Bundessozialgericht, Urteil vom 31.10.2012, Az. B 13 R 65/11 R

13. Senat | REWIS RS 2012, 1771

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Revision - Überprüfbarkeit der festgestellten Bestandskraft oder Bindungswirkung eines Verwaltungsakts durch das Revisionsgericht - Zweifel an tatsächlicher Bekanntgabe des Verwaltungsakts - Fehlen diesbezüglicher Feststellungen der Tatsacheninstanz - Divergenz - unterschiedliche Subsumtionsergebnisse bei Anwendung eines Rechtssatzes - Verjährung


Leitsatz

Die Feststellung der Tatsacheninstanz, ein Bescheid sei bestandskräftig oder bindend geworden, enthält eine durch das Revisionsgericht überprüfbare Rechtsanwendung.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 14. April 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn der Regelaltersrente der Klägerin.

2

Die im September 1932 in [X.] geborene Klägerin lebt in [X.]. Als anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus erhält sie seit 1972 eine monatliche Rentenzahlung nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Im Oktober 2002 stellte sie beim [X.] [X.] einen von dort an die [X.] (Bezeichnung ab Oktober 2005: [X.] - im Folgenden einheitlich: Beklagte) weitergeleiteten Antrag auf Altersrente aufgrund von Arbeitszeiten in den Ghettos [X.] und [X.]. Ein weiterer, ausdrücklich auf Altersrente ab Juli 1997 unter Berücksichtigung des [X.] gerichteter Antrag, den sie im Juni 2003 über ihren (jetzigen) [X.] Prozessbevollmächtigten unter Vorlage einer Vollmacht bei der [X.] eingereicht hatte, wurde ebenfalls der Beklagten zugeleitet und dort mit dem Antrag vom Oktober 2002 in einer Akte zusammengeführt.

3

Die Beklagte erstellte unter Angabe der der Klägerin zugeteilten Versicherungsnummer unter dem 28.6.2004 einen [X.], in dem sie "den Antrag vom 22.10.2002" ablehnte. Die Klägerin habe sich im Zeitraum 1942/43 in [X.] aufgehalten, wo lediglich ein Zwangsarbeitslager bestanden habe, sodass keine Arbeitszeiten nach dem [X.] angerechnet werden könnten. Der [X.] war unmittelbar an die Klägerin unter der Anschrift "Str. [X.] , [X.]" (statt zutreffend: [X.]) gerichtet und sollte ihr mittels Einschreiben/Rückschein übersandt werden. Ein Rückschein befindet sich jedoch nicht bei den Akten. Diese enthalten auch keinen Vermerk über die Aufgabe des [X.]s zur Post; ebenso wenig geht aus ihnen hervor, dass ein Abdruck des [X.]s dem Bevollmächtigten der Klägerin übersandt wurde.

4

Am 16.7.2009 stellte die Klägerin über ihren [X.] Prozessbevollmächtigten bei der Beklagten mit der Angabe "Versicherungsnummer unbekannt" und unter Hinweis auf die neue Rechtsprechung des B[X.] zum [X.] "erneut den Antrag auf Anerkennung einer Altersrente rückwirkend ab Juli 1997". Die Beklagte erkannte nunmehr den Zeitraum 1.7.1942 bis 30.6.1943 als Beitragszeit nach dem [X.] an und bewilligte mit [X.] vom [X.] ab 1.1.2005 Regelaltersrente. Unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,435 (Zuschlag von 0,005 je Monat für 87 Kalendermonate der Nichtinanspruchnahme der Rente nach Erreichen der Regelaltersgrenze im September 1997 bis Ende 2004) ergab sich ab April 2010 eine laufende Rentenzahlung in Höhe von monatlich 93,91 Euro sowie eine Nachzahlung für den Zeitraum Januar 2005 bis März 2010 in Höhe von 6299,82 Euro (einschließlich 569,07 Euro Zinsen). Zum Rentenbeginn ist in dem [X.] ausgeführt, dass die Anspruchsvoraussetzungen ab 9.1997 erfüllt seien, die "höhere Leistung" jedoch "längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des [X.]es erbracht" werde.

