Bundessozialgericht, Urteil vom 07.02.2012, Az. B 13 R 40/11 R

13. Senat | REWIS RS 2012, 9432

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Rentenversicherung - früherer Rentenbeginn und rückwirkende Gewährung einer Rente nach dem ZRBG - Verfassungsmäßigkeit


Leitsatz

Nach Rücknahme eines bestandskräftigen Bescheids, der eine Rente aufgrund von Ghetto- Beitragszeiten zu Unrecht abgelehnt hat, besteht Anspruch auf Rentenleistungen für die Vergangenheit nur für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren (§ 44 Abs 4 SGB 10).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. März 2011 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten für das Klage- und Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn der Regelaltersrente der Klägerin.

2

Die im Dezember 1924 in [X.] geborene Klägerin ist [X.] Staatsangehörige und lebt in [X.]. Sie ist anerkannte Verfolgte des Nationalsozialismus und hat eine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhalten.

3

Die Klägerin hatte im September 2002 einen Antrag auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung im Ghetto [X.] zurückgelegter Ghetto-Beitragszeiten von Anfang 1940 bis März 1943 nach dem [X.] aus Beschäftigungen in einem Ghetto ([X.]) gestellt. Die Beklagte hatte mit Bescheid vom 19.11.2004 den Anspruch mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht glaubhaft, dass die Klägerin eine entgeltliche Beschäftigung aus freiem Willensentschluss in einem Ghetto ausgeübt habe; bei den behaupteten Arbeiten habe es sich vielmehr um Zwangsarbeiten gehandelt, die nach dem [X.] nicht zu berücksichtigen seien. Die hier gegen erhobenen Rechtsbehelfe blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 24.5.2005; Urteil des [X.] vom 22.2.2007 - [X.] (22) [X.]/05).

4

Auf den im August 2009 gestellten Antrag der Klägerin auf Überprüfung der ablehnenden Bescheide erkannte die Beklagte mit Bescheid vom [X.] den [X.]raum vom [X.] bis [X.] als Beitragszeit nach dem [X.] an; sie gewährte Regelaltersrente ab dem 1.1.2005 mit einem Zugangsfaktor 1,900; es ergab sich eine laufende Rentenzahlung in Höhe von 281,62 Euro monatlich ab April 2010 sowie eine Nachzahlung von 18 924,69 Euro (für die [X.] vom 1.1.2005 bis [X.]). Der auf einen früheren Rentenbeginn gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5.8.2010). Sie habe ihre ablehnende Entscheidung (Bescheid vom 19.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.5.2005) gemäß § 44 [X.] überprüft und mit dem nun angefochtenen Bescheid die begehrte Rente bewilligt. Nach § 44 Abs 4 [X.] würden bei Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen [X.]raum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem die Rücknahme beantragt worden sei. Ausgehend von dem am 11.8.2009 gestellten Überprüfungsantrag werde die Rente daher zutreffend ab dem 1.1.2005 geleistet.

