Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2018, Az. 3 StR 645/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 13691

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Gegenstand

Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wegen einer Betäubungsmittelstraftat: Anforderungen an die tatrichterliche Feststellung eines Hangs zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des [X.] in [X.] vom 12. Oktober 2017

a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist,

b) im Ausspruch über die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis dahin neu gefasst, dass die Verwaltungsbehörde angewiesen wird, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen und ihm vor Ablauf dieser [X.] das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, nicht wieder zu erteilen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; zudem hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, "dem Angeklagten vor Ablauf von 12 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen und ihm vor Ablauf dieser [X.] das Recht von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen wieder zu erteilen". Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs weist das Urteil keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Trotz der zweifelhaften Bewertung von MDMA als "harte Droge" (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Februar 1999 - 5 [X.], juris Rn. 2; zum [X.] in Körner/[X.]/[X.], BtMG, 8. Aufl., [X.]. zu §§ 29 ff. Rn. 213 mwN; [X.], BtMG, 5. Aufl., § 1 Rn. 364 mwN) hat der Strafausspruch Bestand, da die verhängte Rechtsfolge jedenfalls angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Auch die Überprüfung der Entscheidung zur Maßregel nach § 69a Abs. 1 Satz 1, § 69b Abs. 1 Satz 3, § 69 Abs. 1 StGB hat keinen Rechtsfehler ergeben; der Senat hat jedoch den Ausspruch über die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis wegen eines offensichtlichen Schreibversehens des [X.]s neu gefasst und um das Wort "nicht" ergänzt.

3

2. Die Entscheidung des [X.]s, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abzusehen, begegnet hingegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

4

a) Nach den Feststellungen des [X.]s konsumierte der Angeklagte "nach seinen Angaben" zunächst gelegentlich und seit dem Verlust seines Arbeitsplatzes vor etwa eineinhalb Jahren zunehmend Kokain, gelegentlich auch Heroin und vermehrt Alkohol, ohne dass es "zu einer verfestigten Regelmäßigkeit gekommen sei". In finanziell bedrängter Lage nutzte er seine Kontakte in die [X.], um sich als Kurier an einem größeren Betäubungsmittelgeschäft zu beteiligen. Nachdem er am Morgen des Tattages Heroin, Kokain und Alkohol "in den für ihn üblichen Bereichen" konsumiert hatte, transportierte er am Nachmittag - unter dem Einfluss der Rauschmittel, indes ohne erhebliche Beeinträchtigung seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit - im Kofferraum seines PKW 1.703,5 g einer MDMA-Zubereitung mit einem Wirkstoffanteil von 369 g [X.] und 1.924,75 g Haschisch mit einem Wirkstoffanteil von ca. 273 g THC aus [X.] über die Grenze in das [X.], wo die Drogen gewinnbringend verkauft werden sollten. Über eine zum Führen des Kraftfahrzeugs erforderliche Fahrerlaubnis verfügte der Angeklagte nicht. Nach seiner Inhaftierung stellte er "nach eigenen Angaben" den [X.] von [X.] ein; ernsthafte Entzugserscheinungen habe er nicht gehabt.

5

Die [X.] hat - ohne einen Sachverständigen beizuziehen - einen Hang des Angeklagten zum übermäßigen [X.] von [X.] verneint und hierzu ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der "weitgehend vage gebliebenen Angaben des Angeklagten" dazu nicht mehr als eine bloße Neigung zum Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum erkennbar sei.

6

b) Zu dem [X.]verhalten des Angeklagten fehlt es bereits an hinreichenden Feststellungen. Die Ausführungen des [X.]s lassen zudem besorgen, dass es seiner Entscheidung ein fehlerhaftes Verständnis des Begriffs "Hang" im Sinne des § 64 StGB zugrunde gelegt hat.

