Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.08.2018, Az. 4 C 7/17

4. Senat | REWIS RS 2018, 4981

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Gegenstand

Nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung


Leitsatz

1. Ob Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeber ab (wie BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 1995 - 4 B 215.95 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 131).

2. Wollte der Plangeber die Planbetroffenen mit den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung in ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis einbinden, sind diese Festsetzungen nachbarschützend. Dies gilt auch, wenn der Plangeber die nachbarschützende Wirkung im Zeitpunkt der Planaufstellung nicht in seinen Willen aufgenommen hatte.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen in Aussicht gestellte Befreiungen in einem der Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid.

2

Der Kläger, ein Segelverein, ist Eigentümer eines Grundstücks in [X.], das, direkt am [X.] gelegen, mit einem Vereinshaus sowie [X.] bebaut ist und für Vereinszwecke genutzt wird. Die Beigeladene ist Eigentümerin eines unmittelbar benachbarten [X.]. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des übergeleiteten Bebauungsplans [X.] aus dem [X.], geändert durch den [X.] aus dem Jahr 1971. Sie sind Teil eines Gebiets, den der Bebauungsplan als [X.] für den Wassersport ausweist. In den [X.] ist für diese [X.] u.a. als Maß der baulichen Nutzung eine größte Baumasse von 1,0 cbm umbauten Raumes je qm Baugrundstück, offene Bauweise und als zulässige Geschosszahl zwei Vollgeschosse festgesetzt.

3

Die Beigeladene beabsichtigt, nach (mittlerweile erfolgtem) Abriss der Bestandsbebauung auf ihrem Grundstück ein Wohnhaus mit Gewerbeanteil und Tiefgarage zu errichten. Das [X.] des Beklagten erteilte ihr dafür einen Bauvorbescheid und kündigte darin die Zustimmung zu Befreiungen nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB für diverse Abweichungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans an.

4

Der Kläger hat nach erfolglosem Widerspruch Klage gegen den Vorbescheid erhoben, soweit darin Befreiungen für die Überschreitung der zulässigen Zahl der Vollgeschosse von zwei auf sechs und der zulässigen Baumassenzahl von 1,0 auf 4,30 in Aussicht gestellt worden sind. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beigeladenen zurückgewiesen (NVwZ-RR 2018, 598).

5

Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beigeladene die Abweisung der Klage. Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beigeladenen ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht entschieden, dass der Vorbescheid hinsichtlich der in Aussicht gestellten [X.]en von der im Bebauungsplan [X.] festgesetzten zulässigen [X.] und der zulässigen Zahl der Vollgeschosse nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben ist, weil er insoweit rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des [X.] durch die Geltendmachung des Aufhebungsanspruchs hat es im Einklang mit Bundesrecht verneint.

7

1. Der Bauvorbescheid ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig. Die vom Beklagten in Aussicht gestellten [X.]en von den Festsetzungen des Bebauungsplans [X.] zur Zahl der Vollgeschosse und zur [X.] sind von § 31 Abs. 2 BauGB nicht gedeckt, weil die Abweichungen die Grundzüge der Planung berühren.

8

Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, einer der in Nr. 1 bis 3 genannten Tatbestände erfüllt ist und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Die Grundzüge der Planung ergeben sich aus der den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrunde liegenden und in ihnen zum Ausdruck kommenden planerischen Konzeption. Ob sie berührt werden, hängt von der jeweiligen [X.] ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die [X.] in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto näher liegt der Schluss auf eine Änderung der [X.], die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist ([X.], Urteil vom 18. November 2010 - 4 C 10.19 - [X.]E 138, 166 Rn. 37). Die [X.] kann nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der [X.] getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben ([X.], Beschluss vom 5. März 1999 - 4 B 5.99 - [X.] 406.11 § 31 BauGB Nr. 39 S. 2).

