Bundessozialgericht, Urteil vom 07.02.2012, Az. B 13 R 72/11 R

13. Senat | REWIS RS 2012, 9465

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Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 7. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn der Regelaltersrente der Klägerin.

2

Die im 1923 in [X.] geborene Klägerin ist [X.] Staatsangehörige und lebt in [X.]. Sie ist anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus und hat eine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhalten.

3

Die Klägerin hatte bereits am 6.2.1990 bei der damaligen [X.] ([X.]) einen Antrag auf Altersrente unter Anrechnung von [X.]en nach dem Fremdrentengesetz ([X.]) vom [X.] bis 30.9.1939 gestellt, den die [X.] mangels Glaubhaftmachung der geltend gemachten [X.]-[X.]en abgelehnt hatte (Bescheid vom 16.4.1993, Widerspruchsbescheid vom 12.8.1993). Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des [X.] vom 27.8.1996 - [X.] An 4146/93).

4

Am [X.] beantragte die Klägerin bei der [X.] Altersrente unter Berücksichtigung von [X.] im [X.] von Frühling 1941 bis Januar 1945 auf der Grundlage des [X.] aus Beschäftigungen in einem Ghetto ([X.]). Diesen Antrag lehnte die inzwischen zuständig gewordene Beklagte ab (Bescheid vom 21.5.2004, Widerspruchsbescheid vom [X.]). Das [X.] wies mit Urteil vom [X.] ([X.]) die Klage ab: Die Klägerin habe in der [X.] 1941 bis [X.] 1943 nicht freiwillig und entgeltlich im [X.] gearbeitet; ihre Angaben belegten vielmehr das Vorliegen von Zwangsarbeit. In der [X.] danach habe sie sich nicht in einem Ghetto, sondern in einem Zwangsarbeitslager aufgehalten. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.

5

Auch den Überprüfungsantrag der Klägerin vom 3.3.2008 unter Hinweis auf das Urteil des [X.] ([X.] R 29/06 R - [X.], 48 = [X.]-5075 § 1 [X.]) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] ab. Im Klageverfahren erklärte sie sich im Hinblick auf die Urteile des [X.] und [X.] ([X.] R 81/08 R - [X.], 190 = [X.]-5075 § 1 [X.]; [X.] R 26/08 R - [X.], 220 = [X.]-5075 § 1 [X.] 8) bereit, eine Beitragszeit nach dem [X.] für die [X.] von April 1941 bis Juni 1943 sowie [X.] wegen Verfolgung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen anzuerkennen; die Klägerin nahm dieses Anerkenntnis an und erklärte den Rechtsstreit für erledigt.

6

Mit Bescheid vom [X.] gewährte die Beklagte der Klägerin Regelaltersrente ab dem 1.1.2004 mit einem Zugangsfaktor 1,945. Der monatliche Zahlbetrag ab 1.7.2010 betrug 278,30 [X.], die Nachzahlung 23 621,90 [X.].

7

Den auf Zahlung der Rente bereits ab dem 1.7.1997 gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom [X.] zurück: Sie habe ihren bestandskräftigen ablehnenden Bescheid vom 21.5.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] nach § 44 [X.]B X überprüft und mit dem nun angefochtenen Bescheid die begehrte Rente bewilligt. Nach § 44 Abs 4 [X.]B X würden bei Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen [X.]raum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem die Rücknahme beantragt worden sei. Ausgehend von dem am 3.3.2008 gestellten Überprüfungsantrag werde die Rente daher zutreffend ab dem 1.1.2004 geleistet.

