Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.05.2021, Az. 1 C 36/20

1. Senat | REWIS RS 2021, 5479

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Tenor

Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des [X.] vom 25. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt während ihres laufenden Asylverfahrens (vorab) die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes in Bezug auf [X.].

2

Die Klägerin, eine 1955 geborene [X.] Staatsangehörige, reiste 2015 in das [X.] ein, nachdem sie zuvor in [X.] als Flüchtling anerkannt worden war, und stellte hier einen (weiteren) Asylantrag. Diesen Antrag lehnte das [X.] - [X.] - mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 als unzulässig ab (Ziffer 1). Zugleich stellte es fest, dass [X.] nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 [X.] nicht vorliegen (Ziffer 2), drohte der Klägerin die Abschiebung nach [X.] an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 [X.] a.F. auf 30 Monate ab dem [X.] (Ziffer 4).

3

Nach Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellte das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Januar 2019 fest, dass die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig und die Abschiebungsandrohung nach [X.] unwirksam geworden sind. Außerdem verpflichtete es die Beklagte unter Aufhebung der Feststellung, dass [X.] nicht vorliegen, sowie der Entscheidung zur Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots, für die Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 [X.] hinsichtlich [X.]s festzustellen und über den Asylantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

4

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. Mai 2020 das Urteil des [X.] geändert, soweit dieses die Beklagte verpflichtet hat, für die Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 [X.] hinsichtlich [X.]s festzustellen. Zugleich hat es Ziffer 2 und 4 des Bescheids aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe lediglich Anspruch auf (isolierte) Aufhebung der Entscheidungen in Ziffer 2 und 4 des Bescheids, weil diesen Folgeentscheidungen durch die Unwirksamkeit der [X.] und der Abschiebungsandrohung die Grundlage entzogen worden sei. Eine Klage auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich [X.]s sei hingegen unzulässig. Das [X.] habe in dem nach § 37 Abs. 1 Satz 2 [X.] fortzusetzenden Asylverfahren erneut über den Asylantrag zu befinden. Nach dem in § 31 Abs. 3 Satz 1 [X.] festgelegten Prüfprogramm setze eine Entscheidung über das Vorliegen nationaler [X.] voraus, dass das [X.] zuvor den weitergehenden Asylantrag beschieden habe. Daran fehle es bei Unwirksamkeit der [X.] und Verpflichtung des [X.]s zur Fortführung des Asylverfahrens. Werde das [X.] dennoch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich [X.]s verpflichtet, so werde ihm der Erlass eines Verwaltungsakts auferlegt, den es zu diesem Zeitpunkt weder erlassen müsse noch dürfe, und die in § 31 Abs. 3 Satz 2 [X.] vorgesehene behördliche Absehensbefugnis verkürzt. Dass ein nationales Abschiebungsverbot nicht geltend gemacht werden könne, solange das [X.] noch nicht über die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung internationalen Schutzes entschieden habe, ergebe sich auch aus einer Zusammenschau der Regelungen in § 31 Abs. 2 und 3 [X.] und des sich hieraus ergebenden Rangverhältnisses der [X.]. Nur so werde hinsichtlich einer im Mitgliedstaat der Schutzgewährung drohenden Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 [X.] eine nicht statthafte Vorwegnahme der erneuten Entscheidung des [X.]s über den Asylantrag vermieden. Der Gefahr einer "Endlosschleife" könne das [X.] begegnen, indem es entweder auf den Erlass einer erneuten Abschiebungsandrohung verzichte oder deren Vollzug bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens aussetze. Soweit nach der Rechtsprechung des [X.] ein Schutzsuchender zusätzlich zu der gegen die [X.] gerichteten Anfechtungsklage hilfsweise die Feststellung eines [X.]s mit der Verpflichtungsklage verfolgen könne, sei über diesen Hilfsantrag nur zu entscheiden, wenn die Anfechtungsklage gegen die [X.] keinen Erfolg habe, das Asylverfahren durch das [X.] also nicht fortzuführen sei.