5

Das [X.] hat die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom [X.], des Widerspruchsbescheids vom 5.8.2010 verurteilt, unter Rücknahme des Bescheids vom 19.11.2004 und des Widerspruchsbescheids vom 24.5.2005, die Regelaltersrente der Klägerin insofern nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen neu festzustellen, als die Rente bereits am 1.7.1997 beginne und dementsprechend eine weitere Nachzahlung für die [X.] vom 1.7.1997 bis 31.12.2004 zu leisten sei (Urteil vom 24.3.2011): Es lägen die Voraussetzungen einer Neufeststellung der Altersrente gemäß § 44 Abs 1 [X.] vor. Unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des B[X.] vom 2. und [X.] (B[X.] <13. Senat> vom 2.6.2009 - B[X.]E 103, 190 = [X.] 4-5075 § 1 [X.]; B[X.]E 103, 201 = [X.] 4-5075 § 1 [X.] und [X.] R 85/08 R; B[X.] <5. Senat> vom [X.] - B[X.]E 103, 220 = [X.] 4-5075 § 1 [X.]; [X.] R 66/08 R) könne die Klägerin auf ihren im September 2002 gestellten Rentenantrag bereits ab 1.7.1997 Altersrente beanspruchen. Dies folge aus § 3 Abs 1 [X.] iVm § 99 Abs 1 [X.]B VI, wonach ein vor Juli 2003 gestellter Rentenantrag als schon am 18.6.1997 gestellt gelte. Auch aus den Gesetzesmaterialien (Hinweis auf BT-Drucks 14/8583, [X.] und 6) folge, dass eine rückwirkende Rentenzahlung ab 1.7.1997 sichergestellt werden sollte. Diesem Anspruch stünden weder § 44 Abs 4 [X.] noch § 100 Abs 4 [X.]B VI entgegen, die aus Gründen der allgemeinen Gleichbehandlung (Art 3 Abs 1 GG) im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht anzuwenden seien. Vorrangig seien vielmehr die speziellen Vorschriften von § 99 Abs 1 S 2 [X.]B VI iVm § 3 Abs 1 und Abs 2 [X.] einschlägig.

6

Diese Gesetzesauslegung sei geboten, weil ansonsten die Gruppe der "Vorkämpfer" für [X.] ungerechtfertigt von den Vorteilen der geänderten Rechtsprechung zum [X.] ausgeschlossen bliebe. Diese Konstellation sei mit jener vergleichbar, wie sie dem Urteil des B[X.] vom 3.5.2005 (B[X.]E 94, 294 = [X.] 4-2600 § 306 [X.] 1) zur Nichtanwendung von § 306 [X.]B VI bei Bestandsrentnern, die in Ghettos gearbeitet haben, zu Grunde gelegen habe. Es sei nicht hinzunehmen, dass ein Teil der Gruppe, die ihren Rentenantrag fristgerecht noch vor Juli 2003 gestellt habe, Leistungen erst ab Januar 2005 erhalte, während der andere Teil derselben Gruppe Rentenleistungen rückwirkend schon ab 1.7.1997 erhalte. Dieser Teil profitiere nur davon, dass über die Rentenanträge nicht mehr vor den Urteilen des B[X.] vom 2. und [X.] (aaO) rechtskräftig entschieden worden sei. Diese Ungleichbehandlung beruhe letztendlich auf der zufälligen Dauer der Verwaltungs- bzw Gerichtsverfahren.

7

Eine solche Ungleichbehandlung gleichgelagerter Sachverhalte sei nicht zu rechtfertigen. Dies werde durch die Rechtsprechung des B[X.] vom 2. und [X.] (aaO) und die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 14/8583 [X.]) bestätigt, wonach möglichst alle Verfolgten, die in einem Ghetto eine Beschäftigung ausgeübt haben, in den Genuss der nach dem [X.] vorgesehenen Rentenzahlungen kommen sollten. Dies gebiete zudem der in den Gesetzesmaterialien (aaO) zum Ausdruck kommende Entschädigungsgedanke. Einer diesem Zweck Geltung verschaffende Gesetzesauslegung sei der Vorzug gegenüber jeder anderen Gesetzesinterpretation zu geben, die die Wiedergutmachung erschwere oder zunichte mache. Diese Auslegungsregel folge insbesondere aus der Entscheidung des [X.] ([X.]/00 - [X.] 1956 § 35 [X.] 37) und des B[X.] vom 3.5.2005 (B[X.]E 94, 294 = [X.] 4-2600 § 306 [X.] 1).

