Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2020, Az. 4 StR 364/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2086

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Gegenstand

Strafverurteilung wegen Urkundenfälschung und Fahren ohne Fahrerlaubnis: Konkurrenzverhältnis bei Entwenden eines amtlichen Kfz-Kennzeichens und anschließender Fahrzeugnutzung; Doppelverwertungsverbot beim Vorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis


Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. April 2020 wird

1. im Fall [X.] 17 bis 22 der Urteilsgründe der Vorwurf der Sachbeschädigung mit Zustimmung des [X.] von der Verfolgung ausgenommen;

2. das vorbezeichnete Urteil

a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte in den Fällen [X.] bis 22 und 25 bis 27 der Urteilsgründe der Urkundenfälschung in Tateinheit mit Diebstahl, Freiheitsberaubung, Nötigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr schuldig ist;

b) mit den Feststellungen aufgehoben,

aa) soweit der Angeklagte im Fall [X.] 5 der Urteilsgründe wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung und einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz verurteilt worden ist;

bb) in den Fällen [X.] und 13 sowie [X.] und 16, 17 bis 22 und 25 bis 27 im Strafausspruch;

cc) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;

c) im Adhäsionsausspruch dahingehend geändert, dass Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz ab dem 12. Februar 2019 zu zahlen sind.

[X.] Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

I[X.] Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall ([X.] 15 und 16) in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in einem anderen Fall in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis und einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz ([X.] 5), wegen zwei tateinheitlichen Fällen der Körperverletzung in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Sachbeschädigung, wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit zwei tateinheitlich begangenen Fällen der Nötigung, zwei tateinheitlich begangenen Fällen der Körperverletzung, Sachbeschädigung und Fahren ohne Fahrerlaubnis ([X.] 17 bis 22) sowie wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und drei tateinheitlich begangenen Fällen der Sachbeschädigung ([X.] 26 bis 27) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Außerdem hat es eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Im [X.] 17 bis 22 der Urteilsgründe nimmt der Senat den Vorwurf der Sachbeschädigung durch Beschädigung eines Mobiltelefons aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] von der Verfolgung aus.

3

2. In den Fällen [X.] und 16, 17 bis 22 und 25 bis 27 der Urteilsgründe war der danach verbleibende Schuldspruch dahingehend zu ändern, dass der Angeklagte der Urkundenfälschung in Tateinheit mit Diebstahl, Freiheitsberaubung, Nötigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr schuldig ist, weil alle angeführten Delikte durch die in der durchgängigen Verwendung eines für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichens am Tatfahrzeug liegende Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 3. Fall StGB zu einer Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verbunden werden.

4

a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen brachte der Angeklagte am 4. März 2018 zu diesem Zweck zeitnah entwendete amtliche Kennzeichen an einem [X.] an, den er ebenfalls entwendet hatte. Dadurch wollte er verhindern, dass das Fahrzeug bei einer Fahndung entdeckt würde. Anschließend bemächtigte er sich der Nebenklägerin und fesselte sie an den Beifahrersitz des Sprinters. In diesem Zusammenhang schlug er sie mehrfach, entriss ihr einen Schlüsselbund und nahm ihr Mobiltelefon unter Ausnutzung der Fesselung an sich. In der Folge unternahm er ohne eine Fahrerlaubnis zu besitzen mit der Nebenklägerin eine bis zum 6. März 2018 dauernde Fahrt, in deren Verlauf er die Fesselung mehrfach veränderte und teilweise auch ganz löste. Bei [X.] hielten sich der Angeklagte und die Nebenklägerin überwiegend in dem [X.] auf. In [X.]        verließen beide zum Kauf eines neuen Mobiltelefons kurzzeitig das in der Nähe geparkte Fahrzeug. Nachdem der Angeklagte die Nebenklägerin wieder an den Beifahrersitz gefesselt hatte, wurde er am Morgen des 6. März 2018 während einer Fahrt auf der [X.] Polizeibeamten gestellt. Bei der anschließenden Fluchtfahrt rammte er zwei Polizeifahrzeuge, wobei er deren Beschädigung und die Beschädigung des von ihm gesteuerten Fahrzeuges jeweils billigend in Kauf nahm. Auch war ihm bewusst, dass er hierdurch erhebliche Gefahren für die beteiligten Personen begründete.