5

Der auf einen früheren Rentenbeginn gerichtete Widerspruch der Klägerin - unter Berufung darauf, dass § 3 [X.] lex specialis gegenüber § 44 [X.] sei - ist erfolglos geblieben. Im Widerspruchsbescheid vom [X.] hat die Beklagte ausgeführt, die Ablehnung der Altersrente im [X.] vom 28.6.2004 sei bestandskräftig geworden; diese Entscheidung habe sie gemäß § 44 [X.] überprüft und nunmehr die begehrte Rente bewilligt. Ausgehend von dem am 16.7.2009 gestellten Überprüfungsantrag werde die Rente gemäß § 44 Abs 4 [X.] zutreffend ab dem 1.1.2005 geleistet.

6

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14.4.2011). Es hat im Tatbestand seiner Entscheidung festgestellt, dass die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin von Oktober 2002 mit [X.] vom 28.6.2004 abgelehnt und dass diese hiergegen keine Rechtsmittel erhoben habe. In den Gründen ist ausgeführt, es ergebe sich aus § 44 Abs 4 [X.], dass der Anspruch der Klägerin auf Rentenzahlung erst ab Januar 2005 bestehe. Diese Vorschrift werde hier nicht durch eine Spezialregelung verdrängt. Denn gemäß § 3 Abs 1 S 1 [X.] sei ein Rentenbeginn zum 1.7.1997 nur für bis zum 30.6.2003 gestellte Rentenanträge möglich; dies komme für die Klägerin aber bereits aufgrund ihres Lebensalters ohnehin nicht in Betracht. Aus ihrem ursprünglichen (fristgerechten) Rentenantrag vom Oktober 2002 könne sie wegen der bestandskräftigen Ablehnung, die nach § 77 [X.]G bindend geworden sei, nichts mehr herleiten. Entscheidend sei daher allein der außerhalb der Frist von ihr gestellte Überprüfungsantrag. Es verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass Verfolgte, deren ursprünglicher (fristgemäßer) Rentenantrag noch nicht bestandskräftig abgelehnt worden sei, regelmäßig unter Berücksichtigung der Urteile des B[X.] vom Juni 2009 Rente ab dem 1.7.1997 bezögen, während im Rahmen von Überprüfungsbescheiden Verfolgte immer nur rückwirkend für die letzten vier Kalenderjahre Rente erhielten, wenn ihr ursprünglicher Rentenantrag zuvor bindend abgelehnt worden sei.

7

Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Sprungrevision, deren Einlegung die Beklagte zugestimmt hat, rügt die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung vom 1.7.2011 eine Verletzung von § 3 Abs 1 [X.], von § 99 Abs 1 [X.]B VI und von Art 3 Abs 1 GG. Zu Unrecht gehe das [X.] davon aus, dass § 44 Abs 4 [X.] den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der Rente ab dem 1.7.1997 ausschließe. Dem stehe hier die spezialgesetzliche Rückwirkungsregelung in § 3 Abs 1 [X.] entgegen, nach der ein bis zum 30.6.2003 gestellter Antrag als am 18.6.1997 gestellt gelte. Zudem verletze die Anwendung des § 44 Abs 4 [X.] den allgemeinen Gleichheitssatz, denn bei einem vergleichbaren Verfolgungsschicksal sei eine Differenzierung des Rentenbeginns nach dem Zeitpunkt der Antragstellung nicht vertretbar (Hinweis auf das Senatsurteil vom 3.5.2005 - B 13 RJ 34/04 R). Ebenso wenig sei dies mit der Intention des Gesetzgebers vereinbar, durch das [X.] eine letzte Lücke im Recht der Wiedergutmachung zu schließen. Der [X.] gebiete es vielmehr, für die Neufeststellung von [X.]-Renten den Rentenbeginn auf den 1.7.1997 festzulegen.

