Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.01.2012, Az. B 12 SF 2/11 S

12. Senat | REWIS RS 2012, 10374

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Tenor

Das [X.] wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, ein selbstständiger Apotheker, von der beklagten Krankenkasse die Rückzahlung von auf verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel entrichteten Abschlägen in Höhe von 12 575,50 Euro verlangen kann. Diese Fertigarzneimittel hatte er im [X.] an Versicherte der [X.] abgegeben. Das angerufene [X.] hat sich nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 28.2.2011 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen: Streitgegenstand sei die Vergütung für Arzneimittel auf der Basis eines auf Bundesebene gemäß § 129 [X.] abgeschlossenen Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung. Nach § 57a Abs 4 [X.]G in der ab [X.] geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom [X.] ([X.]) sei auch für das vorliegende Verfahren das [X.] örtlich zuständig als das [X.], in dessen Bezirk die [X.] ihren Sitz habe. An dieser Zuständigkeit ändere nichts, dass nach dem Inhalt der Klageschrift nicht unmittelbar Regelungen des nach § 129 [X.] abgeschlossenen Rahmenvertrags streitig seien, sondern die Reduzierung eines Vergütungsanspruchs nach § 130 [X.]. § 57a Abs 4 [X.]G nF erfasse nämlich alle Streitigkeiten, die aus rechtlichen Beziehungen hervorgingen, welche durch solche Verträge auf Bundesebene begründet würden.

2

Mit Beschluss vom 16.6.2011 hat sich das [X.] ebenfalls nach Anhörung der Beteiligten für örtlich unzuständig erklärt und die Streitsache dem B[X.] zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt, weil die Verweisung des [X.] willkürlich sei bzw auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze beruhe und deshalb nicht binde.

3

II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 [X.] [X.]G durch das B[X.] liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem [X.] und dem [X.] berufen, nachdem das [X.] seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern weiterhin das [X.] mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht. Das [X.] konnte von einem eigenen Verweisungsbeschluss absehen und von seiner Unzuständigkeit ausgehend unmittelbar das B[X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anrufen (vgl B[X.] [X.] 4-1500 § 57a [X.] RdNr 8).

4

Zum zuständigen Gericht ist das [X.] zu bestimmen, weil dieses an den Verweisungsbeschluss des [X.] vom 28.2.2011 gebunden ist.

5

Gemäß § 98 Satz 1 [X.]G iVm § 17a Abs 2 [X.] ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Den Streit der beteiligten Gerichte über die Anwendung von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrunde liegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen, ist (gerade) nicht Aufgabe des gemeinsam übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 [X.] [X.]G.

6

Ausnahmsweise kommt dem Verweisungsbeschluss nur dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder einem willkürlichen Verhalten beruht (stRspr; vgl B[X.] [X.] 3-1720 § 17a [X.] ff, [X.] 4-1500 § 57a [X.] RdNr 11, [X.] 4-1500 § 58 [X.] RdNr 15 und [X.] 4-1500 § 57 [X.] Rd[X.], sowie [X.] Kammerbeschluss vom 19.12.2001, 1 BvR 814/01, NVwZ-RR 2002, 389; zuletzt Beschlüsse des B[X.] vom 16.9.2009, [X.] SF 7/09 S, vom [X.], [X.] SF 2/10 S und vom 3.12.2010, [X.] SF 7/10 S). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung in dem aufgezeigten Zusammenhang dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art 3 Abs 1 GG verletzt (vgl [X.], aaO). Für eine abweichende Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts in Anwendung dieser strengen Maßstäbe, die das B[X.] in seiner Rechtsprechung ausgeformt hat, ist vorliegend kein Raum.

7

Das [X.] ist aufgrund seiner Auslegung des § 57a Abs 4 [X.]G nF zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Verfahren diese Vorschrift die örtliche Zuständigkeit regelt und danach das [X.] am Sitz der [X.], das [X.], zuständig sei. Bei seiner Entscheidung für die Anwendung des § 57a Abs 4 [X.]G hat es die dem Entwurf der Neufassung des § 57a [X.]G von der Bundesregierung beigegebene Begründung herangezogen ([X.]) und sich außerdem auf einen Beschluss des L[X.] Niedersachsen-Bremen vom 7.1.2009 [X.]) zu § 57a Abs 3 [X.]G nF (betreffend einen Landesvertrag) gestützt. Das [X.] hat darüber hinaus auch die gegenteilige Auffassung in den Blick genommen und im Hinblick auf deren Auswirkungen in der Gerichtspraxis den Schluss gezogen, dass ein "differenzierendes Verständnis von § 57a [X.]G" seiner Meinung nach dem gesetzgeberischen Willen einer klaren Zuständigkeitsregelung widersprechen würde. Auch hinsichtlich der Auswahl des örtlich zuständigen Gerichts - in Anwendung des § 57a Abs 4 [X.]G nF - hat sich das [X.] eine Überzeugung gebildet und die von ihm angenommene umfassende Zuständigkeit des [X.] am Sitz der [X.] für alle Rechtsstreitigkeiten, die auf Verträgen auf Bundesebene beruhen, mit dem Willen des Gesetzgebers begründet und hierzu - ebenfalls - auf den oben genannten Beschluss des L[X.] Niedersachsen-Bremen verwiesen.

