Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.01.2011, Az. III R 90/07

3. Senat | REWIS RS 2011, 10003

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Gegenstand

(Änderung einer bestandskräftigen Festsetzung des Solidaritätszuschlags aufgrund nachträglicher Festsetzung und/oder Zahlung von Kindergeld - Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags - Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO - Vorläufigkeitsvermerk betreffend die beschränkte Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen - Änderung nach § 173 Abs. 1 AO - Anspruch auf rechtliches Gehör - Verfahrensrüge ist unzulässig, wenn sie nicht schlüssig ist)


Leitsatz

1. Einwendungen gegen die Berechnung der modifizierten Einkommensteuer nach § 3 Abs. 2 SolZG sind im Rechtsbehelfsverfahren gegen die abgelehnte Änderung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags und nicht im Verfahren gegen die abgelehnte Änderung der Einkommensteuerfestsetzung geltend zu machen.

2. Die nachträgliche Festsetzung von Kindergeld führt zu keiner Änderung des bestandskräftig festgesetzten Solidaritätszuschlags nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.

3. Die Festsetzung und/oder Zahlung von Kindergeld sind keine Merkmale des Tatbestands von § 3 Abs. 2 SolZG i.V.m. § 32 EStG. Dem nachträglichen Eintreten dieser Umstände kommt daher keine Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags zu.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitzeitraum, den Jahren 2003 und 2004, zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Ihr älteres Kind, geboren im Jahr 1981, absolvierte bis August 2004 eine Berufsausbildung; ihr jüngeres Kind, geboren im Jahr 1983, befand sich während des [X.] in Ausbildung. Die Kläger bezogen in den Streitjahren zunächst kein Kindergeld für ihre Kinder.

2

Mit der Einkommensteuererklärung 2003 reichten die Kläger u.a. zwei Anlagen "Kind" beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) ein. Die Einkünfte und Bezüge der Kinder gaben sie dabei mit 8.541 € und 7.737 € an. Die Einkommensteuererklärung 2004 beinhaltete keine Anlage "Kind". Bei der Festsetzung der Einkommensteuer, Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags 2003 mit Bescheid vom 2. April 2004 sowie der Festsetzung der Einkommensteuer, Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags 2004 mit Bescheid vom 15. April 2005 berücksichtigte das [X.] keine Kinderfreibeträge. In den Erläuterungen der Bescheide wird angeführt, dass die Steuerfestsetzung hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) vorläufig ist. Die vorstehend genannten Bescheide wurden nicht angefochten.

3

Die Familienkasse setzte im November 2005 Kindergeld für das jüngere Kind für den gesamten Streitzeitraum und im Januar 2006 für das ältere Kind bis einschließlich August 2004 fest. Unter Hinweis auf die nachträgliche Festsetzung von Kindergeld beantragten die Kläger daraufhin, die Steuerfestsetzungen 2003 und 2004 zu ändern und Kinderfreibeträge zu berücksichtigen. Diesen Antrag lehnte das [X.] mit Bescheid vom 24. März 2006 ab. Der beim [X.] eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

4

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab (Urteil vom 11. September 2007  14 K 5023/06 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2007, 1926). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 zulässig sei. Zwar könnten die Kläger keine Herabsetzung der Einkommensteuer erreichen, weil das Kindergeld --nach den probeweisen Berechnungen des [X.]-- in beiden Streitjahren günstiger als die Freibeträge gewesen wäre. Die von den Klägern begehrte Änderung (Herabsetzung) der Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag und für die --in diesem Revisionsverfahren nicht [X.]e-- Kirchensteuer sei aber nur durch eine Änderung des Einkommensteuerbescheids zu erreichen.

