Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2018, Az. 1 StR 171/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 6940

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Gegenstand

Begründungsanforderungen für die Ablehnung einer Bewährung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. November 2017

a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass

aa) der Angeklagte im Fall [X.] der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung verurteilt ist,

bb) im Fall B.7. der Urteilsgründe die tateinheitlichen Verurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Bedrohung entfallen und er wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt ist;

b) im Strafausspruch aufgehoben

aa) soweit die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten (u.a. für die Fälle B.1.-4. der Urteilsgründe) nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,

bb) hinsichtlich der für die Fälle [X.] und B.7. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen sowie der (weiteren) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren (für die Taten B.5.-7. der Urteilsgründe).

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen drei Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung, in einem davon in Tateinheit mit Bedrohung, sowie wegen Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen (Fälle B.1.-4. der Urteilsgründe) unter Einbeziehung von [X.]n aus einer früheren Verurteilung und Auflösung der dortigen Gesamtfreiheitsstrafe zu einer (ersten) Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Darüber hinaus ist er wegen vorsätzlicher Körperverletzung, wegen sexueller Nötigung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung sowie mit Bedrohung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis (Fälle [X.] der Urteilsgründe) schuldig gesprochen und gegen ihn eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt worden.

2

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit mehreren ausgeführten sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel erzielt lediglich den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

3

1. Den zu sämtlichen verfahrensgegenständlichen Taten getroffenen Feststellungen liegt bei Anlegung des einschlägigen revisionsgerichtlichen [X.] (siehe nur [X.], Urteil vom 22. November 2016 – 1 [X.] Rn. 10 mwN) eine jeweils rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zugrunde. Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen weder Lücken noch Widersprüche in der tatrichterlichen Würdigung auf. Das [X.] konnte seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Aussagen der geschädigten Zeugin D.    insgesamt gerade auch darauf stützen, dass deren Angaben in einem Teil der Fälle durch andere Beweismittel Bestätigung gefunden haben.

4

2. Nach den zum Fall [X.] der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte gegen den von ihm erkannten entgegenstehenden Willen der Zeugin D.    vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzogen und damit das [X.] aus § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB verwirklicht. Wie der [X.] zutreffend aufgezeigt hat, muss deshalb der Schuldspruch nach ständiger Rechtsprechung des [X.] (etwa [X.], Beschluss vom 22. März 2017 – 3 [X.] Rn. 10) auf „Vergewaltigung“ statt auf „sexuelle Nötigung“ lauten. Der [X.] hat die entsprechende Abänderung selbst vorgenommen.

5

3. Im Fall B.7. der Urteilsgründe hält der auf „gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis“ lautende Schuldspruch in mehrfacher Hinsicht rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies bedingt Änderungen des Schuldspruchs und die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs sowie der unter dessen Einbeziehung gebildeten Gesamtstrafe von drei Jahren.

6

a) Die zugehörigen Feststellungen belegen nicht die Voraussetzungen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne der vorgenannten Vorschrift ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (st. Rspr.; [X.] aaO Rn. 17 mwN). Eine solche Eignung des vom Angeklagten in der Hand gehaltenen Cutter-Messers nach dessen konkreter Verwendung lassen die Urteilsgründe nicht erkennen. Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte der geschädigten Zeugin D.     zu verschiedenen Zeitpunkten innerhalb eines einheitlichen Geschehens in einem Kraftfahrzeug zahlreiche Schläge mit der flachen Hand oder dem Handrücken in das Gesicht. Bei einem dieser Schläge hat er ein ansonsten als Drohmittel verwendetes Cutter-Messer in der Hand gehalten, so dass es zu einer Verletzung am Augenlid der Zeugin gekommen ist ([X.] 15).

7

Dem kann ein Einsatz des Messers als Stich- oder Schnittwerkzeug nicht entnommen werden, was regelmäßig die erforderliche Eignung begründen würde. Auch lassen weder die Feststellungen noch die sonstigen Urteilsgründe erkennen, dass der Angeklagte das Cutter-Messer bei Ausführung des Schlages in der Hand gehalten hat, um die Schlagwirkung lediglich eines einzelnen von insgesamt wenigstens 20 Schlägen ([X.] 15) zu verstärken. Die [X.] wird als Kratzer am rechten Augenlid beschrieben. Daraus kann daher nicht auf die erforderliche Eignung der konkreten Verletzungshandlung, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, geschlossen werden. Den Darlegungen des [X.]s zur „Beweisaufnahme“ und zur Beweiswürdigung zu dieser Tat lassen sich ebenfalls keine weitergehenden Umstände entnehmen, die die Eignung des fraglichen konkreten Schlages zur Herbeiführung erheblicher Verletzungen begründen könnten.