8

Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Sprungrevision, deren Einlegung die Klägerin zugestimmt hat, rügt die Beklagte die Verletzung von § 44 Abs 4 [X.], § 99 Abs 1 S 2 [X.]B VI iVm § 3 Abs 1 S 1 [X.]. Der Anwendung von § 44 Abs 4 [X.] stünden keine spezialgesetzlichen Sonderregelungen entgegen. Insbesondere treffe § 3 Abs 1 S 1 [X.] keine von § 44 Abs 4 [X.] abweichende Regelung. Demnach gelte ein bis zum 30.6.2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18.6.1997 gestellt. Der Überprüfungsantrag vom 12.8.2009 sei daher verfristet iS von § 3 Abs 1 S 1 [X.]. Der Rentenantrag vom September 2002 sei unmaßgeblich, weil er nach § 77 [X.]G bindend abgelehnt worden sei. Gegen die Annahme, dass auf einen außerhalb der Frist von § 3 Abs 1 S 1 [X.] gestellten Überprüfungsantrag die Rente immer rückwirkend zum 1.7.1997 gezahlt werden müsse, sprächen der eindeutige Wortlaut der Norm, die Gesetzesbegründung und Entstehungsgeschichte des [X.]. Eine verfassungskonforme Auslegung unter Rückgriff auf Art 3 Abs 1 GG scheide daher aus. Der sachliche Grund für die Ungleichbehandlung der vom [X.] gegenübergestellten Vergleichsgruppen sei die bestandskräftige Ablehnung des ersten Rentenantrags. Die vom [X.] herangezogene zufällige Verfahrensdauer sei unbeachtlich. Das Verfassungsrecht gewichte die Bestandskraft einer Entscheidung grundsätzlich höher als deren Rechtswidrigkeit. Anhaltspunkte für eine willkürliche Rechtsanwendung lägen nicht vor, weil sich die als rechtswidrig erkannten Verwaltungsentscheidungen an dem Urteil des B[X.] vom 18.6.1997 (B[X.]E 80, 250 = [X.] 3-2200 § 1248 [X.] 15) orientiert hätten. Die Klägerin könne aus dem Urteil des B[X.] vom 3.5.2005 (B[X.]E 94, 294 = [X.] 4-2600 § 306 [X.] 1) mangels vergleichbarer Fallgestaltung kein für sie günstigeres Ergebnis herleiten. Es liege auch keine planwidrige Gesetzeslücke vor, die im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung durch die Nichtanwendung von § 44 Abs 4 [X.] zu schließen sei. Bei Verabschiedung des [X.] sei dem Gesetzgeber die Vorschrift von § 44 [X.] bekannt gewesen, dessen Anwendung er im Geltungsbereich des [X.] nicht ausgeschlossen habe.

9

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24. März 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und verweist ergänzend darauf, dass die Klägerin eine Altersrente von der [X.]n Nationalversicherungsanstalt beziehe. Der dieser Rentengewährung zu Grunde liegende Rentenantrag berechtige - unter Berücksichtigung des [X.] vom [X.] ([X.] R 20/10 R - zur Veröffentlichung in [X.] 4-6840 Art 27 [X.] 1 vorgesehen) - zum rückwirkenden Rentenbezug ab 1.7.1997, unabhängig von der Anwendung von § 44 Abs 4 [X.].

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das [X.] die angefochtenen Bescheide der Beklagten abgeändert und die Altersrente bereits ab [X.] zugesprochen.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Anspruch der [X.]lägerin auf Zahlung ihrer Altersrente auch für die Zeit vor dem 1.1.2005. [X.] vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.8.2010 enthaltenen Regelungen sind nicht angefochten.

Die Bescheide der Beklagten sind im streitigen Umfang nicht rechtswidrig. Eine weitergehende Rückwirkung der im Bescheid vom [X.] bewilligten Rentenzahlung als, wie dort geregelt, ab 1.1.2005 steht der [X.]lägerin nicht zu.

1. In ihrem Falle sind die Voraussetzungen für eine Rücknahme des die Rente nach dem [X.] ablehnenden Bescheids vom 19.11.2004 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.5.2005) mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 44 [X.] 1 [X.]B X erfüllt. Denn im Sinne des Satzes 1 der Vorschrift hatte sich ergeben, dass bei Erlass des Ablehnungsbescheids das Recht unrichtig angewandt worden war und deshalb Sozialleistungen (hier: die Rente) zu Unrecht nicht erbracht worden waren.