5

Die Klage sei jedoch unbegründet, weil es an einer Rechtsgrundlage für die begehrte Änderung fehle. Eine Korrektur nach § 165 [X.] sei nicht möglich, weil die Vorläufigkeitsvermerke den Fall der nachträglichen Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen nicht erfassten. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] sei nicht einschlägig, weil es sich bei den [X.] nicht um [X.] von § 171 Abs. 10 [X.] handele. Das für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] erforderliche rückwirkende Ereignis läge mit der Festsetzung und Zahlung von Kindergeld für die Streitjahre zwar grundsätzlich vor. Allerdings seien die Bescheide über die Festsetzung von Kindergeld Bescheinigungen bzw. Bestätigungen i.S. des § 175 Abs. 2 Satz 2 [X.], deren nachträgliche Erteilung und Vorlage ausdrücklich nicht als rückwirkendes Ereignis gelte. Auch § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] sei nicht einschlägig, da die Kindergeldfestsetzung ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 [X.] darstelle. Überdies handele es sich bei dem Kindergeldbescheid nicht um eine Tatsache im Sinne dieser Vorschrift. Die Zahlung gesetzlicher Sozialversicherungsbeiträge sei jedenfalls keine rechtserhebliche Tatsache, weil sie das [X.] zu dem Zeitpunkt, als es die Steuer festgesetzt habe, bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Kindes außer Ansatz gelassen hätte. Der Beschluss des [X.] ([X.]) vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 ([X.]E 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) sei im Zeitpunkt des [X.] am 2. April 2004 (für 2003) und am 15. April 2005 (für 2004) weder den Beteiligen bekannt gegeben noch veröffentlicht gewesen. § 174 [X.] greife ebenfalls nicht ein.

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

7

Das [X.] habe den Sachvortrag der Kläger nicht vollständig gewürdigt. Es habe sich nicht mit ihrem Vorbringen zu den Geschehnissen im [X.] bei Abgabe der Steuererklärung 2003 auseinandergesetzt. Das [X.] habe ihnen damals versichert, wenn nachträglich Kindergeld gezahlt werde, werde eine Günstigerprüfung durchgeführt und der Kinderfreibetrag gewährt. Es handele sich dabei um eine rechtlich bindende Zusage. Das [X.] habe das rechtliche Gehör der Kläger verletzt, indem es die ausgefüllten Anlagen "Kind" aus den eingereichten Steuererklärungsformularen der Kläger entfernt habe.

8

Zudem habe das [X.] verkannt, dass die Bescheide nach § 165 [X.] änderbar seien. In der Vorstellung der Kläger sei [X.] die Berücksichtigung von Sozialabgaben und Vorsorgeaufwendungen; diese seien im jeweiligen Vorläufigkeitsvermerk genannt. Die Vorläufigkeitsvermerke seien auch deshalb nicht eindeutig, weil sie auf die "Anhängigkeit von Verfassungsbeschwerden und Revisionen" abstellten, anstatt darauf hinzuweisen, dass nur eine einzige Verfassungsbeschwerde bezüglich der Vorsorgeaufwendungen anhängig gewesen sei. Eine Bescheidänderung sei jedenfalls nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] möglich. Die Kindergeldbescheide seien keine Bescheinigungen bzw. Bestätigungen i.S. des § 175 Abs. 2 Satz 2 [X.]. Diese Norm betreffe Bescheinigungen über gezahlte Körperschaftsteuer. Ihre Anwendung auf Kindergeldbescheide sei weder veranlasst noch geboten.

9

Die Kläger beantragen sinngemäß, das [X.]-Urteil vom 11. September 2007  14 K 5023/06 E, den Ablehnungsbescheid vom 24. März 2006 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2006 aufzuheben und das [X.] zu verpflichten, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags 2003 mit Bescheid vom 2. April 2004 sowie die Festsetzung des Solidaritätszuschlags 2004 mit Bescheid vom 15. April 2005 dergestalt zu ändern, dass jeweils die für Kinder zu gewährenden Freibeträge berücksichtigt werden.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2, 4 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Kläger keinen Anspruch auf [X.]erabsetzung des bestandskräftig festgesetzten Solidaritätszuschlags 2003 und 2004 haben.