8

Das [X.] hat mit Urteil vom 7.4.2011 die Klage abgewiesen: Der Zahlungsanspruch bestehe erst ab Januar 2004. Dies folge aus der [X.] des § 44 Abs 4 [X.]B X. Diese Vorschrift werde nicht durch eine Spezialregelung verdrängt. Der Rentenbeginn zum 1.7.1997 gelte gemäß § 3 Abs 1 S 1 [X.] nur für bis zum 30.6.2003 gestellte Rentenanträge; aus ihrem Antrag vom November 2002 könne die Klägerin wegen der bestandskräftigen Ablehnung nichts mehr herleiten. Auch verstoße es nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus [X.] 1 GG, dass Verfolgte, deren ursprünglicher (fristgemäßer) Rentenantrag noch nicht bestandskräftig abgelehnt worden sei, regelmäßig unter Berücksichtigung der Urteile des B[X.] vom Juni 2009 Rente ab dem 1.7.1997 bezögen, während Verfolgte wie die Klägerin bei zuvor rechtskräftiger Ablehnung ihres ursprünglichen Rentenantrags im Rahmen von Überprüfungsbescheiden immer nur rückwirkend für die letzten vier Kalenderjahre Rente erhielten.

9

Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Sprungrevision, deren Einlegung die Beklagte zugestimmt hat, rügt die Klägerin eine Verletzung von § 44 Abs 4 [X.]B X, § 3 Abs 1 [X.], § 99 Abs 1 [X.]B VI und [X.] 1 GG. Zu Unrecht gehe das [X.] davon aus, dass § 44 Abs 4 [X.]B X den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der Rente ab dem 1.7.1997 ausschließe. Denn der Leistungseinschränkung des § 44 Abs 4 [X.]B X stehe die spezialgesetzliche Rückwirkungsregelung nach § 3 Abs 1 [X.] entgegen, nach der ein bis zum 30.6.2003 gestellter Antrag als am 18.6.1997 gestellt gelte. Diese Fiktion wirke unabhängig vom Schicksal ihres Antrags vom [X.] fort. Die fehlende Notwendigkeit, den Rechtsgedanken des § 44 Abs 4 [X.]B X auf nach Ablauf der Frist des § 3 Abs 1 [X.] eingehende Anträge anzuwenden, ergebe sich ferner aus der Antwort der Bundesregierung zu Frage 6 der Kleinen Anfrage der Abgeordneten [X.] ua sowie der Fraktion der [X.] (BT-Drucks 15/1475). Die Rechtsauffassung des [X.] finde weder im Gesetzentwurf noch in der Gesetzesbegründung vom 19.3.2002 (BT-Drucks 14/8583) eine Bestätigung. Auch die Vorschriften des [X.] enthielten keinen Verweis auf die Anwendbarkeit des § 44 Abs 4 [X.]B X oder des § 45 [X.]B I. Aus § 37 S 1 Halbs 1 [X.]B I ergebe sich, dass § 44 Abs 4 [X.]B X auf das [X.] nicht anwendbar sei. Denn die verdrängende Wirkung komme einer Spezialregelung auch ohne ausdrückliche Anordnung zu, wenn sich aus ihrem Sinn und Zweck bei Berücksichtigung der zugrunde liegenden Interessenbewertung ergebe, dass sie die Rücknahme- und Rückforderungsvoraussetzungen für von ihr erfasste Sachverhalte eigenständig und abweichend festlegen wolle (Hinweis ua auf das Urteil des Senats vom 31.1.2002 - B 13 RJ 23/01 R). Die Nichtanwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X sei mit dem Zweck des [X.] vereinbar. Denn bei den Leistungen nach dem [X.] handele es sich nicht um reguläre Leistungen der [X.] Sicherheit; aufgrund ihrer Höhe dienten sie nicht der Sicherung des Lebensunterhalts der Betroffenen. Außerdem sei die Zielgruppe überschaubar. Daher sei die Abwägung, wie sie das B[X.] - etwa in B[X.]E 34, 1, 11 ff - vorgenommen habe, hier nicht einschlägig. Außerdem verletze die Anwendung des § 44 Abs 4 [X.]B X den allgemeinen Gleichheitssatz aus [X.] 1 GG. Eine Differenzierung nach dem [X.]punkt der Antragstellung bei einem dahinterstehenden vergleichbaren Verfolgungsschicksal sei vor dem Hintergrund des [X.] 1 GG nicht vertretbar (Hinweis auf das Urteil des Senats vom 3.5.2005 - B 13 RJ 34/04 R). Darüber hinaus sei es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, wenn nur diejenigen Verfolgten in den Genuss der Vorzüge des Rentenbeginns nach § 3 Abs 1 [X.] kämen, deren Verfahren aufgrund der Überlastung der Verwaltung und der Sozialgerichtsbarkeit über einen [X.]raum von sieben Jahren nicht hätten bindend abgeschlossen werden können.