Damit war nach [X.] bis 3 der Vorschrift die in der Vergangenheit zu Unrecht nicht gezahlte Rente "längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren" ab Beginn des Jahres der Stellung des Antrags auf Rücknahme zu erbringen. Da die [X.]lägerin den Rücknahme-(Überprüfungs-)Antrag im August 2009 gestellt hatte, ergab sich ein Beginn der rückwirkenden Rentenzahlung am 1.1.2005.

2. Einer Anwendung der dargestellten Regelung steht nicht entgegen, dass die [X.]lägerin Berechtigte nach dem [X.] ist.

a) Wie sie zu Recht vorträgt, konnte die [X.]lägerin ihre Ansprüche erst aufgrund der Urteile des B[X.] vom Juni 2009 (B[X.] <13. Senat> vom 2.6.2009 - B[X.]E 103, 190 = [X.] 4-5075 § 1 [X.]; B[X.]E 103, 201 = [X.] 4-5075 § 1 [X.] und [X.] R 85/08 R ; B[X.] <5. Senat> vom [X.] - B[X.]E 103, 220 = [X.] 4-5075 § 1 [X.]; [X.] R 66/08 R) durchsetzen, die entgegenstehende frühere Rechtsprechung aufgegeben hatten. Wäre zu diesem Zeitpunkt über ihren ursprünglichen Antrag vom September 2002 noch nicht bindend (hier: durch Urteil des [X.] vom 22.2.2007) - negativ - entschieden gewesen, hätte sie die Zahlung ihrer Rente rückwirkend ab [X.] (Inkrafttreten des [X.] nach Art 3 [X.] 2 des [X.] aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des [X.] vom 20.6.2002, [X.] 2074) beanspruchen können. Aus diesen Umständen kann die [X.]lägerin jedoch keine weitergehenden Ansprüche als nach § 44 [X.]B X ableiten.

Nach § 77 [X.]G ist ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der dagegen eingelegte Rechtsbehelf erfolglos geblieben ist, "soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist". Als gesetzliche Regelung, mit deren Hilfe die [X.]lägerin die Bindungswirkung des Ablehnungsbescheids vom November 2004 überwinden kann, kommt lediglich die Vorschrift des § 44 [X.]B X in Betracht.

Sie gilt für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach dem [X.]B ausgeübt wird (§ 1 [X.] 1 [X.] [X.]B X). Hierzu gehört auch die Ausführung des [X.], das der Gesetzgeber als Spezialregelung zu dem im [X.]B VI geregelten Recht der gesetzlichen Rentenversicherung konzipiert hat. Dies geht insbesondere aus der Regelung des § 1 [X.] 2 [X.] hervor, wonach dieses Gesetz "die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung [X.] Unrechts in der Sozialversicherung" ([X.]) ergänzt; nach § 7 [X.] ergänzen jedoch wiederum diese Vorschriften "zugunsten von Verfolgten die allgemein anzuwendenden Vorschriften des [X.]". Nichts anderes ergibt sich aus den in § 3 [X.] in Bezug genommenen Begriffen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung ("Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung", "Zugangsfaktor", "Wartezeit", "Rente wegen Alters").

b) Eigene einschlägige Bestimmungen, die zugunsten der [X.]lägerin als Spezialregelung dem § 44 [X.]B X vorgehen könnten, enthält das [X.] nicht.

