Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.10.2014, Az. 9 AZR 956/12

9. Senat | REWIS RS 2014, 2034

ARBEITSRECHT ALLGEMEINES GLEICHBEHANDLUNGSGESETZ DISKRIMINIERUNG BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) URLAUB VERFAHREN

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Gegenstand

Urlaubsdauer - Staffelung nach dem Alter


Leitsatz

Gewährt ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern jährlich mehr Urlaubstage als den jüngeren, kann diese unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zulässig sein.

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 7. September 2012 - 6 Sa 709/11 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe des jährlichen Urlaubsanspruchs.

2

Die Beklagte stellt Schuhe her. Die am 10. April 1960 geborene Klägerin ist bei ihr seit dem 1. Juli 1994 als Produktionsmitarbeiterin beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 13. November 2000 ist [X.]. vereinbart, dass der jährliche Urlaubsanspruch 34 Arbeitstage beträgt. Die Beklagte gewährt allen Arbeitnehmern, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, 36 Arbeitstage Jahresurlaub, ohne dass individuelle Vereinbarungen über einen höheren Jahresurlaub vorliegen. Die übrigen Beschäftigten erhalten jährlich 34 Urlaubstage.

3

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Urlaubsregelung sei altersdiskriminierend. Die Behauptung, ältere Mitarbeiter benötigten im Produktionsbetrieb längere Erholungsphasen, sei durch die darlegungsbelastete Beklagte nicht dargetan. Das [X.] stelle bezüglich der Dauer des Urlaubs weder auf die physische Belastung noch auf das Alter der Arbeitnehmer ab. Die Beklagte habe keinen Grund genannt, warum ein gesteigertes Erholungsbedürfnis ausgerechnet mit 58 Jahren eintrete. Zudem könne mit lediglich zwei zusätzlichen Urlaubstagen ein etwaiger höherer [X.] nicht ausgeglichen werden. Bei einem stetig steigenden [X.] müsste jedenfalls auch die [X.] gestaffelt werden. Bei anderen Arbeitnehmergruppen sei ein erhöhter [X.] nachvollziehbar. Diese würden jedoch nicht begünstigt. So seien jüngere Arbeitnehmer durch Familie und Beruf oftmals stärker beansprucht als ältere. Die Beklagte habe ihr zur Beseitigung der Diskriminierung jährlich zwei weitere Urlaubstage zu gewähren.

4

Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr 36 Arbeitstage Erholungsurlaub zu gewähren.

5

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, ihre Urlaubsregelung beinhalte keine Diskriminierung. Nach der Lebenserfahrung benötigten ältere Arbeitnehmer, die körperlich ermüdende und schwere Arbeiten verrichten, längere Erholungszeiten als jüngere. Zwei zusätzliche Urlaubstage seien angemessen.

6

Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - abgewiesen. Das [X.] hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht erkannt, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, der Klägerin auch schon vor der Vollendung der 58. Lebensjahres insgesamt 36 Arbeitstage Erholungsurlaub pro Jahr zu gewähren.

8

I. Die Klage ist in der gebotenen Auslegung zulässig, insbesondere besteht das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.

9

1. Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Arbeitnehmer den Umfang des ihm zustehenden Urlaubs gerichtlich festgestellt wissen will, nicht entgegen ([X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 9, [X.]E 141, 73; 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 13 ff., [X.]E 137, 328).

2. Die am 10. April 1960 geborene Klägerin hat ein rechtlich anerkennenswertes Interesse daran, alsbald zu erfahren, ob ihr bereits vor der Vollendung ihres 58. Lebensjahres zwei weitere Urlaubstage pro Jahr zustehen. Ihr Antrag bezieht sich dem Wortlaut nach zwar auf den gesamten Jahresurlaub. Er kann jedoch so ausgelegt werden, dass er sich nur auf zwei weitere Urlaubstage im Kalenderjahr bezieht. Zwischen den Parteien besteht kein Streit, dass der Klägerin die vertraglich vereinbarten 34 Urlaubstage pro Jahr zustehen. Die Klägerin hat im Laufe des Verfahrens deutlich gemacht, dass der Antrag auf die Feststellung des Bestehens zweier zusätzlicher Urlaubstage gerichtet ist. Darüber hinaus hat das [X.] den Klageantrag zutreffend so verstanden, dass er vergangene Urlaubsjahre nicht erfasst. Es handelt sich um einen gegenwartsbezogenen Feststellungsantrag, für dessen Entscheidung grundsätzlich auf die Sachlage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem [X.] abzustellen ist (vgl. [X.] 15. Mai 2013 - 7 [X.] - Rn. 15 ff.).

II. Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen vor Vollendung ihres 58. Lebensjahres nicht gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 iVm. § 7 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] zwei weitere Urlaubstage zu. Die Urlaubsregelung ist nicht gemäß § 7 Abs. 2 [X.] unwirksam und führt somit bezüglich der Dauer des Urlaubs der Klägerin nicht zu einer „Anpassung nach oben“ (siehe dazu [X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 27 ff., [X.]E 141, 73; vgl. aber auch [X.] 14. Mai 2013 - 1 [X.] - Rn. 25, [X.]E 145, 113).

1. Es liegt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 [X.] vor. Diese ist jedoch gemäß § 10 Satz 1, 2 und Satz 3 Nr. 1 [X.] gerechtfertigt.

a) Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 [X.] dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 [X.] genannten Grundes benachteiligt werden. Unter Alter iSd. § 1 [X.] ist das Lebensalter zu verstehen. Dies folgt aus dem Wortlaut des Gesetzes und aus der Gesetzesbegründung ([X.]. 16/1780 S. 31; [X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 14, [X.]E 141, 73; 22. Januar 2009 - 8 [X.] - Rn. 36, [X.]E 129, 181). Eine unmittelbare Benachteiligung ist nach § 3 Abs. 1 [X.] gegeben, wenn eine Person wegen eines in § 1 [X.] genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Der für eine unmittelbare Benachteiligung erforderliche Kausalzusammenhang ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen oder mehrere in § 1 [X.] genannte Gründe anknüpft oder dadurch motiviert ist ([X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - aaO mwN).

b) Daran gemessen liegt eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Alters vor. Die Urlaubsregelung knüpft die Gewährung von zwei weiteren Urlaubstagen an die Vollendung des 58. Lebensjahres und damit unmittelbar an das Lebensalter der Beschäftigten. Arbeitnehmer, die diese Altersgrenze nicht erreicht haben, werden wegen ihres Alters ungünstiger behandelt.

c) Die Ungleichbehandlung ist jedoch gemäß § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.] gerechtfertigt. Die Regelung bezweckt bei Berücksichtigung eines Gestaltungs- und Ermessensspielraums der [X.] den in dieser Bestimmung genannten Schutz älterer Beschäftigter und ist geeignet, erforderlich und angemessen im Sinne von § 10 Satz 2 [X.].

aa) Nach § 10 Satz 1 [X.] ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 [X.] angemessen und erforderlich sein. § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.] konkretisiert ua. das legitime Ziel der Sicherstellung des Schutzes älterer Beschäftigter, wobei dieser Schutz auch die Festlegung besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließen kann ([X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 20, [X.]E 141, 73).

[X.]) § 10 [X.] dient der Umsetzung von Art. 6 der Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. [X.] 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) in das nationale Recht ([X.] 18. März 2014 - 3 [X.] - Rn. 21). Der Gesetzgeber hat bei der Umsetzung den Text der Richtlinie nahezu wörtlich in das nationale Recht übernommen. Dessen Regelungen sind unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit der Richtlinie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] auszulegen (vgl. [X.] 14. März 2012 - 7 [X.] - Rn. 30).

cc) Dem Arbeitgeber steht bei freiwilligen zusätzlichen Leistungen - wozu auch die Gewährung von übergesetzlichem Mehrurlaub gehört - ein von den Gerichten zu respektierender Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu (vgl. zu Leistungen der betrieblichen Altersversorgung: [X.] 12. November 2013 - 3 [X.] - Rn. 28; 12. Februar 2013 - 3 [X.] - Rn. 31 mwN, [X.]E 144, 231). Auch in der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass die Mitgliedstaaten und gegebenenfalls die Sozialpartner auf [X.] beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügen ([X.] 16. Oktober 2007 - [X.]/05 - [[X.]] Rn. 68, Slg. 2007, [X.]). Diese Erwägungen gelten nach dem [X.] auch für Ziele, die der Arbeitgeber mit einer vertraglichen Regelung verfolgt (vgl. [X.] 26. September 2013 - [X.]/11 - [[X.]] Rn. 61).

