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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) durch Übergehen von wesentlichem Tatsachenvortrag einer Prozesspartei (hier: zur Lage anerkannt Schutzberechtigter in Bulgarien) - Gegenstandswertfestsetzung
Die Beschlüsse des [X.] vom 12. Juli 2017 - 2 L 4325/17.GI.A - und vom 7. August 2017 - 2 L 6036/17.GI.A - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen.
Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend [X.]) und für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend [X.]) festgesetzt.
Der am 1. Januar 1980 geborene Beschwerdeführer ist [X.] Staatsangehöriger. Er reiste am 1. Oktober 2014 aus [X.] aus und gelangte zunächst nach [X.]. Dort wurde er am 13. Oktober 2014 als Flüchtling anerkannt. Anschließend reiste er in die [X.] ein, wo er am 23. Januar 2015 einen Asylantrag stellte.
Mit Bescheid vom 2. April 2015 lehnte das [X.] ([X.]) den Asylantrag des Beschwerdeführers als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung nach [X.] an. Zur Begründung führte es an, dass dem Beschwerdeführer bereits in [X.] internationaler Schutz zuerkannt worden sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage des Beschwerdeführers wies das [X.] mit Urteil vom 25. Januar 2016 ab. Die Lebensumstände für anerkannte Flüchtlinge in [X.] seien nicht unzumutbar.
Am 8. September 2016 stellte der Beschwerdeführer beim [X.] einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Diesen lehnte das [X.] mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 als unzulässig ab, stellte fest, dass [X.] nicht vorlägen und drohte dem Beschwerdeführer erneut die Abschiebung nach [X.] an. Es lägen keine geänderte Sach- oder Rechtslage und keine [X.] vor. Dem Beschwerdeführer drohten in [X.] weder Folter noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 [X.].
Am 22. Mai 2017 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid Klage beim [X.] und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung. Das [X.] habe seinen Asylantrag zu Unrecht als Folgeantrag behandelt. Ein Bescheid vom 5. April 2016 sei ihm zu keinem Zeitpunkt zugestellt worden. Den Bescheid vom 19. Dezember 2016 habe ihm das [X.] erst am 18. Mai 2017 zugestellt. Hierbei habe es rechtswidrig unterlassen, dem Beschwerdeführer eine Kopie der Akte zu übersenden. Zur Begründung seiner Klage und seines [X.] nahm der Beschwerdeführer Bezug auf das in Auszügen zitierte Urteil des [X.] vom 4. November 2016 - 3 A 1322/16.A -.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 12. Juli 2017 ab. Zur Begründung nahm es Bezug auf den angefochtenen Bescheid vom 19. Dezember 2016. Soweit der Beschwerdeführer davon ausgehe, dass er keinen Erstbescheid erhalten habe, handele es sich um eine Fehlinformation. Der Beschwerdeführer habe gegen den Erstbescheid vom 2. April 2015, vertreten durch einen anderen Bevollmächtigten, Klage erhoben, die mit rechtskräftigem Urteil vom 25. Januar 2016 abgewiesen worden sei.
Hiergegen erhob der Beschwerdeführer unter dem 26. Juli 2017 Anhörungsrüge. Er wies erneut auf die entgegen § 36 Abs. 2 Satz 1 [X.] unterlassene Übersendung einer Kopie des Verwaltungsvorgangs des [X.]s hin. Daher sei es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen, seinen Eilantrag innerhalb der Wochenfrist umfassend zu begründen. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht seinen Antrag dennoch abgelehnt habe, verstoße gegen sein Recht auf rechtliches Gehör. Außerdem habe das Verwaltungsgericht seinen Vortrag zu [X.] hinsichtlich [X.]s nicht gewürdigt und ihm insoweit kein rechtliches Gehör gewährt.
Mit Beschluss vom 7. August 2017, zugestellt am 8. August 2017, wies das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers zurück. Der Umstand, dass das [X.] keine Kopie der Verfahrensakte mit dem Bescheid übersendet habe, führe nicht zu einer Gehörsverletzung durch das Verwaltungsgericht. § 36 Abs. 2 Satz 1 [X.] verpflichte allein das [X.]. Auch die bislang auf den [X.] nicht durchgeführte Übersendung der Gerichtsakte durch das Verwaltungsgericht stelle keinen Gehörsverstoß dar, denn aus dem streitgegenständlichen Bescheid vom 19. Dezember 2016 habe sich ergeben, dass es sich um einen Folgeantrag gehandelt habe. Zudem sei dem Beschwerdeführer der Verlauf des vorangegangenen Gerichtsverfahrens bekannt gewesen, weshalb es einer Aktenübersendung insoweit nicht mehr bedurft habe. Der neue Bevollmächtigte müsse sich das Wissen des Beschwerdeführers zurechnen lassen.