8

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. April 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des [X.]s vom 30. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. August 2010 zu verurteilen, die Regelaltersrente bereits ab 1. Juli 1997 zu gewähren sowie die Nachzahlung zu verzinsen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält an ihren Entscheidungen fest und verteidigt das angefochtene Urteil.

Im Revisionsverfahren hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 21.2.2012 mitgeteilt, es sei nicht mehr aufklärbar, wann genau der [X.] vom [X.] bekanntgegeben worden sei; ihm selbst liege er nicht vor. Dem ist die Beklagte mit dem Hinweis entgegengetreten, dass die Klägerin den Zugang dieses [X.]s bislang nicht in Abrede gestellt habe. Hierauf hat ihr Prozessbevollmächtigter im Schriftsatz vom [X.] "vorsorglich bestritten", dass der [X.] vom [X.] wirksam bekanntgegeben worden sei. Diese sei in dem früheren Verfahren nicht von ihm vertreten worden. Das Urteil des [X.] erwähne den [X.] zwar, thematisiere dessen Zustellung jedoch nicht. Wenn dem Urteil zufolge die Klägerin kein Rechtsmittel gegen jenen [X.] eingelegt habe, spreche dies dafür, dass der [X.] ihr nicht bekanntgegeben worden sei. Daraus folge, dass der Rentenantrag vom Oktober 2002 noch nicht rechtskräftig abgelehnt und § 44 [X.] hier ohne Bedeutung sei.

Die Beklagte ist demgegenüber der Meinung, das [X.] sei sowohl in der Sachverhaltsdarstellung als auch in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils davon ausgegangen, dass der Erstantrag mit [X.] vom 28.6.2004 wirksam abgelehnt worden sei. Da die Klägerin dies nicht fristgerecht mit [X.] angegriffen habe, müsse im Revisionsverfahren dieser Sachverhalt zugrunde gelegt werden. Entsprechend habe der 5. Senat des B[X.] im Urteil vom [X.] zu dem im Wesentlichen gleich gelagerten Verfahren B 5 R 76/11 R entschieden. Wenn der erkennende Senat dies hier anders sehen wolle, liege ein Fall der Divergenz vor. Im Übrigen verweist die Beklagte darauf, dass der Prozessbevollmächtigte - anders als er es nunmehr darstelle - die Klägerin schon im ersten Verwaltungsverfahren vertreten habe.

Auf einen Hinweis des Senats hat der Prozessbevollmächtigte eine persönliche Stellungnahme der Klägerin vorgelegt. Ihre handschriftlich abgefasste Erklärung vom [X.] hat folgenden Wortlaut: "[X.] negative decision of the German Social Security dated 28.06.2004. I hereby declare that I can not remember ever to have received any of this notification."

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision der Klägerin hat im Sinne der Aufhebung des [X.] und der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] Erfolg (§ 170 Abs 2 [X.], [X.] [X.]G). Auf der Grundlage der vom [X.] getroffenen Feststellungen kann der [X.] über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vom [X.] in der Gestalt des Wi[X.]pruchsbescheids vom [X.] nicht abschließend entscheiden.

1. [X.] ist zulässig. Das [X.] hat dieses Rechtsmittel in seinem Urteil ausdrücklich zugelassen und die Klägerin hat die schriftliche Zustimmung der [X.] zur Einlegung der Sprungrevision im Original rechtzeitig vorgelegt (§ 161 Abs 1 [X.]G). Auch ihre Revisionsbegründung genügt noch den Anforderungen des § 164 Abs 2 S 3 [X.]G. Die Klägerin hat einen bestimmten Antrag gestellt, die ihrer Meinung nach verletzten Rechtsnormen konkret bezeichnet und zudem dargelegt, warum sie die Ausführungen des [X.] zur Anwendbarkeit des § 44 Abs 4 [X.]B X im Hinblick auf § 3 Abs 1 [X.] und Art 3 Abs 1 GG für rechtsfehlerhaft halte. Dass sie dabei Argumente und Formulierungen aus anderen sozialgerichtlichen Entscheidungen übernommen hat, ist unschädlich.