[X.]) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Benachteiligung der Arbeitnehmer der [X.], die das 58. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gerechtfertigt.

(1) Die Beklagte gewährt den Arbeitnehmern in ihrem Produktionsbetrieb nach der Vollendung des 58. Lebensjahres aufgrund ihres gesteigerten [X.] zwei weitere Urlaubstage im Kalenderjahr und bezweckt damit die Sicherstellung des Schutzes älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.]. Da dieser Schutz die Festlegung besonderer Arbeitsbedingungen einschließt ([X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 20, [X.]E 141, 73), unterfallen ihm auch zusätzliche Urlaubstage.

(a) Das [X.] definiert in § 10 Satz 3 Nr. 1 - ebenso wie Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/[X.] - nicht, wann ein Beschäftigter „älter“ im Sinne der Norm ist (vgl. zum herkömmlichen Verständnis: [X.] 18. September 2014 - 6 [X.] - Rn. 44). Nach dem Sinn und Zweck des [X.] reicht es ohne das Vorliegen anderer Differenzierungsgründe nicht aus, dass das Alter der begünstigten Arbeitnehmer höher ist als das Alter der nicht begünstigten. Dementsprechend hat der [X.] angenommen, ein Arbeitnehmer sei nach der Vollendung seines 31. Lebensjahres offensichtlich noch kein älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.] ([X.] 13. Oktober 2009 - 9 [X.] - Rn. 55, [X.]E 132, 210). Aus dem systematischen Zusammenhang mit § 10 Satz 1 [X.] und aus dem Regelungszweck folgt, dass die begünstigten Arbeitnehmer aufgrund ihres Alters der Förderung bei der beruflichen Eingliederung oder des Schutzes bedürfen müssen.

(aa) Der [X.] ist in seiner Entscheidung vom 20. März 2012 nicht davon ausgegangen, dass mit zunehmenden Alter das [X.] von Arbeitnehmern steige. Er hat allerdings ab einem bestimmten Alter - konkret: bei über 50- oder über 60-jährigen Beschäftigten - ein altersbedingt gesteigertes [X.] für „eher nachvollziehbar“ gehalten ([X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 24 f., [X.]E 141, 73).

([X.]) Das [X.] hat in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum als Erfahrungssatz angenommen, dass mit zunehmenden Alter das [X.] von Arbeitnehmern steigt (so auch [X.]/Stenslik DStR 2011, 1183, 1185 f.; [X.]/[X.] NZA 2007, 663, 666; [X.] NZA Beilage 3/2006, 138, 143 f.; [X.] NZA 2005, 1265, 1269; Over Das Verbot der Altersdiskriminierung im Arbeitsrecht nach dem [X.]; [X.]/[X.] 2014 Diskriminierung Rn. 90; vgl. auch [X.] 17. Januar 2014 - 14 [X.] - zu II 2 b cc (3) (a) der Gründe mwN). Diese Ansicht ist allerdings nicht unumstritten. So wird auf die Individualität der Alterungsprozesse und den fehlenden Nachweis von Altersklassen mit spezifischem [X.] hingewiesen ([X.]/[X.] 3. Aufl. § 1 Rn. 822). Die Aufstellung eines generellen Erfahrungssatzes soll dem traditionellen Bild vom „alten Arbeitnehmer“ entsprechen ([X.]/Bertzbach/[X.] 3. Aufl. § 10 Rn. 43). Auch wird hervorgehoben, dass der Gesetzgeber in § 3 [X.] bezüglich der Dauer des Urlaubs nicht nach dem Lebensalter der Arbeitnehmer unterscheide und demnach nicht von einem unterschiedlichen [X.] ausgehe ([X.] in [X.]/Falke [X.] § 10 Rn. 93). Auch auf [X.] sehe Art. 7 der Richtlinie 2003/88/[X.] vier Wochen Urlaub einheitlich für alle Berufsgruppen altersunabhängig vor (v. Roetteken [X.] Stand September 2014 § 10 Rn. 262). Verlangt wird zumindest die Darlegung eines empirischen Befunds zum steigenden [X.] unter Beachtung der Tätigkeit bevorzugter Arbeitnehmer ([X.]/Bertzbach/[X.] aaO; aA [X.] Altersdiskriminierung im [X.] Arbeitsrecht S. 185).