           

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Änderung des Bescheids vom 2. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2010 die Regelaltersrente bereits ab 1. Juli 1997 zu gewähren.

           

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält an ihren Entscheidungen fest und verteidigt das angefochtene Urteil des [X.].

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.]lägerin ist unbegründet. Das [X.] hat die [X.]lage zu Recht abgewiesen. Die [X.]lägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung ihrer Regelaltersrente bereits ab [X.].

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Anspruch der [X.]lägerin auf Rentenzahlung auch für die Zeit vor dem 1.1.2004. [X.] vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] enthaltenen Regelungen sind nicht angefochten.

Die Bescheide der Beklagten sind im streitigen Umfang nicht rechtswidrig. Eine weitergehende Rückwirkung der Rentenzahlung als, wie dort geregelt, ab 1.1.2004 steht der [X.]lägerin nicht zu.

1. In ihrem Falle sind die Voraussetzungen für eine Rücknahme des die Rente nach dem [X.] ablehnenden Bescheids vom 21.5.2004 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]) mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 44 [X.] 1 [X.]B X erfüllt. Denn im Sinne des Satzes 1 der Vorschrift hatte sich ergeben, dass bei Erlass des Ablehnungsbescheids das Recht unrichtig angewandt worden war und deshalb Sozialleistungen (hier: die Rente) zu Unrecht nicht erbracht worden waren.

Damit war nach [X.] bis 3 der Vorschrift die in der Vergangenheit zu Unrecht nicht gezahlte Rente "längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren" ab Beginn des Jahres der Stellung des Antrags auf Rücknahme zu erbringen. Da die [X.]lägerin den Rücknahme-(Überprüfungs-)Antrag im März 2008 gestellt hatte, ergab sich ein Beginn der rückwirkenden Rentenzahlung am 1.1.2004.

2. Einer Anwendung der dargestellten Regelung steht nicht entgegen, dass die [X.]lägerin Berechtigte nach dem [X.] ist.

a) Wie sie zu Recht vorträgt, konnte die [X.]lägerin ihre Ansprüche erst aufgrund der Urteile des B[X.] vom Juni 2009 (B[X.] <13. Senat> vom 2.6.2009 - B[X.]E 103, 190 = [X.] 4-5075 § 1 [X.]; B[X.]E 103, 201 = [X.] 4-5075 § 1 [X.] und [X.] R 85/08 R - veröffentlicht in Juris; B[X.] <5. Senat> vom [X.] - B[X.]E 103, 220 = [X.] 4-5075 § 1 [X.]; [X.] R 66/08 R - veröffentlicht in Juris) durchsetzen, die entgegenstehende frühere Rechtsprechung aufgegeben hatten. Wäre zu diesem Zeitpunkt über ihren ursprünglichen Antrag vom November 2002 noch nicht bindend (hier: durch Urteil des [X.] vom 13.2.2006) - negativ - entschieden gewesen, hätte sie die Zahlung ihrer Rente rückwirkend ab [X.] (Inkrafttreten des [X.] nach Art 3 [X.] 2 des [X.] aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des [X.] vom 20.6.2002, [X.] 2074) beanspruchen können. Aus diesen Umständen kann die [X.]lägerin jedoch keine weitergehenden Ansprüche als nach § 44 [X.]B X ableiten.

Nach § 77 [X.]G ist ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der dagegen eingelegte Rechtsbehelf erfolglos geblieben ist, "soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist". Als gesetzliche Regelung, mit deren Hilfe die [X.]lägerin die Bindungswirkung des Ablehnungsbescheids vom Mai 2004 überwinden kann, kommt lediglich die Vorschrift des § 44 [X.]B X in Betracht.