7

aa) Hinsichtlich des Rauschmittelkonsums des Angeklagten sind die Feststellungen lückenhaft, weil das Urteil insoweit lediglich mitteilt, wie sich der Angeklagte dazu eingelassen hat; es fehlt indes an einer Darlegung, von welchem Ausmaß des [X.]s sich die [X.] überzeugt hat. Auch im Rahmen der Begründung der Maßregelentscheidung verweist die [X.] nur auf die weitgehend vage gebliebenen Angaben des Angeklagten und darauf, dass er diese auf Nachfrage nicht habe ergänzen wollen, ohne hinreichende eigene Feststellungen zu treffen.

8

bb) Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von [X.] ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12. Januar 2017 - 1 StR 587/16, juris Rn. 9; vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15, juris Rn. 7; Urteile vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, [X.], 210; vom 15. Mai 2014 - 3 [X.], juris Rn. 10). Wenngleich erheblichen Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen und in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hangs aus ([X.], Beschlüsse vom 10. November 2015 - 1 [X.], [X.], 113, 114; vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15, juris Rn. 6; vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, [X.], 198, 199). Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht entgegen ([X.], Beschlüsse vom 12. April 2012 - 5 [X.], [X.], 271; vom 30. März 2010 - 3 [X.], [X.], 216). Er setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen, wenn der Täter von [X.] zu [X.] oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt ([X.], Beschluss vom 7. Januar 2009 - 5 [X.], [X.], 137).

9

Eine die aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe in den Blick nehmende Gesamtwürdigung lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Zudem lässt die Erwägung, bei dem Angeklagten sei (aufgrund seiner Angaben) nicht mehr als eine "bloße Neigung zum Betäubungsmittel- und Alkoholmissbrauch" erkennbar geworden, besorgen, dass die [X.] rechtsirrig die nach der mitgeteilten Einlassung des Angeklagten naheliegende eingewurzelte Neigung, immer wieder harte Drogen (Kokain und Heroin) sowie Alkohol zu konsumieren, als nicht ausreichend erachtet hat. Dieser hat (unwiderlegt) angegeben, seit längerer [X.] und seit eineinhalb Jahren zunehmend Rauschmittel konsumiert zu haben, und stand - positiv festgestellt - auch zum Tatzeitpunkt "in den für ihn üblichen Bereichen" unter dem Einfluss von Kokain, Heroin und Alkohol. Angesichts dieses [X.]verhaltens erscheint der Angeklagte ersichtlich sozial gefährdet und - wie das Fahren unter Einfluss von [X.] und die Kuriertätigkeit zeigen - gefährlich. Demgegenüber kommt dem vom [X.] hervorgehobenen Fehlen ernsthafter Probleme oder Entzugserscheinungen in der Untersuchungshaft nur eingeschränkte Aussagekraft zu; soweit auf die Abstinenz des Angeklagten nach der Inhaftierung abgestellt wird, ist überdies nicht ersichtlich, dass diese als vom Angeklagten ausgehend zu werten ist und der Annahme eines Hangs entgegensteht.

c) Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil im Hinblick auf die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt. Angesichts dessen, dass der Angeklagte sich in finanziellen Schwierigkeiten befand, ist es wahrscheinlich, dass er die Taten jedenfalls auch begangen hat, um den mitgeteilten Eigenkonsum befriedigen zu können; der erforderliche symptomatische Zusammenhang liegt daher nahe. Die Begehung weiterer Betäubungsmitteldelikte ist nach dem geschilderten [X.]verhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen. Gleiches gilt bezüglich einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel für den bisher nicht therapierten Angeklagten.

3. In der neuen Verhandlung wird die Vernehmung eines Sachverständigen erforderlich sein (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO).

[X.]     

      

Spaniol     

      

Tiemann

      

Berg     

      

Hoch     

      

Meta

3 StR 645/17

20.02.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kleve, 12. Oktober 2017, Az: 223 KLs 19/17

§ 27 StGB, § 64 StGB, § 246a Abs 1 S 2 StPO, § 261 StPO, § 267 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2018, Az. 3 StR 645/17 (REWIS RS 2018, 13691)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13691

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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