(b) Erfahrungssätze sind Hilfsmittel. Die Feststellung von allgemein anerkannten [X.] ist als Tatfrage den [X.] vorbehalten. Dabei ist es diesen nicht verwehrt, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Erfahrungssatzes zu beurteilen, wenn sie dazu über ausreichende Sachkunde und Lebenserfahrung verfügen. Andernfalls haben sie sich der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen. Die Zuziehung eines Sachverständigen zur Unterstützung des Gerichts ist gemäß § 144 Abs. 1 ZPO durch die Tatsachengerichte stets nach pflichtgemäßen Ermessen zu prüfen ([X.] 13. Oktober 2009 - 9 [X.] - Rn. 65 mwN, [X.]E 132, 210; vgl. allg. zu [X.]: [X.]/[X.]/[X.]/[X.] ZPO 73. Aufl. Einf. § 284 Rn. 22).

(c) [X.] nicht zu beanstanden ist, dass das [X.] von der Zuziehung eines Sachverständigen abgesehen hat. Dieses durfte aufgrund der von ihm festgestellten körperlich anstrengenden Tätigkeiten im Produktionsbetrieb der [X.] auch ohne Sachverständigengutachten annehmen, dass das [X.] der dort beschäftigten Arbeitnehmer mit zunehmenden Alter steigt. Ob es einen tätigkeitsunabhängigen generellen Zusammenhang zwischen dem [X.] und dem Alter gibt (so etwa [X.] aaO), kann dahinstehen.

(aa) Die Annahme eines Erfahrungssatzes dahin gehend, dass bei körperlich belastenden Berufen das [X.] im höheren Alter steigt, begegnet keinen Bedenken. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die physische Belastbarkeit mit zunehmendem Alter abnimmt (etwa [X.] 13. Oktober 2009 - 9 [X.] - Rn. 67 mwN, [X.]E 132, 210; [X.] 24. Oktober 2011 - 3 [X.] 08.721 - zu II 1 b der Gründe). Dieser Erfahrungssatz betrifft auch den [X.] von erreichtem Lebensalter und Krankheitsanfälligkeit ([X.] 17. Januar 2014 - 14 [X.] - zu II 2 b cc (3) (a) der Gründe mwN). Alle bekannten privaten und öffentlichen Systeme der Kranken-, Renten- und Lebensversicherung beruhen auf dieser Erwartung ([X.] 6. November 2008 - 2 [X.] - Rn. 54, [X.]E 128, 238). Entgegen der Ansicht der Klägerin kommen auch nicht lediglich Studien älteren Datums - wie etwa die [X.] Nr. 162 vom 23. Juni 1980 oder der [X.] „Aging and Working Capacity” (dt. Übersetzung: „[X.]“ 1994) - zu diesem Ergebnis. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden bestätigt zB durch den „Fortschrittsreport ‚Altersgerechte Arbeitswelt“, Ausgabe 3 des [X.] (Stand September 2013). Nach diesem hat sich zwar die körperliche Konstitution besonders für die Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen verbessert (Ziff. 3.1). Dennoch zeigt die Studie weiterhin ein Ansteigen der Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage sowie eine Verschlechterung des Gesundheitszustands mit fortschreitendem Lebensalter (Ziff. 4.2, Tabelle 2). Insbesondere bei belastenden Berufen nimmt die Anzahl krankheitsbedingter Fehltage im Alter überproportional zu und der Gesundheitszustand verschlechtert sich überproportional (vgl. Ziff. 4.2). Auch bei einfachen Dienstleistungen und einfachen manuellen Berufen verschlechtert sich der „selbstberichtete Gesundheitszustand in der Altersgruppe 55 bis 64 Jahre im Vergleich zum Durchschnitt“ immer noch deutlich (Ziff. 3.4). Zumindest hinsichtlich dieser Berufe erscheint die Annahme eines größeren [X.]s im erhöhten Alter als nicht fehlerhaft (ebenso [X.] 2012, 342, 343). Auch Gegner eines allgemeinen Erfahrungssatzes gestehen zu, dass bei gesundheitlich besonders belastenden Tätigkeiten ein gesteigerter [X.] mit zunehmendem Alter angenommen werden kann (v. Roetteken aaO; [X.]/Bertzbach/[X.] aaO; [X.]/[X.] § 1 Rn. 823).