9

Das Oberverwaltungsgericht hat sich an der [X.]srechtsprechung orientiert. Es hat unter Bezugnahme auf die Planbegründung dem Bebauungsplan [X.] das zentrale Anliegen des [X.] entnommen, durch Festsetzungen zum [X.], insbesondere die Beschränkung der Zahl der Vollgeschosse, aber auch die [X.] für die in der [X.] für den Wassersport liegenden Grundstücke, das Landschaftsbild an dieser herausragenden Stelle zu schützen und den Gebietscharakter zu erhalten, wobei es um die Stärkung von Grünflächen und die Begrenzung der Bebauung unabhängig von der Art der baulichen Nutzung oder ihrem ästhetischen Erscheinungsbild gegangen sei. Das Konzept eines "grünen Uferbereichs" sei im Wesentlichen verwirklicht worden und habe auch heute noch Bestand. Von der Wasserseite betrachtet vermittle der Uferbereich am [X.] den Eindruck einer grünen, naturbetonten Landschaft, in der die Bebauung merklich zurücktrete und die einzelnen Gebäude, sofern sie nicht weitgehend durch Bäume verdeckt würden, unter der Baumgrenze blieben. Der Blick werde durch die Wasserfläche des [X.] und - jedenfalls im [X.] - die an den Steganlagen liegenden Boote sowie dem Wassersport zuzurechnenden Anlagen dominiert, wobei die Ufergrundstücke des Plangebiets Teil dieses einheitlich wirkenden Landschaftsbildes seien. Das beabsichtigte Vorhaben, das auf einen von der Beigeladenen ausgelobten Architektenwettbewerb zurückgehe, halte sich nicht in dem vom [X.] gesetzten Rahmen, sondern berühre die Grundzüge der Planung. Die Auswahlkommission attestiere dem einstimmig favorisierten Vorhaben einen morphologischen Bruch mit der Umgebung, bescheinige dem Solitär jedoch die Eignung, der Umgebung eine neue Ordnung zu geben und sie so zu erden. Diese Bewertung mache deutlich, dass dem Vorhaben als städtebauliche Dominante eine Schlüsselfunktion für eine neue städtebauliche Ordnung zukommen solle. Auf der Grundlage dieser tatrichterlichen Feststellungen lässt sich die Folgerung des [X.], dass die in Aussicht gestellten [X.]en Grundzüge der Planung berührten, rechtlich nicht beanstanden.

Die Beigeladene bestreitet, dass dem Bebauungsplan [X.] das vom Oberverwaltungsgericht ermittelte Planungskonzept zugrunde liege. Weil zum Zeitpunkt der [X.] und [X.] niemand mehr mit einem Neubau von Villen am [X.] gerechnet habe, sei es kein zentrales Anliegen des [X.] gewesen, den Wohnungsbau mit Maßbegrenzungen zu belegen. Dem [X.] sei es allein darum gegangen, die aus Wellblech bestehenden Bootslagerhallen einer Begrenzung des Maßes der baulichen Nutzung zu unterwerfen und sie durch den zum Ufer hin vorgelagerten Grünstreifen zu kaschieren. Ob die Kritik der Beigeladenen an der Beschreibung des Planungskonzepts berechtigt ist, muss der [X.] nicht entscheiden; denn er ist an die vorinstanzliche Auslegung des Bebauungsplans nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden (vgl. [X.], Beschluss vom 5. März 1999 - 4 B 5.99 - [X.] 406.11 § 31 BauGB Nr. 39 S. 3).

2. Die in Aussicht gestellten rechtswidrigen [X.]en verletzen den Kläger auch in seinen Rechten als Grundstücksnachbar.

Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass gegen eine fehlerhafte [X.] von einer [X.] Festsetzung eines Bebauungsplans ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben ist, dass also bei [X.] Festsetzungen jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung einer Baugenehmigung oder eines Bauvorbescheids führen muss, während eine fehlerhafte [X.] von einer nicht [X.] Festsetzung einen Abwehranspruch des Nachbarn nur auslöst, wenn die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die [X.] nicht die gebotene Rücksicht auf seine nachbarlichen Interessen genommen hat. Das steht mit der Rechtsprechung des [X.]s ([X.], Beschluss vom 8. Juli 1998 - 4 [X.] - [X.] 406.19 [X.] Nr. 153 S. 70 f.) im Einklang.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Festsetzungen zur [X.] und [X.] im Bebauungsplan [X.] als nachbarschützend angesehen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.]s ([X.], Beschluss vom 23. Juni 1995 - 4 [X.] - [X.] 406.19 [X.] Nr. 128) hat es den [X.] nicht dem Bundesrecht entnommen. Auch ist es - anders als das Verwaltungsgericht - nicht der Ansicht des [X.] gefolgt, dass hier "Quantität in Qualität" umschlage (vgl. [X.], Urteil vom 16. März 1995 - 4 C 3.94 - NVwZ 1995, 899) und daher der Sache nach die Art der baulichen Nutzung betroffen sei, deren Festsetzung grundsätzlich kraft Bundesrechts nachbarschützende Funktion hat ([X.], Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 - [X.]E 94, 151 <155>). Den [X.] Charakter der [X.] hat es unmittelbar aus dem Bebauungsplan [X.] abgeleitet.

