Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.11.2022, Az. VIa ZR 737/21

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 6743

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Gegenstand

Revisionsverfahren: Revisionsprüfung des Berufungsurteils unter Offenlassung der Berufungszulässigkeit


Leitsatz

Die Zulässigkeit der Berufung kann offenbleiben, wenn das Revisionsgericht formell rechtskräftig abschließend auf ihre Unbegründetheit erkennen kann, ohne dass schutzwürdige Interessen der Parteien entgegenstehen (Fortführung von BGH, Urteil vom 2. Februar 2010 - VI ZR 82/09, NJW-RR 2010, 664 Rn. 4).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird unter Verwerfung ihres weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 16. Dezember 2021 insoweit aufgehoben, als die Beklagte auf den Berufungsantrag zu 3 zur Zahlung von 1.029,35 € für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung des [X.] gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des [X.] vom 23. November 2020 zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 30 % und die Beklagte zu 70 %.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 31. März 2015 bei der Beklagten ein Neufahrzeug des Typs [X.] zum Kaufpreis von 30.132,75 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe [X.] ausgestattet. Der Motor enthielt eine Software, die auf dem Prüfstand vom regulären [X.] 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselte (Umschaltlogik).

3

Mit seiner im August 2020 erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das klageabweisende landgerichtliche Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des [X.], einer Rechtsanwaltsgesellschaft, als elektronisches Dokument zugestellt worden. Anschließend ist ein auf den 24. November 2020 datiertes elektronisches Empfangsbekenntnis, das die Rechtsanwaltsgesellschaft als Zustellungsempfänger ausweist, zu den Akten gelangt. Auf die am Montag, den 28. Dezember 2020, bei dem Berufungsgericht eingegangene Berufung des [X.], bei deren Einlegung der Prozessbevollmächtigte des [X.] das Zustellungsdatum mit dem 25. November 2020 angegeben hat, hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 11.554,81 € Restschadensersatz nebst [X.] um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Prozesszinsen verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ursprünglich ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung des [X.] unter Beschränkung auf die Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen weiterverfolgt. Auf den Hinweis, dass die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt sein dürfte, hat die Beklagte ihren Antrag dahingehend erweitert, dass sie insgesamt Wiederherstellung des [X.] erstinstanzlichen Urteils begehre.

Entscheidungsgründe

4

Die statthafte (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 16 ff.; Urteil vom 21. März 2022 - [X.], [X.], 745 Rn. 7) Revision der [X.] führt allein im Umfang der ursprünglichen Antragstellung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung des [X.]. Soweit die [X.] ihren Revisionsangriff mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2022 erweitert hat, ist die Revision als unzulässig zu verwerfen.

A.

5

Die Erweiterung der Revisionsanträge durch die [X.] ist unzulässig, weil es insoweit an einer rechtzeitigen Begründung gemäß § 551 Abs. 2 ZPO fehlt. Entsprechend ist der Senat daran gehindert, von Amts wegen die Zulässigkeit der Berufung in Bezug auf die nachträglich angegriffene Verurteilung gemäß der Hauptforderung zu überprüfen.

I.

6

Der Umfang der Anfechtung des Berufungsurteils und der Umfang der amtswegigen Prüfung von Prozessfortführungsbedingungen werden durch Revisionsantrag und Revisionsbegründung bestimmt (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 1987 - [X.], NJW-RR 1988, 66). Die Zulässigkeit der Berufung als Prozessfortsetzungsbedingung ist vom Revisionsgericht mithin nur im Umfang der Devolution gemäß § 557 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen (vgl. [X.]/[X.], 6. Aufl., § 557 Rn. 26). Zwar setzt ein gültiges und rechtswirksames Verfahren vor dem Revisionsgericht grundsätzlich neben der Zulässigkeit der Revision voraus, dass das erstinstanzliche Urteil durch eine zulässige Berufung angegriffen worden ist. [X.] jedoch eine trotz der fehlenden Zulässigkeit der Berufung ergangene Sachentscheidung des Berufungsgerichts in Rechtskraft, setzt sich diese Rechtskraft auch im Revisionsverfahren gegenüber der ursprünglichen Unzulässigkeit der Berufung durch ([X.], Urteil vom 30. November 1995 - [X.], NJW 1996, 527, 528; Urteil vom 13. Juni 2001 - [X.], NJW-RR 2001, 1572, 1573).