Eine solche Bestimmung ist insbesondere nicht die Regelung des § 3 [X.] 1 [X.] [X.]. Nach dieser Vorschrift gilt "ein bis zum 30. Juni 2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (…) als am 18. Juni 1997 gestellt". Die Vorschrift regelt schon nach ihrem Wortlaut - anders als etwa § 17c [X.] - nicht selbst unmittelbar den Rentenbeginn, sondern modifiziert bzw fingiert lediglich den maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der [X.], [X.], [X.]/[X.] und [X.], BT-Drucks 14/8583 [X.]: "Die Antragstellung auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird fiktiv auf den Tag der B[X.]-Entscheidung am 18. Juni 1997 festgesetzt" - inhaltsgleich der Gesetzentwurf der Fraktion der [X.], BT-Drucks 14/8602 [X.]: "Die Antragstellung auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird auf den Tag der B[X.]-Entscheidung am 18. Juni 1997 fingiert"). Sie ist mithin (nur) für eines von mehreren [X.], die nach § 99 [X.] 1 [X.]B VI für den Beginn einer Altersrente maßgeblich sind, von Bedeutung und führt lediglich "im Zusammenwirken" (so BT-Drucks 14/8583 bzw 14/8602, jeweils [X.] - zu Art 1, zu § 3) mit anderen Regelungen zu einem Rentenbeginn frühestens ab [X.]. Einem solchen Verständnis steht auch die amtliche Überschrift des § 3 [X.] 1 [X.] ("Besonderheiten beim Rentenbeginn") nicht entgegen; diese verdeutlicht vielmehr, dass die Regelung nicht selbst den Rentenbeginn für "Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto" festlegt, sondern lediglich Besonderheiten hinsichtlich eines einzelnen für den Rentenbeginn nach § 99 [X.]B VI bedeutsamen Umstands - des Zeitpunkts der Antragstellung - normiert.

Hiernach galt zwar der ursprüngliche Rentenantrag der [X.]lägerin vom September 2002 gemäß § 3 [X.] 1 [X.] [X.] als am 18.6.1997 gestellt. Wie oben ausgeführt, ist jedoch die daraufhin mit Bescheid vom 19.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.5.2005 - wenn auch zu Unrecht - erfolgte Ablehnung für die [X.]lägerin bindend geworden. Von dieser Bindungswirkung kann lediglich nach näherer Maßgabe des § 44 [X.]B X abgewichen werden, und damit mit keiner längeren als der in dessen [X.] 4 geregelten Rückwirkung.

3. Dies ist mit höherrangigem Recht vereinbar.

Insbesondere folgt im Fall der [X.]lägerin aus dem von ihr herangezogenen allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 [X.] 1 [X.]) kein Verfassungsverstoß. Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) ist Art 3 [X.] 1 [X.] dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl zB [X.] vom 27.2.2007 - [X.]E 117, 272, 301 = [X.] 4-2600 § 58 [X.] Rd[X.]0 mwN).

Hier jedoch besteht der ausschlaggebende Unterschied zwischen jenen Berechtigten nach dem [X.], denen gegenüber im Zeitpunkt der Rechtsprechungsänderung durch das B[X.] im Juni 2009 noch keine bindende Ablehnung erfolgt war, und jenen, bei denen (wie bei der [X.]lägerin) eine solche bereits vorlag, aus eben diesem Umstand. Hieran ändert nichts, dass es, wie die [X.]lägerin aufzeigt, angesichts der Vielzahl der bis zum Stichtag nach § 3 [X.] 1 [X.] eingegangenen Anträge nach dem [X.] oft von Zufällen abhing, ob im Zeitpunkt der Urteile des B[X.] vom Juni 2009 bereits eine unanfechtbare Entscheidung ergangen war.

Denn zu den tragenden Prinzipien des Rechtsstaats gehört der Grundsatz, dass nach [X.]chluss eines Verfahrens durch unanfechtbare Entscheidung allenfalls ausnahmsweise eine neue Entscheidung in der Sache möglich ist. Demgemäß ist die öffentliche Gewalt von Verfassung wegen nicht verpflichtet, rechtswidrige Verwaltungsakte ohne Rücksicht auf ihren formellen Rechtsbestand auf Antrag oder von Amts wegen zu beseitigen (vgl [X.] vom 11.10.1966 - [X.]E 20, 230, 235; [X.] vom 27.2.2007 - [X.]E 117, 302, 315 = [X.] 4-8100 Art 19 [X.] RdNr 32). Vielmehr hat der Gesetzgeber bei der Regelung der Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte zwischen dem Prinzip der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der (materiellen) Gerechtigkeit abzuwägen. Zwar kommt im Wiedergutmachungsrecht dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit größeres Gewicht zu. Dennoch fordert das [X.] selbst hier (lediglich) einen Anspruch darauf, dass die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheidet, ob sie in eine erneute Nachprüfung eines unanfechtbaren ablehnenden Bescheids eintreten will ([X.] vom 17.12.1969 - [X.]E 27, 297, 305 ff).