1. Die Kläger wenden sich mit ihrem Klagebegehren (§ 96 Abs. 1 Satz 2 [X.]O) ausschließlich gegen die abgelehnte Änderung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags 2003 und 2004, nicht (auch) gegen die abgelehnte Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen 2003 und 2004.

Verfahrenserklärungen sind in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches auszulegen (vgl. z.B. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 30. August 1994 IX R 42/91, [X.] 1995, 481). Die Kläger hatten dem [X.], bevor es durch Urteil entschied, zuletzt mitgeteilt, sie beantragten, der Klage entsprechend den Kontrollberechnungen des [X.] stattzugeben. In diesen Berechnungen hatte das [X.] für die Einkommensteuerveranlagungen in den beiden Streitjahren Vergleichsrechnungen durchgeführt. Daraus ergab sich, dass sich lediglich die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag und für die --in diesem Revisionsverfahren nicht streitgegenständliche-- Kirchensteuer ändern würde, wenn bei den Steuerfestsetzungen die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG Berücksichtigung fänden. Durch die Ablehnung des [X.], die Einkommensteuerbescheide zu ändern, sind die Kläger daher nicht --auch nicht mittelbar-- beschwert (§ 40 Abs. 2 [X.]O).

Den Einkommensteuerbescheiden kommt, soweit das Klagebegehren reicht, auch keine Grundlagenfunktion für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags zu. Nach § 3 Abs. 2 des Solidaritätszuschlaggesetzes ([X.]) ist Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag die Einkommensteuer, die abweichend von § 2 Abs. 6 EStG unter Berücksichtigung von Freibeträgen gemäß § 32 Abs. 6 EStG in allen Fällen des § 32 EStG festzusetzen wäre. Zwar ist der Solidaritätszuschlag nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 Nr. 1 [X.] Folgesteuer zu der als [X.] dienenden Einkommensteuer. Insoweit stehen der Einkommensteuerbescheid und die Festsetzung des Solidaritätszuschlags im Verhältnis Grundlagen-/Folgebescheid (vgl. § 1 Abs. 5 [X.]; s. auch zum entsprechenden Verhältnis von Einkommensteuerbescheid zur Kirchensteuerfestsetzung [X.] vom 28. November 2007 [X.], [X.], 288, m.w.[X.]). Soweit jedoch § 3 Abs. 2 [X.] Modifikationen bei der Berechnung der maßgeblichen Einkommensteuer vorsieht, die ausschließlich der Bemessung des Solidaritätszuschlags dienen und für die Festsetzung der tatsächlichen Einkommensteuer keine Bedeutung haben, hat der Einkommensteuerbescheid diese Grundlagenfunktion nicht. Einwendungen, die sich gegen die Berechnung der modifizierten Einkommensteuer nach § 3 Abs. 2 [X.] richten, sind nicht im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid, sondern in jenem gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags geltend zu machen (vgl. auch [X.] in [X.], 288; a.A. [X.] Düsseldorf vom 14. Januar 2000  18 K 5985/98 E, E[X.] 2000, 439).

2. Der für die Jahre 2003 und 2004 bestandskräftig durch Steuerbescheid festgesetzte Solidaritätszuschlag (vgl. [X.]/ [X.], § 1 [X.] 1995 Rz 8, 9) kann nicht mehr herabgesetzt werden.

a) Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 165 [X.] liegen nicht vor.

Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 [X.] kann die Finanzbehörde eine Steuerfestsetzung aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat. Maßgebend ist dabei, welchen Umfang der Vorläufigkeitsvermerk tatsächlich hat. Ist die entsprechende Formulierung objektiv unklar, so ist der Umfang der Vorläufigkeit durch Auslegung zu ermitteln ([X.]-Urteil vom 12. Juli 2007 [X.], [X.], 26, [X.], 2, m.w.[X.]).