Soweit das [X.] auf die teilweise geforderte Darlegung spezifischer empirischer Untersuchungen bezogen auf die Tätigkeiten im Produktionsbetrieb der [X.] verzichtet hat, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Durchführung derartiger Untersuchungen wäre praktisch aufwändig und schwierig (weiter gehend [X.] aaO: „unmöglich“). Eine übersteigerte Darlegungslast würde die Einführung freiwilliger Leistungen unzumutbar erschweren. Die Feststellungen durch das [X.], dass die Beschäftigten der [X.] bei der Schuhfertigung körperlich ermüdende und teils schwere Arbeiten leisten, verstärkt durch einen besonderen, prämienbezogenen Zeit- und Qualitätsdruck im Sinne eines Teamakkords, genügt danach als Tatsachenbasis für die Bejahung des dargestellten Erfahrungssatzes.

([X.]) Der Hinweis auf die fehlende Altersstaffelung in § 3 [X.] und Art. 7 der Richtlinie 2003/88/[X.] hilft der Klägerin für die Frage der Legitimität des Zwecks nicht weiter. Die Vorschriften regeln nur die Dauer des [X.] und damit das unterste Maß dessen, was nach [X.] und [X.] Urlaubsrecht unabhängig von individuellen Besonderheiten zur Erholung erforderlich ist. Spezifische Charakteristika - wie das Alter oder der physische oder psychische Gesundheitszustand - bleiben bei der Setzung eines einheitlichen Minimalstandards naturgemäß außer Betracht. Auf [X.] kommt hinzu, dass der Gesetzgeber durchaus gesehen hat, dass es altersabhängig einen unterschiedlichen [X.] geben kann, wie etwa § 57 Abs. 2 [X.] und § 19 Abs. 2 [X.] zeigen (siehe dazu v. Roetteken § 10 Rn. 263).

(d) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Sicherstellung des Schutzes ihrer Arbeitnehmer nach Vollendung des 58. Lebensjahres als Zweck der zwei weiteren Urlaubstage vorgeschoben hat.

(aa) Allerdings ist dieser Zweck nicht unmittelbar der - nicht schriftlich fixierten - Regelung zu entnehmen. Nennt eine Regelung oder Maßnahme kein Ziel, müssen zumindest aus dem Kontext abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter der Regelung oder der Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, um die Legitimität des Ziels sowie die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüfen zu können ([X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 19 mwN, [X.]E 141, 73; vgl. zur Richtlinie 2000/78/[X.]: [X.] 21. Juli 2011 - [X.]/10, [X.]/10 - [[X.] und [X.]] Rn. 39 mwN, Slg. 2011, I-6919).

([X.]) Wenn eine Tarifregelung die Urlaubsdauer nach dem Lebensalter staffelt, liegt die Annahme nahe, die Tarifvertragsparteien hätten einem mit zunehmendem Alter gesteigerten [X.] älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollen ([X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 23, [X.]E 141, 73). Diese Annahme darf freilich nicht durch die konkrete Wahl der Altersgrenze(n) widerlegt werden, wie dies bei § 26 [X.] aF, der zusätzliche Urlaubstage bereits ab dem 30. Lebensjahr vorsah, der Fall war ([X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 24 ff., aaO).

