Bundesarbeitsgericht, EuGH-Vorlage vom 17.03.2015, Az. 1 ABR 62/12 (A)

1. Senat | REWIS RS 2015, 13953

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anwendung der Leiharbeitsrichtlinie auf Rote-Kreuz-Schwestern


Leitsatz

Der Senat ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union gem. Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um die Beantwortung der folgenden Frage:

Findet Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit Anwendung auf die Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein anderes Unternehmen zur Arbeitsleistung nach dessen fachlicher und organisatorischer Weisung, wenn sich das Vereinsmitglied bei seinem Vereinsbeitritt verpflichtet hat, seine volle Arbeitskraft auch Dritten zur Verfügung zu stellen, wofür es von dem Verein eine monatliche Vergütung erhält, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richtet, und der Verein für die Überlassung den Ersatz der Personalkosten des Vereinsmitglieds sowie eine Verwaltungskostenpauschale erhält?

Tenor

I. Der [X.] wird gem. Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) um die Beantwortung der folgenden Frage ersucht:

Findet Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit Anwendung auf die Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein anderes Unternehmen zur Arbeitsleistung nach dessen fachlicher und organisatorischer Weisung, wenn sich das Vereinsmitglied bei seinem Vereinsbeitritt verpflichtet hat, seine volle Arbeitskraft auch [X.] zur Verfügung zu stellen, wofür es von dem Verein eine monatliche Vergütung erhält, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richtet, und der Verein für die Überlassung den Ersatz der Personalkosten des Vereinsmitglieds sowie eine Verwaltungskostenpauschale erhält?

[X.] Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Gründe

A. Gegenstand des Ausgangsverfahrens

1

Die Arbeitgeberin beschäftigt etwa 190 Arbeitnehmer. Sie betreibt in [X.] eine stationäre Klinik. Am Verfahren beteiligt ist der bei ihr gebildete Betriebsrat.

2

Die Arbeitgeberin und die [X.]-[X.] [X.] e. V. ([X.]) schlossen im [X.] eine als „Gestellungsvertrag“ bezeichnete Vereinbarung. Nach dieser übernimmt es die [X.], Angehörige der pflegenden und pflegenahen Berufe bei der Arbeitgeberin einzusetzen. Bei diesem Personal handelt es sich um Vereinsmitglieder der [X.]. Während ihrer Tätigkeit in der Klinik unterliegen die Mitglieder der [X.] den fachlichen und organisatorischen Weisungen der Arbeitgeberin. Für die Überlassung erhält die [X.] von der Arbeitgeberin ein Gestellungsentgelt. Dies umfasst die [X.] und eine 3%ige Verwaltungskostenpauschale. Die [X.] verfügt seit Dezember 2011 über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.

3

Die [X.] ist in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins organisiert. In § 1 Unterabs. 3, § 2 ihrer Satzung bezeichnet sie sich als eine Gemeinschaft, die „den Mitgliedern die Ausübung ihres Berufes im caritativen Geist unter dem Zeichen des [X.] ermöglicht und das [X.] festigt“. Die [X.] ist „selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke“. Nach der Vereinssatzung können Personen eine Mitgliedschaft zur Berufsausübung begründen, wenn sie berechtigt sind, einen Beruf in der [X.] auszuüben. Diese Vereinsmitglieder sind verpflichtet, der [X.] ihre volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Ihre Tätigkeit üben sie entweder bei der [X.] oder im Rahmen von Gestellungsverträgen bei [X.] in Einrichtungen der Krankheits- und Gesundheitspflege aus. Sie erhalten [X.]. eine monatliche Vergütung, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richtet, Reise- und Umzugskosten, eine Anwartschaft auf ein zusätzliches Ruhegeld, Erholungsurlaub sowie eine Fortzahlung der Vergütung bei einer durch Unfall oder Krankheit verursachten Arbeitsunfähigkeit. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kann ein Mitglied aus der [X.] ausgeschlossen werden.

4

Die [X.] ist über ihre Mitgliedschaft im Verband der [X.]en vom [X.] ([X.]) angeschlossen. Dieses ist Teil der [X.]. Den bundesweit 33 [X.]en des [X.] gehören insgesamt rund 22.000 Rotkreuzschwestern und -pfleger an. Diese sind sowohl in eigenen Einrichtungen der [X.]-[X.]en als auch im Rahmen von Gestellungsverträgen in Einrichtungen anderer Rechtsträger tätig. Die [X.]-[X.] [X.] e. V. schließt seit dem [X.] mit Pflegekräften keine Arbeitsverträge mehr ab. Sie nimmt diese nur als Vereinsmitglieder auf.