Im Streitfall scheidet eine Änderung nach dieser Vorschrift schon deshalb aus, weil sich die Vorläufigkeitsvermerke auf die beschränkte Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 EStG und damit nur auf die Einkommensteuerfestsetzungen 2003 und 2004, nicht auch auf die Festsetzung des Solidaritätszuschlags 2003 und 2004 beziehen. Abgesehen davon betreffen die Vorläufigkeitsvermerke inhaltlich nicht die Frage, ob die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge der Kinder nach § 32 Abs. 4 EStG als Abzugsposten zu berücksichtigen sind. Die gebrauchte Formulierung bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass sie auch gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge von Personen, die nicht Adressaten des Steuerbescheids sind, umfassen soll.

b) Die nachträgliche Festsetzung von Kindergeld begründet für die Kläger keinen Anspruch aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] auf Änderung des festgesetzten Solidaritätszuschlags.

Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein für ihn bindender Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 [X.]) erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Grundlagenbescheide sind gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 [X.] Feststellungsbescheide, [X.] oder sonstige für eine Steuerfestsetzung bindende Verwaltungsakte. Für die Annahme einer Bindungswirkung ist nach der Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich eine gesetzliche Regelung erforderlich (Senatsurteil vom 10. Juni 1988 III R 232/84, [X.]E 154, 68, [X.] 1988, 981; [X.]/Rüsken, [X.], 10. Aufl., § 171 Rz 102). [X.]ieran fehlt es im Streitfall; eine Bindungswirkung des [X.] des Solidaritätszuschlags ist gesetzlich nicht vorgesehen.

c) Auch eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] ist im Streitfall nicht möglich.

aa) Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] liegt vor, wenn sich nach Ergehen eines Steuerbescheids der rechtserhebliche Sachverhalt in der Weise ändert, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Eine andere rechtliche Beurteilung des unverändert bleibenden Sachverhalts genügt insoweit nicht. Eine Gerichtsentscheidung ist daher nur dann ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 [X.], wenn sie den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, rückwirkend verändert (Senatsurteil vom 28. Juni 2006 [X.]/06, [X.]E 214, 287, [X.] 2007, 714, m.w.[X.]). Entsprechendes gilt für Merkmale, auf welche das Steuergesetz abstellt und die durch eine behördliche Entscheidung rückwirkend umgestaltet werden [X.]/Rüsken, a.a.[X.], § 175 Rz 56a). Ob ein Ereignis in die Vergangenheit zurückwirkt, ist den Normen des materiellen Steuerrechts zu entnehmen (Senatsurteil vom 28. Juli 2005 [X.], [X.]E 210, 393, [X.] 2005, 865).

bb) Nach diesen Maßstäben sind weder der Beschluss des [X.] in [X.]E 112, 164, [X.] 2005, Beilage 3, 260 noch die nachträgliche Festsetzung und/oder Zahlung von Kindergeld ein rückwirkendes Ereignis für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags.

Die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.] als Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags dienende "fiktive" Einkommensteuer ist die Einkommensteuer, die abweichend von § 2 Abs. 6 EStG unter Berücksichtigung von Freibeträgen nach § 32 Abs. 6 EStG in allen Fällen des § 32 EStG festzusetzen wäre. Diese Bemessungsgrundlage berücksichtigt also stets die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG (Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 13/1558, [X.]), unabhängig davon, ob sie bei der Veranlagung zur Einkommensteuer in Abzug gebracht worden sind oder ob die nach § 31 EStG für die Einkommensteuerfestsetzung vorzunehmende Vergleichsrechnung ergeben hat, dass sich das Kindergeld für den Steuerpflichtigen günstiger auswirkt (vgl. [X.], [X.] 1996, 409; [X.]/Treiber, § 51a EStG [X.]; Wagner in [X.]/[X.]/ [X.], § 51a EStG [X.]). Der Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG ist, wie § 3 Abs. 2 [X.] ausdrücklich regelt, jedoch nur möglich in den Fällen des § 32 EStG. [X.]., dass die Regelungen des § 32 EStG zu prüfen sind und deren Voraussetzungen vorliegen müssen (vgl. zur inhaltsgleichen Bestimmung des § 51a Abs. 2 Satz 1 EStG [X.] in [X.], EStG, 6. Aufl., [X.] 1998 ff., § 51a Rz 56; [X.], in: [X.][X.], EStG, § 51a Rz [X.]; [X.] [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 51a EStG [X.]); anderenfalls können bei der Berechnung der fiktiven Einkommensteuer für Zwecke der Festsetzung des Solidaritätszuschlags keine Freibeträge i.S. von § 32 Abs. 6 EStG abgezogen werden.

