Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.03.2023, Az. B 7 AS 110/22 B

7. Senat | REWIS RS 2023, 2602

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Nichtbescheidung eines vor Beginn der mündlichen Verhandlung gestellten Terminverlegungsantrags - ausnahmsweise erforderliche Darlegungen zum Beruhen-Können der angefochtenen Entscheidung auf dem Verfahrensmangel


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 15. März 2022 - L 9 AS 719/20 - wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Im der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Verfahren hat das [X.] gemäß § 153 Abs 5 [X.]G die [X.]erufung des [X.] gegen einen Gerichtsbescheid des [X.] als unzulässig verworfen. Das [X.] hatte die Klage abgewiesen, weil die Klagefrist (§ 87 Abs 1 Satz 1 [X.]G) versäumt war.

2

Am [X.] hat das [X.] einen Termin zur mündlichen Verhandlung am [X.] um 15:30 Uhr bestimmt. Außerdem hat es dem Kläger das Erscheinen zur Verhandlung freigestellt. Es könne auch im Falle seines Ausbleibens [X.]eweis erhoben, verhandelt und entschieden werden. Am Sitzungstag hat der Kläger die Verlegung des Termins beantragt, weil sich sein Gesundheitszustand so sehr verschlechtert habe, dass es ihm noch nicht möglich sei, ein Attest einzureichen, was er aber nachholen werde.

3

Über den vor [X.]eginn der mündlichen Verhandlung beim Gericht eingegangenen Antrag hat die [X.]erichterstatterin als Vorsitzende keinen [X.]eschluss gefasst. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, aus dem Protokoll zu einem vorangegangenen Termin vom 16.11.2021 gehe hervor, dass zu prüfen sein werde, aufgrund welcher [X.]efunde Verhandlungsunfähigkeit, wie von der Hausärztin bescheinigt, anzunehmen sei. Der Kläger habe daher nicht davon ausgehen können und dürfen, dass das Attest der Hausärztin vom [X.] auch für künftige Termine ausreichend sein werde, um einem Antrag auf Terminverlegung zu entsprechen. Er habe trotz entsprechender Aufforderung vom [X.] keine Schweigepflichtentbindungserklärung vorgelegt, die dem Senat eigene Ermittlungen hinsichtlich seiner Verhandlungsfähigkeit ermöglicht hätten. Der Kläger hätte davon ausgehen dürfen und müssen, da er eine Terminaufhebung nicht erhalten habe, dass der Termin stattfinde (Hinweis auf [X.][X.] vom 6.10.2010 - [X.] 12 KR 58/09 [X.]). Aufgrund des erst 2,5 Stunden vor Sitzungsbeginn eingegangenen [X.] hätte er, etwa durch eine telefonische Rückfrage bei der Geschäftsstelle, klären müssen, ob der Termin zur mündlichen Verhandlung stattfinde oder aufgehoben werde. Die [X.]erufung sei nicht statthaft, weil der Kläger mit der [X.]erufung allein die Gewährung von Zinsen geltend mache, wodurch der Wert des [X.]eschwerdegegenstands von mindestens 750,01 Euro (§ 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G) nicht erreicht werde. Im Übrigen habe das [X.] die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

4

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend. Das [X.] habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es den [X.] nicht beschieden habe.

5

II. Die [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des [X.] hat keinen Erfolg. Sie ist zurückzuweisen, weil das Urteil nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (§ 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 1 [X.]G).

