Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.03.2023, Az. 2 StR 289/21

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2183

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Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 8. April 2021 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass je ein Monat der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten sowie der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten als vollstreckt gelten.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Entscheidungsgründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in zwölf Fällen und Verbreitung jugendpornographischer Schriften in zwei Fällen unter Einbeziehung von zwei [X.] aus einem Urteil des [X.] vom 2. Juni 2020 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten, ferner wegen Vergewaltigung zu einer gesonderten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg; es führt wegen der langen Dauer des Revisionsverfahrens nur zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Kompensation.

I.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der Angeklagte und die als 15-Jährige in einer Mädchenwohngruppe lebende      [X.]lernten sich im Dezember 2018 über ein [X.] Netzwerk kennen. Sie führten drei Wochen später in einem Hotel den Geschlechtsverkehr durch, wofür der Angeklagte der Geschädigten 250 Euro bezahlte (Fall II.1. der Urteilsgründe). Es folgten bis Mitte Juni 2019 neun weitere Fälle des Geschlechtsverkehrs gegen das Versprechen eines Entgelts (Fälle II.2. – II.10. der Urteilsgründe).

4

Durch       [X.]lernte der Angeklagte die damals Minderjährige       D.    aus derselben Mädchenwohngruppe kennen. Mit dieser führte er in zwei Fällen den Geschlechtsverkehr durch. Im ersten Fall versprach er ihr dafür als Gegenleistung 50 bis 100 €, die er anschließend nicht zahlte (Fall [X.] der Urteilsgründe). In dem weiteren Fall versprach er ihr die Überlassung von Amphetamin, übergab später aber nur Mehl (Fall [X.] der Urteilsgründe).

5

Der Angeklagte kommunizierte außerdem mit              B.      und sandte dieser ein Video, das einen erigierten Penis zeigte (Fall [X.] der Urteilsgründe), später auch ein Video, das ihn beim Geschlechtsverkehr abbildete (Fall 14. der Urteilsgründe).

6

Der Angeklagte hatte im Jahr 2020 mit der 19-jährigen      [X.].    ein intimes Verhältnis. Dabei kam es zu Erniedrigungen durch Anspucken, Ohrfeigen, Würgen und Ziehen an den Haaren, was die Geschädigte hinnahm. Vaginaler Geschlechtsverkehr des Angeklagten mit     [X.].    erfolgte einvernehmlich, einen [X.] lehnte sie strikt ab. Am 9. Juni 2020 kam es in der Wohnung des Angeklagten zunächst einvernehmlich zum vaginalen Geschlechtsverkehr, der bei einem Vierfüßlerstand der Geschädigten ausgeführt wurde. Dabei rutschten ihr die [X.] weg, sodass sie bäuchlings aufs Bett fiel. Das nutze der Angeklagte dazu aus, den [X.] mit      [X.].   auszuführen. Dies bereitete ihr Schmerzen, sodass sie aufschrie und sich – erfolglos – durch [X.] und [X.] mit den Händen zu wehren versuchte. Davon unbeeindruckt setzte der Angeklagte die anale Penetration fort und hielt der Geschädigten den Mund zu. Zuletzt urinierte er in ihre Vagina (Fall [X.] der Urteilsgründe).

7

2. Das [X.] hat die Taten zum Nachteil der Geschädigten [X.] und D.    als sexuellen Missbrauch Jugendlicher in zwölf Fällen nach § 182 Abs. 2 StGB, die Taten zum Nachteil der Geschädigten B.      als Verbreitung pornographischer Schriften gemäß § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB und die Tat zum Nachteil der Geschädigten [X.].   als Vergewaltigung im Sinne von „§ 177 Abs. 1, 5 und 6 StGB“ gewertet. Es hat für die Taten des sexuellen Missbrauchs Jugendlicher in den Fällen II.1. – II.10. der Urteilsgründe [X.] von je neun Monaten, für diejenigen in den Fällen [X.] und [X.] der Urteilsgründe Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten und für das Verbreiten pornographischer Schriften in den Fällen [X.] und [X.] der Urteilsgründe [X.] von je 60 Tagessätzen gebildet. Diese hat es zusammen mit zwei [X.] von 40 und 50 Tagessätzen aus einem Urteil des [X.] vom 2. Juni 2020 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten zusammengefasst. Wegen der Zäsurwirkung des Urteils des Amtsgerichts hat es für die Vergewaltigung im Fall [X.] der Urteilsgründe eine gesonderte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt.

II.

