Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.12.2012, Az. II ZR 220/10

II. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 201

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
II ZR 220/10
Verkündet am:
18. Dezember 2012
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 823 Abs. 2 Be; StGB § 266a Abs.
1
Die Darlegungs-
und Beweislast des Sozialversicherungsträgers, der den [X.] einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wegen Vorenthaltung von Sozial-versicherungsbeiträgen aus § 823 Abs.
2 BGB, §
266a Abs. 1 StGB in Anspruch nimmt, erstreckt
sich auf den Vorsatz des beklagten Geschäftsführers; diesen trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast.

[X.], Urteil vom 18. Dezember 2012 -
II ZR 220/10 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der II. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2012 durch [X.]
Dr.
Bergmann, [X.]
Strohn, die Richterinnen [X.] und Dr.
Reichart sowie den Richter Sunder

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der [X.] des [X.] vom 25. Juni 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung -
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens -
an das [X.] zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
I.
Der [X.] war bis zum 30. Mai 2006 einer von zwei
Geschäftsfüh-rern
der L.

GmbH, über deren Vermögen im Juli 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Klägerin, eine gesetzliche Kranken-kasse, verlangt von ihm Schadenset-abführung der für vier Mitarbeiter in der [X.] von November 2005 bis März 2006 geschuldeten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung. Im [X.]
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-

ren hat sie außerdem beantragt, festzustellen, dass die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des [X.]n herrührt.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat von der Darstellung des Tatbestandes unter Hinweis auf § 540 Abs. 2, §
313a Abs. 1 ZPO abgesehen; das
Berufungsurteil enthält auch keine [X.] auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Kläge-rin ihren Zahlungsantrag und ihr Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des [X.] Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Nr. 1, § 266a StGB lägen in subjekti-ver Hinsicht nicht vor, da der [X.] der Klägerin die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht vorsätzlich vorenthalten habe. Der [X.] habe in einer räumlich ausgelagerten Betriebsstätte gearbeitet, sei mit Verwaltungs-
oder Buchhaltungsaufgaben nicht befasst gewesen und habe von der drohen-den Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens nichts [X.]. Für ihn habe kein Anlass bestanden, die ordnungsgemäße Abführung 2
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von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung in Zweifel zu ziehen. Es könne nicht angenommen werden, dass der [X.] die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung durch den
anderen Geschäftsfüh-rer billigend in Kauf genommen habe. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, da die Frage der Beweislast für das Vorliegen des subjektiven Tat-bestandes des § 266a StGB im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB in der oberge-richtlichen Rechtsprechung zum Teil unterschiedlich beurteilt werde.
II.
Das Berufungsurteil ist schon deshalb aufzuheben, weil es wegen [X.] tatsächlicher Feststellungen eine revisionsrechtliche Überprüfung nicht ermöglicht.
Wie die Revision zu Recht rügt, enthält das Berufungsurteil weder einen Tatbestand noch unter Verstoß gegen § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 ZPO eine Be-zugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen. Das Berufungsgericht durfte hiervon nicht nach §
540 Abs. 2, §
313a Abs. 1 ZPO absehen, da es die Revision selbst zugelassen hat.
Einem Berufungsurteil, das den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht genügt, fehlt die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage. In einem solchen Fall ist das Berufungsurteil grundsätzlich von Amts wegen aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ([X.], Urteil vom 22. Dezember 2003

[X.], NJW-RR 2004, 494; Urteil vom 14. Januar 2005

[X.], NJW-RR 2005, 716, 717; Urteil vom 11.
Januar 2007

IX
ZR
181/05, NJW-RR 2007, 781 Rn.
6; Urteil vom 24.
Februar 2011

VII
ZR
169/10, [X.], 1777 Rn.
5; Urteil vom 11.
Oktober 2012

VII
ZR
10/11, [X.], 3569 Rn. 6; s.
auch
[X.], Urteil vom 1. Februar 1999

II
ZR
176/97, [X.], 871). Von der Aufhebung und Zurückverwei-7
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sung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn sich die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung
hinreichend deutlich aus den [X.] ergeben ([X.], Urteil vom 22. Dezember 2003