Ob Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt nach der vom Oberverwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des [X.]s ([X.], Beschluss vom 19. Oktober 1995 - 4 B 215.95 - [X.] 406.19 [X.] Nr. 131 S. 12) vom Willen der [X.] als [X.] ab. Nach den für den [X.] bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen der Vorinstanz haben Fragen des [X.] Charakters bauplanerischer Festsetzungen bei der Aufstellung und Inkraftsetzung des Bebauungsplans [X.] im Bewusstsein des [X.] allerdings keine Rolle gespielt, weil der Gedanke des [X.]es im öffentlichen Baurecht erst ab 1960 entwickelt worden sei. Das Oberverwaltungsgericht sieht darin keinen Grund für die Versagung von Drittschutz: Auf die konkreten subjektiven Vorstellungen des Planungsträgers könne es allein nicht ankommen, weil dieser trotz seines weiten planerischen Spielraums nicht völlig frei sei, sondern die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 14 [X.] zu beachten habe. Daher seien der Bebauungsplan und der darin inhaltlich zum Ausdruck gebrachte Planungswille unabhängig von den konkreten Vorstellungen des historischen [X.] auf der Grundlage des heutigen Verständnisses von den Aufgaben der Bauleitplanung und dem System des baurechtlichen [X.]es unter Berücksichtigung von Art. 14 [X.] auszulegen. [X.] kämen deshalb drittschützende Wirkung zu, wenn sie nach dem Planungskonzept Bestandteil eines wechselseitigen nachbarlichen [X.] seien.

Der [X.] folgt dem Oberverwaltungsgericht darin, dass Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung auch dann drittschützende Wirkung entfalten können, wenn der Bebauungsplan aus einer Zeit stammt, in der man ganz allgemein und so auch hier an einen nachbarlichen Drittschutz noch nicht gedacht hat. Der baurechtliche [X.] beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen [X.], in dem der nachbarliche Interessenkonflikt durch Merkmale der Zuordnung, der Verträglichkeit und der Abstimmung benachbarter Nutzungen geregelt und ausgeglichen ist ([X.], Urteil vom 23. August 1996 - 4 C 13.94 - [X.]E 101, 364 <375>). Dieser Gedanke prägt nicht nur die Anerkennung der drittschützenden Wirkung von Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung ([X.], Urteile vom 23. August 1996 a.a.[X.] und vom 24. Februar 2000 - 4 C 23.98 - [X.] 406.12 § 9 [X.] Nr. 7 S. 3 f.), sondern kann auch eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung rechtfertigen (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Juni 1995 - 4 [X.] - [X.] 406.19 [X.] Nr. 128 S. 10). Stehen solche Festsetzungen nach der Konzeption des [X.] in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis, kommt ihnen nach ihrem objektiven Gehalt Schutzfunktion zugunsten der an dem Austauschverhältnis beteiligten Grundstückseigentümern zu. Daraus folgt unmittelbar, dass der einzelne Eigentümer die [X.] aus einer eigenen Rechtsposition heraus auch klageweise verteidigen kann (vgl. [X.], Urteil vom 23. August 1996 - 4 C 13.94 - [X.]E 101, 364 <376>).

Der Umstand, dass ein [X.] die Rechtsfolge einer [X.] Wirkung der Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung zum Zeitpunkt der Planaufstellung nicht in seinen Willen aufgenommen hatte, verbietet es nicht, die Festsetzungen nachträglich subjektiv-rechtlich aufzuladen. Es entspricht allgemeiner Rechtsüberzeugung, dass das öffentliche Baurecht nicht in dem Sinne statisch aufzufassen ist, dass es einer drittschutzbezogenen Auslegung unzugänglich wäre. Baurechtlicher [X.] ist das Ergebnis einer richterrechtlichen Rechtsfortbildung, welche hierbei von einer Auslegung der dafür offenen Vorschriften ausgeht ([X.], Urteil vom 23. August 1996 - 4 C 13.94 - [X.]E 101, 364 <376>). Das Oberverwaltungsgericht durfte daher auf den Beschluss des [X.]s vom 19. Oktober 1995 - 4 B 215.95 - ([X.] 406.19 [X.] Nr. 131 S. 12) Bezug nehmen, in dem der [X.] spätestens anerkannt hat, dass die [X.] als Planungsträger befugt ist, Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung mit nachbarschützender Wirkung auszustatten. Das planerische Konzept lässt der Drittschutz unberührt. Er führt also nicht dazu, dass dem Konzept nachträglich ein Inhalt beigemessen wird, der mit dem Willen des [X.] nicht mehr übereinstimmt. Er erlaubt nur, dass ein Nachbar Verstöße gegen dieses Konzept, wie es in den [X.] zum Ausdruck gekommen ist, geltend machen darf.