Sie gilt für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach dem [X.]B ausgeübt wird (§ 1 [X.] 1 [X.] [X.]B X). Hierzu gehört auch die Ausführung des [X.], das der Gesetzgeber als Spezialregelung zu dem im [X.]B VI geregelten Recht der gesetzlichen Rentenversicherung konzipiert hat. Dies geht insbesondere aus der Regelung des § 1 [X.] 2 [X.] hervor, wonach dieses Gesetz "die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung [X.] Unrechts in der Sozialversicherung" ([X.]) ergänzt; nach § 7 [X.] ergänzen jedoch wiederum diese Vorschriften "zugunsten von Verfolgten die allgemein anzuwendenden Vorschriften des [X.]". Nichts anderes ergibt sich aus den in § 3 [X.] in Bezug genommenen Begriffen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung ("Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung", "Zugangsfaktor", "Wartezeit", "Rente wegen Alters").

b) Eigene einschlägige Bestimmungen, die zugunsten der [X.]lägerin als Spezialregelung dem § 44 [X.]B X vorgehen könnten, enthält das [X.] nicht.

Eine solche Bestimmung ist insbesondere nicht die Regelung des § 3 [X.] 1 [X.] [X.]. Nach dieser Vorschrift gilt "ein bis zum 30. Juni 2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (…) als am 18. Juni 1997 gestellt". Die Vorschrift regelt schon nach ihrem Wortlaut - anders als etwa § 17c [X.] - nicht selbst unmittelbar den Rentenbeginn, sondern modifiziert bzw fingiert lediglich den maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der [X.], [X.], [X.]/[X.] und [X.], BT-Drucks 14/8583 [X.]: "Die Antragstellung auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird fiktiv auf den Tag der B[X.]-Entscheidung am 18. Juni 1997 festgesetzt" - inhaltsgleich der Gesetzentwurf der Fraktion der [X.], BT-Drucks 14/8602 [X.]: "Die Antragstellung auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird auf den Tag der B[X.]-Entscheidung am 18. Juni 1997 fingiert"). Sie ist mithin (nur) für eines von mehreren [X.], die nach § 99 [X.] 1 [X.]B VI für den Beginn einer Altersrente maßgeblich sind, von Bedeutung und führt lediglich "im Zusammenwirken" (so BT-Drucks 14/8583 bzw 14/8602, jeweils [X.] - zu Art 1, zu § 3) mit anderen Regelungen zu einem Rentenbeginn frühestens ab [X.]. Einem solchen Verständnis steht auch die amtliche Überschrift des § 3 [X.] 1 [X.] ("Besonderheiten beim Rentenbeginn") nicht entgegen; diese verdeutlicht vielmehr, dass die Regelung nicht selbst den Rentenbeginn für "Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto" festlegt, sondern lediglich Besonderheiten hinsichtlich eines einzelnen für den Rentenbeginn nach § 99 [X.]B VI bedeutsamen Umstands - des Zeitpunkts der Antragstellung - normiert.

Hiernach galt zwar der ursprüngliche Rentenantrag der [X.]lägerin vom [X.] gemäß § 3 [X.] 1 [X.] [X.] als am 18.6.1997 gestellt. Wie oben ausgeführt, ist jedoch die daraufhin mit Bescheid vom 21.5.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] - wenn auch zu Unrecht - erfolgte Ablehnung für die [X.]lägerin bindend geworden. Von dieser Bindungswirkung kann lediglich nach näherer Maßgabe des § 44 [X.]B X abgewichen werden, und damit mit keiner längeren als der in dessen [X.] 4 geregelten Rückwirkung.

3. Dies ist mit höherrangigem Recht vereinbar.

Insbesondere folgt im Fall der [X.]lägerin aus dem von der Revision herangezogenen allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 [X.] 1 [X.]) kein Verfassungsverstoß. Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) ist Art 3 [X.] 1 [X.] dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl zB [X.] vom 27.2.2007 - [X.]E 117, 272, 301 = [X.] 4-2600 § 58 [X.] Rd[X.]0 mwN).