5

b) Die Annahme der Strafkammer, die Entwendung der Fahrzeugkennzeichen am 4. März 2018 und deren Montage zu Täuschungszwecken an den entwendeten [X.] ([X.] 15 und 16), die sich anschließende Fahrt mit der gefesselten Nebenklägerin nach [X.]       mit den dabei begangenen weiteren Straftaten ([X.] 17 bis 22) und die Rückfahrt mit der erneut gefesselten Nebenklägerin nach [X.] mit der abschließenden Polizeiflucht ([X.] 25 bis 27) stünden zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) trifft nicht zu. Vielmehr ist in dem hier vorliegenden Fall insgesamt von Tateinheit auszugehen. Denn nach der Rechtsprechung stellen das in der Anbringung eines für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichens liegende Herstellen einer unechten Urkunde gemäß § 267 Abs. 1 1. Fall StGB und das in der sich anschließenden - auch mehrfachen - Nutzung des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr zu sehende Gebrauchmachen von einer unechten Urkunde gemäß § 267 Abs. 1 3. Fall StGB eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit eine Urkundenfälschung dar, wenn diese Art der Nutzung - wie hier - dem schon bei der Fälschung bestehenden Gesamtvorsatz des [X.] entspricht. Das jeweils tateinheitliche Zusammentreffen weiterer, auf der Fahrt begangener Delikte mit der einheitlichen Urkundenfälschung hat dann zur Folge, dass sämtliche Gesetzesverstöße zu einer Tat im materiell-rechtlichen Sinne verklammert werden (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Juli 2020 - 4 StR 72/20, Rn. 7; Beschluss vom 23. August 2017 - 1 [X.], NJW 2018, 87, Rn. 24 m. Anm. [X.]; Beschluss vom 21. Mai 2015 - 4 StR 164/15, [X.], 702, [X.]. 10; Beschluss vom 28. Januar 2014 - 4 [X.], NJW 2014, 871, Rn. 5 mwN). Dabei steht die Urkundenfälschung im Wege der natürlichen Handlungseinheit auch mit dem Diebstahl der Kennzeichen in Tateinheit (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Januar 2014 - 4 [X.], NJW 2014, 871, Rn. 6). Der Umstand, dass es teilweise zu erheblichen [X.] kam, bei denen sich der Angeklagte und die Nebenklägerin weiter in dem Fahrzeug aufhielten, stellt diese Bewertung nicht in Frage, zumal die Urkundenfälschung in der Variante des § 267 Abs. 1 3. Fall StGB in dieser Zeit fortdauerte.

6

Der Senat hat bei der Neufassung des Schuldspruchs darauf verzichtet, die Fälle gleichartiger Tateinheit kenntlich zu machen (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2015 ‒ 4 StR 503/14, Rn. 3 mwN).

7

c) Die Änderung des Schuldspruchs hat eine Aufhebung der in den Fällen [X.] und 16, II. 17 bis 22 und II. 25 bis 27 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen zur Folge. Bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafe für die zu einer Tateinheit zusammengefassten Delikte wird der neue Tatrichter zu beachten haben, dass das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) die Verhängung einer höheren Einzelstrafe nicht verbietet; die Summe aus der neuen Einzelstrafe und den verbleibenden Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe dürfen aber nicht höher sein als bisher (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 1999 - 3 [X.], [X.], 218, 219; Beschluss vom 6. Oktober 1995 - 3 [X.], [X.]R StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 7; Beschluss vom 21. Dezember 1992 - 1 StR 730/92, [X.]R StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 6; Urteil vom 7. März 1989 - 5 [X.], [X.]R StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 3 mwN).

