Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.08.2021, Az. B 5 R 151/21 B

5. Senat | REWIS RS 2021, 2964

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenzrüge - Berücksichtigung eines im Wege der Interpretation gewonnenen Obersatzes eines Obergerichts - Verfahrensfehler - wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG)


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 28. Januar 2021 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die 1985 geborene Klägerin, die erfolgreich eine Ausbildung zur Fachpraktikerin für Bürokommunikation, einem Ausbildungsberuf für Menschen mit Behinderung, abgeschlossen hat, begehrt die [X.]ewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Das [X.] hat ihre gegen den Bescheid der Beklagten vom 6.3.2018 in [X.]estalt des Widerspruchsbescheids vom 5.9.2018 gerichtete Klage nach Einholung zweier Sachverständigengutachten abgewiesen ([X.]erichtsbescheid vom 29.4.2020). Das L[X.] hat ihre dagegen gerichtete Berufung mit Urteil vom [X.] zurückgewiesen, das ohne mündliche Verhandlung ergangen ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin, bei der aufgrund einer frühkindlichen spastischen Cerebralparese mit Beeinträchtigung der [X.]ehirnfunktion ein [X.]dB von 100 und die [X.], [X.], a[X.], [X.] sowie [X.] anerkannt seien und die seit dem 10. Lebensjahr Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehe, sei bereits seit ihrem Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung voll erwerbsgemindert für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Bei ihr komme es zu einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und ihr könne keine Verweisungstätigkeit benannt werden, die sie wettbewerbsfähig zu Menschen ohne Behinderung ausüben könne. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei sie schon bei den Verrichtungen des täglichen Lebens auf eine Assistenz angewiesen, sei nicht wegefähig und benötige Pausen, die über das arbeitsrechtlich vorgesehene Maß hinausgehen würden. So leide die auf den Rollstuhl angewiesene Klägerin ua an einer Spastik in sämtlichen Extremitäten mit [X.]reiffunktions- und feinmotorischen Störungen an den oberen Extremitäten; an einer Spastik in der Kaumuskulatur; einer Muskeltonuserhöhung im [X.]esicht sowie an einer starken Sehstörung. Toilettengänge, An- und Auskleiden, Waschen sowie Aufstehen und [X.]insetzen seien ihr nur mit Unterstützung möglich. [X.] könne sie alleine, doch müsse die Nahrung ihr mundgerecht zubereitet und zerkleinert werden. Den Arbeitsweg könne sie mit keinem Fortbewegungsmittel selbstständig bewältigen. Der erfolgreiche Abschluss ihrer Ausbildung beim Integrationszentrum für cerebrale Parese stehe dieser Einschätzung nicht entgegen, weil dabei durch [X.]ilfspersonen, zusätzliche Pausen von 15 Minuten pro Stunde und Therapien (Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie) während der Arbeitszeit auf die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung eingegangen worden sei. Ebenso wenig stehe der Annahme einer vollen Erwerbsminderung bereits bei Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung entgegen, dass die Klägerin zwischenzeitlich Arbeitslosengeld und [X.] bezogen habe. Sie könne eine Erwerbsminderungsrente demnach erst nach Erfüllung der Wartezeit von 20 Jahren beanspruchen (§ 43 Abs 6 [X.]B VI), was noch nicht der Fall sei.

3

Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum B[X.] eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 10.5.2021 begründet hat.

4

II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.][X.] gebotenen Form begründet wird. Sie ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 [X.]albsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.][X.] zu verwerfen.

5

a) Die Klägerin legt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.][X.]) nicht anforderungsgerecht dar. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde mit diesem Zulassungsgrund begründet, muss in der Beschwerdebegründung dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus [X.]ründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss zur ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) [X.]keit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.] 4 mwN). Die Beschwerdebegründung vom 10.5.2021 wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

6

Ihr lässt sich die Frage entnehmen:

        

"[X.]aben bei der Beurteilung der Erwerbsminderung im Sinne des § 43 [X.]B VI Leistungen an schwerbehinderte Menschen, welche ihre Behinderung ausgleichen, bei der Frage der Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt außer Betracht zu bleiben?"