Hier jedoch besteht der ausschlaggebende Unterschied zwischen jenen Berechtigten nach dem [X.], denen gegenüber im Zeitpunkt der Rechtsprechungsänderung durch das B[X.] im Juni 2009 noch keine bindende Ablehnung erfolgt war, und jenen, bei denen (wie bei der [X.]lägerin) eine solche bereits vorlag, aus eben diesem Umstand. Hieran ändert nichts, dass es, wie die Revision aufzeigt, angesichts der Vielzahl der bis zum Stichtag nach § 3 [X.] 1 [X.] eingegangenen Anträge nach dem [X.] oft von Zufällen abhing, ob im Zeitpunkt der Urteile des B[X.] vom Juni 2009 bereits eine unanfechtbare Entscheidung ergangen war.

Denn zu den tragenden Prinzipien des Rechtsstaats gehört der Grundsatz, dass nach [X.]chluss eines Verfahrens durch unanfechtbare Entscheidung allenfalls ausnahmsweise eine neue Entscheidung in der Sache möglich ist. Demgemäß ist die öffentliche Gewalt von Verfassung wegen nicht verpflichtet, rechtswidrige Verwaltungsakte ohne Rücksicht auf ihren formellen Rechtsbestand auf Antrag oder von Amts wegen zu beseitigen (vgl [X.] vom 11.10.1966 - [X.]E 20, 230, 235; [X.] vom 27.2.2007 - [X.]E 117, 302, 315 = [X.] 4-8100 Art 19 [X.] RdNr 32). Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Regelung der Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der (materiellen) Gerechtigkeit abzuwägen. Zwar kommt im Wiedergutmachungsrecht dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit größeres Gewicht zu. Dennoch fordert das [X.] selbst hier (lediglich) einen Anspruch darauf, dass die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheidet, ob sie in eine erneute Nachprüfung eines unanfechtbaren ablehnenden Bescheids eintreten will ([X.] vom 17.12.1969 - [X.]E 27, 297, 305 ff).

Über das hiernach verfassungsrechtlich Gebotene ist der Gesetzgeber des [X.]B X, in [X.] seit 1.1.1981, bereits weit hinausgegangen, hat er doch zugunsten der [X.] die auch im Fall der [X.]lägerin angewandte Regelung des § 44 [X.] 1 [X.]B X (hierzu oben unter 1.) geschaffen. Dieser enthält auch gegenüber der [X.] in § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) günstigere Regelungen, weil dort die Überprüfung bindender Verwaltungsakte - wie vom [X.] für das Wiedergutmachungsrecht gefordert - in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt ist, was damit auch für den Umfang der Rückwirkung gilt. Demgegenüber ist nach § 44 [X.] 1 [X.]B X ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine Sozialleistung zu Unrecht verweigert hat, zurückzunehmen, ohne dass der Verwaltung insoweit ein Ermessen zustünde; nach [X.] 4 der Vorschrift sind ferner die vorenthaltenen Leistungen zwingend für vier Jahre rückwirkend zu erbringen. Diese Regelung kommt auch der [X.]lägerin zugute.

Ohne dass dies für die Entscheidung des Senats ein tragender Grund ist, wirkt sich zu Gunsten der [X.]lägerin weiterhin aus, dass die Beklagte für den Zugangsfaktor (§ 77 [X.] 2 [X.] Nr 2 Buchst b [X.]B VI) davon ausgegangen ist, dass die [X.]lägerin die Altersrente nach Erreichen der Regelaltersgrenze erst zum 1.1.2004 in Anspruch genommen hat; die Rente wird daher nach einem höheren Zugangsfaktor (1,945) als bei einem (begehrten) Rentenbeginn zum [X.] (1,555) berechnet (vgl § 3 [X.] 2 [X.]).

Wenn aber, wie aufgezeigt, die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden nicht gegen das [X.] verstoßen hat, besteht in keinerlei Hinsicht ein Anlass, im vorliegenden Fall die Vorschriften des § 3 [X.] 1 [X.] und § 44 [X.] 4 [X.]B X im Sinne des [X.]lageantrags "verfassungskonform" anzuwenden.