Über das hiernach verfassungsrechtlich Gebotene ist der Gesetzgeber des [X.]B X, in [X.] seit 1.1.1981, bereits weit hinausgegangen, hat er doch zugunsten der [X.] die auch im Fall der [X.]lägerin angewandte Regelung des § 44 [X.] 1 [X.]B X (hierzu oben unter 1.) geschaffen. Dieser enthält auch gegenüber der [X.] in § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) günstigere Regelungen, weil dort die Überprüfung bindender Verwaltungsakte - wie vom [X.] für das Wiedergutmachungsrecht gefordert - in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt ist, was damit auch für den Umfang der Rückwirkung gilt. Demgegenüber ist nach § 44 [X.] 1 [X.]B X ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine Sozialleistung zu Unrecht verweigert hat, zurückzunehmen, ohne dass der Verwaltung insoweit ein Ermessen zustünde; nach [X.] 4 der Vorschrift sind ferner die vorenthaltenen Leistungen zwingend für vier Jahre rückwirkend zu erbringen. Diese Regelung kommt auch der [X.]lägerin zugute.

Ohne dass dies für die Entscheidung des Senats ein tragender Grund ist, wirkt sich zu Gunsten der [X.]lägerin weiterhin aus, dass die Beklagte für den Zugangsfaktor (§ 77 [X.] 2 [X.] Nr 2 Buchst b [X.]B VI) davon ausgegangen ist, dass die [X.]lägerin die Altersrente nach Erreichen der Regelaltersgrenze erst zum 1.1.2005 in Anspruch genommen und die Rente daher auch nach einem höheren Zugangsfaktor (1,900) als bei einem (begehrten) Rentenbeginn zum [X.] (1,450) berechnet hat (vgl § 3 [X.] 2 [X.]).

Wenn aber, wie aufgezeigt, die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden nicht gegen das [X.] verstoßen hat, besteht in keinerlei Hinsicht ein Anlass, im vorliegenden Fall die Vorschriften des § 3 [X.] 1 [X.] und § 44 [X.] 4 [X.]B X im Sinne des [X.]lageantrags "verfassungskonform" anzuwenden.

4. [X.] ist entgegen ihrer Meinung nicht mit der [X.]onstellation vergleichbar, die zum Senatsurteil vom [X.] ([X.] RJ 34/04 R - B[X.]E 94, 294 = [X.] 4-2600 § 306 [X.]) geführt hat. Denn im vorliegenden Fall führt der neue Antrag nach Unanfechtbarkeit des früheren Bescheids - anders als damals - nicht dazu, dass die [X.]lägerin von einem Rentenanspruch nach dem [X.] vollständig (und auf Dauer) ausgeschlossen wird, sondern lediglich zu einer nur eingeschränkten Rückwirkung.

5. Etwas anderes lässt sich nicht aus der Antwort der Bundesregierung vom [X.] auf die [X.]leine Anfrage der Abgeordneten [X.] ua und der Fraktion der [X.] zu Frage 6 (BT-Drucks 15/1475 [X.]) ableiten; denn diese erläutert, dass auf Rentenanträge, die nach dem 30.6.2003 gestellt wurden, die Zahlung mit dem [X.] beginnt. Zur Frage, ob bei Überprüfungsanträgen nach § 44 [X.]B X nach Ablauf des 30.6.2003 die [X.] nach dessen [X.] 4 (nicht) gelten soll, nimmt sie keine Stellung (vgl hierzu aber die Antwort der Bundesregierung auf die [X.]leine Anfrage der Abgeordneten [X.] ua und der Fraktion [X.] zu Frage 10 <BT-Drucks 17/6776 S 5>, die die Anwendung des § 44 [X.] 4 [X.]B X bejaht).