7

Der Revisionsantrag, der die Reichweite der amtswegigen Prüfung bestimmt, kann in der mündlichen Verhandlung nur noch geändert, insbesondere erweitert werden, sofern sich die Erweiterung im Bereich des Anspruchs hält, der den Gegenstand der Revisionsbegründung bildet (vgl. nur [X.], Urteil vom 17. Juni 2021 - [X.]/19, NJW-RR 2021, 1141 Rn. 14 mwN). Insoweit muss der dem Revisionsgericht innerhalb der [X.] unterbreitete [X.] unverändert bleiben, d.h. der durch die Begründung zur Beurteilung stehende Sachverhalt muss auch den erweiterten Antrag tragen (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 1953 - [X.], [X.]Z 12, 52, 67 f.; Urteil vom 24. Oktober 1984 - [X.], NJW 1985, 3079 f.).

II.

8

An dieser Voraussetzung fehlt es.

9

1. Die [X.] hat ihren mit der Revisionsbegründung angekündigten Antrag auf Aufhebung des Berufungsurteils hinsichtlich der Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten darauf gestützt, dass der Restschadensersatzanspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB einen entsprechenden Vermögensnachteil des [X.] nicht umfasse, weil er nicht zu einer entsprechenden Vermögensmehrung bei der [X.] geführt habe, und auch für einen Anspruch in dieser Höhe aus Verzug nichts ersichtlich sei.

2. Diesen zulässig auf einen selbständig abgrenzbaren Teil des Streitstoffs beschränkten Revisionsangriff hat die [X.] nicht nachträglich wirksam auf die dem Kläger zuerkannte Hauptforderung erstreckt. Zwar kann der Revisionsangriff bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz noch erweitert werden. Die Erweiterung muss sich aber im Rahmen der Revisionsbegründung bewegen (vgl. nur [X.], Urteil vom 6. Oktober 1987 - [X.], NJW-RR 1988, 66). Das ist hier nicht der Fall. Die Einwände, die die [X.] gegen ihre Verurteilung zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten innerhalb der [X.] in ihrer Revisionsbegründung vorgebracht hat, betreffen nicht ihre Verurteilung in der Hauptsache. Die im Schriftsatz vom 27. Oktober 2022 angeführte Begründung, der Kläger habe die Berufungsfrist nicht gewahrt, hat die [X.] erst nach Ablauf der [X.] gegeben. Eine Wiedereinsetzung in die [X.] zur Ergänzung ihres Vorbringens, die die [X.] im Übrigen nicht beantragt hat, wäre ihr nicht zu gewähren. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzte gemäß § 233 Satz 1 ZPO die Versäumung der [X.] als solcher voraus. Die Frist zur Revisionsbegründung ist hier eingehalten worden. Für eine nachträgliche inhaltliche Ergänzung einer an sich fristgerecht eingereichten Rechtsmittelbegründung kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden ([X.], Beschluss vom 9. Januar 2018 - [X.], NJW-RR 2018, 490 Rn. 58; Beschluss vom 17. Dezember 2020 - [X.], [X.], 285 Rn. 373; Beschluss vom 5. September 2022 - [X.], juris).

B.

Im Umfang der zulässigen Anfechtung hat die Revision Erfolg. Insoweit unterliegt das Berufungsurteil der Aufhebung und weist der Senat die Berufung des [X.] zurück (§§ 562, 563 Abs. 3 ZPO).

I.

Das Berufungsgericht, das von der Richtigkeit des vom Prozessbevollmächtigten des [X.] in der Berufungsschrift angegebenen [X.] ausgegangen ist und die Berufung entsprechend als zulässig behandelt hat, hat seine Entscheidung auch, soweit es dem Berufungsantrag zu 3 entsprochen hat, damit begründet, der Kläger habe gegen die [X.] einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB. Dieser Anspruch sei zwar nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht durchsetzbar. Dem Kläger stehe aber gegen die [X.] in dem vorliegenden Fall eines Neuwagenkaufs ein Restschadensersatzanspruch aus § 852 Satz 1 BGB zu. Im Hinblick auf das vorgerichtliche Aufforderungsschreiben vom 15. Juni 2020 könne der Kläger von der [X.] auch Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.