(cc) Es ist kein Grund ersichtlich, bei einer individualrechtlichen Regelung nicht ebenfalls grundsätzlich davon auszugehen, dass mit einer Altersgrenze für die Gewährung zusätzlichen Urlaubs einem gesteigerten [X.] älterer Arbeitnehmer Rechnung getragen werden soll. Diese Annahme erscheint umso mehr gerechtfertigt, wenn sie wie hier mit der Anerkennung eines Erfahrungssatzes bezüglich des gesteigerten [X.]s bei körperlich belastenden Berufen korreliert. Hinzu kommt, dass die ständige Übung der [X.] inhaltlich einer einschlägigen tarifvertraglichen Regelung entspricht. So sah der persönlich, fachlich und räumlich einschlägige Manteltarifvertrag vom 23. April 1997, abgeschlossen zwischen dem [X.] und der [X.] sowie der [X.], für gewerbliche Arbeitnehmer in § 17 Ziff. 4 Buchst. a ab dem 58. Lebensjahr ebenfalls zwei zusätzliche Urlaubstage vor. Diese Regelung war im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem [X.] nicht durch eine neue Bestimmung abgeändert.

([X.]) Schließlich widerlegt die Altersgrenze von 58 Lebensjahren nicht den Zweck, mit zwei weiteren Urlaubstagen im Kalenderjahr dem gesteigerten [X.] Rechnung zu tragen. Dabei kann dahinstehen, ab welchem Alter die Annahme, der zusätzliche Urlaub diene dem höheren [X.] älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.], nicht mehr ohne Weiteres aufrechterhalten bzw. als widerlegt erachtet werden kann. Der [X.] hat in der Entscheidung vom 20. März 2012 gemäß dem Rechtsgedanken aus § 417 Abs. 1 SGB III eine Altersgrenze von 50 Lebensjahren für die Einordnung als älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.] in Betracht gezogen ([X.] 20. März 2012 - 9 [X.] - Rn. 20, [X.]E 141, 73; vgl. zu einer solchen Altersgrenze für die Gewährung zusätzlicher Urlaubstage: [X.] 17. Januar 2014 - 14 [X.] -). Das [X.] hat ergänzend darauf verwiesen, dass Leitlinie 17 der Entscheidung des Rates vom 12. Juli 2005 über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (2005/600/[X.]) Arbeitskräfte ab Vollendung des 55. Lebensjahres als ältere Arbeitnehmer erachtet und die [X.] „[X.]“ aus arbeitsmedizinischer Sicht wegen auftretender Schwierigkeiten in Arbeit und Beruf eine Grenze ab dem 45. Lebensjahr angenommen hat (zu [X.] 15 b [X.] (3) (b) der Gründe). Das Berufungsgericht hat damit nachvollziehbar begründet, warum es davon ausgeht, dass die Urlaubsregelung einem legitimen Zweck iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.] dient und es diesen Zweck nicht lediglich als von der [X.] vorgeschoben erachtet.

(2) Die Regelung ist geeignet, den in § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.] beschriebenen Zweck zu fördern. Insbesondere kann die Klägerin nicht mit dem Argument gehört werden, dass die Gewährung von lediglich zwei Urlaubstagen ungeeignet sei, einen altersbedingt erhöhten [X.] auszugleichen. Die Geeignetheit ist nicht deshalb zu verneinen, weil ein gestiegener [X.] unter Umständen nicht vollständig, sondern nur partiell ausgeglichen wird. Gerade angesichts des vom Arbeitgeber bei einer freiwilligen Leistung selbst gesetzten [X.] wäre die Beschränkung auf einen Teilausgleich nachvollziehbar und zulässig. Zudem haben auch die Tarifvertragsparteien angesichts der Tätigkeit eines Produktionsmitarbeiters in der [X.] zwei Tage Urlaub für geeignet und ausreichend erachtet. Dass die Beklagte sich die von den Sozialpartnern ausgehandelte Regelung zu eigen macht und im Rahmen ihres Ermessensspielraums eine entsprechende Regelung trifft, ist unter dem Aspekt der Geeignetheit der Regelung nicht zu beanstanden.

(3) Die Regelung ist auch erforderlich und angemessen (§ 10 Satz 2 [X.]). Mildere Mittel, die in gleicher Weise den Schutz älterer Arbeitnehmer verwirklichen könnten, sind nicht ersichtlich.

(a) Die Wahl einer anderen, niedrigeren Altersgrenze stellte kein gleich wirksames, milderes Mittel mit geringerem altersspezifischen Effekt dar. Es handelte sich vielmehr um eine andere Maßnahme mit einem erhöhtem Dotierungsrahmen.

