Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.04.2011, Az. 8 B 84/10, 8 B 84/10 (8 PKH 9/10)

8. Senat | REWIS RS 2011, 7532

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Gegenstand

Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde


Tenor

Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt [X.]. aus [X.] mit Wirkung ab dem 19. September 2010 bewilligt.

Das Urteil des [X.] vom 29. Juli 2010 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 107 320,00 € festgesetzt.

Gründe

1

1. Die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe und [X.]eiordnung von Rechtsanwalt [X.]. beruht auf § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO.

2

2. Die allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde des [X.] hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass auf seine Verfahrensrüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG; § 108 Abs. 2 VwGO) das angegriffene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).

3

Verfahrensfehlerhaft ist die Feststellung des [X.], es fehle an jedem Anhaltspunkt, dass die "[X.]" Einfluss auf die Entziehung des Grundstücks genommen habe, soweit sich diese Feststellung auf den Klagevortrag zur beabsichtigten Verwendung der entzogenen Fläche für die Sicherung des [X.] und dessen Umfeld bezieht; denn für die Stichhaltigkeit dieses Vorbringens hat der Kläger mehrere Indizien vorgetragen, die das Gericht ausweislich der Entscheidungsgründe ersichtlich in seinem Urteil nicht in Erwägung gezogen hat.

4

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der [X.]eteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist zwar nicht gezwungen, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen sowohl zur Kenntnis genommen als auch in seine Erwägungen einbezogen hat. Nur bei deutlichen gegenteiligen Anhaltspunkten kann ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs angenommen werden (vgl. z.[X.]. [X.]eschlüsse vom 10. Mai 1999 - [X.]VerwG 7 [X.] - juris und vom 4. August 2000 - [X.]VerwG 7 [X.] - [X.] 2002, 290). Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden ([X.], [X.]eschluss vom 7. Dezember 2006 - 2 [X.]vR 722/06 - juris Rn. 23 m.w.N.). Geht das Gericht auf der Grundlage seiner insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung (vgl. dazu [X.]eschlüsse vom 15. Juli 1998 - [X.]VerwG 7 [X.] - [X.] 428 § 1 [X.] Nr. 156 und vom 10. Juni 1998 - [X.]VerwG 7 [X.] - juris) auf [X.] des [X.] eines [X.]eteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler [X.]edeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. u.a. [X.], [X.]eschlüsse vom 1. Februar 1978 - 1 [X.]vR 426/77 - [X.]E 47, 182 <189> und vom 19. Mai 1992 - 1 [X.]vR 986/91 - [X.]E 86, 133 <146>; [X.]VerwG, Urteile vom 6. September 1988 - [X.]VerwG 4 [X.] 15.88 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 206 S. 38 Rn. 11 ff., vom 15. April 1997 - [X.]VerwG 8 [X.] 20.96 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 274 Rn. 10, vom 18. Mai 1995 - [X.]VerwG 4 [X.] 20.94 - [X.]VerwGE 98, 235 = [X.] 406.12 § 15 [X.] Nr. 25 S. 9, 12 Rn. 11 und [X.]eschluss vom 16. Dezember 2010 - [X.]VerwG 8 [X.] 17.10 - juris). So liegt der Fall hier.

5

Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass ein Erfolg des auf § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 [X.] gestützten Restitutionsanspruchs des [X.] voraussetzt, dass es sich bei dem schädigenden Ereignis um eine als unlautere Machenschaft zu bewertende Maßnahme gehandelt hat, die zielgerichtet den Verlust des zurückgeforderten Vermögenswertes bezweckte; dies habe bei einem Zugriff auf [X.]odenreformeigentum dann der Fall gewesen sein können, wenn staatliche Stellen der [X.] unter [X.] Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften dem Landwirt die Neubauernstelle oder einzelne [X.]odenreformflächen entzogen haben, um diese dem Staat oder einer LPG als Volkseigentum oder einem anderen Landwirt als [X.]odenreformeigentum zu verschaffen. Auf dieser Grundlage ist das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zu der [X.]lussfolgerung gelangt, der Restitutionsanspruch des [X.] scheitere daran, dass das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 [X.] nach Ausschöpfung der vorliegenden [X.], über die hinaus weder weitere ersichtlich noch von den [X.]eteiligten aufgezeigt worden seien, nicht nachgewiesen sei. Für einen Einfluss des Ministeriums für [X.] auf den Vorgang der Entziehung des Grundstücks fehle es "an jedem Anhaltspunkt" (UA S. 21 2. Absatz).