5

Die Klägerin macht mit der Revision geltend, ihr Verpflichtungsbegehren sei statthaft. Das [X.] habe auch bei Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig eine Sachentscheidung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 [X.] zu treffen. Hinsichtlich der vom [X.] noch vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeit des Asylantrags werde mit der Verpflichtung zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nur über eine Frage entschieden, die auch bei der [X.] zu berücksichtigen sei, weil nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] bei einer drohenden Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 [X.] der Asylantrag nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfe, sondern in dessen inhaltliche Prüfung einzusteigen sei. [X.] werde lediglich die Entscheidung, von der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots abzusehen, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt oder ihm internationaler Schutz gewährt werde. Selbst wenn vorrangig über Asyl und internationalen Schutz zu entscheiden sei, schließe dies die zusätzliche Feststellung eines Abschiebungsverbots nicht aus. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gebiete in der vorliegenden Konstellation eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von [X.]n, soweit solche vorlägen. Die Entscheidungspraxis des [X.]s führe zu einer Endlosschleife. Der Rechtsprechung des [X.] sei nicht zu entnehmen, dass die Feststellung eines Abschiebungsverbots nur nachrangig mit der Verpflichtungsklage verfolgt werden könne. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung scheitere schon daran, dass das [X.] über das Vorliegen nationaler [X.] entschieden habe.

6

Die Beklagte und der Vertreter des [X.] beim [X.] verteidigen die angegriffene Entscheidung.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht entschieden, dass die Klage, soweit sie noch anhängig ist, nicht statthaft und damit unzulässig ist.

8

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der nationale [X.] und hier nach gerichtlicher Aufhebung der (negativen) Feststellung im Bescheid des [X.] vom 19. Dezember 2016, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 [X.] vorliegen (Ziffer 2 des Bescheids), nur noch die von der Klägerin begehrte Verpflichtung des [X.] zur (positiven) Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 [X.] hinsichtlich [X.]. Insoweit handelt es sich um einen einheitlichen, nicht weiter aufteilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 [X.] in verfassungskonformer Anwendung). Eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ist ungeachtet des materiellen Nachrangs des Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 [X.] nicht möglich (BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 [X.] 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 17).

9

Bei sachdienlicher Auslegung der Revision wendet sich die Klägerin nicht gegen die - sie nicht beschwerende - (erneute) Aufhebung der schon vom Verwaltungsgericht aufgehobenen Befristungsentscheidung (Ziffer 4 des Bescheids) durch das Berufungsgericht.

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind das Asylgesetz ([X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 ([X.]), zuletzt geändert durch den am 1. April 2021 in [X.] getretenen Art. 5 des [X.] vom 4. August 2019 ([X.]), sowie das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im [X.] ([X.] - [X.]) vom 30. Juli 2004 ([X.] I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.] I S. 162), zuletzt geändert durch das am 1. Januar 2021 in [X.] getretene Gesetz vom 9. Dezember 2020 zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des [X.] sowie weiterer Gesetze ([X.] [X.]). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz eintreten, sind im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, wenn das [X.] - entschiede es anstelle des [X.] - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 [X.] 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das [X.] nach § 77 Abs. 1 [X.] regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuellen Fassungen zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 [X.] 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 12). Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben sich seit der Entscheidung des [X.] nicht geändert.

3. Die auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich [X.] gerichtete Verpflichtungsklage ist im derzeitigen Verfahrensstadium, in dem das Asylverfahren nach § 37 Abs. 1 Satz 2 [X.] vom [X.] fortzuführen ist, nicht statthaft.