2. Bei der Entscheidung über die zulässige Revision hat der [X.] in vollem Umfang und grundsätzlich unabhängig von den vorgetragenen [X.] (§ 202 [X.]G iVm § 557 Abs 3 ZPO - vgl [X.] in [X.], [X.]G, 4. Aufl 2012, § 170 Rd[X.] 3; Fichte in Breitkreuz/Fichte, [X.]G, 2009, § 170 Rd[X.] 7; s auch [X.], [X.], 2. Aufl 1997, [X.] Rd[X.]65 ff, 279 ff, 429 f) zu überprüfen, ob sich auf der Grundlage der im [X.]-Urteil festgestellten Tatsachen die dort ausgesprochene Rechtsfolge - Abweisung der Klage als unbegründet, weil der angefochtene Bescheid der [X.] vom [X.] in Gestalt des Wi[X.]pruchsbescheids vom [X.] rechtmäßig sei - herleiten lässt. Der Prüfungsumfang ist lediglich insofern beschränkt, als im Rahmen der Sprungrevision eventuelle Mängel im Verfahren des [X.] unbeachtlich sind (§ 161 Abs 4 [X.]G). Zudem ist das Revisionsgericht an die im Urteil des [X.] enthaltenen tatsächlichen Feststellungen gebunden (§ 163 [X.]G).

Nach diesen Maßstäben kann der [X.] nicht abschließend entscheiden, ob die angefochtenen Bescheide der [X.] rechtmäßig sind.

a) Der in ihnen festgesetzte Beginn der Regelaltersrente der Klägerin aufgrund von Beitragszeiten nach dem [X.] rückwirkend erst ab dem 1.1.2005 wäre allerdings rechtmäßig, wenn die Ablehnung einer solchen Altersrente im vorangegangenen Bescheid der [X.] vom 28.6.2004 gegenüber der Klägerin bindend geworden wäre. In diesem Fall wäre ihr erneuter Rentenantrag vom [X.] als Überprüfungsantrag nach Maßgabe des § 44 [X.]B X zu beurteilen und könnte nach Korrektur der ursprünglich ablehnenden Entscheidung eine Rentenzahlung für zurückliegende Zeiträume nur unter den in § 44 Abs 4 [X.]B X genannten, in den angefochtenen Bescheiden umgesetzten zeitlichen Einschränkungen erfolgen ([X.]surteil vom 7.2.2012, zur Veröffentlichung in B[X.]E 110, 97 = [X.]-5075 § 3 [X.] vorgesehen, sowie Urteil des 5. [X.]s vom 8.2.2012, zur Veröffentlichung in [X.]-5075 § 3 [X.] 1 vorgesehen).

b) Der erkennende [X.] ist entgegen der Rechtsmeinung der [X.] aufgrund der Regelung in § 163 [X.]G jedoch nicht gehalten, seiner Entscheidung zugrunde zu legen, dass nach den Ausführungen im [X.]-Urteil der ablehnende Bescheid vom 28.6.2004 gegenüber der Klägerin bindend geworden sei.

aa) Nach § 163 [X.]G ist das B[X.] nur an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen "tatsächlichen Feststellungen" gebunden; Einschränkungen der Entscheidungskompetenz des [X.] in Bezug auf die Rechtsanwendung enthält die Vorschrift dagegen nicht ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 10. Aufl 2012, § 163 Rd[X.]; s auch [X.], aaO [X.] Rd[X.] 429 f, zur Subsumtion des Sachverhalts unter eine Rechtsnorm als revisionsgerichtlich zu überprüfende Rechtsanwendung; zum Ganzen s auch B[X.] [X.] 3-4100 § 64 [X.] 3 S 17 f).