4. [X.] ist entgegen ihrer Meinung nicht mit der [X.]onstellation vergleichbar, die zum Senatsurteil vom [X.] ([X.] RJ 34/04 R - B[X.]E 94, 294 = [X.] 4-2600 § 306 [X.]) geführt hat. Denn im vorliegenden Fall führt der neue Antrag nach Unanfechtbarkeit des früheren Bescheids - anders als damals - nicht dazu, dass die [X.]lägerin von einem Rentenanspruch nach dem [X.] vollständig (und auf Dauer) ausgeschlossen wird, sondern lediglich zu einer nur eingeschränkten Rückwirkung.

5. Etwas anderes lässt sich nicht aus der Antwort der Bundesregierung vom [X.] auf die [X.]leine Anfrage der Abgeordneten [X.] ua und der Fraktion der [X.] zu Frage 6 (BT-Drucks 15/1475 [X.]) ableiten; denn diese erläutert, dass auf Rentenanträge, die nach dem 30.6.2003 gestellt wurden, die Zahlung mit dem [X.] beginnt. Zur Frage, ob bei Überprüfungsanträgen nach § 44 [X.]B X nach Ablauf des 30.6.2003 die [X.] nach dessen [X.] 4 (nicht) gelten soll, nimmt sie keine Stellung (vgl hierzu aber die Antwort der Bundesregierung auf die [X.]leine Anfrage der Abgeordneten [X.] ua und der Fraktion [X.] zu Frage 10 <BT-Drucks 17/6776 S 5>, die die Anwendung des § 44 [X.] 4 [X.]B X bejaht).

Entgegen der Ansicht der [X.]lägerin ergibt sich auch aus dem Urteil des Senats vom 31.1.2002 ([X.] RJ 23/01 R - B[X.]E 89, 151 = [X.] 3-1300 § 44 [X.]) nichts Abweichendes. Denn diese Entscheidung ist zum Übergang eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung ergangen und daher für den vorliegenden Sachverhalt von vornherein nicht einschlägig.

6. Ob die [X.]lägerin vor dem 30.6.2003 weitere Rentenanträge zB bei einem [X.] Versicherungsträger (mit Wirkung für die [X.] gesetzliche Rentenversicherung: s hierzu Senatsurteil vom 19.4.2011 - [X.] R 20/10 R - zur Veröffentlichung in [X.] 4-6480 Art 27 [X.] vorgesehen) gestellt hat, kann im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben. Solche Anträge hätten sich auch dann mit Erlass des Bescheids der Beklagten vom 21.5.2004 erledigt, wenn sie der Beklagten nicht bekannt waren. Denn dieser Bescheid ist mit Eintritt seiner Bestandskraft nach § 77 [X.]G "in der Sache" bindend geworden (vgl zur Bindungswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte bereits B[X.] vom [X.] - B[X.]E 18, 22, 26 = [X.] Nr 35 zu § 77 [X.]G). Nach dessen Rücknahme gemäß § 44 [X.]B X ist daher auch insoweit die rückwirkende Rentenzahlung durch § 44 [X.] 4 [X.]B X beschränkt.

7. a) Unerheblich ist, in welchem Maße rechtswidrig die ablehnenden ursprünglichen Entscheidungen der Beklagten und der Gerichte waren. Dass sie sich überhaupt als rechtswidrig erwiesen haben, ist bereits Voraussetzung der Anwendung der Vorschrift des § 44 [X.] 1 [X.]B X. Diese macht keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Graden der Rechtswidrigkeit. Jedenfalls kann keine Nichtigkeit (§ 40 [X.] 1 [X.]B X) der genannten Bescheide festgestellt werden. Es lag kein "besonders schwerwiegenden Fehler" vor, der "bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich" gewesen wäre; insbesondere lässt sich dies den Urteilen des B[X.] vom 2. und [X.] nicht entnehmen.