5

Eine dieser Schwestern ist [X.] Sie sollte im Betrieb der Arbeitgeberin ab dem 1. Jan[X.]r 2012 auf der Grundlage des mit der [X.] im [X.] abgeschlossenen Gestellungsvertrags auf unbestimmte Zeit im Pflegedienst eingesetzt werden. Der Betriebsrat verweigerte mit Schreiben vom 2. Dezember 2011 seine Zustimmung zur Einstellung, weil der Einsatz von [X.] nicht vorübergehend sei und damit gegen das [X.] verstoße. Die Arbeitgeberin setzt [X.] seit dem 1. Jan[X.]r 2012 im Rahmen einer vorläufigen personellen Maßnahme in ihrer Klinik im Pflegedienst ein.

6

In dem von der Arbeitgeberin eingeleiteten Beschlussverfahren hat diese die gerichtliche Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur Einstellung von [X.] beantragt. Sie hat gemeint, der geltend gemachte [X.] bestehe nicht. Das [X.] finde keine Anwendung, weil [X.] Vereinsmitglied der [X.] und nicht deren Arbeitnehmerin sei. Die Vorinstanzen haben die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Einstellung von [X.] ersetzt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats.

B. Das einschlägige nationale Recht

I. Gesetzliche Vorschriften

1. Betriebsverfassungsgesetz

7

§ 99 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 des zuletzt durch Gesetz vom 20. April 2013 ([X.]) geänderten Betriebsverfassungsgesetzes ([X.]) lauten in der Fassung vom 25. September 2001:

        

„§ 99 Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen

        

(1) In Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, … zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen. …

        

(2) Der Betriebsrat kann die Zustimmung verweigern, wenn

        

1. die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz, … verstoßen würde,

        

…“    

8

Eine Einstellung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] setzt nicht die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Inhaber des [X.] voraus. Die Voraussetzungen von § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] liegen nach der Rechtsprechung des [X.] bereits dann vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen ([X.] 23. Juni 2010 - 7 [X.] - Rn. 13, [X.]E 135, 26).

2. [X.]

9

§ 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des zuletzt durch das [X.] zur Änderung des [X.]es - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28. April 2011 (- Missbrauchsverhinderungsgesetz - BGBl. I S. 642) geänderte [X.] ([X.]) lauten in der ab dem 1. Dezember 2011 geltenden Fassung:

        

„§ 1 Erlaubnispflicht

        

(1) Arbeitgeber, die als Verleiher [X.] ([X.]) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen wollen, bedürfen der Erlaubnis. Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend. …“

Nach der Rechtsprechung des [X.] verbietet § 1 Abs. 1 Satz 2 [X.] in der seit dem 1. Dezember 2011 geltenden Fassung die nicht nur vorübergehende Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher. Auf dieses gesetzliche Verbot kann sich der im Betrieb eines Entleihers gebildete Betriebsrat gegenüber der Übernahme eines Leiharbeitnehmers berufen (zuletzt [X.] 30. September 2014 - 1 [X.] - Rn. 17). In einem solchen Fall muss der Einsatz des Leiharbeitnehmers beim [X.] Unternehmen unterbleiben.

[X.] Die nationale Rechtsprechung zur Anwendung des [X.]

1. Die Geltung des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] setzt voraus, dass es sich bei der zur Arbeitsleistung an einen Entleiher überlassenen Person um einen Arbeitnehmer des Verleihers handelt ([X.] 9. November 1994 - 7 [X.] - zu II der Gründe, [X.]E 78, 252). Das [X.] enthält selbst keine Definition des Arbeitnehmerbegriffs. Ebenso fehlt im nationalen Recht eine für alle arbeitsrechtlichen Gesetze geltende Definition der Arbeitnehmereigenschaft. Bei der Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist deshalb von dem durch die Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Arbeitnehmerbegriff auszugehen. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung [X.], [X.] Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (zuletzt [X.] 17. September 2014 - 10 [X.] - Rn. 18).

2. Mitglieder der [X.]-[X.]en sind nach der Rechtsprechung des [X.] keine Arbeitnehmer im Sinne des im nationalen Recht verwandten allgemeinen Arbeitnehmerbegriffs. Sie erbringen ihre Arbeitsleistung zwar in [X.] persönlicher Abhängigkeit. Rechtsgrundlage für die von ihnen geschuldeten Dienste ist aber kein privatrechtlicher Vertrag, sondern der privatautonom begründete Vereinsbeitritt zu der [X.] und die damit verbundene Pflicht, den Vereinsbeitrag in der Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit zu erbringen. Ein Rechtssatz, wonach bei solchen Diensten ausschließlich ein Arbeitsverhältnis begründet wird, besteht im nationalen Recht nicht. Entsprechend der grundgesetzlich geschützten Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) können abhängige Dienste auch als Mitgliedschaftsbeitrag erbracht werden, soweit durch die Arbeitspflichten zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen nicht umgangen werden. Eine solche Umgehung hat das [X.] angesichts der für die Vereinsmitglieder in den Satzungen und Mitgliedsordnungen der [X.]en vorgesehenen Leistungen verneint ([X.] 6. Juli 1995 - 5 [X.] - zu [X.] 2 b und c der Gründe, [X.]E 80, 256).

