in die Justiz der Mitgliedstaaten" die Zustimmung erteilt, eine Entscheidung durch Integration in eine fremde Rechtsordnung zu vollstrecken, damit eine in dem Urteilsmitgliedstaat erlassene Entscheidung im [X.] die Wirkungen eines vollstreckbaren nationalen Rechtstitels entfalte (Rn. 31). Die Gründe, aufgrund derer eine erfolgte Vollstreckbarerklärung angefochten werden könne, seien in Art. 34 und 35 [X.], die eng auszulegen seien, abschließend aufgezählt (Rn. 32 f). Da die nachträgliche Erfüllung einer titulierten Forderung in Befolgung der gerichtlichen Entscheidung dieser in dem [X.] nicht den vollstreckbaren Charakter nehme, kämen ihr diese Rechtswirkungen auch nicht bei ihrer Vollstreckbarerklärung im Ausland zu (Rn. 39). Eine Erfüllung könne insoweit nur im [X.] nach Integration in dessen Rechtsordnung Prüfungsgegenstand werden (Rn. 40). Auch die Tatsache, dass dadurch einem gerade vollstreckbar erklärten Titel die Vollstreckbarkeit wieder genommen werden könne, führe nicht zu einer Berücksichtigung der nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen im Verfahren der Vollstreckbarerklärung, weil anderenfalls diese dessen Merkmale änderten und sich entgegen dem im 17. Erwägungsgrund der Verordnung angeführten Ziel eines raschen und effizienten Verfahrens die Verfahrensdauer verlängere (Rn. 42; vgl. auch [X.], [X.], 90, 92 ff).

(2) Ob aus der zitierten Entscheidung des [X.] zu folgern ist, dass § 12 [X.] im Anwendungsbereich der Verordnung insgesamt unanwendbar und es dem Schuldner infolge von Art. 45 [X.] fortan generell verwehrt ist, materiell-rechtliche Einwendungen, die nach Erlass der zu vollstreckenden Entscheidung entstanden sind, im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 43, 44 [X.] geltend zu machen, gleichgültig, ob die Einwendungen liquide oder nicht liquide sind (so Bach, EuZW 2011, 871; [X.], aaO S. 94; [X.], ZPO, 9. Aufl., Art. 45 [X.] Rn. 2), muss der [X.] nicht entscheiden, weil der hier geltend gemachte Einwand nicht liquide ist. Entgegen der Rechtsbeschwerdebegründung ist es unerheblich, dass die Abtretung der Forderung durch die Antragstellerin an einen [X.] außer Streit steht und nur die schlüssig vorgetragene Rückübertragung der Forderung auf die Antragstellerin vom Antragsgegner bestritten ist. In beiden Fällen ist Beweis zu erheben, um die Berechtigung der Antragstellerin zur Vollstreckung aus dem ausländischen Titel feststellen zu können. Ein solcher Streit ist nach der zitierten Entscheidung des [X.] keinesfalls im Rechtsbehelfsverfahren nach der Verordnung zu klären. Denn die Berücksichtigung dieser Einwendung würde die Merkmale des [X.] ebenfalls ändern und die Verfahrensdauer verlängern. Das Urteil des [X.] kann aus demselben Grund auch nicht so verstanden werden, dass der Schuldner nur mit dem [X.] im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht zu hören ist. Vielmehr ergeben die Ausführungen des [X.] mit Deutlichkeit, dass sämtliche materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den Vollstreckungstitel von dieser Rechtsprechung erfasst werden. Jedenfalls soweit der Schuldner sich auf nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch beruft, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind, wird er damit in den Beschwerdeverfahren nach Art. 43 und 44 [X.] gemäß Art. 45 [X.] nicht gehört.

III.

Dem Rechtsbeschwerdeführer war dennoch gemäß § 114 ZPO Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu bewilligen. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren dient nicht dem Zweck, über rechtliche Grundsatzfragen vorweg zu entscheiden ([X.], Beschluss vom 7. März 2012 - [X.] 391/10, NJW 2012, 1964 Rn. 14).

Kayser                                                Gehrlein                                                Fischer

                            [X.]

Meta

IX ZB 267/11

12.07.2012

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG München, 1. September 2011, Az: 25 W 1212/11

Art 34 EGV 44/2001, Art 35 EGV 44/2001, Art 45 EGV 44/2001, § 12 Abs 1 AVAG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2012, Az. IX ZB 267/11 (REWIS RS 2012, 4725)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4725

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen
Referenzen
Wird zitiert von

IX ZB 267/11

Zitiert

XII ZB 391/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.