6

Der Kläger rügt insoweit zu Recht, das Gericht habe zwar geprüft, ob sich eine speziell auf die Person seines [X.] gerichtete Maßnahme der "[X.]" - als Sanktion für ein damals 20 Jahre zurückliegendes individuelles Fehlverhalten - nachweisen lasse. Es habe aber sein entscheidungserhebliches Vorbringen nicht in Erwägung gezogen, dass es bei der am 21. Februar 1983 auf Ersuchen des [X.] vom 11. Februar 1983 in Eigentum des Volkes erfolgten Übertragung des in Rede stehenden Grundstücks ([X.]., Flurstück … der Flur … , heute eingetragen auf [X.]latt … des Grundbuchs von [X.].) nicht um die Sanktionierung individuellen Fehlverhaltens seines [X.] und schon gar nicht um die Sanktionierung eines Verstoßes seines [X.] gegen Verpflichtungen aus dem [X.]odenreformeigentum gegangen sei. Vielmehr sei der Entzug des Eigentums erfolgt, um die Kontrollmöglichkeiten der "[X.]" im Umfeld des [X.] Märkisch-[X.] zu perfektionieren. Der Entzug des Eigentums des [X.] des [X.] sei Teil der großen Enteignungsaktion gewesen, auf die sich der [X.] vom 11. Februar 1983 beziehe. Um dieses Ziel zu erreichen, seien die damals in der [X.] geltenden gesetzlichen [X.]estimmungen missachtet und gleichzeitig die realen Hintergründe und Zusammenhänge der Maßnahme verschleiert worden. Zwar ist das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil auf einzelne Elemente im Vortrag des [X.] zum [X.] eingegangen ([X.] und 24). Die im Urteil daraus gezogene [X.]lussfolgerung, es fehle an "jedem" Anhaltspunkt für einen Einfluss des Ministeriums für [X.] auf den Vorgang der Eigentumsentziehung, lässt jedoch erkennen, dass wesentliche, der Rechtsverfolgung des [X.] dienende Tatsachenbehauptungen zur Einflussnahme des Ministeriums für [X.] nicht in Erwägung gezogen worden sind. Dies gilt zunächst für sein Vorbringen, das Ministerium für [X.] habe die Oberaufsicht in allen nach Auffassung dieses [X.] des [X.]s betreffenden Fragen gehabt, was sich insbesondere aus den - von der [X.]undesbeauftragten für die Unterlagen des [X.]sdienstes der ehemaligen [X.] übersandten - Anlagen 5, 11, 12, 24, 25, 16, 18 und 19 sowie aus der [X.]estellung eines "Offiziers im besonderen Einsatz ([X.])" als Leiter des [X.] ergebe, die aufgrund eines Vorschlags der [X.] der "[X.]" erfolgt sei. Aus diesen Unterlagen folge ferner, dass sich das Interesse der "[X.]" nicht nur auf die unmittelbar der Jagd dienenden Forstgebiete beschränkt, sondern auf das gesamte als Staatsjagdgebiet ausgewiesene Terrain mit zahlreichen Ortschaften bezogen habe, zu dem auch das hier in Rede stehende Grundstück gehört habe. Das besondere Interesse der "[X.]" an diesem Hausgrundstück habe sich daraus ergeben, dass es in einer Entfernung von nur ca. 500 m vom Dienstsitz des Leiters des [X.] und "Offiziers im besonderen Einsatz" belegen gewesen sei. Anfang der 1980er Jahre habe man, wie die vorgelegten Unterlagen zeigten, seitens der von der "[X.]" dominierten Leitung des [X.] beschlossen, im engeren und weiteren Umfeld des [X.] eine [X.]ereinigung der Eigentumsverhältnisse durch Entfernung der noch vorhandenen Eigentümer vorzunehmen. Das "[X.] für ausländische Vertretungen ([X.])" habe dann den Auftrag erhalten, dies verwaltungsmäßig durchzusetzen. Das [X.]reiben des [X.] vom 9. Oktober 1980 an die Außenstelle K. des Rates des [X.]ezirks P. und das daraufhin ergangene [X.]reiben des [X.] an den Vater des [X.] vom 4. Dezember 1980 belegten den entsprechenden zielgerichteten Willen der staatlichen [X.]ehörden im Rahmen der angelaufenen Aktion, von der auch das Nachbargrundstück erfasst worden sei, was der [X.] vom 24. Oktober 1980 ausweise. Dementsprechend habe die "[X.]" noch im Jahre 1985 in ihrem Maßnahmeplan das Umfeld dieses Hausgrundstücks als einen "[X.]werpunkt(bereich) der militärischen Sicherheit" bezeichnet. Da sich bei den unter der Oberaufsicht der "[X.]" erfolgten [X.]emühungen der staatlichen Stellen herausgestellt habe, dass ein "Erwerb" des [X.]odenreformgrundstücks des [X.] des [X.] nach den damals geltenden Vorschriften nicht zulässig gewesen sei, habe man den - im Zusammenwirken des Ministeriums für [X.], des [X.] sowie der örtlichen Stellen - erfolgten Zugriff auf das Grundstück zu verschleiern versucht. Dies sei dadurch geschehen, dass man im [X.] vom 11. Februar 1983 vage und unbestimmt lediglich eine "gegebene Veranlassung" als Grund für die Entziehung des Eigentums angegeben habe, was ungesetzlich gewesen sei. Mit diesen konkreten und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptungen des [X.] hat sich das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht auseinandergesetzt. Anderenfalls wäre nicht erklärbar, aus welchem Grund das Gericht zum Ausdruck gebracht hat, es fehle "an jedem Anhaltspunkt" für einen Einfluss des Ministeriums für [X.] auf den Vorgang der Entziehung des Grundstücks.

