Bundessozialgericht, Beschluss vom 02.10.2015, Az. B 9 V 46/15 B

9. Senat | REWIS RS 2015, 4480

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Untersuchungsgrundsatz - übergangener Beweisantrag - Unzulässigkeit von Beweisausforschungs- und Beweisermittlungsanträgen - Gewaltopferentschädigung - feindselige Willensrichtung des behandelnden Arztes - Darlegungsanforderungen - sozialgerichtliches Verfahren - Übernahme klägerischer Formulierungen in die Beschwerdebegründung durch den Prozessbevollmächtigten


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 16. April 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt Leistungen der Opferentschädigung wegen einer nach ihrer Ansicht fehlerhaften orthopädischen Behandlung ihrer Skoliose in der ehemaligen [X.].

2

Ihren im Jahr 2013 beim Beklagten erfolglos gestellten Antrag auf Beschädigtenversorgung begründete die Klägerin mit der Behauptung, die sie in den Jahren 1986-1990 behandelnden Ärzte hätten notwendige Behandlungen unterlassen und sie über bestehende Behandlungsmöglichkeiten getäuscht (Bescheid vom 14.10.2013, Widerspruchsbescheid vom 4.12.2013).

3

Das [X.] hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen, weil es an einem Angriff im Sinne des § 1 OEG fehle (Gerichtsbescheid vom 24.6.2014).

4

Mit dem angefochtenen Urteil hat das L[X.] die Berufung zurückgewiesen. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die seinerzeit an der Klägerin durchgeführte Behandlung in feindseliger [X.]ensrichtung erfolgt wäre und daher einen Angriff im Sinne von § 1 OEG darstellen könne. Der anderslautende Vortrag der Klägerin sei unsubstantiiert und erschöpfe sich in Mutmaßungen, die dem Gericht keinen Anlass für weitere Ermittlungen böten. Unabhängig davon sei ein etwaiges Fehlverhalten der behandelnden Ärzte auch nicht kausal für die gesundheitliche Schädigung der Klägerin, weil sie von sich aus von einer möglichen [X.] abgesehen habe (Urteil vom 16.4.2015).

5

Mit ihrer gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil erhobenen Beschwerde macht die Klägerin als Verfahrensmangel geltend, das Berufungsgericht sei ihren Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Die Klägerin führt persönlich aus, das Gericht habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der behauptete Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

7

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] Halbs 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. [X.] die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 [X.]G), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, ordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnen, dem das L[X.] nicht gefolgt ist.

8

Die Klägerin hat nicht dargelegt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl B[X.] [X.] 4-1500 § 160a [X.] RdNr 6 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu bezeichnen und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ausreichend zu begründen ([X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 2014, § 160a [X.] mwN). Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl B[X.] Urteil vom 19.10.2011 - [X.] R 33/11 R - NZS 2012, 230; B[X.] Beschluss vom 19.11.2009 - [X.] R 303/09 B - BeckRS 2010, 65789 = Juris RdNr 12). Das gilt insbesondere für Beweisanträge, die so unbestimmt bzw unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll bzw die allein den Zweck haben, dem [X.], der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen. Sie sind als Beweisausforschungs- bzw -ermittlungsanträge auch im vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig (B[X.] Urteil vom 19.10.2011 - [X.] R 33/11 R - NZS 2012, 230 f mwN; [X.] vom 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - DVBl 1993, 1002).

9

So läge es mit einem von der Beschwerde sinngemäß angeführten Beweisbegehren der Klägerin mit dem Ziel, die seinerzeit behandelnde Ärztin als Zeugin zu vernehmen. Nach der Beschwerdebegründung hat das L[X.] nämlich keine Anhaltspunkte für eine feindselige [X.]ensrichtung gesehen. Tatsächlich hat das L[X.] in seinem Urteil im Einzelnen begründet, warum es die Behauptung der Klägerin, die Ärztin habe sie jahrelang ohne objektive und subjektive Heilungsabsicht in feindseliger [X.]ensrichtung behandelt, als unsubstantiiert, dh nicht auf greifbare Anhaltspunkte gestützt, angesehen und eine Beweiserhebung zur Erforschung dieser Behauptung abgelehnt hat. Unter anderem hat das L[X.] angesichts des Vorwurfs, die behandelnde Orthopädin habe aus rein finanziellem Interesse gehandelt, nachvollziehbar auf die allgemein bekannte staatliche Struktur des Gesundheitswesens in der [X.] verwiesen und es als Mutmaßung bezeichnet, die Ärztin könne gegen ihren [X.]en gezwungen worden sein, ohne Abschluss in der orthopädischen Sprechstunde zu arbeiten, um Straftaten für Dritte auszuüben (Regierung, Behörden, westliche Pharmakonzerne). Mit dieser stichhaltigen Begründung des L[X.] setzt sich die Beschwerde nicht ausreichend auseinander.

Soweit die Beschwerde geltend macht, das L[X.] hätte ein orthopädisches Gutachten zur Frage einholen müssen, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliege, so fehlt es im Übrigen an der Darlegung, warum es auf diese unter Beweis gestellte Frage vom maßgeblichen Rechtsstandpunkt des L[X.] überhaupt ankam, weil das Berufungsgericht jedenfalls eine für einen Anspruch nach § 1 OEG erforderliche feindselige Angriffshandlung aus rein eigensüchtigen Motiven (vgl B[X.] Urteil vom [X.] [X.] - B[X.]E 106, 91-101 = [X.] 4-3800 § 1 [X.]) ausgeschlossen hat.

Das umfangreiche weitere Vorbringen der Beschwerde ist schon formell unzulässig und unbeachtlich. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sich im zweiten Teil ihrer Beschwerdeschrift darauf beschränkt, deren in [X.] gehaltenen Vortrag unkommentiert und unter Beibehaltung von Stil und Duktus zum Inhalt ihres Schriftsatzes zu machen ("Die Beschwerdeführerin wünscht ausdrücklich, folgende Ausführungen zu machen"). Dies wird dem Vertretungserfordernis des § 73 Abs 4 [X.]G nicht gerecht. Auch bei der Nichtzulassungsbeschwerde soll der von § 160a [X.]G festgelegte Begründungszwang eine sorgfältige Vorbereitung des Verfahrens gewährleisten und den Prozessbevollmächtigten anhalten, die Rechtslage gewissenhaft zu prüfen, um von aussichtslosen Beschwerden abzusehen. Daher muss die vom Prozessbevollmächtigten unterzeichnete Beschwerdebegründung aus sich heraus erkennen lassen, dass er den [X.] überprüft hat und die volle eigene Verantwortung für den Inhalt der Beschwerdebegründung übernimmt. Zum Nachweis hierfür genügt nicht die im Wesentlichen unveränderte Übernahme einer vom nicht postulationsfähigen Kläger verfassten Begründung wie im Fall der vorliegenden Beschwerde (vgl B[X.] [X.] 1500 § 160 [X.] mwN).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 9 V 46/15 B

02.10.2015

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Altenburg, 24. Juni 2014, Az: S 8 VE 4248/13, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG, § 73 Abs 4 SGG, § 1 OEG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 02.10.2015, Az. B 9 V 46/15 B (REWIS RS 2015, 4480)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4480

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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