bb) Um Rechtsanwendung - mithin um eine revisionsgerichtlich zu überprüfende rechtliche Bewertung - handelt es sich bei der Aussage im [X.]-Urteil, die Ablehnung des ursprünglichen Rentenantrags der Klägerin vom Oktober 2002 sei "bestandskräftig" bzw "nach § 77 [X.]G bindend". Dabei hat die Rechtsfolge der Bindung an die in einem Verwaltungsakt getroffenen Regelungen gemäß § 77 [X.]G zur Voraussetzung, dass ein wirksamer Verwaltungsakt existiert, gegen den der Betroffene einen gegebenen Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt hat. Um diesen vom [X.] für zutreffend erachteten Subsumtionsschluss revisionsgerichtlich beurteilen zu können, bedarf es hinreichender tatsächlicher Feststellungen zu beiden Tatbestandsmerkmalen, nämlich dass (1) nach amtlicher Bekanntgabe einer behördlichen Entscheidung (§§ 31, 37 [X.]B X) (2) der davon Betroffene Rechtsbehelfe nicht oder erfolglos eingelegt hat (s hierzu B[X.] vom [X.] - [X.]-2700 § 112 [X.] 1 Rd[X.]8, 46).

cc) Entsprechende Feststellungen enthält das angefochtene [X.]-Urteil nicht in ausreichendem Umfang.

Im Tatbestand ist zwar (auf [X.]) ausgeführt, die Klägerin habe gegen den "Bescheid vom [X.] keine Rechtsmittel" erhoben. Es finden sich aber keine Anhaltspunkte tatsächlicher Art, die den Schluss darauf zulassen, dass dieser Bescheid der Klägerin bekanntgegeben und somit existent wurde. Nichts anderes folgt aus den Entscheidungsgründen des [X.], die ebenfalls Feststellungen im Sinne von § 163 [X.]G enthalten können (vgl B[X.] vom 10.8.2000 - B 11 [X.] 83/99 R - Juris Rd[X.]1; B[X.] [X.]-2700 § 8 [X.] 12 Rd[X.] 9). Hier ist lediglich (auf [X.]) vermerkt, die Klägerin habe "den Überprüfungsantrag 2009 gestellt".

Zwar mag dann, wenn an der Bekanntgabe eines Bescheids weder nach dem Akteninhalt noch nach dem Vorbringen der Beteiligten irgendwelche Zweifel bestehen, die Aussage, die Behörde habe "mit [X.]." eine bestimmte Regelung getroffen, im Gesamtzusammenhang als noch ausreichende Feststellung auch zur erfolgten Bekanntgabe dieses Bescheids an den Betroffenen hingenommen werden. Eine solche (pragmatische) Handhabung vermeidet der [X.] zuwiderlaufende [X.] bei letztlich doch klarem Sachverhalt; sie ist jedoch ausgeschlossen, wenn aufgrund konkreter Umstände begründete Zweifel an der tatsächlichen Bekanntgabe des Bescheids bestehen.

Dies ist hier der Fall. Denn den Verwaltungsakten der [X.] lässt sich nicht entnehmen, dass der Bescheid vom 28.6.2004 den Machtbereich der [X.] verlassen und die Klägerin erreicht hat. Weder trägt der Entwurf des Bescheids einen Absendevermerk noch enthält die Akte das in anderen Fällen bei der [X.] verwandte gesonderte Verfügungsblatt (Formblatt [X.]) mit detaillierten Anordnungen zur Art der Übermittlung des Bescheids und Angaben zum Tag der Erledigung. Ebenso wenig befindet sich ein Rückschein bei den Akten. Diese enthalten mithin - abgesehen von dem von der Sachbearbeiterin am 25.6.2004 abgezeichneten Entwurf des Bescheids vom 28.6.2004 - keinerlei Indizien, aus denen geschlossen werden kann, dass dieser Bescheid abgesandt worden wäre und die Klägerin in [X.] oder ihren Bevollmächtigten in [X.] erreicht hätte.