Mindestens missverständlich ist dagegen die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Verknüpfung des [X.]es mit Art. 14 [X.]. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verkannt, dass Art. 14 [X.] weder den Gesetz- noch den [X.] dazu verpflichtet, Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung drittschützenden Charakter beizulegen. Es könnte aber zum Ausdruck gebracht haben, dass Art. 14 [X.] dazu nötigt, Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung drittschutzfreundlich auszulegen. In diesem Fall wäre ihm zu widersprechen. Ob der [X.] eine Maßfestsetzung auch zum Schutze des Nachbarn trifft oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestaltet, darf er regelmäßig selbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden ([X.], Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 - [X.]E 94, 151 <155>). Dagegen dürfte nicht zu beanstanden sein, wenn das Oberverwaltungsgericht dem Eigentumsrecht des Bauwilligen das Verbot entnehmen wollte, auch solchen Festsetzungen Drittschutz beizulegen, an deren Einhaltung Dritte kein berechtigtes Interesse haben können (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Oktober 1991 - 4 B 137.91 - [X.] 406.19 [X.] Nr. 104 S. 80).

Sollte das Oberverwaltungsgericht von einem unzutreffenden Verständnis dessen ausgegangen sein, was aus Art. 14 [X.] zugunsten des Drittschutzes folgt, würde das Urteil darauf nicht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO beruhen. Das Oberverwaltungsgericht hat die [X.] dargestellt, die nach seinem Verständnis dem Bebauungsplan [X.] zugrunde liegt, und daraus auf ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis geschlossen, das auch die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung umfasst. Dass die Herleitung eines solchen Verhältnisses von einem fehlerhaften Verständnis des Art. 14 [X.] beeinflusst worden sein könnte, ist nicht ersichtlich.

An die Auslegung des Bebauungsplans ist der [X.] nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden. Die Bindung entfiele nur, wenn der Befund des [X.], den entscheidungserheblichen [X.] komme als Teil des nachbarlichen [X.] nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck gekommenen Planungskonzept nachbarschützende Wirkung zu, gegen Bundesrecht, insbesondere gegen das Grundgesetz verstieße (vgl. [X.], Urteil vom 21. April 2009 - 4 C 3.08 - [X.]E 133, 347 Rn. 7 m.w.N.). Das ist nicht der Fall.

Das Oberverwaltungsgericht hat das nachbarliche Austauschverhältnis freilich nicht auf ein [X.] ("do ut des") beschränkt; denn es hat nicht festgestellt, dass die hier in Rede stehenden [X.] auch dazu dienen sollen, einer gegenseitigen Verschattung der Grundstücke im Plangebiet vorzubeugen oder jedem Grundstück eine möglichst ungestörte Sicht auf die Umgebung zu erhalten. Es benutzt den Begriff des nachbarlichen [X.] vielmehr als Schlagwort für eine Beziehung zwischen den Planbetroffenen, die auf Gegenseitigkeit angelegt ist und diese zur Bewahrung des Gebietscharakters verpflichtet, aber auch berechtigt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Der Begriff des nachbarlichen [X.] ist nicht bundesrechtlich determiniert.