1. Der Beschwerdeführer hat am 7. September 2017 Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 23 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Er habe unter Verweis auf das Urteil des [X.] vom 4. November 2016 - 3 A 1322/16.A - dargelegt, dass hinsichtlich [X.]s [X.] vorlägen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung von [X.]n sei derjenige der letzten mündlichen Verhandlung. Das Verwaltungsgericht habe diesen Vortrag ignoriert und den Beschwerdeführer dadurch in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Mit der Ablehnung seines [X.] habe er nach [X.] abgeschoben werden können, sodass sein Hauptsacheverfahren ins Leere liefe. Diesbezüglich verweist der Beschwerdeführer ohne nähere Ausführungen auf die Beschlüsse des [X.] vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 - und vom 8. Mai 2017 - 2 BvR 157/17 -. Zudem sei der Beschwerdeführer durch die Ablehnung seines [X.] der Verletzung seiner Rechte auf Achtung der Menschenwürde und auf körperliche Unversehrtheit schutzlos ausgeliefert. Außerdem habe das Verwaltungsgericht das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Willkürverbot verletzt. Der Einzelrichter, der den Beschluss vom 12. Juli 2017 erlassen habe, habe in einem anderen Verfahren eines in [X.] anerkannten Asylbewerbers in einem Beschluss vom 14. August 2017 die Rechtsprechung des [X.] berücksichtigt und dem dortigen Eilantrag stattgegeben. Es sei willkürlich, wenn der Einzelrichter in dem einen Fall [X.] hinsichtlich [X.]s annehme und diese in einem anderen, vergleichbaren Verfahren verneine. Der Umstand, dass das fachgerichtliche Verfahren des Beschwerdeführers die Ablehnung eines [X.] zum Gegenstand gehabt habe, könne eine unterschiedliche Behandlung der beiden Fälle nicht rechtfertigen. Es sei ausschließlich auf die Frage abzustellen, ob [X.] zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorlägen. Daraus resultiere auch eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG.
2. Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2017 hat der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, weil seine Abschiebung unmittelbar bevorstehe. Mit Beschluss vom selben Tag hat das [X.] im Wege einer einstweiligen Anordnung untersagt, den Beschwerdeführer bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde abzuschieben. Die Dauer der einstweiligen Anordnung hat das [X.] auf zwei Monate begrenzt.
3. Die Akten der Ausgangsverfahren haben dem [X.] vorgelegen. Die Bundesregierung, das [X.] und das [X.] haben von ihrem Recht zur Äußerung keinen Gebrauch gemacht.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.] für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das [X.] bereits geklärt.
1. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich geht das [X.] davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene [X.] zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Deshalb müssen, damit das [X.] einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. [X.] 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <145 f.>). Geht das Gericht auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. auch [X.] 47, 182 <189>; 86, 133 <146>).
b) Nach diesen Maßstäben verletzen die angegriffenen Beschlüsse das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG. Er hat sowohl mit seinem Eilantrag als auch mit seiner Anhörungsrüge auf die Auffassung des [X.] hingewiesen, nach der das Asylsystem [X.]s insbesondere hinsichtlich anerkannter Flüchtlinge an systemischen Mängeln leide. Da der Beschwerdeführer in [X.] als Flüchtling anerkannt worden ist, zählt dieser Hinweis auf die Würdigung der Lage anerkannt [X.] in [X.] zum [X.] seines Vorbringens. Die Frage, ob hinsichtlich [X.]s angesichts der Situation anerkannt [X.] ein Abschiebungsverbot besteht, war für das Verfahren des Beschwerdeführers auch von zentraler Bedeutung. Das [X.] hatte in dem angefochtenen Bescheid vom 19. Dezember 2016 im [X.] eine erneute Abschiebungsandrohung erlassen, der eine erneute Prüfung von [X.]n vorausgegangen ist. Diese neue Abschiebungsandrohung hatte das Verwaltungsgericht zum Gegenstand seiner Prüfung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu machen. Insoweit ist der Prüfungsmaßstab nicht aufgrund der verfahrensrechtlichen Konstellation des [X.] verändert. Im Rahmen der Interessenabwägung hatte das Verwaltungsgericht insbesondere unter Heranziehung aktueller Erkenntnisse zu berücksichtigen, ob - wie von dem Beschwerdeführer geltend gemacht - ein Abschiebungsverbot vorliegt, weil dem Beschwerdeführer als anerkanntem Flüchtling in [X.] eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 [X.] drohe. Dies hat das Verwaltungsgericht unterlassen. Insbesondere hat sich der Einzelrichter - anders als in einem Beschluss vom 14. August 2017 in einem Verfahren eines in [X.] anerkannten Asylbewerbers - nicht mit dem Urteil des [X.] vom 4. November 2016 im Hinblick auf systemische Mängel des [X.] Asylsystems befasst, auf das der Beschwerdeführer hingewiesen hat. In dem angegriffenen Beschluss vom 12. Juli 2017 nimmt das Verwaltungsgericht lediglich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug, der die Lage anerkannt [X.] in [X.] nicht in die Prüfung eines Abschiebungsverbots einbezieht. Auch in dem Beschluss vom 7. August 2017, in dem das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers zurückgewiesen hat, fehlt eine Würdigung des Vortrags des Beschwerdeführers zu der Auffassung des [X.], nach der das Asylsystem [X.]s insbesondere hinsichtlich bereits anerkannter Flüchtlinge unter systemischen Mängeln leidet.
2. Angesichts des vorliegenden Gehörsverstoßes bedürfen die weiter erhobenen [X.] keiner Entscheidung. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass das Verwaltungsgericht bei einer Berücksichtigung des Vortrags des Beschwerdeführers zu einem anderen Ergebnis kommt.
Das [X.] hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 [X.] die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).
Meta
24.01.2018
Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer
Stattgebender Kammerbeschluss
Sachgebiet: BvR
vorgehend VG Gießen, 7. August 2017, Az: 2 L 6036/17.GI.A, Beschluss
Art 103 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 58 AufenthG 2004, § 60 AufenthG 2004, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 24.01.2018, Az. 2 BvR 2026/17 (REWIS RS 2018, 15106)
Papierfundstellen: REWIS RS 2018, 15106
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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