In einer solchen Situation kann der Angabe im [X.]-Urteil, die Klägerin habe gegen den "Bescheid vom [X.]) keine Rechtsmittel" erhoben, nicht - auch nicht inzident - die Feststellung entnommen werden, dass ihr dieser Bescheid bekanntgegeben worden sei. Zwar wird ein Verwaltungsakt erst durch Bekanntgabe an mindestens einen Betroffenen rechtlich existent (§ 39 Abs 1 [X.]B X - s hierzu [X.] in von [X.], [X.]B X, 7. Aufl 2010, § 39 Rd[X.] 3; [X.] ebenda, § 37 Rd[X.] 3 mwN). Dennoch kann nicht allein aus der Erwähnung eines Bescheids in einem Gerichtsurteil darauf geschlossen werden, dass dieser auch ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde. Entsprechendes gilt für die Feststellung, dass kein Rechtsmittel eingelegt wurde, denn das Fehlen eines Rechtsbehelfs ist auch dann zu erwarten, wenn kein Bescheid zugegangen ist.

Ebenso verhält es sich mit der Bemerkung in den Entscheidungsgründen des [X.], die Klägerin habe im Jahr 2009 einen "Überprüfungsantrag" gestellt. Hieraus ergeben sich nicht einmal ansatzweise tatsächliche Feststellungen zur Bekanntgabe des Bescheids vom 28.6.2004. Zudem handelt es sich bei der Einordnung als Überprüfungsantrag nach § 44 [X.]B X um eine rechtliche Bewertung, die sich überdies nicht zwingend aus der im Tatbestand des [X.] wiedergegebenen Feststellung ergibt, die Klägerin habe am [X.] "erneut die 'Anerkennung einer Altersrente' rückwirkend ab Juli 1997" beantragt.

dd) Der [X.] kann die Bewertung treffen, dass das hier angefochtene [X.]-Urteil keine das Revisionsgericht bindenden Feststellungen zur Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids der [X.] enthält, ohne zuvor beim 5. [X.] des B[X.] anzufragen, ob er an der seinem Urteil vom 8.2.2012 (B 5 R 76/11 R) zugrunde liegenden Rechtsauffassung festhalte (vgl § 41 Abs 2, [X.] [X.]G).

Der 5. [X.] hat in diesem Urteil ausgeführt (Rd[X.] 12 f):

"Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung von Regelaltersrente bereits ab 1.7.1997 nicht zu.

Dies ergibt sich allerdings nur auf der Grundlage der für das Revisionsgericht verbindlichen Feststellungen des [X.] (vgl § 163 [X.]G). Danach hat die Klägerin den Ablehnungsbescheid vom 5.1.2004 nicht angefochten, sodass dieser bestandskräftig geworden ist und sich der geltend gemachte Anspruch nach § 44 [X.]B X richtet. Demgegenüber kommt auf der Grundlage der Verwaltungsakte der [X.] durchaus in Betracht, dass der Bescheid vom 5.1.2004 der Klägerin nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden sein könnte. Allerdings hat sich die Beklagte der vom [X.] angeregten Prüfung einer damit in Erwägung zu ziehenden Erstentscheidung über den Rentenantrag der Klägerin verweigert."

An[X.] als die Beklagte meint, weicht der erkennende [X.] mit seiner Entscheidung nicht im Sinne des § 41 Abs 2 [X.]G von dem genannten Urteil des 5. [X.]s ab. Selbst wenn Umfang und Inhalt der Feststellungen zum Sachverhalt in dem dort zugrunde liegenden [X.]-Urteil (Urteil des [X.] Düsseldorf vom [X.] - Juris) und in dem hier angefochtenen Urteil im Wesentlichen übereinstimmen sollten, ist keine Rechtsprechungsabweichung zu besorgen. Denn eine Divergenz im vorgenannten Sinne liegt nur vor, wenn eine Abweichung in einer Rechtsfrage revisiblen Rechts beabsichtigt ist und dies in einem divergierenden (abstrakten) Rechtssatz zum Ausdruck kommt (B[X.] B[X.]E 58, 183, 186 f = [X.] 1500 § 42 [X.] 10 S 14). Wenn sich hingegen - wie hier - lediglich im Einzelfall aufgrund der jeweils konkreten Sachverhalte (vgl B[X.] aaO) unterschiedliche ([X.] bei der Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten Rechtssatzes ergeben, ist kein Verfahren nach § 41 [X.]G durchzuführen.