Die Bewahrung des Gebietscharakters ist typisches Ziel einer Nachbarklage gegen ein Bauvorhaben, das gegen eine Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung verstößt. In diesem Zusammenhang hat die Rechtsprechung den Begriff des wechselseitigen nachbarlichen [X.] geprägt, auf dem der [X.] beruht. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht in Abrede gestellt, dass Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung den Gebietscharakter im Allgemeinen nicht berühren und deshalb nicht nachbarschützend sind. Nach seinen Feststellungen gilt dies hier jedoch nicht, weil die [X.] von wesentlicher Bedeutung für den vom [X.] konzipierten Charakter der [X.] für den Wassersport seien. Maßgebliche Zielsetzungen seien die Stärkung des Grünflächenanteils, die Gestaltung eines von Bebauung frei gehaltenen Uferbereichs und die Beschränkung der baulichen Ausnutzung der Grundstücke insgesamt, wobei diese Planungsziele durch eine Kombination der einzelnen Festsetzungen erreicht werden sollten. Auch die Festsetzungen zur Zahl der Vollgeschosse und der [X.] sollten zu der spezifischen Qualität des Sondergebiets beitragen und nach dem erklärten Willen des [X.] der Bewahrung dieses Gebietscharakters dienen. Der Ausgangspunkt des [X.], dass die [X.] auch den Gebietscharakter beeinflussen können, ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung, dass die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann ([X.], Urteil vom 16. März 1995 - 4 C 3.94 - [X.] 406.12 § 15 [X.] Nr. 24 S. 5), nicht zu beanstanden. Die Würdigung, dass ein solcher Fall hier gegeben sei, mag zweifelhaft sein, bundesrechtswidrig ist sie nicht.

Ob der Kläger durch die Maßüberschreitungen überhaupt einen Nachteil erleidet, ist ohne Bedeutung. [X.] auf der Grundlage eines wechselseitigen [X.] ist nicht von einer konkreten Beeinträchtigung des Nachbarn abhängig ([X.], Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 4 [X.] - [X.] 406.12 § 1 [X.] Nr. 32 Rn. 5).

3. Die Geltendmachung des Klageanspruchs verstößt nicht gegen [X.] und Glauben.

Nach der Rechtsprechung des [X.]s muss eine Nachbarklage zum Schutze einer planwidrigen Nutzung erfolglos bleiben, weil rechtsmissbräuchlich handelt, wer unter Berufung auf das nachbarliche Austauschverhältnis eine eigene Nutzung schützen möchte, die ihrerseits das nachbarliche Austauschverhältnis stört ([X.], Urteil vom 24. Februar 2000 - 4 C 23.98 - [X.] 406.12 § 9 [X.] Nr. 7 S. 4).

Soweit vorliegend von Belang, ist das nachbarschaftliche Austauschverhältnis insoweit berührt, als das Vorhaben des Beigeladenen mehr Vollgeschosse haben soll, als es der Bebauungsplan [X.] erlaubt. Gestört wird es durch den Kläger dadurch, dass er selbst mit seinem [X.] die Zahl der zulässigen Vollgeschosse überschreitet, nicht aber durch einen vom Beigeladenen behaupteten planungsrechtlich unzulässigen Betrieb einer öffentlichen Gaststätte in dem [X.], eine mögliche Unterschreitung des seitlichen Grenzabstands durch das [X.] und ein Mastenlager sowie die nur eingeschränkte Verwirklichung des im Bebauungsplan festgesetzten [X.] auf dem klägerischen Grundstück. Es ist deshalb allein von Bedeutung, dass der Kläger seinerseits gegen die [X.] verstößt, deren Einhaltung er von der Beigeladenen verlangt.

Ein Nachbar ist unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung nur gehindert, einen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften geltend zu machen, wenn er in vergleichbarer Weise, d.h. etwa im selben Umfang, gegen diese Vorschriften verstoßen hat ([X.], Beschluss vom 30. März 1999 - 1 M 897/99 - [X.]; [X.], Beschluss vom 29. September 2010 - 3 S 1752/10 - juris Rn. 5; [X.], Urteil vom 4. Februar 2011 - 1 BV 08.131 - juris Rn. 37). Das ist hier nicht der Fall. Das Ausmaß, in dem das [X.] mit den Festsetzungen über die zulässige Zahl der Vollgeschosse unvereinbar ist, bleibt deutlich hinter dem Ausmaß des Verstoßes des Bauvorhabens der Beigeladenen zurück. Nach den Feststellungen des [X.], die den [X.] nach § 137 Abs. 2 VwGO binden, hat das [X.] des [X.] drei Vollgeschosse. Es hat damit ein Vollgeschoss mehr, als der Bebauungsplan [X.] zulässt. Das Bauvorhaben der Beigeladenen soll sechs Vollgeschosse haben. Es überschreitet damit das zulässige Maß der baulichen Nutzung im Vergleich zum [X.] des [X.] um ein Mehrfaches.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO.

Meta

4 C 7/17

09.08.2018

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 30. Juni 2017, Az: OVG 10 B 10.15, Urteil

§ 31 Abs 2 BauGB, Art 14 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.08.2018, Az. 4 C 7/17 (REWIS RS 2018, 4981)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4981

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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