7

In der Beschwerdebegründung wird schon die [X.]keit der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt. [X.] ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem [X.]esetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist (B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] 3-1500 § 160 [X.]). In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des B[X.] bzw des BVerf[X.] zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem [X.] noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die nunmehr maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (aus jüngerer [X.] zB B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 RE 16/20 B - juris Rd[X.] 6 mwN). Daran richtet die Klägerin ihr Vorbringen nicht aus.

8

Sie trägt sinngemäß vor, die gewährten Teilhabeleistungen dürften bei der Beurteilung, ob eine Erwerbsminderung vorliege, nicht zu ihren Lasten gewertet werden. Sie versäumt es jedoch darzutun, dass die aufgeworfene Rechtsfrage bislang offengeblieben sei. Insbesondere setzt sie sich nicht mit der Rechtsprechung des B[X.] auseinander, die zum Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" in § 43 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 2 [X.]B VI ergangen ist (zuletzt zB B[X.] Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - B[X.]E 129, 274 = [X.] 4-2600 § 43 [X.], Rd[X.]5 ff mwN) und zur Beurteilung einer vollen Erwerbsminderung bei Menschen mit angeborenen oder frühkindlich erworbenen schweren Behinderungen (vgl B[X.] Urteil vom 14.3.1985 - 5b [X.] - juris Rd[X.]0 zur Rechtslage unter der [X.]; vgl auch B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] 4-2600 § 11 [X.] Rd[X.]7 mwN dazu, dass Leistungen der Rentenversicherung zur Teilhabe am Arbeitsleben darauf gerichtet sind, Versicherte zu einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, also außerhalb einer Werkstatt für behinderte Menschen, zu befähigen). Soweit die Klägerin pauschal vorbringt, das L[X.] habe die Anforderungen des [X.]B IX und der [X.] außer [X.] gelassen, konkretisiert sie nicht weiter, inwiefern daraus auf die noch ausstehende Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage geschlossen werden könne. Im Übrigen wendet sie sich mit diesem Vorbringen im [X.] gegen die Beweiswürdigung des L[X.]. Die darin liegende Rüge, die angegriffene Entscheidung sei inhaltlich unrichtig, vermag eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen (vgl zuletzt B[X.] Beschluss vom 4.3.2021 - B 5 R 308/20 B - juris Rd[X.] 7). Das gleiche gilt, soweit die Klägerin sich mit ihrem [X.]esamtvorbringen gegen die Annahme des L[X.] wendet, sie sei bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit erwerbsgemindert gewesen.

9

Zudem wird die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt. Diese ist gegeben, wenn das Revisionsgericht nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage ist, über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich entscheiden zu können (B[X.] Beschluss vom 14.6.1984 - 1 BJ 72/84 - [X.] 1500 § 160 [X.] = juris Rd[X.] 5; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 9a V 7/06 B - [X.] 4-2600 § 118 [X.] Rd[X.] 5; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.][X.], 13. Aufl 2020, § 160 Rd[X.] 9). [X.]ingegen ist Klärungsfähigkeit im Sinne von Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage im konkreten Rechtsstreit nicht notwendigerweise beantwortet werden muss, weil die Entscheidung der Vorinstanz mit anderer rechtlicher Begründung bestätigt werden kann (vgl zB B[X.] Beschluss vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris Rd[X.]0; B[X.] Beschluss vom 12.8.2020 - B 1 KR 46/19 B - juris Rd[X.]0). Zur Darlegung der Klärungsfähigkeit ist daher darzutun, dass das B[X.] im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste. Das wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend aufgezeigt.

Die Klägerin bringt hierzu nichts vor. Sie setzt sich deswegen auch nicht damit auseinander, dass das L[X.] das Vorliegen von Erwerbsminderung nicht allein mit der erforderlichen Unterstützung ua bei den Verrichtungen des täglichen Lebens begründet hat, sondern selbstständig tragend mit dem gesteigerten Pausenbedarf.