8

3. Die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz gemäß § 6 Abs. 1 PflVG im [X.] 5 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil sich die Feststellungen nicht zu der Versicherungslage des von dem Angeklagten geführten Fahrzeugs verhalten. Damit fehlt es entgegen § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO an der Angabe von Tatsachen, aus denen sich die gesetzlichen Merkmale der Straftat ergeben. Dies hat auch die Aufhebung der an sich rechtsfehlerfrei erfolgten Verurteilungen wegen eines tateinheitlich begangenen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und einer tateinheitlich begangenen Urkundenfälschung zur Folge (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 10. September 2015 - 4 StR 151/15, NJW 2015, 3732, Rn. 16; Beschluss vom 29. Mai 2012 - 3 [X.], Rn. 7).

9

4. Die Bemessung der in den Fällen [X.] und 13 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen begegnet durchgreifenden revisionsrechtlichen Bedenken.

Die Strafkammer hat dem Angeklagten im [X.] 10 der Urteilsgründe (vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis) vorgeworfen, dass die Fahrt durch mehrfaches Parken und Starten unterbrochen war und er deshalb die Möglichkeit gehabt habe, seine Handlungsweise zu überdenken. Diese Erwägung verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB. Denn damit wird dem Angeklagten zur Last gelegt, die Tat nicht abgebrochen, sondern in dem vorliegenden Umfang begangen zu haben. Die Tatbegehung als solche darf dem Täter aber nicht zusätzlich angelastet werden (vgl. [X.], Beschluss vom 27. November 2019 - 5 [X.], Rn. 6 [unzulässiger Vorwurf der Tatvollendung]; Urteil vom 9. Oktober 2019 - 5 [X.], Rn. 16 [energische Verfolgung des Tatziels]; Beschluss vom 15. Oktober 2003 - 2 StR 332/03 [mehrfache Gelegenheit, die Tat abzubrechen]; [X.], StGB, 67. Aufl., § 46 Rn. 76b mwN).

Im [X.] 13 der Urteilsgründe (vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis) hat das [X.] zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass er keine erkennbare Unrechtseinsicht gezeigt, sondern uneinsichtig betont habe, die Fahrschule abgebrochen zu haben, weil er schon fahren könne. Erkennbare Unrechtseinsicht kann sich zwar strafmildernd auswirken; ihr Fehlen berechtigt aber nicht ohne weiteres dazu, diesen Umstand zu Lasten des [X.] zu berücksichtigen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. August 2018 ‒ 4 StR 325/18, Rn. 5 [zum Fehlen verständlicher Motive]; Urteil vom 9. Oktober 2013 - 2 StR 119/13, [X.], 45, 46 mwN).

Da der Senat ein Beruhen der Strafbemessung auf diesen Erwägungen nicht auszuschließen vermag, können die verhängten Einzelstrafen nicht bestehen bleiben.

5. Die Aufhebung der Verurteilung im [X.] 5 der Urteilsgründe sowie der Einzelstrafen in den Fällen [X.], II. 13, [X.] und 16, II. 17 bis 22 und II. 25 bis 27 der Urteilsgründe ziehen die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

6. Der Zinsausspruch in der Adhäsionsentscheidung war wie aus der [X.] ersichtlich abzuändern, weil der [X.] beim zuständigen [X.] erst am 11. Februar 2019 eingegangen ist.

Sost-Scheible     

        

Bender     

        

Quentin

        

Bartel     

        

Lutz     

        

Meta

4 StR 364/20

07.10.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Gießen, 24. April 2020, Az: 604 Js 17512/18 - 9 KLs

§ 46 Abs 3 StGB, § 267 Abs 1 Alt 1 StGB, § 267 Abs 1 Alt 3 StGB, § 21 Abs 1 StVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2020, Az. 4 StR 364/20 (REWIS RS 2020, 2086)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2086

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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