7

Der festgestellte Verfahrensfehler einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hat möglicherweise auch ein Aufklärungsdefizit nach sich gezogen. Denn hätte das Verwaltungsgericht das Vorbringen des [X.] in Erwägung gezogen, hätte es gegebenenfalls unter anderem der Frage weiter nachgehen müssen, wo das Archiv des in eine GmbH umgewandelten [X.] geblieben ist, statt sich mit der telefonischen Mitteilung eines [X.]ediensteten des [X.] zufrieden zu geben, es sei nicht bekannt, wie diese GmbH geheißen habe (Vermerk [X.]l. 256 der Gerichtsakten). Zudem hätte man über das [X.] - gegebenenfalls über dort vorhandene Personal- und Sachakten der [X.]-Vorgängerbehörde - zumindest den ernsthaften Versuch unternehmen müssen, die von dort benannte Frau E. zu ermitteln, die das Archiv der GmbH verwaltet haben soll ([X.]l. 238 der Gerichtsakten).

8

Angesichts des festgestellten Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör kommt es für die vorliegende Entscheidung nicht (mehr) darauf an, ob auch eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 VwGO), der es u.a. verbietet, von einem zweifelsfrei unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt auszugehen (vgl. [X.]eschlüsse vom 2. November 1995 - [X.]VerwG 9 [X.] 710.94 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 266 = juris Rn. 7 und vom 19. August 1998 - [X.]VerwG 2 [X.] 6.98 - juris Rn. 4; Urteil vom 5. Juli 1994 - [X.]VerwG 9 [X.] 158.94 - [X.]VerwGE 96, 200 <208 f.> = [X.] 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174), sowie weitere vom Kläger geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegen.

9

Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der ihm in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die angegriffene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Anlass für eine Entscheidung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Senat nicht gesehen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

8 B 84/10, 8 B 84/10 (8 PKH 9/10)

14.04.2011

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: PKH

vorgehend VG Cottbus, 29. Juli 2010, Az: 1 K 665/06, Urteil

§ 132 Abs 2 Nr 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.04.2011, Az. 8 B 84/10, 8 B 84/10 (8 PKH 9/10) (REWIS RS 2011, 7532)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7532

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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