b) Ebenso wenig legt die Klägerin die geltend gemachte Divergenz hinreichend dar. Divergenz iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.][X.] liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das L[X.] einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des B[X.], des [X.]mSO[X.]B oder des BVerf[X.] aufgestellt hat. Bezogen auf die Darlegungspflicht muss die Beschwerdebegründung erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des L[X.] enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl B[X.] Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris Rd[X.] 4 mwN). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im [X.]rundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 282/18 B - juris Rd[X.]6 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin bringt vor, die von ihr angeführte Entscheidung des B[X.] (Urteil vom 7.11.2006 - B 7b [X.]/06 R - B[X.]E 97, 231 = [X.] 4-4200 § 22 [X.]) lasse sich zu dem Rechtssatz zusammenfassen, "(d)er [X.]rundsicherungsträger oder die [X.] stellt in eigener Kompetenz in einem endgültigen Bescheid verbindlich auch für andere Versicherungsträger fest, dass Erwerbsfähigkeit zum jeweiligen [X.]punkt der Leistungserbringung bestanden hat". Demgegenüber lasse sich den Ausführungen des L[X.] zu ihrem [X.] sinngemäß der abstrakte Rechtssatz entnehmen, "(d)ie Entscheidung der [X.] oder eines [X.]rundsicherungsträgers zur Erwerbsfähigkeit eines Versicherten führt zu keinerlei Bindungswirkung für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger". Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit den umrissenen Obersätzen, die sie durch eigene Interpretation gewonnen hat, hinreichend konkrete Rechtssätze benennt. Schon die Formulierung eines im Wege der Interpretation gewonnenen Obersatzes eines Obergerichts scheidet grundsätzlich aus, denn es ist nicht [X.]egenstand der [X.] zu entscheiden, ob ein höchstrichterlicher Rechtssatz in der von der Beschwerde vertretenen Weise auszulegen oder fortzuentwickeln ist (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - B 1 KR 21/07 B - juris Rd[X.]0; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.][X.] 14. Aufl 2020, § 160a Rd[X.]5b mwN). Jedenfalls fehlt es an einer nachvollziehbaren Erläuterung zur Ableitung und zum Kontext der von der Klägerin formulierten Rechtssätze.

c) Die Klägerin bezeichnet auch die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht hinreichend. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] [X.][X.]), so müssen zur Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.][X.]) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des L[X.] ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. [X.]emäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]albsatz 2 [X.][X.] kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.][X.] und auf eine Verletzung des § 103 [X.][X.] nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin bringt vor, das L[X.] habe ohne mündliche Verhandlung über ihre Berufung entschieden, obwohl sie zuvor den Widerruf ihrer Einverständniserklärung erklärt habe. Die damit gerügte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches [X.]ehör (Art 103 Abs 1 [X.][X.]; § 62 [X.]albsatz 1 [X.][X.]) wird jedoch nicht hinreichend bezeichnet. Das [X.]ericht entscheidet nach § 124 Abs 1 [X.][X.], soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Eine Ausnahme von diesem [X.]rundsatz der Mündlichkeit enthält § 124 Abs 2 [X.][X.]. Danach kann das [X.]ericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Als Prozesshandlung muss die Einverständniserklärung klar, eindeutig und vorbehaltlos sein (vgl zB B[X.] Beschluss vom 6.10.2016 - B 5 R 45/16 B - juris Rd[X.]7 mwN). Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, für die keine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 [X.][X.] vorliegt, verletzt regelmäßig zugleich den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches [X.]ehör (B[X.] Beschluss vom 17.12.2015 - [X.] U 132/15 B - juris Rd[X.] 9 mwN). Dass das L[X.] ohne wirksame Einverständniserklärung der Klägerin oder sonst fehlerhaft von einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe, lässt sich anhand der Beschwerdebegründung nicht ausreichend nachvollziehen.

Die Klägerin stellt nicht in Abrede, mit Schriftsatz vom 26.11.2020 zunächst ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt zu haben. Der Widerruf einer solchen Prozesshandlung ist nur möglich, bis die Erklärungen der übrigen Beteiligten bei [X.]ericht eingegangen sind (vgl zB B[X.] Beschluss vom 17.7.2015 - B 9 SB 17/15 B - juris Rd[X.] 8 mwN; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.][X.], 13. Aufl 2020, § 124 Rd[X.]d mwN). Dass sie den Widerruf ihrer Einverständniserklärung vor Eingang der Einverständniserklärung der Beklagten beim L[X.] erklärt habe, behauptet die Klägerin nicht. Soweit sie andeutet, ihre Einverständniserklärung sei möglicherweise zu keinem [X.]punkt wirksam geworden, weil dem L[X.] zuvor oder gleichzeitig ihre Widerrufserklärung zugegangen sei (vgl § 130 Abs 1 Satz 2 B[X.]B), substantiiert sie ihr Vorbringen nicht ausreichend. Sie setzt sich insbesondere nicht mit den von ihr sogar wiedergegebenen Feststellungen des L[X.] zum Verfahrensablauf auseinander, wonach sie die Anfrage zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 26.11.2020 bejaht und ihre Einverständniserklärung mit Schriftsatz vom 7.12.2020 widerrufen habe. Ihr allgemein gehaltener Einwand, der Eingang des Schriftsatzes vom 26.11.2020 "im schriftlichen Original" bleibe offen und es stelle sich die Frage, ob er zum [X.]punkt des Widerrufs überhaupt vorgelegen habe, genügt hierfür nicht.