Auch aus dem Urteil des Senats vom 31.1.2002 ([X.] RJ 23/01 R - B[X.]E 89, 151 = [X.] 3-1300 § 44 [X.]) ergibt sich nichts Abweichendes. Denn diese Entscheidung ist zum Übergang eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung ergangen und daher für den vorliegenden Sachverhalt von vornherein nicht einschlägig.

6. Ob die [X.]lägerin vor dem 30.6.2003 weitere Rentenanträge zB bei einem [X.] Versicherungsträger (mit Wirkung für die [X.] gesetzliche Rentenversicherung: s hierzu Senatsurteil vom 19.4.2011 - [X.] R 20/10 R - zur Veröffentlichung in [X.] 4-6480 Art 27 [X.] vorgesehen) gestellt hat, kann im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben. Denn solche Anträge hätten sich auch dann mit Erlass des Bescheids der Beklagten vom 19.11.2004 erledigt, wenn sie der Beklagten nicht bekannt waren. Denn dieser Bescheid ist mit Eintritt seiner Bestandskraft nach § 77 [X.]G "in der Sache" bindend geworden (vgl zur Bindungswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte bereits B[X.] vom [X.] - B[X.]E 18, 22, 26 = [X.] Nr 35 zu § 77 [X.]G). Nach der Rücknahme des Ablehnungsbescheids vom 19.11.2004 nach § 44 [X.]B X ist daher auch insoweit die rückwirkende Rentenzahlung durch § 44 [X.] 4 [X.]B X beschränkt.

7. a) Unerheblich ist, in welchem Maße rechtswidrig die ablehnenden ursprünglichen Entscheidungen der Beklagten und der Gerichte waren. Dass sie sich überhaupt als rechtswidrig erwiesen haben, ist bereits Voraussetzung der Anwendung der Vorschrift des § 44 [X.] 1 [X.]B X. Diese macht keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Graden der Rechtswidrigkeit. Jedenfalls kann keine Nichtigkeit (§ 40 [X.] 1 [X.]B X) der genannten Bescheide festgestellt werden. Es lag kein "besonders schwerwiegenden Fehler" vor, der "bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich" gewesen wäre; insbesondere lässt sich dies den Urteilen des B[X.] vom 2. und [X.] nicht entnehmen.

Im Übrigen führt noch nicht einmal die vom [X.] festgestellte Nichtigkeit eines verfassungswidrigen Gesetzes automatisch zur Rücknahme unanfechtbarer, auf diesem Gesetz beruhender Verwaltungsentscheidungen (§ 79 [X.] 2 [X.]G), geschweige denn zu rückwirkender Leistungsgewährung.

b) Auch der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) steht der Anwendung des § 44 [X.] 4 [X.]B X nicht entgegen. Denn § 44 [X.] 4 [X.]B X ist beim Vorliegen seiner Voraussetzungen ohne weiteres anwendbar, ohne dass der Leistungsträger eine Einrede zu erheben bräuchte und vor allem ohne dass gegen die Anwendung der Vorschrift der Einwand unzulässiger Rechtsausübung oder ein Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht werden könnte (B[X.] vom [X.] - B[X.]E 60, 158, 160 = [X.] 1300 § 44 [X.]; B[X.] vom [X.] - B[X.]E 62, 10, 14 = [X.] 2200 § 1254 [X.] [X.]8). Unerheblich ist, ob den Versicherungsträger an der Rechtswidrigkeit des nach § 44 [X.] 1 [X.]B X zurückgenommenen Verwaltungsakts ein Verschulden trifft (B[X.] vom 11.4.1985 - [X.] 1300 § 44 [X.]7, [X.] 1).