aaa) Der Beschluss des [X.] in [X.]E 112, 164, [X.] 2005, Beilage 3, 260 hat die Tatsache, dass für die Kinder der Kläger Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung abgeführt wurden, nicht verändert. Der Beschluss führt lediglich zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des unverändert bleibenden Sachverhalts dergestalt, dass solche Beiträge nunmehr bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Kindes gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 2 ff. EStG abzuziehen sind.

bbb) Ebenso sind die nachträgliche Festsetzung und/oder Zahlung von Kindergeld keine rückwirkenden Ereignisse, weil der Tatbestand von § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.] und von § 32 EStG weder an eine Kindergeldfestsetzung noch an die Zahlung von Kindergeld, sondern --wie ausgeführt-- an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 EStG anknüpft. Der nachträglich ergangene Kindergeldfestsetzungsbescheid entfaltet auch keine [X.] in dem Sinne (vgl. zur [X.] von Verwaltungsakten [X.]-Urteil vom 21. Januar 2010 [X.], [X.]E 228, 295, [X.] 2010, 703; [X.], [X.]-Steuerberater 2010, 271), dass das [X.] bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 EStG oder § 3 Abs. 2 [X.] erfüllt sind, das Ergebnis der Familienkasse übernehmen müsste; die [X.] des Kindergeldfestsetzungsbescheids beschränkt sich auf seinen verfügenden Teil ("Tenor"), umfasst aber nicht seine Begründung (vgl. [X.], [X.]-Steuerberater 2010, 271). Das [X.] hat daher selbständig und ohne Bindung an die im Kindergeldfestsetzungsbescheid enthaltene Begründung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 EStG zu prüfen.

d) Schließlich scheidet auch eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] aus.

aa) Der Beschluss des [X.] in [X.]E 112, 164, [X.] 2005, Beilage 3, 260 stellt schon deshalb keine nachträglich bekanntgewordene Tatsache dar, weil er lediglich eine geänderte rechtliche Beurteilung der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen enthält und solche rechtlichen Schlussfolgerungen, insbesondere juristischen Wertungen und Subsumtionen, keine Tatsachen sind (vgl. Senatsurteil in [X.]E 214, 287, [X.] 2007, 714). Im Übrigen fehlt es hinsichtlich des Solidaritätszuschlags 2003 an einem nachträglichen Bekanntwerden des Beschlusses vom 11. Januar 2005; er ist vielmehr nachträglich eingetreten, weil er im Zeitpunkt des [X.] am 2. April 2004 (für 2003) noch nicht vorhanden war (vgl. dazu [X.]-Urteil vom 2. April 1998 [X.], [X.]E 185, 536, [X.] 1998, 695).

bb) Eine Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ergibt sich auch dann nicht, wenn dem [X.] im Zeitpunkt der ursprünglichen Steuerfestsetzungen die Tatsache der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge durch die Kinder noch nicht bekannt gewesen sein sollte, weil diese Tatsache nicht rechtserheblich war.

Ein Steuerbescheid darf nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] zu Gunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert werden, wenn die Finanzbehörde bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel nicht anders entschieden hätte. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 [X.] scheidet danach aus, wenn die Unkenntnis der später bekannt gewordenen Tatsache für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich (rechtserheblich) gewesen ist. Wie die Finanzbehörde bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt im ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des [X.] ausgelegt wurde, und der die Finanzbehörden bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen [X.] durch das [X.] gegolten haben ([X.] vom 23. November 1987 [X.], [X.]E 151, 495, [X.] 1988, 180; [X.]-Urteil vom 22. April 2010 [X.]/08, [X.]E 229, 57, [X.] 2010, 951).