Das Begehren ist zwar auf den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts durch das [X.] gerichtet und damit grundsätzlich mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2017 - 1 [X.] 10.17 - [X.] 402.251 § 31 [X.] Nr. 2 Rn. 17, wonach der Kläger im Falle einer [X.] die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen <§ 44 VwGO> hilfsweise mit einem entsprechenden [X.] auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 [X.] verbinden kann). Für den Fall eines erfolgreichen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine [X.] nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 [X.] sieht § 37 Abs. 1 [X.] aber vor, dass die [X.] und die Abschiebungsandrohung kraft Gesetzes unwirksam werden (Satz 1) und das [X.] das Asylverfahren fortzuführen hat (Satz 2). Damit ist die vom [X.] mit der (unwirksam gewordenen) [X.] verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrags vorrangig vom [X.] als einer mit besonderem Sachverstand ausgestatteten Fachbehörde nachzuholen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 [X.] 4.16 - BVerwGE 157, 18 Rn. 19). Die Unwirksamkeit der [X.] entzieht der vom [X.] mit der [X.] verbundenen (negativen) Feststellung zum Vorliegen von [X.] nach § 60 Abs. 5 und 7 [X.] die Grundlage. Die in § 37 Abs. 1 Satz 2 [X.] angeordnete Fortführung des Asylverfahrens durch das [X.] umfasst daher auch eine neuerliche Entscheidung zum nationalen [X.]. [X.] hat das zur Folge, dass gegen diese mangels wirksamer [X.] verfrüht ergangene Folgeentscheidung trotz des grundsätzlichen Vorrangs der Verpflichtungsklage nur eine Anfechtungsklage statthaft ist. Dies ergibt sich vor allem aus dem dem [X.] gemäß § 24 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 3 und 5 [X.] obliegenden "[X.]" (a), das auf der Grundentscheidung beruht, dass Schutz vorrangig auf derjenigen Stufe zu gewähren ist, die den umfassendsten Schutz vermittelt (b). Zudem ist der nationale [X.] nach § 60 Abs. 5 und 7 [X.] zielstaatsbezogen; dabei hängt der in den Blick zu nehmende [X.] vom Ausgang des Asylverfahrens ab (c). Das Erfordernis einer erneuten Behördenentscheidung auch in Bezug auf den nationalen [X.] dient der Verfahrensbeschleunigung und -konzentration (d). Es verletzt weder das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG (e) noch widerspricht es Unionsrecht (f). Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Senats (g).

a) Mit Stellung eines Asylantrags geht die Prüfverantwortung für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 [X.] gemäß § 24 Abs. 2 [X.] von der Ausländerbehörde auf das [X.] über. Damit erstreckt sich die Zuständigkeit des [X.] über die primären Verfahrensgegenstände eines Asylverfahrens nach § 31 Abs. 2 [X.] (Asyl, Flüchtlingsschutz und subsidiärer Schutz) hinaus auch auf die - an sich originär ausländerrechtliche - Prüfung des Vorliegens von [X.] nach § 60 Abs. 5 und 7 [X.]. Inhalt und Grenzen der Entscheidungsbefugnis des [X.] ergeben sich aus § 31 Abs. 3 und 5 und § 32 [X.]. Nach dem dort festgelegten (objektivrechtlichen) "[X.]" (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2017 - 1 [X.] 10.17 - [X.] 402.251 § 31 [X.] Nr. 2 Rn. 16) muss das [X.] abhängig vom Ergebnis der Prüfung des eigentlichen Asylantrags sowie im Falle der Antragsrücknahme oder des Verzichts auch über das Vorliegen von [X.] nach nationalem Recht entscheiden.