8

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

9

1. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das gilt auch für die Verurteilung wegen Vergewaltigung. Zwar hat das [X.] nicht erläutert, worin es die Qualifikation des Grundtatbestands gemäß § 177 Abs. 1 StGB im Sinne von § 177 Abs. 5 StGB gesehen hat, dies lässt den Schuldspruch aber unberührt. Aus den Feststellungen ergibt sich ohne Weiteres das Vorliegen eines Falles der Anwendung von Gewalt (§ 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB), indem der Angeklagte der Geschädigten den Mund zuhielt (vgl. zu dieser Art einer Gewaltanwendung [X.], Beschluss vom 21. März 2006 – 3 [X.]; [X.], StGB, 70. Aufl., § 177 Rn. 70; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 177 Rn. 43), so dass es nicht darauf ankommt, ob das [X.] daneben auch von einem Fall des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB (vgl. [X.], Urteil vom 2. Juli 2020 – 4 StR 678/19, [X.]St 65, 62, 66 ff.) ausgegangen ist.

2. Auch der Strafausspruch weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

a) Das Tatgericht war nicht gehindert, durch Erhöhung der [X.] von neun Monaten Freiheitsstrafe für die Fälle II.1. bis [X.] der Urteilsgründe eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten zu bilden.

aa) Die Bemessung der Gesamtstrafe ist aufgrund einer Gesamtschau des [X.] und des Schuldumfangs vorzunehmen. Der Summe der Einzelstrafen kommt geringes Gewicht zu. Maßgeblich ist die angemessene Erhöhung der [X.] unter zusammenfassender Würdigung der Person des [X.] und seiner Straftaten (§ 54 Abs. 1 Satz 3 StGB). Da eine „Mathematisierung“ der Strafzumessung fremd ist, kann ein Erörterungsmangel nicht allein darin gesehen werden, dass die [X.] um ein Mehrfaches erhöht wurde. Allerdings bedarf eine starke Erhöhung der [X.] besonderer Begründung, wenn sich diese nicht aus den Feststellungen von selbst ergibt (vgl. [X.]nat, Beschluss vom 18. Februar 2021 – 2 StR 7/21, Rn. 5 mwN; s.a. Beschluss vom 18. Februar 2009 – 2 [X.]; [X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1205 mwN).

bb) Dem werden die Urteilsgründe gerecht. Es ist insbesondere nicht zu besorgen, dass sich das Tatgericht bei der Erhöhung der – hier zehnfach vorhandenen – [X.] von neun Monaten Freiheitsstrafe auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten in zu starkem Maß von der Summe der Einzelstrafen hat leiten lassen. Es hat die Gesamtfreiheitsstrafe nicht nur unter Bezugnahme auf die Strafzumessungserwägungen bei der Bildung der Einzelstrafen begründet, sondern unter Berücksichtigung der großen Anzahl von „16 [X.]“, dem „überschaubaren“ [X.] (drei geschädigte Frauen) und des „moderat beschaffenen“ Tatzeitraums von rund sieben Monaten wie auch des „situativen und motivatorischen Zusammenhangs zwischen allen im hiesigen Verfahren festgestellten Taten“, des mangelnden Strafverfolgungsinteresses einer der Geschädigten, dem Fehlen psychischer Tatfolgen, der Auswirkungen auf die „künftige familiäre, berufliche und [X.] Situation“ des Angeklagten, den drohenden [X.] hinsichtlich einer weiteren Vorverurteilung und die Unmöglichkeit einer Erledigung der Geldstrafen durch Restzahlung gebildet. Einen Erörterungsmangel hinsichtlich eines bestimmenden Strafzumessungsgrundes lässt dies nicht erkennen.

b) Die weitere Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen der analen Vergewaltigung im Fall [X.] der Urteilsgründe hat das [X.] für sich genommen auch ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten gebildet.

c) Die Strafzumessung ist schließlich nicht deswegen durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil das Urteil nicht gesondert erwähnt, dass infolge der Zäsur durch das Urteil des [X.] vom 2. Juni 2020 die Möglichkeit einer Einbeziehung der Strafe im Fall [X.] der Urteilsgründe in die Gesamtstrafe entfallen ist.