C. Einschlägige Vorschriften des Unionsrechts

Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/104/[X.] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit ([X.] L 327 vom 5. Dezember 2008 S. 9 - [X.] 2008/104/[X.]) lauten:

        

„Artikel 1

        

Anwendungsbereich

        

(1) Diese Richtlinie gilt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die [X.] Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.

        

(2) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, bei denen es sich um Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen handelt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht.

        

…       

        

Artikel 2

        

Ziel   

        

Ziel dieser Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Q[X.]lität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von [X.] gemäß Artikel 5 gesichert wird und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.

        

Artikel 3

        

Begriffsbestimmungen

        

(1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

        

a)      

‚Arbeitnehmer‘ eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist;

        

…“    

D. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefrage:

I. Die Entscheidung über den Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin hängt von der Begründetheit des vom Betriebsrat geltend gemachten [X.]s aus § 99 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ab. Bei dem beabsichtigten Einsatz von [X.] handelt es sich um eine Einstellung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Über diese hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet. Der danach zulässige Antrag der Arbeitgeberin wäre abzuweisen, wenn [X.] während ihres Einsatzes bei der Arbeitgeberin als Arbeitnehmer iSd. Art. 1 Abs. 1 [X.] 2008/104/[X.] anzusehen wäre und die Überlassung gegen Erstattung der [X.] zuzüglich einer Verwaltungskostenpauschale eine wirtschaftliche Tätigkeit der [X.] iSd. Art. 1 Abs. 2 [X.] 2008/104/[X.] darstellt. Würde dieser Sachverhalt von der [X.] 2008/104/[X.] erfasst, wären § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 [X.] nach den Grundsätzen der unionsrechtskonformen Auslegung dahingehend auszulegen, dass der Einsatz von [X.] eine nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung darstellt, die nach nationalem Recht unzulässig ist.

[X.] Der [X.] vermag nicht mit der für ein letztinstanzliches Gericht gebotenen Sicherheit zu beurteilen, ob er die im nationalen Recht geltenden Grundsätze für die Arbeitnehmereigenschaft bei der Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] heranziehen kann und welche Anforderungen für eine wirtschaftliche Tätigkeit nach Unionsrecht gelten.

1. Es ist nicht hinreichend geklärt, ob das Unionsrecht der Heranziehung der im nationalen Recht geltenden Grundsätze entgegensteht, die für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft von Personen gelten, die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.] zur Arbeitsleistung überlassen werden.

a) Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a [X.] 2008/104/[X.] bezeichnet der Ausdruck „Arbeitnehmer“ eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist. Nach der dort bestimmten Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten ist bei der Auslegung des nationalen Rechts nicht von dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff auszugehen.

b) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann das Unionsrecht aber selbst dann, wenn sich die Definition des Arbeitnehmerbegriffs nach nationalem Recht richtet, das den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessen begrenzen. Die in einer Richtlinie verwendeten Begriffe können danach nur in dem Umfang entsprechend dem nationalen Recht und/oder der nationalen Praxis definiert werden, soweit die praktische Wirksamkeit der Richtlinie und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts gewahrt bleiben. Die Mitgliedstaaten dürfen - so der Gerichtshof - daher keine Regelung anwenden, die die Verwirklichung der mit einer Richtlinie verfolgten Ziele gefährden und sie damit ihrer praktischen Wirksamkeit berauben können. Insbesondere darf ein Mitgliedstaat nicht unter Verletzung der praktischen Wirksamkeit der jeweiligen Richtlinie nach seinem Belieben bestimmte Personalkategorien von dem durch diese bezweckten Schutz ausnehmen ([X.] 1. März 2012 - [X.]/10 - [O’[X.]] Rn. 34 ff.).

c) Es ist nicht eindeutig, ob die mit der [X.] 2008/104/[X.] verfolgten Ziele in Frage gestellt werden, wenn die im nationalen Recht für die Leiharbeit geltenden Vorschriften nur dann eingreifen, wenn die Person, die einem [X.] Unternehmen zur Arbeitsleistung überlassen wird, mit dem Verleiher einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat.

aa) Nach Art. 2 [X.] 2008/104/[X.] ist es Ziel der Richtlinie, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Q[X.]lität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von [X.] und die Leiharbeitsunternehmen als Arbeitgeber anerkannt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.

