Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.08.2011, Az. B 8 SO 1/11 B

8. Senat | REWIS RS 2011, 3747

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage - fehlende Darlegung der Klärungsbedürftigkeit - Sozialhilfe - Unterkunftskosten - Untermietvertrag unter Verwandten - rechtlicher Bindungswille - Fremdvergleich


Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 12. November 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Im Streit sind Leistungen (Kosten der Unterkunft) nach dem [X.] - ([X.]) für die [X.] ab 1.12.2006.

2

Die Klägerin bezog im streitbefangenen [X.]raum Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ohne Leistungen für Unterkunft (Bescheide vom 17.7.2006 und [X.]). Sie lebte im Haus ihrer Eltern und hat im November 2006 einen Mietvertrag, vertreten durch einen vom Vormundschaftsgericht bestellten Ergänzungsbetreuer, mit ihrem Vater abgeschlossen. Danach vermietete dieser der Klägerin [X.] sowie ein Bad/WC, insgesamt 30 qm, im Obergeschoss des Einfamilienhauses der Eltern zu einer monatlichen Miete einschließlich Nebenkosten in Höhe von 120 Euro. Anträge auf rückwirkende Übernahme der Kosten der Unterkunft blieben erfolglos (zuletzt Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 10.1.2008).

3

Das Sozialgericht ([X.]) [X.] hat den Rechtsvorgänger des Beklagten "verpflichtet", der Klägerin ab Dezember 2006 Leistungen nach dem [X.] für die Kosten der Unterkunft zu bewilligen (Urteil vom [X.]), weil der Mietvertrag kein Scheingeschäft sei und einem so genannten Fremdvergleich ([X.]) nicht standhalte. Die Berufung dagegen blieb erfolglos (Urteil des [X.] <[X.]> vom 12.11.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] auf das Urteil des Bundessozialgerichts (B[X.]) vom [X.] ([X.] AS 31/07 R) verwiesen, wonach die Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zum Fremdvergleich nicht "zielführend" sei. Ob die vom [X.] vertretene Auffassung zutreffe, könne dahinstehen, weil der vom Beklagten beanstandete Umstand (Mitbenutzung der [X.] bei räumlicher Trennung des Wohnraums von der Küche) aus der verwandtschaftlichen Verbundenheit resultiere und zumindest nicht unüblich sei. Die Rechtsprechung des B[X.] für den Bereich der Grundsicherung nach dem [X.]B II könne ohne Abstriche auf das Recht des [X.] übertragen werden.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Beklagte mit seiner Beschwerde. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. [X.] Klärung bedürfe die Frage, ob "ein zwischen Angehörigen geschlossener Mietvertrag für die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung nur dann maßgeblich und leistungsbegründend sei, wenn er wirksam geschlossen und vollzogen worden sei und darüber hinaus sowohl in seiner Gestaltung als auch Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entspreche, mithin einem Fremdvergleich standhält." Die vom [X.] angegebene Entscheidung des B[X.] vom [X.] (aaO) beantworte die aufgeworfene Frage nicht. Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Frage der Übertragbarkeit der Grundsätze des Fremdvergleichs auf den Bereich der Grundsicherung wegen Alters oder bei Erwerbsminderung nach dem [X.] des [X.] liege bislang nicht vor. Ferner ergebe sich die klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage, ob "ein ohne Änderung in den tatsächlichen Wohn- und Lebensverhältnissen durch einen Leistungsbezieher von Grundsicherung wegen Alters oder Erwerbsminderung nach dem [X.] des [X.] geschlossener Mietvertrag mit einem oder mehreren Bewohnern desselben Haushalts bei Bestehen verwandtschaftlicher Verbundenheit wegen Sittenwidrigkeit als Scheingeschäft anzusehen" sei. Mit der Sittenwidrigkeit eines "[X.]" habe sich das B[X.] auf Grund anderer tatsächlicher Umstände in der vom [X.] zitierten Entscheidung nicht befassen müssen.

5

Das [X.] habe außerdem gegen die ihm obliegende Aufklärungspflicht verstoßen und so die §§ 103, 106, 116 und 118 Sozialgerichtsgesetz ([X.]G) verletzt, weil eine Aufklärung der weiteren Umstände, der mietvertraglichen Gestaltung, deren Umsetzung und des tatsächlichen Vollzugs unterblieben sei. Eine Beweiserhebung hätte ergeben, dass eine räumliche Trennung und die Umsetzung der mietvertraglichen Regelung keinen ernsthaften und rechtlich relevanten Bindungswillen entfaltet habe, insbesondere Mietzahlungen nicht vorgelegen hätten. Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe das Urteil, weil das [X.] mit hoher Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte, wenn es den Beweisanträgen aus dem Schriftsatz vom "18.10.2009" gefolgt wäre. Das [X.] habe gegen die ihm obliegende Aufklärungspflicht auch dadurch verstoßen, dass es der Bedürftigkeit der Klägerin als Voraussetzung für die Leistungspflicht nicht näher nachgegangen sei. Ein gesonderter Beweisantrag sei insoweit nicht erforderlich gewesen, weil die Bedürftigkeit eine grundsätzlich zu jedem [X.]punkt des Verfahrens zu prüfende und zu berücksichtigende Anspruchsvoraussetzung sei.