aa) Nach der Grundregel des § 31 Abs. 3 Satz 1 [X.] hat das [X.] sowohl bei zulässigen als auch bei unzulässigen Asylanträgen und selbst bei Vorliegen eines [X.], der nach § 30 Abs. 5 [X.] als (offensichtlich) unbegründeter Asylantrag gilt, über das Vorliegen von [X.] nach nationalem Recht zu entscheiden. Dabei bezieht sich die nach § 31 Abs. 3 Satz 1 [X.] zu treffende Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 [X.] vorliegen, in den Fällen unzulässiger Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 [X.] nicht auf den Herkunftsstaat des Asylbewerbers, sondern auf den [X.] der Abschiebung bzw. Überstellung (BVerwG, Beschluss vom 3. April 2017 - 1 [X.] 9.16 - [X.] 402.251 § 31 [X.] Nr. 1 Rn. 9). Dies stellt sicher, dass eine ggf. zu erlassende Rückführungs- oder Überstellungsentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung nach § 34 [X.] oder einer Abschiebungsanordnung nach § 34a [X.] ohne Verletzung des konventionsrechtlichen Refoulementverbots (Art. 33 GK) oder grund- und menschenrechtlicher Garantien (insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 [X.]) ergeht. Eine solche "Vorratsentscheidung" ist - abgesehen von den ausdrücklich im Gesetz genannten Fällen - auch dann nicht entbehrlich, wenn aus tatsächlichen Gründen (z.B. wegen [X.]) wenig Aussicht auf Durchsetzung der Ausreisepflicht besteht. Insoweit dient § 31 Abs. 3 Satz 1 [X.] dem gesetzgeberischen Ziel, Asylverfahren zu konzentrieren und zu beschleunigen, um im Falle der Ablehnung des Asylbegehrens die Aufenthaltsbeendigung ohne weitere Verzögerungen durchsetzen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2003 - 1 [X.] 21.02 - BVerwGE 118, 308 <311 f.> zu § 53 AuslG).

bb) Von der nach § 31 Abs. 3 Satz 1 [X.] an sich gebotenen Entscheidung über das Vorliegen von [X.] kann nach Satz 2 abgesehen werden, wenn der Betroffene als Asylberechtigter anerkannt oder ihm internationaler Schutz zuerkannt wird. Beruht die Anerkennung als Asylberechtigter auf § 26 Abs. 1 bis 3 [X.] ([X.]) bzw. die Zuerkennung internationalen Schutzes auf § 26 Abs. 5 [X.] (internationaler Schutz für Familienangehörige), verdichtet sich das Ermessen nach § 31 Abs. 5 [X.] und soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 [X.] abgesehen werden.

b) Dieses gesetzliche "[X.]" des [X.] fußt auf der Grundentscheidung, dass einem Schutzsuchenden Schutz vorrangig auf derjenigen Stufe zu gewähren ist, die den umfassendsten Schutz vermittelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 [X.] 29.17 - BVerwGE 162, 44 Rn. 44). Damit ist die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote gegenüber der Prüfung der Asylberechtigung und der Zuerkennung internationalen Schutzes nachrangig, ohne dass sich die verschiedenen Schutzformen materiell oder verfahrensrechtlich ausschließen. Der betroffene Ausländer erleidet hierdurch keinen Nachteil, weil die Zuerkennung eines positiven Schutzstatus für ihn günstigere Rechtswirkungen entfaltet und er im Falle eines Widerrufs oder einer Rücknahme eine Vollprüfung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 [X.] beanspruchen kann (§ 73 Abs. 3 [X.]).

c) Dass über ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 [X.] erst nach einer (wirksamen) Entscheidung über den Asylantrag zu befinden ist, ergibt sich auch daraus, dass der nationale [X.] zielstaatsbezogen ist. Welcher Staat dabei in den Blick zu nehmen ist, hängt indes vom Ausgang des Asylverfahrens ab. Ist ein Asylantrag zulässig, aber unbegründet, ist dies (vorrangig) der Herkunftsstaat. Ist der Asylantrag hingegen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 [X.] (Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat) oder nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 [X.] (Aufnahmebereitschaft eines sonstigen [X.], in dem der Ausländer vor Verfolgung sicher war) unzulässig, ist dem Ausländer die Abschiebung in den Staat anzudrohen, in dem er vor Verfolgung sicher war (§ 35 [X.]). Hat das [X.] das Asylverfahren nach § 37 Abs. 1 Satz 2 [X.] fortzuführen, muss es im fortzuführenden Verfahren prüfen, ob es den Asylantrag erneut als unzulässig ablehnt oder - nach Verneinung eines Unzulässigkeitsgrundes - in der Sache entscheidet. Dabei muss es sich mit den vom Gericht im Eilverfahren angedeuteten Zweifeln auseinandersetzen, ist an dessen Bewertung aber nicht gebunden (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 15.18 - BVerwGE 164, 179 Rn. 31).

d) Auch der das Asylrecht prägende Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung und -konzentration spricht gegen die Statthaftigkeit einer vom Ausgang des Asylverfahrens entkoppelten (isolierten) Verpflichtungsklage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 [X.] während eines laufenden Asylverfahrens. Dies gilt auch in den von § 37 Abs. 1 [X.] erfassten Fallkonstellationen.

