Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.07.2012, Az. B 12 SF 5/12 S

12. Senat | REWIS RS 2012, 4533

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - örtliche Zuständigkeit - Entfallen der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses - zuständiges Sozialgericht bei Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der GKV


Tenor

Das [X.] wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten in dem zugrundeliegenden Rechtsstreit darüber, ob der Kläger, ein Verein mit Sitz im Zuständigkeitsbereich des [X.], als Träger eines in [X.] ansässigen Krankenhauses einen Anspruch gegen die beklagte Krankenkasse auf Auszahlung von 9660,45 [X.] hat, die die Beklagte von den vom Krankenhaus abgerechneten Krankenhausleistungen in den Jahren 2006 bis 2008 einbehalten hat. Der Kläger macht mit der beim [X.] eingereichten Klage geltend, die Beklagte sei nicht berechtigt, die Beträge auf der Grundlage des § 140d Abs 1 [X.] zur Förderung der integrierten Versorgung von der an den Kläger gemäß § 85 Abs 1 [X.]B V zu entrichtenden Gesamtvergütung einzubehalten, weil diese Mittel ausschließlich zur Finanzierung der nach § 140c Abs 1 [X.] vereinbarten Vergütungen verwendet werden dürften, die Beklagte jedoch nicht gemäß § 140d Abs 1 [X.] nachgewiesen habe, dass die einbehaltenen Beträge gesetzeskonform verwendet worden seien. Die Beklagte macht geltend, als Nachweis genügten die sog Konformitätserklärungen für die [X.], 2007 und 2008 über die über den 31.12.2008 hinauslaufenden IV-Verträge "Verbundversorgung [X.]-[X.]" und "H.-Kliniken". Auf Anfrage des [X.] hat die Beklagte mitgeteilt, dass Verträge zur integrierten Versorgung ausschließlich in den Bundesländern und nicht auf Bundesebene bestünden und den Kläger betreffende Verträge für [X.]-[X.] vorlägen, es allerdings nicht nachvollziehbar sei, dass die Regelung des § 57a [X.] einschlägig sein solle. Nach Anhörung der Beteiligten hat sich das [X.] mit Beschluss vom 29.11.2011 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit mit Hinweis auf § 57a Abs 3 [X.] an das [X.] [X.] verwiesen.

2

Mit Beschluss vom 16.4.2012 hat sich das [X.] [X.] ebenfalls nach Anhörung der Beteiligten für örtlich unzuständig erklärt und die Streitsache dem B[X.] zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt, weil die Verweisung des [X.] willkürlich sei bzw auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze beruhe und deshalb nicht binde. Die Zuständigkeit ergebe sich nicht aus § 57a Abs 3 [X.], da Verträge auf Landesebene nicht betroffen seien.

3

II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 58 Abs 1 [X.] [X.] durch das B[X.] liegen vor. Es ist als gemeinsam nächsthöheres Gericht im Sinne dieser Vorschrift zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem [X.] und dem [X.] [X.] berufen, nachdem das [X.] seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Rechtsstreit an das [X.] [X.] verwiesen hat, dieses Gericht sich jedoch ebenfalls nicht für örtlich zuständig hält, sondern weiterhin das [X.] mangels Bindungswirkung als zuständig ansieht. Das [X.] [X.] konnte von einem eigenen Verweisungsbeschluss absehen und von seiner Unzuständigkeit ausgehend unmittelbar das B[X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts anrufen (vgl [X.]-1500 § 57a [X.] RdNr 8).

4

Zum zuständigen Gericht ist das [X.] [X.] zu bestimmen, weil dieses an den Verweisungsbeschluss des [X.] vom 29.11.2011 gebunden ist.

5

Gemäß § 98 Abs 1 [X.] iVm § 17a Abs 2 Gerichtsverfassungsgesetz ([X.]) ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher oder sachlicher Zuständigkeit für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend. Dies gilt im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) und einer möglichst zügigen sachlichen Entscheidung grundsätzlich unabhängig von der Verletzung prozessualer oder materieller Vorschriften. Den Streit der beteiligten Gerichte über die Anwendung von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrundeliegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen, ist gerade nicht Aufgabe des gemeinsamen übergeordneten Gerichts im Verfahren nach § 58 Abs 1 [X.] [X.].

6

Ausnahmsweise kommt dem Verweisungsbeschluss dann keine Bindungswirkung zu, wenn die Verweisung auf einer Missachtung elementarer Verfahrensgrundsätze oder auf [X.] Verhalten beruht (stRspr, vgl [X.]-1720 § 17a [X.] ff, [X.] 4-1500 § 57a [X.] RdNr 11, [X.] 4-1500 § 58 [X.] RdNr 15 und [X.] 4-1500 § 57 [X.] Rd[X.], sowie [X.] Kammerbeschluss vom 19.12.2001 - 1 BvR 814/01 - NVwZ-RR 2002, 389; zuletzt Beschlüsse des [X.] - [X.] SF 2/11 S - [X.] 2012, 369 f, und vom [X.] SF 4/11 S). Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung in dem aufgezeigten Zusammenhang dann, wenn sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, sodass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art 3 Abs 1 GG verletzt (vgl [X.], aaO). Für eine abweichende Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts in Anwendung dieser strengen Maßstäbe, die das B[X.] in seiner Rechtsprechung ausgeformt hat, ist vorliegend noch kein Raum.