Dass die zunächst wirksame Einverständniserklärung im Lauf des Verfahrens unwirksam geworden sei, wird mit der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt. Eine Einverständniserklärung iS des § 124 Abs 2 [X.][X.] verliert ihre Wirksamkeit, wenn sich nach ihrer Abgabe die bisherige Tatsachen- oder Rechtsgrundlage und damit die Prozesssituation wesentlich ändert. Das ist zB der Fall, wenn Zeugen vernommen, Beteiligte angehört, Auskünfte eingeholt oder Akten beigezogen werden. Dasselbe wird für den Fall angenommen, dass ein Schriftsatz des Rechtsmittelgegners mit erheblichem neuen Vorbringen oder neuen Beweismitteln oder Anträgen eingereicht wird (vgl B[X.] Beschluss vom 6.10.2016 - B 5 R 45/16 B - juris Rd[X.]8 mwN; B[X.] Beschluss vom 2.7.2019 - [X.] U 156/18 B - juris Rd[X.] 8; B[X.] Beschluss vom 16.7.2019 - B 12 KR 102/18 B - juris Rd[X.] 6). Mit der Beschwerdebegründung sind keine Umstände dargetan, die eine solche wesentliche Änderung der Prozesslage begründen würden. Die Klägerin bringt dazu letztlich nur vor, dem L[X.] mit Schriftsatz vom 7.12.2020 mitgeteilt zu haben, sie wolle, dass dieses sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von ihr und ihren körperlichen Einschränkungen verschaffe. Damit ist aber insbesondere keine wesentliche Änderung der entscheidungserheblichen Tatsachengrundlage zwischen der Abgabe der Einverständniserklärung und der Berufungsentscheidung dargetan. Soweit die Klägerin vorbringt, damit im Schriftsatz vom 7.12.2020 einen Beweisantrag gestellt zu haben, mangelt es an substantiiertem Vortrag zu dessen Inhalt, insbesondere zum konkreten Beweisthema. Falls die Klägerin mit diesem Vorbringen zugleich einen Verstoß gegen die tatrichterliche Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 [X.]albsatz 1 [X.][X.]) rügen will, wird ein solcher Verfahrensmangel nicht anforderungsgerecht bezeichnet (vgl zu den maßgeblichen Darlegungsanforderungen für die Sachaufklärungsrüge zB B[X.] Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris Rd[X.]1 mwN).

Ein denkbarer Ermessensfehler des L[X.], das sich trotz des Vorbringens der Klägerin nach Abgabe der Einverständniserklärung für ein Vorgehen nach § 124 Abs 2 [X.][X.] entschieden hat, wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend aufgezeigt. Die Klägerin bringt insoweit lediglich vor, das L[X.] habe kein Ermessen ausgeübt, sondern sei erkennbar davon ausgegangen, dass keinerlei Ermessen zu beachten sei. Dieses Vorbringen ist schon nicht schlüssig angesichts der von der Klägerin selbst mitgeteilten Ausführungen im Berufungsurteil, wonach ohne mündliche Verhandlung entschieden werden "konnte".

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 [X.]albsatz 2 [X.][X.]).

2. [X.] beruht auf § 193 Abs 1 und 4 [X.][X.].

Meta

B 5 R 151/21 B

31.08.2021

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG München, 29. April 2020, Az: S 14 R 1318/18, Gerichtsbescheid

§ 62 Halbs 1 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 124 Abs 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.08.2021, Az. B 5 R 151/21 B (REWIS RS 2021, 2964)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2964

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