8

Da die geschädigte Zeugin D.    sich bereits an die Anzahl der erlittenen Schläge nicht mehr näher zu erinnern vermochte ([X.] 37) und die [X.], als Grundlage für einen Rückschluss auf die erforderliche Eignung, nicht über einen Kratzer am Augenlid hinausgegangen ist, schließt der [X.] die Möglichkeit weitergehender Feststellungen aus, die noch die Voraussetzungen der Qualifikation aus § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begründen können. Er lässt daher in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung entfallen und ändert den Schuldspruch insoweit in eine vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) ab. Deren Voraussetzungen sind durch die getroffenen Feststellungen belegt.

9

§ 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können.

b) Die zusätzliche tateinheitliche Verurteilung wegen Nötigung und Bedrohung kann ebenfalls nicht bestehen bleiben. Auf der Grundlage der Feststellungen bestand die Nötigungshandlung des Angeklagten darin, der Geschädigten das Cutter-Messer an den Hals gehalten und sie – erfolgreich – zum [X.] aufgefordert zu haben. Werden Nötigung (§ 240 StGB) und Bedrohung (§ 241 StGB) wie hier durch dieselbe Handlung verwirklicht, tritt die Bedrohung gesetzeskonkurrierend zurück (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 8. April 2014 – 1 [X.], [X.], 208 f. mwN). Der durch den [X.] ebenfalls entsprechend § 354 Abs. 1 StPO vorgenommenen weiteren Schuldspruchänderung steht § 265 StPO aus dem im vorstehenden Absatz genannten Grund nicht entgegen.

4. a) Der Wegfall der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung entzieht der für die Tat B.7. der Urteilsgründe verhängten [X.] die Grundlage.

b) Die Bemessung der [X.] im Fall [X.] der Urteilsgründe enthält einen durchgreifenden Rechtsfehler bereits bei der Bestimmung des anwendbaren Strafrahmens. Das [X.] hat von der Regelwirkung des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung auch deshalb nicht abgesehen, weil der Angeklagte „sich gegen den erkennbaren Willen der Zeugin genommen (habe), was er meinte einfordern zu dürfen“ ([X.] 93). Das Handeln gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers ist aber bereits für die Verwirklichung des Grundtatbestands gemäß § 177 Abs. 1 StGB erforderlich und kann daher als solches wegen § 46 Abs. 3 StGB nicht als strafschärfender Aspekt berücksichtigt werden. Angesichts der sonstigen vom [X.] herangezogenen Strafzumessungskriterien vermag der [X.] nicht auszuschließen, dass es ohne den Verstoß gegen das [X.] zu einem anderen Ergebnis bei der Strafrahmenbestimmung gelangt wäre.

c) Die Aufhebung der beiden vorgenannten [X.]n bedingt auch die Aufhebung der Gesamtstrafe für die Taten [X.] der Urteilsgründe.

5. Die Ablehnung der Aussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten zur Bewährung erweist sich selbst unter Berücksichtigung der lediglich begrenzten revisionsgerichtlichen Überprüfung tatrichterlicher Aussetzungsentscheidungen (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Mai 2016 – 4 StR 25/16, [X.], 425 und Urteil vom 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16, [X.], 29, 30 mwN) als durchgreifend fehlerhaft.

Das [X.] hat die Ablehnung ausschließlich auf das Fehlen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB (dazu näher [X.], Urteil von 6. Juli 2017 – 4 StR 415/16, [X.], 29, 31 mwN) gestützt, ohne eine Legalprognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB zu stellen. Damit hat es aber seine Grundlage für die Beurteilung „besonderer Umstände“ rechtsfehlerhaft verkürzt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann die Frage einer günstigen Prognose auch für die Beurteilung bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht vorliegen ([X.], Beschlüsse vom 13. Januar 2015 – 4 [X.], [X.], 107, 108 und vom 10. Mai 2016 – 4 StR 25/16, [X.], 425 jeweils mwN). Dass vorliegend eine weitere, nicht aussetzungsfähige Gesamtstrafe verhängt worden ist, ändert an diesen Anforderungen grundsätzlich nichts, zumal die zweite Gesamtstrafe ihrerseits nicht rechtsfehlerfrei gebildet worden ist.

Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Aussetzung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Über die [X.] kann der neue Tatrichter unabhängig von den zugrunde liegenden Schuld- und sonstigen Strafaussprüchen befinden.

Gegebenenfalls wird er ergänzende, für die Prognose gemäß § 56 Abs. 1 StGB bedeutsame Feststellungen zu treffen haben.

Raum     

      

Jäger     

      

Bellay

      

Radtke     

      

Bär     

      

Meta

1 StR 171/18

28.06.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 20. November 2017, Az: 10 KLs 456 Js 105249/17

§ 56 Abs 1 S 1 StGB, § 56 Abs 1 S 2 StGB, § 56 Abs 2 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2018, Az. 1 StR 171/18 (REWIS RS 2018, 6940)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 6940

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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