Im Streitfall hätte das [X.] auch bei Kenntnis der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge nicht anders entschieden. Im Zeitpunkt des [X.] am 2. April 2004 (für 2003) und am 15. April 2005 (für 2004) minderten die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]-Urteil vom 4. November 2003 [X.], [X.]E 204, 126, [X.] 2004, 584) nicht die Einkünfte und Bezüge des Kindes. Gleiches galt nach Auffassung der Verwaltung ([X.] 180e "Versicherungsbeiträge des Kindes" des Amtlichen Einkommensteuer-[X.]andbuchs 2004; vgl. auch Abschn. 63.4.2.1 Abs. 2 Satz 6 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes, Stand Januar 2002, [X.], 369, und Stand August 2004, [X.], 743). Der Beschluss des [X.] in [X.]E 112, 164, [X.] 2005, Beilage 3, 260 war am 15. April 2005 den Beteiligten weder bekannt gegeben noch veröffentlicht. In der Regel gibt die zuständige Geschäftsstelle des [X.] Pressemitteilungen einen Tag nach der Veranlassung der Bekanntgabe an die Beteiligten heraus (vgl. Senatsurteil vom 19. Oktober 2006 [X.], [X.] 2007, 392, m.w.[X.]). Die entsprechende Pressemitteilung datiert jedoch erst vom 13. Mai 2005.

3. Die Verfahrensrüge der Kläger, sie seien in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 [X.]O) verletzt, greift nicht durch.

a) Soweit die Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs durch das [X.] wegen Nichtberücksichtigung ihres Vorbringens bezüglich der Geschehnisse im [X.] bei Abgabe der Steuererklärung 2003 rügen, liegt hierin kein Verfahrensmangel.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das [X.], die Beteiligten über den Verfahrensstoff zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit [X.] ihres Vorbringens auseinanderzusetzen. Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 [X.]O sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (Senatsbeschluss vom 27. Juli 2007 III S 8/07, [X.] 2007, 2135).

Im Streitfall hat das [X.] das klägerische Vorbringen bezüglich der Geschehnisse im [X.] bei Abgabe der Steuererklärung 2003 im Tatbestand des Urteils wiedergegeben, so dass von dessen Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung auszugehen ist (vgl. [X.]-Urteil vom 25. August 2009 [X.], 89/07, [X.]E 226, 296, [X.] 2009, 2047). Besondere Umstände, aus denen sich ergeben würde, dass das [X.] diesen Sachvortrag ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

b) Soweit die Kläger die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das [X.] rügen, genügt die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Nach § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b [X.]O sind bei einer Verfahrensrüge die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben. Eine Verfahrensrüge ist unzulässig, wenn sie nicht schlüssig ist, d.h. wenn die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen als solche --unabhängig von ihrer [X.] nicht ausreichen oder nicht geeignet sind darzutun, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt ([X.] vom 27. November 2003 [X.]/03, [X.] 2004, 521, m.w.[X.]). Mit ihrem Vorbringen, das [X.] habe das rechtliche Gehör der Kläger dadurch verletzt, dass es die Anlagen "Kind" aus der eingereichten Steuererklärung entfernt habe, machen die Kläger keinen revisiblen Verfahrensmangel des Gerichtsverfahrensrechts geltend, sondern einen vermeintlichen Fehler des [X.] im Besteuerungsverfahren (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 77).

Meta

III R 90/07

27.01.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 11. September 2007, Az: 14 K 5023/06 E, Urteil

§ 165 Abs 1 AO, § 173 Abs 1 Nr 2 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO, § 32 EStG, § 1 Abs 5 SolZG, § 3 Abs 1 Nr 1 SolZG, § 3 Abs 2 SolZG, § 133 BGB, § 120 Abs 3 Nr 2 Buchst b FGO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 10 Abs 3 EStG 2002, § 165 Abs 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.01.2011, Az. III R 90/07 (REWIS RS 2011, 10003)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10003

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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