II.

Die dagegen gerichtete Revision der [X.] hat Erfolg.

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Berufung des [X.] mangels Einhaltung der Frist des § 517 ZPO unzulässig ist und, worüber allerdings zunächst das Berufungsgericht zu entscheiden hätte (vgl. [X.], Urteil vom 3. Juni 1987 - [X.], [X.]Z 101, 134, 141; Beschluss vom 7. Oktober 1981 - [X.], [X.], 95, 96; Beschluss vom 26. Februar 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 702 Rn. 2), trotz des Ablaufs der Jahresfrist nach § 234 Abs. 3 ZPO (vgl. [X.], Urteil vom 15. Dezember 2010 - [X.], NJW 2011, 522 Rn. 37) auf Antrag Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu gewähren wäre. Zwar stellt die Zulässigkeit der Berufung als Prozessfortsetzungsbedingung eine Sachverhandlungs- und Sachurteilsvoraussetzung dar, die auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist, und ist das Revisionsgericht dabei an die Würdigung der Vorinstanz nicht gebunden ([X.], Urteil vom 27. Februar 2018 - [X.], NJW 2018, 1689 Rn. 14; vgl. auch [X.], Urteil vom 31. Januar 1952 - [X.], [X.]Z 4, 389, 395 f., Urteil vom 26. Juni 1952 - [X.], [X.]Z 6, 369, 370; Urteil vom 3. Juni 1987- [X.], [X.]Z 101, 134, 136; Urteil vom 30. September 1987 - [X.], [X.]Z 102, 37, 38; Urteil vom 10. Februar 2011 - [X.], NJW 2011, 926 Rn. 7; Beschluss vom 26. Februar 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 702 Rn. 3). Da die auf den 28. Dezember 2020 datierte Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht erst an diesem Tag, einem Montag, und nach dem 24. Dezember 2020, einem Donnerstag, eingegangen ist, ist die Frist des § 517 ZPO nicht gewahrt (vgl. [X.], NJW 1993, 1941; zu [X.], [X.], 1124 Rn. 6 ff.; [X.], [X.], 1353).

Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels kann aber offenbleiben, wenn zwischen seiner Verwerfung als unzulässig und seiner Zurückweisung als unbegründet weder hinsichtlich der [X.] noch hinsichtlich der Anfechtbarkeit der Rechtsmittelentscheidung Unterschiede bestehen ([X.], Urteil vom 2. Februar 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 664 Rn. 4; vgl. auch [X.], Beschluss vom 30. März 2006 - [X.], NJW-RR 2006, 1346, 1347) oder das Revisionsgericht formell rechtskräftig abschließend auf die Unbegründetheit der Berufung erkennen kann, ohne dass schutzwürdige Interessen der Parteien entgegenstehen. Diese Voraussetzung ist hier gegeben.

2. Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB umfasst, wie das Berufungsgericht noch zutreffend gesehen hat, auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als weitere Schadensposition (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.], 742 Rn. 20). Im Rahmen des Restschadensersatzanspruchs gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB besteht dann allerdings entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts kein Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da die vorgerichtliche Anwaltstätigkeit zu keiner Mehrung des Vermögens der [X.] geführt hat ([X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 77; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], aaO, Rn. 21). Außerdem sind die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs unter dem Gesichtspunkt des [X.] gemäß § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 BGB nicht erfüllt. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen befand sich die [X.] vor Ablauf der mit dem anwaltlichen Schreiben vom 15. Juni 2020 gesetzten Frist zur Erstattung des Kaufpreises nicht in Verzug. Die Kosten der den Verzug begründenden Mahnung stellen keinen Schaden infolge des Verzugs dar ([X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], aaO, Rn. 78; Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], aaO, Rn. 22).

[X.]     

      

Möhring     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 737/21

07.11.2022

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 16. Dezember 2021, Az: 1 U 387/20

§ 517 ZPO, § 557 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.11.2022, Az. VIa ZR 737/21 (REWIS RS 2022, 6743)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6743

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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