VIII
ZR
122/03, NJW-RR
2004, 494; Urteil vom 11. Januar 2007

IX
ZR
181/05, NJW-RR 2007, 781 Rn.
6; Urteil vom 11. Oktober 2012

VII
ZR
10/11, [X.], 3569 Rn. 6;
s.
auch
[X.], Urteil vom 1. Februar 1999

[X.], [X.], 871).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Zwar teilt das [X.] im Rahmen seiner rechtlichen Ausführungen einige tatsächliche Umstände mit, auf die es sich bei seiner Beurteilung stützt. Der für die Entscheidung maß-gebende Sach-
und Streitstand wird daraus aber schon deshalb nicht ausrei-chend deutlich, weil weitgehend nicht erkennbar ist, ob das Berufungsgericht die von ihm jeweils zugrunde gelegten Tatsachen als unstreitig (geworden) oder aus anderen Gründen nicht beweisbedürftig gewertet hat, oder ob es sie nach §
286 Abs. 1 Satz 1 ZPO für wahr erachtet hat, ohne hierbei in der nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO gebotenen Form die Gründe anzugeben, die für die richterli-che
Überzeugung leitend gewesen sind.
Es kann nicht unterstellt werden, dass die im Berufungsurteil zur [X.] mitgeteilten tatsächlichen Umstände ins-gesamt unstreitig gewesen sind. So ist das Berufungsgericht davon ausgegan-gen, dass der [X.] in der Produktion und nicht im Bereich der Verwaltung oder Buchhaltung tätig gewesen sei. Dies hatte die Klägerin, wie die Revision rügt, unter Hinweis auf den Anstellungsvertrag des [X.]n bestritten. Weiter hat das Berufungsgericht angenommen, der [X.] sei nicht am Hauptsitz der Schuldnerin, sondern in einer ausgelagerten Betriebsstätte in der Z.

straße
tätig gewesen, während die Klägerin, wie die Revision aufzeigt, unter Beweisantritt vorgetragen hatte, dass sich im streitgegenständlichen [X.]raum auch der Sitz des Unternehmens in der Z.

straße befunden habe. Ferner hat das Berufungsgericht ausgeführt, nach der persönlichen Anhörung des Be-10
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f-ne-klärten Streitpunkte konkret zu benennen. Auch wenn die persönliche Anhörung des beklagten Geschäftsführers nicht schon unmittelbar zur Feststellung vor-sätzlichen Verhaltens
führt, schließt dies ersichtlich nicht aus, den Beweis auf-grund äußerer Umstände als geführt anzusehen, die aber ihrerseits streitig und klärungsbedürftig sein können.
Die durch die Nichtbeachtung von § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 ZPO beding-ten und durch die weiteren Ausführungen in den Urteilsgründen nicht behobe-nen Unklarheiten hindern die revisionsrechtliche Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO, für die es auch auf die Unterscheidung zwischen tatbestandlichen Fest-stellungen, die gegebenenfalls mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag an-greifbar sind, und Feststellungen im Sinne von §
559 Abs. 2 ZPO ankommt, die der revisionsrechtlichen Verfahrensrüge unterliegen.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1.
Der Sozialversicherungsträger, der den Geschäftsführer einer Gesell-schaft mit beschränkter Haftung wegen Vorenthaltung von [X.] in Anspruch nimmt und sich hierbei, wie die Klägerin im [X.], auf eine deliktische Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes stützt, hat grundsätzlich alle Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergibt; den in Anspruch genommenen Geschäftsführer trifft lediglich eine se-kundäre Darlegungslast ([X.], Urteil vom 11. Dezember 2001