Die oben wiedergegebenen Ausführungen des 5. [X.]s enthalten bereits keinen generellen Rechtssatz zur Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts - hier: des § 163 [X.]G. Es handelt sich vielmehr um die Mitteilung des Ergebnisses eines Subsumtionsschlusses, nämlich dass nach Meinung des 5. [X.]s das [X.] Düsseldorf in dem Urteil S 15 R 1465/10 die Revisionsinstanz bindende Feststellungen - "vgl § 163 [X.]G" - getroffen habe, und damit um eine ganz wesentlich von den jeweils konkreten Umständen des Einzelfalls (insbesondere von der Gewichtigkeit der nach jeweiliger Aktenlage bestehenden Zweifel an einer Bekanntgabe des Bescheids - s oben unter cc) geprägte Aussage. Eine Divergenz käme lediglich dann in Betracht, wenn der Entscheidung des 5. [X.]s ein Rechtssatz des Inhalts entnommen werden könnte, dass die Feststellung der Vorinstanz, ein Bescheid sei nicht angefochten worden, stets und zwingend (unabhängig vom jeweils konkret zugrunde liegenden Sachverhalt) auch die bindende Feststellung einer wirksamen Bekanntgabe dieses Bescheids enthalte, oder dass das Revisionsgericht entgegen dem Wortlaut von § 163 [X.]G auch an rechtliche Schlussfolgerungen der Vorinstanz gebunden sei. Beides ist hier jedoch ersichtlich nicht der Fall.

3. Ohne ausreichende Feststellungen dazu, ob der Bescheid vom [X.] bekanntgegeben wurde, kann der [X.] nicht entscheiden, ob zu Lasten der Klägerin die [X.] des § 44 Abs 4 [X.]B X für rückwirkende Rentenzahlungen anzuwenden ist. Das Urteil des [X.] mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen ist deshalb aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Tatsacheninstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 [X.] [X.]G).

Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil sich die Entscheidung des [X.] unabhängig von einer Anwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X aus anderen Gründen als zutreffend darstellt (§ 170 Abs 1 [X.] [X.]G). Insbesondere ist die Klage auf Zahlung von Altersrente für den Zeitraum von Oktober 1997 bis Dezember 2004 nicht bereits aufgrund Verjährung (§ 45 [X.]B I) abzuweisen. Es ist schon nicht festgestellt, dass die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hätte (vgl B[X.]E 79, 177, 179 = [X.] 3-1200 § 45 [X.] 6 [X.]1). Im Übrigen war die Verjährung aufgrund des schriftlichen Antrags der Klägerin auf die Rentenleistung vom Oktober 2002 gemäß § 45 Abs 3 [X.]B I (idF der ab 1.1.2002 geltenden Fassung von Art 5 [X.] 3 des Gesetzes vom 21.6.2002, [X.]) gehemmt; die Hemmung endete frühestens sechs Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag. Zusätzlicher "mahnungsähnlicher Handlungen" gegenüber einer längere Zeit untätig gebliebenen Behörde bedurfte es nicht (vgl B[X.] [X.] 3-1200 § 45 [X.] 1 S 3 f sowie - in Abgrenzung hiervon - zum Recht der abschnittsweise zu bewilligenden Arbeitslosenhilfe B[X.] [X.] 3-1200 § 45 [X.] 9; zu einer ähnlichen Konstellation s auch [X.]surteil vom [X.] - [X.]-6480 Art 27 [X.] 1 Rd[X.] 35, 38).

Der [X.] macht nach pflichtgemäßem Ermessen von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache angesichts des Lebensalters der Klägerin zur beschleunigten abschließenden Erledigung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 170 [X.] [X.]G).

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 13 R 65/11 R

31.10.2012

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Düsseldorf, 14. April 2011, Az: S 27 R 2080/10, Urteil

§ 164 SGG, § 163 SGG, § 77 SGG, § 41 SGG, § 37 SGB 10, § 39 Abs 1 SGB 10, § 44 Abs 4 SGB 10, § 45 SGB 1

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 31.10.2012, Az. B 13 R 65/11 R (REWIS RS 2012, 1771)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1771

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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