Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.03.2010, Az. B 12 SF 1/10 S

12. Senat | REWIS RS 2010, 8665

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - örtliche Zuständigkeit - kein Entfallen der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses bei offensichtlichem Irrtum eines Gerichts


Tatbestand

1

Der im Zuständigkeitsbereich des Sozialgerichts ([X.]) [X.] wohnende Kläger hat vor dem [X.] [X.] Klage erhoben gegen an ihn gerichtete Bescheide des beklagten Rentenversicherungsträgers, mit dem von ihm als Inhaber der Firma [X.] mit Betriebsstätten in [X.], [X.] und [X.] für die [X.] vom 1.12.2002 bis 2.4.2004 nachgefordert wurden. Im Handelsregister des Amtsgerichts [X.] war am [X.] die Firma [X.], [X.], mit Hinweis auf Geschäftsräume in [X.] eingetragen worden. Im Rahmen der Anhörung zu einer beabsichtigten Verweisung an das [X.] führte der Kläger aus, tatsächlich habe die Firma [X.] ihren Geschäftssitz mittlerweile in [X.] Der beklagte Rentenversicherungsträger verwies darauf, dass eine Einzelfirma unter der Adresse des [X.] in [X.] existiere und von dort sowohl Verträge geschlossen als auch Dispositionen getroffen worden seien sowie dort eine weitere Betriebsprüfung stattgefunden habe.

2

Mit Beschluss vom [X.] hat sich das [X.] [X.] für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Das [X.] hat sich mit Beschluss vom [X.] ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] [X.] zurückverwiesen. Es hat zur Begründung ua ausgeführt, zuständig sei das [X.] [X.], in dessen Bezirk der Kläger zur [X.] der Klageerhebung seinen Wohnsitz gehabt habe. Der Beschluss des [X.] binde nicht. Die Auffassung, die Eintragung im Handelsregister sei für die Zuständigkeit entscheidend, erweise sich als offensichtlich unhaltbar und objektiv nicht mehr zu rechtfertigen. Der eindeutige Wille der Beteiligten und die Wahl des [X.], nicht unter der Firma nach § 17 Abs 2 Handelsgesetzbuch zu klagen, werde durch den Verweisungsbeschluss des [X.] [X.] missachtet.

3

Das [X.] [X.] hat mit Beschluss vom 22.1.2010 das [X.] (B[X.]) zur Bestimmung des örtlich zuständigen [X.] angerufen.

Entscheidungsgründe

4

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 [X.] SGG durch das BSG liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem [X.] und dem [X.] berufen, nachdem das [X.] seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern das [X.] mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht und den Rechtsstreit an das [X.] zurückverwiesen hat.

5

Zum zuständigen Gericht ist das [X.] zu bestimmen, weil dieses an den Verweisungsbeschluss des [X.] vom [X.] gebunden war.

6

Gemäß § 98 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 2 Gerichtsverfassungsgesetz ([X.]) ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Den Streit der beteiligten Gerichte über den Anwendungsbereich von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrunde liegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen, ist gerade nicht Aufgabe des gemeinsam übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 [X.] SGG.

7

Ausnahmsweise kommt dem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder einem willkürlichen Verhalten beruht ([X.], Beschlüsse vom 25.2.1999, [X.] SF 9/98 S, [X.] 3-1720 § 17a [X.] ff, vom 27.5.2004, [X.] SF 6/04 S, [X.] 4-1500 § 57a [X.] RdNr 11, vom [X.], [X.]3 SF 4/05 S, [X.] 4-1500 § 58 [X.] RdNr 15, und vom [X.], [X.]2 SF 3/07 S, [X.] 4-1500 § 57 [X.] Rd[X.], sowie [X.] vom 19.12.2001, 1 BvR 814/01, NJW-RR 2002, 389). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art 3 Abs 1 GG verletzt. Allein ein offensichtlicher Irrtum eines Gerichts lässt die Bindungswirkung nicht entfallen. Danach ist für eine vom Verweisungsbeschluss des [X.] an das [X.] abweichende Bestimmung des örtlich zuständigen SG kein Raum.

8

Das [X.] ist schon deshalb für die Entscheidung örtlich zuständig, weil der Verweisungsbeschluss des [X.] vom [X.] nach § 98 Satz 1 SGG, § 17a Abs 2 [X.] unanfechtbar (§ 98 Satz 2 SGG) und für das [X.] bindend ist (§ 17a Abs 1 [X.]). Es ist nicht ersichtlich, dass der Beschluss des [X.] auf einer Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze beruht haben könnte. Die Entscheidung des [X.] ist auch nicht willkürlich. Das [X.] hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Sitz der Firma [X.] in [X.] und unter Sitz iS von § 57 SGG auch der Sitz der Firma eines Einzelkaufmanns zu verstehen und die Vorschrift über den besonderen Gerichtsstand der Niederlassung nach § 21 ZPO nicht anzuwenden sei. Selbst wenn das [X.] möglicherweise die Vorschrift des § 57 Abs 1 Satz 1 SGG fehlerhaft angewandt haben sollte, weil es nicht auf den Wohnsitz des in der Klageschrift und in den angefochtenen Bescheiden benannten [X.] als Privatperson abgestellt hat, war seine Rechtsauffassung nicht unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt unvertretbar. So war es - wenn möglicherweise auch fehlerhaft und entgegen der Auffassung der Beteiligten - davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unter seinem Namen, sondern unter seiner Firma die Klage erhoben hatte. Darüber hinaus hat es entsprechend seiner Rechtsauffassung auf den im Handelsregister des [X.] eingetragenen Ort des Gewerbes des [X.] abgestellt. Diese aus der Auslegung des § 57 Abs 1 Satz 1 SGG gewonnene Rechtsauffassung, die die Rechtslage bei juristischen Personen des Privatrechts überträgt auf [X.], der unter seiner Firma klagt, mag zwar unzutreffend sein, die darauf sowie auf der Auslegung der Klageschrift beruhende Verweisungsentscheidung war jedoch unter diesen Gesichtspunkten nicht derart unvertretbar, dass sie den Schluss auf der Entscheidung zugrunde liegende sachfremde Erwägungen zulässt. Auch andere Umstände sind nicht ersichtlich, die darauf schließen lassen können, dass die Entscheidung des [X.] auf sachfremden Erwägungen beruht haben könnte.

Meta

B 12 SF 1/10 S

09.03.2010

Bundessozialgericht 12. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

vorgehend SG Nürnberg, 22. Januar 2010, Az: S 3 R 45/10 ZVW, Beschluss

§ 57 Abs 1 S 1 SGG, § 58 Abs 1 Nr 4 SGG, § 98 S 1 SGG, § 17a Abs 1 GVG, § 17a Abs 2 GVG, Art 3 Abs 1 GG, § 21 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.03.2010, Az. B 12 SF 1/10 S (REWIS RS 2010, 8665)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8665

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