[X.]/00, [X.], 524, 525 f. mwN). Die Darlegungs-
und Beweislast des klagenden Sozialversicherungsträgers erstreckt sich auch auf den Vorsatz des [X.]n ([X.], GmbHR 2002, 216, 217; [X.], Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl., Rn. 615).
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Die vom Berufungsgericht angeführte Entscheidung des Bundesge-richtshofs (Urteil vom 13. Dezember 1984

[X.], [X.], 590 f.) steht dem nicht entgegen. In dieser Entscheidung wird zu der Vorschrift des §
823 Abs. 2 BGB allgemein ausgeführt, wenn die Verletzung eines Schutzgesetzes objektiv feststehe, müsse der das Schutzgesetz Übertretende in aller Regel Umstände darlegen und beweisen, die geeignet seien, die daraus folgende An-nahme seines Verschuldens auszuräumen. Dieser an die Beweislastverteilung nach § 282 BGB aF (jetzt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) angelehnte Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Schadensersatzanspruch

wie im Streitfall

Vorsatz voraussetzt (vgl. [X.], Urteil vom 1. Juli 2008

[X.], [X.], 1673 Rn. 23; Urteil vom 23. März 2010

[X.], [X.], 1122 Rn. 38).
2.
Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] handelt der wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch ge-nommene Geschäftsführer mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der [X.] der Sozialversicherungsträger [X.] ([X.], Urteil vom 21.
Januar 1997

VI
ZR
338/95, [X.]Z 134, 304, 314
f.; Urteil vom 9.
Januar 2001

VI
ZR
407/99, [X.], 422, 423; Urteil vom 2. Juni 2008

[X.], [X.], 1275 Rn. 11).
Wenn die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dem Aufgabenbereich
eines anderen Geschäftsführers zugewiesen oder
auf Ange-stellte übertragen ist, muss der Geschäftsführer im Rahmen der ihm verbliebe-nen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den intern zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist. Er muss dann durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversi-cherungsbeiträge sicherstellen sowie die Einhaltung der Pflicht überwachen. Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine fi-15
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nanzielle Krisensituation oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft
([X.], Urteil vom 2. Juni 2008

[X.], [X.], 1275 Rn. 11 mwN).
Bei der Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht beanstandet, die Äußerungen des [X.]n in seiner per-sönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht bisher nicht ausreichend gewürdigt. [X.] Lieferantenrechnungen nicht pünktlich bezahlt und führte dies dazu, dass Materialien häufig nur gegen Vorkasse geliefert wurden, so konnte dies auf eine finanzielle Krise des Unternehmens oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf hindeuten. In diesem Zusammenhang ist auch die Bemerkung des [X.]n gegenüber dem Mitgeschäftsführer [X.]

, er könne so nicht arbeiten, [X.]

solle bitte die Rechnungen der Lieferanten pünktlich [X.], zu würdigen. Anders als das Berufungsgericht meint, sprach es auch eher für als gegen den [X.] der wirtschaftlichen Situation, wenn dem [X.]n [X.] wurde, zur Abwendung einer Insolvenz wollten sich andere Unternehmen als Investoren beteiligen. Schließlich belegt die auf die Anhörung des [X.]n vor dem Amtsgericht gestützte Annahme des Berufungsgerichts, es seien aus-reichende finanzielle Mittel vorhanden gewesen, um gegenüber Lieferanten in
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Vorlage zu treten, in Anbetracht der zuvor aufgetretenen Zahlungsschwierigkei-ten noch nicht, dass das Unternehmen in der Lage gewesen ist, seinen finanzi-ellen Verpflichtungen wieder vollständig nachzukommen.

Bergmann

Strohn

[X.]

Reichart

Sunder
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom [X.] -
6 [X.]/09 -

LG [X.], Entscheidung vom 25.06.2010 -
85 [X.]/10 -

Meta

II ZR 220/10

18.12.2012

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.12.2012, Az. II ZR 220/10 (REWIS RS 2012, 201)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 201

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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II ZR 311/14 (Bundesgerichtshof)


I-21 U 38/14 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


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II ZR 220/10

VI ZR 57/09

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