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] dürfen die Zufälligkeiten, die darüber entscheiden, ob bei gleichzeitiger Aburteilung mehrerer rechtlich selbständiger Taten gemäß § 53 Abs. 1 StGB eine Gesamtstrafe festgesetzt werden kann, oder ob dies wegen der Zäsurwirkung einer früheren Verurteilung ausgeschlossen ist, nicht dazu führen, dass das „[X.]“ dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten nicht mehr gerecht wird. Erfordert die Zäsurwirkung eines früheren Urteils die Bildung mehrerer Gesamtstrafen, so muss das Tatgericht einen sich dadurch möglicherweise für den Angeklagten infolge eines zu hohen [X.]s ergebenden Nachteil ausgleichen (vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 1995 – 4 [X.], [X.]St 41, 310, 313; Urteil vom 12. August 1998 – 3 StR 537/97, [X.]St 44, 179, 185; [X.]nat, Beschluss vom 9. Dezember 2021 – 2 [X.], NStZ-RR 2022, 186 mwN). Dasselbe gilt auch dann, wenn außer der Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem zäsurbildenden Urteil noch eine gesonderte Einzelstrafe verhängt wird. Wenn dies zu einem dem Unrechts- und Schuldgehalt nicht mehr gerecht werdenden „[X.]“ führt, ist im Urteil ein Härteausgleich zu erörtern. Gegebenenfalls ist die Strafe wegen der Tat, die nicht mehr in die Gesamtstrafe einbezogen werden kann, zu mildern (vgl. [X.] aaO, [X.]St 41, 310, 313).

bb) Den sich hieraus ergebenden Begründungsanforderungen wird das [X.] noch gerecht. Die Urteilsgründe lassen nicht besorgen, dass das [X.] das „[X.]“ von fünf Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe unberücksichtigt gelassen hat, das sich aus der Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten für die Fälle II.1. bis [X.] der Urteilsgründe, einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten im Fall [X.] der Urteilsgründe und dem drohenden Widerruf einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe ergibt.

(1) Das [X.] hat bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe für die Fälle II.1. bis [X.] der Urteilsgründe „auch die Auswirkungen einer erstmaligen und mehrjährigen Freiheitsstrafe auf seine künftige familiäre, berufliche und [X.] Situation“ berücksichtigt und den drohenden Widerruf der Strafaussetzung einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe aus einem weiteren Urteil in den Blick genommen (vgl. [X.]nat, Beschluss vom 9. [X.]ptember 2020 – 2 [X.], juris, Rn. 8).

(2) Zu Fall [X.] der Urteilsgründe hat die Strafkammer zum Ausdruck gebracht, dass es dem drohenden [X.] für die insoweit zu bildende Einzelstrafe keine strafmildernde Bedeutung beizumessen vermag, weil die „Vorstrafe in hohem Maße einschlägig ist“ und der Angeklagten die Tat, die „noch deutlich schwerwiegender ausgefallen ist“, genau eine Woche nach einer Hauptverhandlung wegen einer weiteren Straftat beging. Damit hat das [X.] erkennbar Bezug auf die vorstehenden Erwägungen bei der Bildung der Gesamtstrafe für die Fälle II.1. bis [X.] der Urteilsgründe genommen; dass es die dort genannten weiteren Erwägungen zu dem den Angeklagten treffenden [X.] nicht ebenfalls im Blick hatte, ist auszuschließen.

(3) Es liegt auch kein Fall vor, bei dem zu besorgen wäre, dass die Summe der verhängten Gesamtstrafe und der weiteren Freiheitsstrafe von insgesamt fünf Jahren für die abgeurteilten Taten nicht mehr als schuldangemessen angesehen werden könnte (vgl. [X.]nat, Urteil vom 5. Dezember 2001 – 2 [X.], [X.], 196 f.). Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass das [X.] für die zuletzt begangene Vergewaltigung (Fall [X.] der Urteilsgründe) aus dem Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB, der Freiheitsstrafe von zwei bis fünfzehn Jahren vorsieht, ungeachtet erheblich strafschärfender Gesichtspunkte („die einschlägige Vorstrafe, das Handeln unter laufender Bewährung, die Tatbegehung nur einer Woche nach der letzten Verurteilung in einer Hauptverhandlung, die erheblichen durch die Tat bei der Geschädigten verursachten Schmerzen und die bei ihr bestehenden psychischen Tatfolgen“) eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt hat.

III.

Die lange Dauer des Revisionsverfahrens gebietet eine Kompensation nach der [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 2008 – [X.], [X.]St 52, 124, 129 ff.). Der [X.]nat nimmt diese in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a StPO (vgl. [X.]nat, Beschluss vom 3. November 2011 − 2 [X.], [X.], 146; [X.], Beschluss vom 10. Dezember 2019 − 5 StR 578/19, jeweils mwN) so vor, dass er anordnet, dass je ein Monat der ‚Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten sowie der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten als vollstreckt gelten. Eine weitergehende Kompensation wäre nicht angemessen.

Franke     

  

Krehl     

  

Eschelbach

  

Zeng     

  

Meyberg     

  

Meta

2 StR 289/21

15.03.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kassel, 8. April 2021, Az: 1 KLs 4725 Js 37647/19

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.03.2023, Az. 2 StR 289/21 (REWIS RS 2023, 2183)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2183

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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