7

Zwar verletzt das [X.] zwingendes Recht, weil der Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs 4 S 2 [X.] mit keiner Begründung versehen ist. Insoweit genügt nicht die Angabe der angewandten Rechtsnorm im Beschlusstenor. Vielmehr hat die Begründung mindestens auch die für erfüllt oder nicht erfüllt gehaltenen Tatbestandsmerkmale und die dafür ausschlaggebenden tatsächlichen und rechtlichen Gründe zu bezeichnen (zu den Mindestanforderungen an eine Begründung vgl B[X.] [X.] 1500 § 136 [X.]; B[X.] Urteil vom [X.] 9b [X.] 5/05 R; Beschluss vom 6.2.2003 - [X.] [X.] 32/02 B). Diese Missachtung nicht zur Disposition des einzelnen Richters stehenden Verfahrensrechts allein führt jedoch nicht dazu, dass der Beschluss grob [X.] bzw willkürlich wäre (vgl B[X.] Beschluss vom 25.10.2004 - [X.] SF 20/04 S). Vielmehr ist dem Akteninhalt noch mit ausreichender Sicherheit zu entnehmen, dass die Verweisung des [X.] zwar auf wohl unzutreffenden, aber nicht auf sachfremden Erwägungen beruht hat, was auch für die Beteiligten erkennbar war.

8

Den Verweisungsbeschluss hat das [X.] lediglich mit dem Hinweis auf § 57a Abs 3 [X.] versehen. Jedoch kann im Hinblick auf seine vorhergehende, unter Verweis auf § 57a Abs 3 und 4 [X.] an die Beklagte gerichtete Anfrage, "ob [X.] ausschließlich mit einzelnen Bundesländern oder auf Bundesebene" bestünden, und die diesbezügliche Antwort geschlossen werden, dass das [X.] von Verträgen zur integrierten Versorgung "in Bundesländern" ausging. Aufgrund seiner Auslegung des § 57a Abs 3 [X.] ist es danach zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall diese Vorschrift die örtliche Zuständigkeit regele und danach das [X.] [X.] zuständig sei. Die mögliche fehlerhafte Anwendung des § 57a Abs 3 [X.] durch das [X.] ist als solche nicht geeignet, die Bindungswirkung des [X.] zu beseitigen. Das [X.] konnte sich nämlich für seine Rechtsauffassung immerhin auf Rechtsprechung des L[X.] Niedersachsen-Bremen stützen (vgl zB Beschlüsse vom 11.12.2008 - [X.] - [X.] 2009, 261, und vom [X.] - [X.]). Den Inhalt der in der Tendenz gegenteiligen Beschlüsse des erkennenden [X.] ([X.] SF 2/11 S - [X.] 2012, 369 f, und vom [X.] SF 4/11 S) sowie der dazu verfassten Anmerkung von [X.] ([X.] 2012, 317) konnte es dagegen noch nicht berücksichtigen. Ob § 57a Abs 3 [X.] auch in dem Fall anwendbar ist, dass sich Entscheidungen oder Verträge auf mehrere Länder (hier: [X.] und [X.]?) beziehen, oder ob es bei der Zuständigkeitsregelung des § 57 Abs 1 [X.] verbleibt (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 57a Rd[X.]), kann hier offenbleiben, weil eine ggf insoweit fehlerhafte Rechtsanwendung durch das [X.] mangels Anhaltspunkt für besondere, auf ein willkürliches Verhalten hindeutende Umstände ebenfalls die Bindung der Verweisung nicht beseitigen könnte.

9

Allerdings weist der Senat für die Auslegung des § 57a Abs 3 [X.] zur Vermeidung wechselseitiger Verweisungen in Fällen der vorliegenden Art darauf hin, dass ebenso wie in Bezug auf § 57a Abs 4 [X.] (B[X.] Beschlüsse vom 4.1.2012 - [X.] SF 2/11 S - [X.] 2012, 369 f, und vom [X.] SF 4/11 S) auch für die Sonderregelung bzw Spezialzuweisung des § 57a Abs 3 [X.] gelten dürfte, dass die letztgenannte Vorschrift für die örtliche Zuständigkeit Angelegenheiten voraussetzt, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene "betreffen", und nicht sämtliche Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) durch diese Vorschrift zugewiesen werden sollten. Aus ähnlichen Gründen wie bei § 57a Abs 4 [X.] (vgl Beschlüsse des [X.] und [X.], aaO) spricht mehr dafür, dass die örtliche Zuständigkeit der dort genannten [X.]e nur für solche Streitigkeiten aus dem Leistungserbringerrecht der [X.] angeordnet wird, die sich ausschließlich auf [X.] der Entscheidung oder des [X.] beziehen, also Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene insoweit "betreffen", als diese selbst und unmittelbar im Streit stehen (vgl [X.], aaO, speziell zu Vergütungsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen [X.]).

Meta

B 12 SF 5/12 S

18.07.2012

Bundessozialgericht 12. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

vorgehend SG Berlin, 16. April 2012, Az: S 28 KR 2331/11, Beschluss

§ 57 Abs 1 SGG, § 57a Abs 3 SGG, § 57a Abs 4 SGG, § 58 Abs 1 Nr 4 SGG, § 98 S 1 SGG, § 17a Abs 2 GVG, § 17a Abs 4 S 2 GVG, Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 140a SGB 5, § 140c Abs 1 S 1 SGB 5, § 140d Abs 1 S 4 SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.07.2012, Az. B 12 SF 5/12 S (REWIS RS 2012, 4533)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4533

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