c) Zugunsten der [X.]lägerin wirkt sich schließlich nicht der vom [X.] zum Entschädigungsrecht entwickelte Grundsatz aus, dass eine Gesetzesauslegung, die möglich ist und dem Ziel entspricht, das zugefügte Unrecht so bald und so weit wie irgend möglich wiedergutzumachen, den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung verdient, die die Wiedergutmachung erschwert oder zunichte macht (stRspr, zB [X.] vom 22.11.1954 - IV ZR 107/54 - [X.], 55, 57; aus neuerer Zeit [X.] vom 22.2.2001 - [X.]/00 - [X.] 1956 § 35 [X.] unter [X.] c der Gründe; [X.] vom 1.12.1994 - [X.] - [X.] 1956 § 35 [X.] unter [X.] der Gründe).

Zwar ist hiervon bei der Auslegung einschlägiger Vorschriften auch das B[X.] ausgegangen (zB B[X.] vom 28.2.1984 - [X.] 5070 § 9 [X.] [X.]4; B[X.] vom 25.8.1982 - [X.] 5070 § 10 Nr 20 [X.]6; B[X.] vom 12.10.1979 - [X.] 5070 § 10a [X.]; B[X.] vom 26.10.1976 - [X.] 5070 § 9 [X.] S 3).

Die von der [X.]lägerin erstrebte Rechtsanwendung ist jedoch, wie bereits erläutert, nicht möglich:

Der Gesetzgeber hat mit dem [X.] zur Wiedergutmachung erlittenen Unrechts Rentenzeiten, die mit in einem Ghetto verrichteter Arbeit erworben wurden, unabhängig von weiteren Voraussetzungen (insbesondere nach dem [X.]) als Regelaltersrente zahlbar gemacht. Anders als etwa bei der Zuerkennung eines festen Entschädigungsbetrags handelt es sich damit bei den auf der Grundlage des [X.] gezahlten Leistungen um Renten, die dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem [X.]B VI folgen. Die aus dieser [X.]onzeption folgenden [X.]onsequenzen, wie etwa im vorliegenden Fall aus der Bestandskraft eines ablehnenden Bescheids, treten bei allen Renten ein. Sie widersprechen insbesondere nicht dem Wiedergutmachungsgedanken (s hierzu oben unter 3.).

d) Damit lässt sich auch kein anderes Ergebnis aus § 2 [X.] 2 Halbs 2 [X.]B I ableiten, wonach bei der Auslegung der Vorschriften des [X.]B "sicherzustellen (ist), dass die [X.] Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden". Im Übrigen enthält § 44 [X.]B X bereits eine [X.]onkretisierung des in dieser Vorschrift allgemein geregelten [X.] (B[X.] vom 31.5.1988 - B[X.]E 63, 214, 218 = [X.] 1300 § 44 [X.] S 95; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B I, [X.] § 2 RdNr 36, Stand Einzelkommentierung Dezember 2005).

8. Die Entscheidung über die [X.]osten beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 13 R 40/11 R

07.02.2012

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Düsseldorf, 24. März 2011, Az: S 26 R 1942/10, Urteil

§ 2 Abs 2 Halbs 2 SGB 1, § 77 Abs 2 S 1 Nr 2 Buchst b SGB 6, § 99 Abs 1 S 2 SGB 6, § 1 Abs 1 S 1 SGB 10, § 40 Abs 1 SGB 10, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 1 SGB 10, § 44 Abs 4 S 2 SGB 10, § 44 Abs 4 S 3 SGB 10, § 48 SGB 10, § 1 Abs 2 ZRBG, § 3 Abs 1 S 1 ZRBG, § 3 Abs 2 ZRBG, § 7 WGSVG, § 17c WGSVG, Art 3 Abs 1 GG, § 77 SGG, § 79 Abs 2 BVerfGG, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 07.02.2012, Az. B 13 R 40/11 R (REWIS RS 2012, 9432)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9432

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