6

Im Grundsatz ist die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im sozialgerichtlichen Verfahren kein absoluter Revisionsgrund (vgl [X.][X.] vom 3.12.2015 - [X.] 4 [X.]/15 [X.] - Rd[X.] 9; [X.][X.] vom 28.2.2022 - [X.] 7/14 [X.]/21 [X.] - Rd[X.]5). Soweit der Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt wird, dass einem [X.]eteiligten keine Gelegenheit gegeben wird, vor einer Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung in eben dieser Verhandlung seinen Standpunkt darzulegen, steht ein solcher Verfahrensmangel einem absoluten Revisionsgrund zwar nahe. Denn wegen der [X.]edeutung der mündlichen Verhandlung ist nach der Rechtsprechung des [X.][X.] im Allgemeinen davon auszugehen, dass eine im Zusammenhang mit der Verhinderung einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung stehende Verletzung des rechtlichen Gehörs die daraufhin ergangene Gerichtsentscheidung insgesamt beeinflusst hat ([X.][X.] vom 6.10.2010 - [X.] 12 KR 58/09 [X.] - Rd[X.]0; [X.][X.] vom 3.7.2020 - [X.] 8 [X.] 72/19 [X.] - Rd[X.] 7 mwN; vgl aber [X.]VerfG vom 10.6.2021 - 1 [X.]vR 1997/18 - Rd[X.] 20). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung umfasst sowohl die Verpflichtung des Vorsitzenden (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 227 Abs 4 Satz 1 ZPO), einen Antrag auf Terminaufhebung bzw -verlegung vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung förmlich kurz zu bescheiden, sofern dies noch technisch durchführbar und zeitlich zumutbar ist (vgl [X.][X.] vom 10.10.2017 - [X.] 12 KR 64/17 [X.] - Rd[X.] 8; [X.][X.] vom 17.2.2010 - [X.] 1 KR 112/09 [X.] - Rd[X.] 7; zum fairen Verfahren [X.][X.] vom 12.5.2017 - [X.] 8 [X.] 69/16 [X.] - Rd[X.] 7; [X.][X.] vom 15.10.2021 - [X.] 5 R 152/21 [X.] - Rd[X.]1) als auch das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten Termins, wenn dies aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 227 Abs 1 ZPO; stRspr, z[X.] [X.][X.] vom 10.10.2017 - [X.] 12 KR 64/17 [X.] - Rd[X.] 8; [X.][X.] vom 12.9.2019 - [X.] 9 V 53/18 [X.] - Rd[X.]4). Allerdings kann es Umstände geben, die ein [X.]eruhen-Können des [X.] auf dem Fehlen einer ordnungsgemäßen mündlichen Verhandlung als schlechthin ausgeschlossen erscheinen lassen ([X.][X.] vom 25.3.2003 - [X.] 7 AL 76/02 R - juris Rd[X.]6; vgl auch [X.][X.] vom 8.12.2022 - [X.] 7 [X.]/22 [X.] - Rd[X.] 8; zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren nach der VwGO, in dem die Versagung rechtlichen Gehörs ein absoluter Revisionsgrund ist [X.]VerwG vom [X.] 80.65 - [X.]VerwGE 34, 123 , juris Rd[X.] 60). In diesen Fällen ist es erforderlich, dass die [X.]eschwerdebegründung aufzeigt, warum ein verfahrensfehlerfreies Vorgehen des Gerichts zu einem anderen, für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte führen können. Das erkennt auch die [X.]eschwerdebegründung, die zum [X.]eruhen des Urteils auf dem Verfahrensmangel ausführt.

7

Diese - hier ausnahmsweise erforderlichen - Darlegungen der [X.]eschwerdebegründung zum [X.]eruhen-Können der Entscheidung auf dem Verfahrensmangel bezeichnen den Verfahrensmangel noch hinreichend. Die [X.]eschwerdebegründung gibt als Streitgegenstand die "Übernahme von [X.]eiträgen des [X.] zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung für die [X.] vom 01.04.2019 bis 30.09.2019" wieder. Sie macht damit geltend, das [X.] habe den Streitgegenstand verkannt, weil es davon ausgegangen sei, der Kläger habe sein [X.]erufungsbegehren auf Zinsen beschränkt. Insoweit kann nicht ausgeschlossen werden, dass nach einer [X.]efragung des unvertretenen [X.] in einer mündlichen Verhandlung sowie des Ergebnisses des Verfahrens beim [X.] ein [X.]erufungsbegehren hätte herausgearbeitet werden können, das sich nach wie vor auf die Zahlung von [X.]eiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für mehrere Monate und nicht nur auf Zinsen bezogen hätte.

8

Indes besteht nicht die Möglichkeit, dass das [X.] im Gesamtergebnis des Verfahrens auch bei einer statthaften [X.]erufung zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte gelangen können, weshalb die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet ist. Denn bei Erhebung der Klage am [X.] war die Monatsfrist aus § 87 Abs 1 Satz 1 [X.]G abgelaufen. Die Einhaltung der Klagefrist als Sachurteilsvoraussetzung ist vom [X.] von Amts wegen zu prüfen. Ist die Frist nicht gewahrt, wird das Klagebegehren in der Sache nicht geprüft und kann bereits aus diesem Grund keinen Erfolg haben.

9

[X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 [X.]G.

S. Knickrehm

Siefert

Neumann

Meta

B 7 AS 110/22 B

08.03.2023

Bundessozialgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Mannheim, 27. Januar 2020, Az: S 11 AS 2437/19, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 124 Abs 1 SGG, § 202 S 1 SGG, § 227 Abs 1 ZPO, § 227 Abs 4 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.03.2023, Az. B 7 AS 110/22 B (REWIS RS 2023, 2602)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2602

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 1997/18

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