6

II. Ob die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist, kann dahinstehen; sie ist jedenfalls unbegründet, weil die aufgeworfene Rechtsfrage zum Fremdvergleich nicht mehr klärungsbedürftig ist und die Beschwerde ansonsten nicht den Anforderungen an die Darlegung grundsätzlicher Bedeutung bzw die Bezeichnung von Verfahrensfehlern genügt (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G iVm § 160 Abs 2 [X.] und 3 [X.]G).

7

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die vom Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage zum Fremdvergleich bei einem Mietvertrag zwischen Angehörigen ist nicht mehr klärungsbedürftig, sodass es nicht darauf ankommt, ob der Beklagte deren Klärungsfähigkeit ausreichend dargelegt hat. Zweifelhaft ist dies, weil das [X.] seine Entscheidung jedenfalls nicht eindeutig darauf gestützt hat, dass ein Fremdvergleich nicht vorzunehmen sei. Der 14. Senat des B[X.] ([X.]-4200 § 22 [X.] Rd[X.]8 und 20) hat zum Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem [X.]B II bei Mietverhältnissen zwischen Verwandten in Übereinstimmung mit dem 4. Senat des B[X.] ([X.]-4200 § 22 [X.]5 RdNr 27) bereits entschieden, dass Vereinbarungen unter Verwandten über die Überlassung von Wohnraum unabhängig von einem Fremdvergleich Rechtsgrundlage dafür sein können, dass der Grundsicherungsträger tatsächlich Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu übernehmen hat, wenn ein entsprechender rechtlicher Bindungswille besteht. Diesen Entscheidungen ist der erkennende Senat für den Bereich des [X.] beigetreten ([X.]-3500 § 29 [X.] Rd[X.]4).

8

Hinsichtlich der zweiten aufgeworfenen Rechtsfrage der Sittenwidrigkeit des Mietvertrages unter Verwandten hat der Beklagte bereits nicht erläutert, welche über die Beurteilung des Einzelfalls hinausgehende Frage sich stellen soll; Sittenwidrigkeit ist nicht abstrakt bestimmbar, sondern immer von den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten abhängig. In Wahrheit bemängelt der Beklagte deshalb lediglich eine falsche Entscheidung des [X.] unter fehlerhafter Sachverhaltswürdigung (vgl dazu [X.], [X.], 2. Aufl 2010, Rd[X.]05 mwN). Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (B[X.] SozR 1500 § 160a Nr 7).

9

Der Zulassungsgrund von [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) ist ebenfalls nicht ausreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G). Zwar behauptet der Beklagte, das [X.] habe seine ihm obliegende Aufklärungspflicht nach § 103 [X.]G verletzt, weil es mit Schriftsatz vom "18.10.2009" (gemeint ist wohl 8.10.2009) gestellten Beweisanträgen nicht nachgegangen sei. Allerdings fehlt es zumindest am Vortrag, dass der behauptete Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] aufrechterhalten worden ist (vgl zu dieser Voraussetzung nur B[X.] SozR 1500 § 160 [X.] f). Soweit der Beklagte eine mangelhafte Aufklärung des Sachverhalts durch das [X.] zur Bedürftigkeit der Klägerin rügt, ist der Vortrag von vornherein unschlüssig. Nach der völlig eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 160 Abs 2 [X.] 2. Halbsatz [X.]G wäre - entgegen der Ansicht des Beklagten - auch insoweit ein Beweisantrag erforderlich gewesen. Dass Bedürftigkeit eine grundsätzlich zu jedem [X.]punkt zu prüfende Voraussetzung ist, ist hierfür ohne jede Bedeutung. Soweit der Beklagte seine Rüge neben § 103 [X.]G zusätzlich auf §§ 106, 116, 118 [X.]G stützt, handelt es sich nicht um eigenständige Verfahrensrügen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 8 SO 1/11 B

25.08.2011

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Chemnitz, 3. April 2008, Az: S 25 SO 98/06, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 29 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 02.12.2006, § 22 Abs 1 S 1 SGB 2, § 535 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.08.2011, Az. B 8 SO 1/11 B (REWIS RS 2011, 3747)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3747

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