Nach § 37 Abs. 1 [X.] führt ein erfolgreicher Eilantrag gegen eine Abschiebungsandrohung im Falle eines vom [X.] nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 oder 4 [X.] als unzulässig abgelehnten Asylantrags zur Unwirksamkeit sowohl der [X.] als auch der Abschiebungsandrohung (Satz 1) mit der Folge, dass das Asylverfahren vom [X.] fortzuführen ist (Satz 2). Dies dient der Verfahrensbeschleunigung. Durch Straffung des gerichtlichen Verfahrens soll zügig ein rechtmäßiger Zustand hergestellt werden. Mit der [X.] des § 37 Abs. 1 Satz 1 [X.] soll die ansonsten dem Hauptsacheverfahren vorbehaltene Kassation des Verwaltungsaktes vorweggenommen werden (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 15.18 - BVerwGE 164, 179 Rn. 26). Die damit bezweckte Verfahrensbeschleunigung würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn das Gericht anknüpfend an eine auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 [X.] gestützte unwirksame [X.] und eine damit einhergehende, ebenfalls unwirksame Abschiebungsandrohung zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote prüfen müsste, obwohl das Asylverfahren vom [X.] in dem Stadium, in dem es sich vor der Ablehnung befunden hat, mit grundsätzlich offenem Ausgang fortzuführen ist (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 15.18 - BVerwGE 164, 179 Rn. 31).

Zudem würde in diesem Verfahrensstadium eine ungeachtet des beim [X.] noch anhängigen Asylverfahrens auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gerichtete (isolierte) Vorabverpflichtung zu einer - im Asylrecht nach dem Gedanken der [X.] grundsätzlich unerwünschten - Verfahrensaufspaltung und Doppelprüfung führen. Denn die Frage einer dem Ausländer im [X.] möglicherweise drohenden Verletzung des Art. 3 [X.] durch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung stellt sich nicht nur beim nationalen [X.], sondern über Art. 4 GR[X.] auch bei der - im vorliegenden Verfahren weiterhin offenen und vom [X.] im fortzuführenden Asylverfahren zu prüfenden - Frage, ob der Asylantrag wegen des der Klägerin in [X.] gewährten internationalen Schutzes nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 [X.] in unionsrechtskonformer Einschränkung unzulässig ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21. April 2020 - 1 [X.] 4.19 - juris, im [X.] an [X.], Urteil vom 19. März 2019 - [X.]-297/17 u.a. [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2019:219], [X.] u.a. - und Beschluss vom 13. November 2019 - [X.]-540/17 u.a. [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2019:964], [X.] und [X.] -). [X.] man während eines vom [X.] fortzuführenden Asylverfahrens die Statthaftigkeit einer auf eine (positive) Entscheidung zum nationalen [X.] gerichteten (isolierten) Verpflichtungsklage, hätte dies zur Folge, dass das Verwaltungsgericht - vorab und bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung - über die Gewährung nationalen [X.]es entschiede. Diese Entscheidung entfaltete in dem vom [X.] fortzuführenden Asylverfahren bei der (erneuten) Prüfung der Zulässigkeit des Asylantrags trotz eines im rechtlichen Ansatz identischen [X.] keine Bindungswirkung, weil es sich prozessual um unterschiedliche Ansprüche handelt. Auch in tatsächlicher Hinsicht hätte die Entscheidung des [X.] allenfalls eine begrenzte Aussagekraft für die neuerliche Entscheidung des [X.] und dessen gerichtliche Überprüfung wegen der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 [X.] jeweils maßgeblichen (unterschiedlichen) Entscheidungszeitpunkte für die Feststellung und Bewertung der Lebensverhältnisse im [X.] Mitgliedstaat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. September 2020 - 1 [X.] - [X.] 2021, 28 = juris Rn. 15 ff.).

