Bundessozialgericht, Urteil vom 10.12.2013, Az. B 13 R 63/11 R

13. Senat | REWIS RS 2013, 459

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Gegenstand

Rentenversicherung - früherer Rentenbeginn und rückwirkende Gewährung einer Rente nach dem ZRBG


Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 18. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn der Regelaltersrente des verstorbenen [X.].

2

Der 1918 in [X.] geborene und 2013 in [X.] verstorbene vormalige Kläger war anerkannter Verfolgter des Nationalsozialismus. Er hatte im Februar 2003 einen Antrag auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung im Ghetto Krasnik zurückgelegter Ghetto-Beitragszeiten von Juli 1940 bis November 1942 nach dem [X.] aus Beschäftigungen in einem Ghetto ([X.]) gestellt. Die Beklagte hatte mit Bescheid vom 16.6.2003 den Anspruch mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht glaubhaft, dass der vormalige Kläger eine entgeltliche Beschäftigung aus freiem Willensentschluss in einem Ghetto ausgeübt habe; bei den behaupteten Arbeiten habe es sich vielmehr um Zwangsarbeiten gehandelt, die nach dem [X.] nicht zu berücksichtigen seien. Die hiergegen erhobenen Rechtsbehelfe blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 18.12.2003; Urteil des [X.] vom 9.12.2005 - [X.] (15) [X.]/04).

3

Auf den im Juni 2009 gestellten Antrag des vormaligen [X.] auf Überprüfung des ablehnenden Bescheids erkannte die Beklagte mit Bescheid vom [X.] den [X.]raum vom 1.8.1940 bis zum 2.11.1942 als Beitragszeit nach dem [X.] an; sie gewährte Regelaltersrente ab dem 1.1.2005 mit einem Zugangsfaktor 2,290; es ergab sich eine laufende Rentenzahlung iHv 543,08 Euro monatlich ab April 2010 sowie eine Nachzahlung von 36 426,55 Euro für die [X.] vom 1.1.2005 bis 31.3.2010. Der auf einen früheren Rentenbeginn gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom [X.]). Die Beklagte habe ihre ablehnende Entscheidung (Bescheid vom 16.6.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.12.2003) gemäß § 44 [X.] überprüft und mit dem nun angefochtenen Bescheid die begehrte Rente bewilligt. Nach § 44 Abs 4 [X.] würden bei Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen [X.]raum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem die Rücknahme beantragt worden sei. Ausgehend von den mit Schriftsatz vom [X.] gestellten Überprüfungsantrag werde die Rente daher zutreffend ab dem 1.1.2005 geleistet.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.4.2011): Der Zahlungsanspruch bestehe erst ab 1.1.2005. Dies folge aus der [X.] des § 44 Abs 1 [X.] [X.]. Die Vorschrift werde nicht durch eine Spezialregelung verdrängt. Der Rentenbeginn zum 1.7.1997 gelte gemäß § 3 Abs 1 [X.] [X.] nur für bis zum 30.6.2003 gestellte Rentenanträge; aus einem Antrag von Februar 2003 könne der vormalige Kläger wegen der bestandskräftigen Ablehnung nichts mehr herleiten. Auch verstoße es nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG), dass Verfolgte, deren ursprünglicher (fristgemäßer) Rentenantrag noch nicht bestandskräftig abgelehnt worden sei, regelmäßig unter Berücksichtigung der Urteile des B[X.] vom Juni 2009 Rente ab dem 1.7.1997 bezögen, während Verfolgte, wie der vormalige Kläger, bei zuvor rechtskräftiger Ablehnung ihres ursprünglichen Rentenantrags im Rahmen von Überprüfungsbescheiden immer nur rückwirkend für die letzten vier Kalenderjahre Rente erhielten.

5

Mit seiner vom [X.] zugelassenen Sprungrevision, deren Einlegung die Beklagte zugestimmt hat, rügt der vormalige Kläger in seiner Revisionsbegründung vom 1.7.2011 eine Verletzung von § 3 Abs 1 [X.], von § 99 Abs 1 [X.]B VI und von Art 3 Abs 1 GG. Zu Unrecht gehe das [X.] davon aus, dass § 44 Abs 4 [X.] den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der Rente ab dem 1.7.1997 ausschließe. Dem stehe hier die spezialgesetzliche Rückwirkungsregelung in § 3 Abs 1 [X.] entgegen, nach der ein bis zum 30.6.2003 gestellter Antrag als am 18.6.1997 gestellt gelte. Zudem verletze die Anwendung von § 44 Abs 4 [X.] den allgemeinen Gleichheitssatz, denn bei einem vergleichbaren Verfolgungsschicksal sei eine Differenzierung des Rentenbeginns nach dem [X.]punkt der Antragstellung nicht vertretbar (Hinweis auf das Senatsurteil vom 3.5.2005 - B 13 RJ 34/04 R). Ebenso wenig sei dies mit der Intention des Gesetzgebers vereinbar, durch das [X.] eine letzte Lücke im Recht der Wiedergutmachung zu schließen. Der [X.] gebiete es vielmehr, für die Neufeststellung von [X.]-Renten den Rentenbeginn auf den 1.7.1997 festzulegen.