8

Das vom [X.] zugrunde gelegte Normverständnis und seine darauf gegründete Entscheidung können nach dem einschlägigen Prüfungsmaßstab - entgegen der vom [X.] vertretenen Auffassung - methodisch nicht von vornherein als mit dem Gesetz "eindeutig" unvereinbar angesehen werden. Sein Verweisungsbeschluss ist damit nicht willkürlich und missachtet auch nicht erkennbar elementare Verfahrensgrundsätze. Auch ist weder der Begründung des [X.] noch den sonstigen Umständen zu entnehmen, dass die Verweisung auf einem unsachlichen Verhalten beruht haben könnte. Allein eine möglicherweise fehlerhafte Anwendung des § 57a Abs 4 [X.]G nF durch das [X.] wäre nicht geeignet, die Bindungswirkung des [X.] zu beseitigen.

9

Allerdings weist der Senat für die Auslegung des § 57a Abs 4 [X.]G zur Vermeidung künftig zu erwartender wechselseitiger Verweisungen an das [X.] (und durch das [X.] an andere [X.]) in Fällen der vorliegenden Art auf folgende Gesichtspunkte hin:

Soweit § 57a Abs 4 [X.]G für die örtliche Zuständigkeit Angelegenheiten voraussetzt, die Entscheidungen oder Verträge auf Bundesebene "betreffen", dürfte für dessen Auslegung zunächst - in systematischer Hinsicht - zu berücksichtigen sein, dass § 57a [X.]G (allgemein) im Verhältnis zu § 57 [X.]G (örtliche Zuständigkeit grundsätzlich personenbezogen) eine Sonderregelung bzw Spezialzuweisung darstellt, und sodann - im Hinblick auf den Gesetzeszweck - von Bedeutung sein, dass den in § 57a Abs 4 [X.]G genannten [X.] als örtlich zuständigen [X.] nicht sämtliche Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der [X.] (vertragsärztliche und nicht-vertragsärztliche Streitigkeiten) zugewiesen werden sollten. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die den der Bestimmung des § 57a Abs 4 [X.]G vom Gesetzgeber beigelegten Zweck verdeutlicht, ergibt sich insoweit, dass die dort genannten [X.] - aus Gründen der Konzentration des juristischen Sachverstands, der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Kostenersparnis (vgl Bericht des [X.] <11. Ausschuss> vom 24.11.1988, BT-Drucks 11/3480 [X.] f) - jedenfalls örtlich zuständig sein sollen in Streitigkeiten "aufgrund" von Entscheidungen oder Verträgen auf Bundesebene. Diese sind in den Gesetzesmaterialien beispielhaft aufgezählt (vgl BT-Drucks 11/3480 [X.]). Im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang, in den die Norm gestellt ist, und auf teleologische Erwägungen dürfte nach alledem eher eine Auslegung des § 57a Abs 4 [X.]G geboten sein, die nicht mit derjenigen des [X.] Hildesheim konform geht. Danach spricht mehr dafür, dass die örtliche Zuständigkeit der dort genannten [X.] nur für solche Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der [X.] angeordnet wird, die sich ausschließlich auf [X.] der Entscheidung oder des [X.] beziehen, also Entscheidungen oder Verträge auf Bundesebene insoweit "betreffen", als diese selbst und unmittelbar in Streit stehen, während Streitigkeiten der vorliegenden Art von der Spezialzuweisung des § 57a Abs 4 [X.]G nicht erfasst werden.

Meta

B 12 SF 2/11 S

04.01.2012

Bundessozialgericht 12. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

vorgehend SG Berlin, 16. Juni 2011, Az: S 81 KR 572/11, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.01.2012, Az. B 12 SF 2/11 S (REWIS RS 2012, 10374)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10374

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