e) Die Statthaftigkeit lediglich einer auf Kassation der Entscheidung des [X.] zum nationalen [X.] gerichteten Anfechtungsklage statt einer auf positive behördliche Feststellung gerichteten Verpflichtungsklage verletzt in den von § 37 Abs. 1 [X.] erfassten Konstellationen nicht das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG. Das [X.] hat in dem nach § 37 Abs. 1 Satz 2 [X.] fortzuführenden Asylverfahren nach Maßgabe des § 31 Abs. 3 [X.] (erneut) über das Vorliegen von [X.] nach § 60 Abs. 5 und 7 [X.] zu entscheiden. Dabei muss es sich mit den vom Gericht im Eilverfahren angedeuteten Zweifeln auseinandersetzen (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 15.18 - BVerwGE 164, 179 Rn. 31). [X.] es - bezogen auf den Zeitpunkt seiner neuerlichen Entscheidung - (erneut) die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots, kann der Betroffene hiergegen gerichtlich vorgehen. Dies führt nicht zu der von der Klägerin befürchteten Gefahr einer Rechtsschutzverweigerung. Denn die [X.], die das Asylgesetz zur Verfügung stellt, ermöglichen dem [X.] auch im Falle einer neuerlichen [X.] die Vermeidung einer "Endlosschleife" im Verfahren (BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 - 1 [X.] 15.18 - BVerwGE 164, 179 Rn. 31 ff.). Das vorliegende Verfahren gibt keinen Grund zu der Annahme, dass das [X.] hiervon in der Praxis keinen Gebrauch macht. Allein der Umstand, dass es wegen des anhängigen Revisionsverfahrens und der hierdurch aufgeworfenen möglichen Konsequenzen für seine weitere Prüfung noch keine Entscheidung im fortzuführenden Asylverfahren getroffen hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

f) Auch Unionsrecht steht nicht entgegen. Der nationale [X.] nach § 60 Abs. 5 und 7 [X.] unterliegt im Gegensatz zum internationalen Schutz keinen unionsrechtlichen Vorgaben. Insbesondere findet das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 46 [X.] 2013/32/[X.] auf ihn keine Anwendung. Dessen ungeachtet steht der Klägerin gegen eine neuerliche negative Entscheidung des [X.] ein Rechtsbehelf zur Verfügung und besteht nach den vorstehenden Ausführungen nicht die Gefahr, dass ihr dadurch effektiver Rechtsschutz in angemessener Zeit vorenthalten wird.

g) Soweit das Verwaltungsgericht in der vorliegenden Konstellation eine Verpflichtungsklage vor einer (neuerlichen) Entscheidung über den Asylantrag für statthaft hält, beziehen sich die von ihm zitierten Ausführungen in der Rechtsprechung des Senats (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 [X.] 4.16 - BVerwGE 157, 18 Rn. 20) auf die Statthaftigkeit einer hilfsweise zu erhebenden Verpflichtungsklage für den Fall, dass die gegen die [X.] gerichtete Anfechtungsklage keinen Erfolg hat und damit eine wirksame (negative) Entscheidung des [X.] über den Asylantrag vorliegt. Vorliegend geht es hingegen darum, ob eine (isolierte) Verpflichtungsklage statthaft ist, wenn es an einer Entscheidung über den Asylantrag fehlt, weil [X.] unwirksam und das Asylverfahren vom [X.] fortzuführen ist.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

5. Gerichtskosten werden gemäß § [X.] [X.] nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 [X.]. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 [X.] liegen nicht vor.

Meta

1 C 36/20

27.05.2021

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 25. Mai 2020, Az: OVG 3 B 9.19, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.05.2021, Az. 1 C 36/20 (REWIS RS 2021, 5479)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5479

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

M 13 K 21.30802

AN 14 K 22.50037

AN 14 K 22.50075

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