Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 09.12.2020, Az. 1 BvR 2734/20

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2020, 3154

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zum Merkmal der öffentlichen Zugänglichkeit des Ortes einer Versammlung - hier: unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Verbot einer Versammlung, die auf einer ehemaligen Ackerfläche im Trassenbereich einer geplanten Autobahn stattfinden sollte - mangelnde Darlegungen zur öffentlichen Zugänglichkeit des Versammlungsortes


Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt … aus … wird abgelehnt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

1

1. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da der Beschwerdeführer sie nicht in einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] entsprechenden Weise begründet hat.

2

a) Hinsichtlich der Verfügung des [X.] vom 31. August 2020, des Beschlusses des [X.] vom 8. September 2020 und des Beschlusses des [X.] vom 11. September 2020 ist die Verfassungsbeschwerde mangels schlüssiger Darlegung der Einhaltung der in § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] normierten Beschwerdefrist unzulässig.

3

Zu den Anforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] gehört es, dass ein Beschwerdeführer auch die Einhaltung der Verfassungsbeschwerdefrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] schlüssig darlegt, sofern sich dies nicht bereits ohne weiteres aus vorgelegten Unterlagen ergibt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Juli 2018 - 2 BvR 1548/14 -, Rn. 15 m.w.N.).

4

Der Beschluss des [X.], mit dem die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den die Feststellung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO ablehnenden Beschluss des [X.] vom 8. September 2020 zurückgewiesen wurde, datiert vom 11. September 2020. Hinsichtlich des Zugangs dieses Beschlusses trägt der Beschwerdeführer lediglich vor, dass ihm am Abend des 11. September 2020 eine Abschrift dieses Beschlusses ohne Begründung zugesandt worden sei. Der begründete, vollständige Beschluss sei dann "später" gefolgt. Damit ist nicht ersichtlich, dass insoweit durch die am 7. Dezember 2020 eingelegte Verfassungsbeschwerde die in § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] bestimmte Monatsfrist eingehalten ist.

5

Die nachfolgenden, auf den Abänderungsantrag des Beschwerdeführers nach § 80 Abs. 7 VwGO hin ergangenen Entscheidungen des [X.] vom 23. November 2020 und des [X.] vom 3. Dezember 2020 sind für den Beginn der Beschwerdefrist hinsichtlich der vorstehend bezeichneten Entscheidungen unerheblich, da das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO gegenüber dem Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ein neues, selbständiges Verfahren darstellt (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], VwGO, § 80 Rn. 548 [September 2011] m.w.N.).

6

b) Hinsichtlich der auf den Abänderungsantrag des Beschwerdeführers nach § 80 Abs. 7 VwGO hin ergangenen Beschlüsse ist die Verfassungsbeschwerde gleichfalls mangels einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] genügenden Begründung unzulässig.

7

Zur Begründung der Verfassungsbeschwerde gehört, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung seiner Grundrechte substantiiert darlegt (vgl. [X.]E 123, 267 <329>; [X.]K 20, 327 <329>; Beschluss der [X.] des [X.] vom 8. Dezember 2011 - 1 BvR 1393/10 -, Rn. 3; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 15. Januar 2015 - 1 BvR 2796/13 -, Rn. 12 ff.). Daran fehlt es hier.

8

aa) Die im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zu treffende Entscheidung ist keine Rechtsmittelentscheidung hinsichtlich des früheren, nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlusses (vgl. [X.], in [X.]/[X.], VwGO, § 80 Rn. 549 [September 2011]). Im Abänderungsverfahren wird demgemäß allein die Fortdauer der nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffenen Entscheidung geprüft, nicht aber deren ursprüngliche Richtigkeit ([X.], in: [X.]/[X.], [X.] VwGO, § 80 Rn. 198 [Oktober 2019] m.w.N.).