bb) Danach könnte es mit Unionsrecht unvereinbar sein, wenn den Mitgliedern der [X.]en die in der [X.] 2008/104/[X.] vorgesehenen Schutzvorschriften nur deshalb vorenthalten bleiben, weil ihr Rechtsverhältnis nach nationalem Recht nicht als Arbeitsverhältnis anzusehen ist. Leiharbeitnehmer und Mitglieder der [X.]en sind gleichermaßen in ihren Rechtsverhältnissen zur Leistung abhängiger Arbeit gegen Zahlung einer Vergütung verpflichtet. Beide Personalkategorien können [X.] Unternehmen nach deren Weisungen zur Arbeitsleistung überlassen werden. Auch die Tätigkeit der als Leiharbeitsunternehmen und [X.] Unternehmen handelnden Rechtsträger unterscheidet sich nicht. Daher ist die Herausnahme von Personen aus dem Anwendungsbereich der [X.] 2008/104/[X.], die [X.] Unternehmen zur Arbeitsleistung überlassen werden, auch für das wettbewerbsrechtliche Verhältnis von Leiharbeitsunternehmen im Pflegebereich von Bedeutung.

cc) Dafür, dass die Einordnung des zwischen Verleiher und der zur Arbeitsleistung überlassenen Person bestehenden Rechtsverhältnisses für das Unionsrecht keine Bedeutung hat, könnte auch der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Alt. 2 [X.] 2008/104/[X.] sprechen. Der Abschluss eines Arbeitsvertrags ist nur für das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft nach der 1. Alternative erforderlich. Als Arbeitnehmer sind nach der 2. Alternative die Personen anzusehen, die mit einem Leiharbeitsunternehmen ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind. Dies kann dahingehend verstanden werden, dass sich die betreffende Person gegenüber dem Verleiher - unabhängig von der Art des dadurch begründeten Rechtsverhältnisses - nur zur Erbringung von fremdbestimmten Dienstleistungen nach dessen Weisungen verpflichtet haben muss.

2. Ebenso kann der [X.] nicht beurteilen, ob die Überlassung von Mitgliedern der [X.] an entleihende Unternehmen das Merkmal der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ iSd. Art. 1 Abs. 2 [X.] 2008/104/[X.] erfüllt. Nach dessen Wortlaut steht zwar die fehlende Verfolgung eines Erwerbszwecks durch das Leihunternehmen der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht entgegen. Das könnte zwar für die Erstreckung der [X.] 2008/104/[X.] auch auf die Überlassung von [X.] durch gemeinnützige Rechtsträger sprechen. Die Beantwortung dieser Frage betrifft aber die Auslegung des Unionsrechts, die nach Art. 267 AEUV dem Gerichtshof obliegt.

        

    Schmidt    

        

    K. Schmidt    

        

    Koch    

        

        

        

    Hromadka    

        

    Ralf-P. Hayen    

                 

Meta

1 ABR 62/12 (A)

17.03.2015

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Essen, 2. Februar 2012, Az: 3 BV 94/11, Beschluss

Art 267 AEUV, § 1 Abs 1 S 1 AÜG, § 1 Abs 1 S 2 AÜG, § 99 Abs 1 S 1 BetrVG, § 99 Abs 2 Nr 1 BetrVG, Art 1 Abs 1 EGRL 104/2008, Art 1 Abs 2 EGRL 104/2008, Art 2 EGRL 104/2008, Art 3 Abs 1 Buchst a EGRL 104/2008

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, EuGH-Vorlage vom 17.03.2015, Az. 1 ABR 62/12 (A) (REWIS RS 2015, 13953)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13953


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 ABR 62/12

Bundesarbeitsgericht, 1 ABR 62/12, 21.02.2017.


Az. 1 ABR 62/12 (A)

Bundesarbeitsgericht, 1 ABR 62/12 (A), 17.03.2015.


Az. 3 BV 94/11

Arbeitsgericht Essen, 3 BV 94/11, 02.02.2012.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 ABR 62/12 (Bundesarbeitsgericht)

Gestellung von Vereinsmitgliedern - Arbeitnehmerüberlassung


1 ABR 79/12 (Bundesarbeitsgericht)

Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Übernahme eines Leiharbeitnehmers - nicht vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung


7 ABR 1/09 (Bundesarbeitsgericht)

Mitbestimmung bei Einstellung - Vereinsmitglied - DRK-Schwesternschaft - Personalgestellung


6 AZR 390/20 (A) (Bundesarbeitsgericht)

Personalgestellung - Verstoß gegen die Leiharbeitsrichtlinie


12 TaBV 48/15 (Landesarbeitsgericht Düsseldorf)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.