Im Übrigen führt noch nicht einmal die vom [X.] festgestellte Nichtigkeit eines verfassungswidrigen Gesetzes automatisch zur Rücknahme unanfechtbarer, auf diesem Gesetz beruhender Verwaltungsentscheidungen (§ 79 [X.] 2 [X.]G), geschweige denn zu rückwirkender Leistungsgewährung.

b) Auch der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) steht der Anwendung des § 44 [X.] 4 [X.]B X nicht entgegen. Denn § 44 [X.] 4 [X.]B X ist beim Vorliegen seiner Voraussetzungen ohne weiteres anwendbar, ohne dass der Leistungsträger eine Einrede zu erheben bräuchte und vor allem ohne dass gegen die Anwendung der Vorschrift der Einwand unzulässiger Rechtsausübung oder ein Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht werden könnte (B[X.] vom [X.] - B[X.]E 60, 158, 160 = [X.] 1300 § 44 [X.]; B[X.] vom [X.] - B[X.]E 62, 10, 14 = [X.] 2200 § 1254 [X.] [X.]8). Unerheblich ist, ob den Versicherungsträger an der Rechtswidrigkeit des nach § 44 [X.] 1 [X.]B X zurückgenommenen Verwaltungsakts ein Verschulden trifft (B[X.] vom 11.4.1985 - [X.] 1300 § 44 [X.]7, [X.] 1).

c) Zugunsten der [X.]lägerin wirkt sich schließlich nicht der vom [X.] zum Entschädigungsrecht entwickelte Grundsatz aus, dass eine Gesetzesauslegung, die möglich ist und dem Ziel entspricht, das zugefügte Unrecht so bald und so weit wie irgend möglich wiedergutzumachen, den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung verdient, die die Wiedergutmachung erschwert oder zunichte macht (stRspr, zB [X.] vom 22.11.1954 - IV ZR 107/54 - [X.], 55, 57; aus neuerer Zeit [X.] vom 22.2.2001 - [X.]/00 - [X.] 1956 § 35 [X.] unter [X.] c der Gründe; [X.] vom 1.12.1994 - [X.] - [X.] 1956 § 35 [X.] unter [X.] der Gründe).

Zwar ist hiervon bei der Auslegung einschlägiger Vorschriften auch das B[X.] ausgegangen (zB B[X.] vom 28.2.1984 - [X.] 5070 § 9 [X.] [X.]4; B[X.] vom 25.8.1982 - [X.] 5070 § 10 Nr 20 [X.]6; B[X.] vom 12.10.1979 - [X.] 5070 § 10a [X.]; B[X.] vom 26.10.1976 - [X.] 5070 § 9 [X.] S 3).

Die von der [X.]lägerin erstrebte Rechtsanwendung ist jedoch, wie bereits erläutert, nicht möglich:

Der Gesetzgeber hat mit dem [X.] zur Wiedergutmachung erlittenen Unrechts Rentenzeiten, die mit in einem Ghetto verrichteter Arbeit erworben wurden, unabhängig von weiteren Voraussetzungen (insbesondere nach dem [X.]) als Regelaltersrente zahlbar gemacht. Anders als etwa bei der Zuerkennung eines festen Entschädigungsbetrags handelt es sich damit bei den auf der Grundlage des [X.] gezahlten Leistungen um Renten, die dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem [X.]B VI folgen. Die aus dieser [X.]onzeption folgenden [X.]onsequenzen, wie etwa im vorliegenden Fall aus der Bestandskraft eines ablehnenden Bescheids, treten bei allen Renten ein. Sie widersprechen insbesondere nicht dem Wiedergutmachungsgedanken (s hierzu oben unter 3.).

d) Damit lässt sich auch kein anderes Ergebnis aus § 2 [X.] 2 Halbs 2 [X.]B I ableiten, wonach bei der Auslegung der Vorschriften des [X.]B "sicherzustellen (ist), dass die [X.] Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden". Im Übrigen enthält § 44 [X.]B X bereits eine [X.]onkretisierung des in dieser Vorschrift allgemein geregelten [X.] (B[X.] vom 31.5.1988 - B[X.]E 63, 214, 218 = [X.] 1300 § 44 [X.] S 95; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B I, [X.] § 2 RdNr 36, Stand Einzelkommentierung Dezember 2005).

8. Die Entscheidung über die [X.]osten beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 13 R 72/11 R

07.02.2012

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Düsseldorf, 7. April 2011, Az: S 27 R 1829/10, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 07.02.2012, Az. B 13 R 72/11 R (REWIS RS 2012, 9465)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9465

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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