9

In seinem Abänderungsantrag vom 16. November 2020 sowie in seiner Verfassungsbeschwerdeschrift hat der Beschwerdeführer im Wesentlichen vorgetragen, dass die für die Versammlung ins Auge gefasste Fläche nicht, wie ursprünglich von der Behörde behauptet, im Eigentum und Besitz Privater stehe, sondern sich in der Verfügungsgewalt der öffentlichen Hand, namentlich einer vollständig in Staatseigentum stehenden Kapitalgesellschaft, befinde. Zum [X.]punkt der Anmeldung der Versammlung sei auf dieser zum damaligen [X.]punkt landwirtschaftlich genutzten und nunmehr von der [X.] belegten Fläche die [X.] beendet gewesen, weshalb es sich um eine öffentlich zugängliche Ackerfläche im Sinne des § 59 BNatSchG gehandelt habe. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG sei nicht auf den öffentlichen Straßenraum und die kommunikativ genutzten Räume beschränkt, vielmehr seien auch sonstige im öffentlichen Eigentum stehende Räume nutzbar, auch wenn diese nicht auf besondere Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien.

bb) Dieses Vorbringen lässt eine hinreichende Auseinandersetzung damit vermissen, dass die Versammlungsfreiheit gerade kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten gewährt. Insbesondere gewährt sie dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind. Demgegenüber verbürgt sie die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist (vgl. [X.]E 128, 226 <251>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 18. Juli 2015 - 1 BvQ 25/15 -, Rn. 5). Dies ist neben dem öffentlichen Straßenraum auch bei außerhalb hiervon gelegenen Stätten der Fall, sofern dort in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen, nicht aber beispielsweise in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, nicht für die Allgemeinheit geöffneten Anlagen (vgl. [X.]E 128, 226 <251 f.>).

Der Beschwerdeführer trägt selbst vor, dass auf der streitgegenständlichen, nunmehr in der Verfügungsgewalt der öffentlichen Hand stehenden vormaligen Ackerfläche der Bau einer Autobahn anstehe. Die Fläche sei daher bereits der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Die Begründung der Verfügungsgewalt der öffentlichen Hand über diese Fläche erfolgte damit ersichtlich bereits von Anfang an und mithin noch vor der Beendigung der landwirtschaftlichen Nutzung zu dem Zweck, dort eine Autobahn zu bauen. Diese Zweckbestimmung entfiel nach den vom Beschwerdeführer nicht substantiiert in Frage gestellten Feststellungen des [X.] in dem angegriffenen Beschluss vom 3. Dezember 2020 auch nicht dadurch, dass die Fläche der Polizei zur Verfügung gestellt wurde. Nach diesen Feststellungen stellt sich die polizeiliche Nutzung vielmehr als Teil der nunmehr begonnenen Bauarbeiten dar. Denn da die Polizei, so der [X.], durch die Verbringung der im zu [X.] im [X.] befindlichen [X.] aus dem Gefahrenbereich die Durchführung der Bauarbeiten ermöglichen und die Rodungsarbeiten sichern müsse, erweise sich ihre Anwesenheit aufgrund des unmittelbaren Zusammenhangs mit den Bauvorbereitungsarbeiten als Teil der baulichen Nutzung des Geländes.

Aus welchen Gründen trotz des bereits seit der Begründung der Verfügungsgewalt der öffentlichen Hand bestehenden und später auch durch konkrete Maßnahmen, insbesondere die Stationierung der Polizei, verfolgten Zwecks, die streitgegenständliche Fläche zum Bau einer Autobahn zu nutzen, dort gerade auch für die [X.] der Durchführung der bereits von Anfang an beabsichtigten Bauarbeiten ein allgemeiner Zugang der Öffentlichkeit eröffnet worden sein sollte, legt der Beschwerdeführer nicht in nachvollziehbarer Weise dar.

Es ist damit auch nicht ersichtlich, dass die Belegung der Fläche durch die Polizei in missbräuchlicher Art und Weise zur Verhinderung von dort grundsätzlich möglichen Protestaktivitäten erfolgte.

2. Die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie einer Beiordnung von Rechtsanwalt … aus … beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 114 ff. ZPO. Der Antrag war abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GO[X.])

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2734/20

09.12.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 3. Dezember 2020, Az: 2 B 2928/20, Beschluss

Art 8 Abs 1 GG, Art 8 Abs 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 15 Abs 1 VersammlG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 09.12.2020, Az. 1 BvR 2734/20 (REWIS RS 2020, 3154)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3154

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
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Zitiert

2 BvR 1548/14

1 BvR 1393/10

1 BvR 2796/13

1 BvQ 25/15

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