(b) Eine niedrigere Altersgrenze verbunden mit nur einem weiteren Urlaubstag im Kalenderjahr müsste zwar nicht zwingend zu einer Erhöhung des [X.] führen. Allerdings hätten dann Arbeitnehmer nach Vollendung des 58. Lebensjahres nicht mehr Anspruch auf den zweiten weiteren Urlaubstag, den die Beklagte im Einklang mit dem einschlägigen Tarifvertrag angesichts des gesteigerten [X.]s im höheren Alter in der Schuhproduktion für notwendig erachtet. Der Gestaltungs- und Ermessensspielraum der [X.] lässt auch im Rahmen der Erforderlichkeit und Angemessenheit die von ihr angewandte Regelung zu. Die Interessen der Beteiligten werden hinreichend berücksichtigt. Es werden lediglich in Übereinstimmung mit dem Abwägungsergebnis der Tarifvertragsparteien die Interessen der über 58-Jährigen an einem zusätzlichen Urlaubstag höher gewichtet als die Interessen der übrigen Beschäftigten, schon im jüngeren Alter einen zusätzlichen Urlaubstag zu erhalten.

(c) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Beklagte nicht verpflichtet, zusätzliche Urlaubstage nur nach dem individuell ermittelten [X.] unter Einbeziehung altersunabhängiger Belastungsfaktoren, wie der Pflege und Betreuung von Kindern, sowie unter Berücksichtigung des individuellen Alterungsprozesses zu gewähren. Zwar mag es zutreffen, dass es weitere Belastungsfaktoren gibt, die zu einem gesteigerten [X.] führen können. Jedoch wäre eine solche individuelle Regelung in vielerlei Hinsicht praktisch nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten handha[X.]ar. Dies gilt nicht nur bezüglich der Gewichtung der einzelnen (persönlichen) Belastungsfaktoren untereinander, sondern vor allem auch für deren Ermittlung durch die Beklagte. Auch der Gerichtshof der [X.] hat anerkannt, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Regelung im Hinblick auf das Verbot der Altersdiskriminierung zu beachten ist, dass die fragliche Regelung in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht handha[X.]ar bleiben müsse, und deshalb nicht generell verlangt werden könne, dass immer jeder Einzelfall individuell geprüft werde ([X.] 19. Juni 2014 - [X.]/12 ua. - [[X.] ua.] Rn. 78). Unter [X.] darf der Arbeitgeber daher im Sinne einer typisierenden Betrachtung in Ausübung seines Gestaltungsspielraums auch einen Grund für ein gesteigertes [X.] - wie etwa das Alter in belastenden Berufen - als Differenzierungskriterium heranziehen. § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.] enthält kein Gebot, die dort genannten typischerweise besonders schutzbedürftigen Personengruppen (Jugendliche, ältere Beschäftigte und Personen mit Fürsorgepflichten) hinsichtlich besonderer Arbeitsbedingungen gleich zu behandeln.

2. Aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz folgt ebenfalls kein Anspruch der Klägerin auf die begehrten zwei zusätzlichen Urlaubstage. Ist - wie hier - die unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmergruppen aus einem in § 1 [X.] genannten Grund unter den im [X.] normierten Voraussetzungen zulässig, ist auch der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt (ebenso bezüglich des betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes: [X.] 17. September 2013 - 3 [X.] - Rn. 25 mwN). Eine sachwidrige Ungleichbehandlung kommt angesichts der Rechtfertigung gemäß § 10 Satz 3 Nr. 1 [X.] nicht in Betracht.

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Klose    

        

        

        

    M. Lücke    

        

    [X.]    

                 

Meta

9 AZR 956/12

21.10.2014

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Koblenz, 18. Oktober 2011, Az: 8 Ca 1361/11, Urteil

§ 1 AGG, § 3 AGG, § 7 AGG, § 10 S 1 AGG, § 10 S 2 AGG, § 10 S 3 Nr 1 AGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.10.2014, Az. 9 AZR 956/12 (REWIS RS 2014, 2034)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 1324 REWIS RS 2014, 2034

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 Sa 200/15

2 Sa 193/15

2 Sa 198/15

2 Sa 195/15

2 Sa 197/15

2 Sa 194/15

2 Sa 192/15

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