6

Der Kläger ist am 11.7.2013 verstorben; die Klägerin, seine Witwe, verfolgt seine Ansprüche weiter.

7

Sie beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18. April 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 8. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2010 zu verurteilen, die Regelaltersrente bereits ab 1.7.1997 zu gewähren sowie die Nachzahlung zu verzinsen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9

Sie hält an ihren Entscheidungen fest und verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 [X.] [X.]G).

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Sie wird nach dem Tod des vormaligen Klägers während des Revisionsverfahrens nunmehr von seiner Witwe fortgesetzt, die hinsichtlich des hier streitigen Anspruchs auf höhere monatliche Rentenzahlung [X.] ist (§ 56 Abs 1 [X.] [X.]). Ein solcher [X.] kraft Gesetzes enthält keine Klageänderung iS der §§ 99, 168 [X.] [X.] ([X.], 93 = [X.]-3500 § 19 [X.], Rd[X.] 13 mwN), sondern führt von Amts wegen zu einer Berichtigung des Rubrums (vgl [X.], 27, 28 = [X.]-2600 § 307b [X.]; vgl auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 99 Rd[X.] 7a).

Der Senat sieht sich an einer Sachentscheidung nicht gehindert. Auch wenn die Klägerin die [X.] des Verfahrens (§ 202 [X.] iVm § 251 ZPO; vgl dazu B[X.] SozR 1750 § 251 [X.] 1) beantragt hat (unter Hinweis auf die Entschließung des Bundesrates "Rentenzahlungen für Beschäftigungen in einem Ghetto rückwirkend ab 1997 ermöglichen" <BT-Drucks 549/13 vom 27.6.2013> und den Entwurf des [X.] zwischen der [X.], [X.] und [X.], "[X.] Zukunft gestalten", 18. Legislaturperiode) und die Beklagte dem zugestimmt hat, liegt kein wichtiger Grund vor, der das Ruhen dieses Verfahrens unter Berücksichtigung der allgemeinen Prozessförderungspflicht der Beteiligten und des Gerichts zweckmäßig erscheinen ließe (vgl auch B[X.] vom [X.] P 2/07 B - Juris Rd[X.] 4).

Das [X.] hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Regelaltersrente des verstorbenen Ehegatten bereits ab 1.7.1997.

Der Senat verweist zur Begründung seiner Entscheidung im Einzelnen auf sein - den Beteiligten bereits bekanntes - Urteil vom 7.2.2012 ([X.], 97 = [X.]-5075 § 3 [X.] 2) wie auch auf das des 5. Senats vom 8.2.2012 (B[X.] [X.]-5075 § 3 [X.] 1). Das [X.] hat die gegen zwei Entscheidungen des 5. Senats in Parallelfällen (Urteile vom 8.2.2012 - [X.] R 42/11 R und [X.] R 76/11 R) gerichteten Verfassungsbeschwerden ohne nähere Begründung nicht zur Entscheidung angenommen (Beschlüsse vom [X.] - 1 BvR 1444/12 bzw vom [X.] - 1 BvR 1008/12).

Die Entscheidung über die Kosten folgt dem Verfahrensausgang (§ 193 [X.]).

Meta

B 13 R 63/11 R

10.12.2013

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Düsseldorf, 18. April 2011, Az: S 52 R 1452/10, Urteil

§ 2 Abs 2 Halbs 2 SGB 1, § 77 Abs 2 S 1 Nr 2 Buchst b SGB 6, § 99 Abs 1 S 2 SGB 6, § 1 Abs 1 S 1 SGB 10, § 40 Abs 1 SGB 10, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 2 SGB 10, § 44 Abs 4 S 3 SGB 10, § 48 SGB 10, § 1 Abs 2 ZRBG, § 3 Abs 1 S 1 ZRBG, § 3 Abs 2 ZRBG, § 7 WGSVG, § 17c WGSVG, Art 3 Abs 1 GG, § 77 SGG, § 202 SGG, § 79 Abs 2 BVerfGG, § 242 BGB, § 251 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 10.12.2013, Az. B 13 R 63/11 R (REWIS RS 2013, 459)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 459

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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