Bundessozialgericht, Urteil vom 23.08.2013, Az. B 8 SO 10/12 R

8. Senat | REWIS RS 2013, 3251

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung - Übernahme noch unbezahlter Kosten für eine systemische Bewegungstherapie - Bindung des Sozialhilfeträgers an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Zuweisung an eine bestimmte Schule oder Schulart - sozialgerichtliches Verfahren - notwendige Beiladung des Leistungserbringers - Unzulässigkeit eines Grundurteils


Leitsatz

1. Bei der Klage eines Hilfeempfängers gegen den Sozialhilfeträger auf Übernahme noch unbezahlter Kosten für ambulante Dienste oder Einrichtungen ist der Erlass eines Grundurteils unzulässig.

2. Zur Frage, inwieweit der Sozialhilfeträger an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Zuweisung eines schulpflichtigen behinderten Kindes an eine bestimmte Schule oder Schulart gebunden ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] ist die Übernahme bislang nicht gezahlter Kosten für eine systemische Bewegungstherapie nach dem [X.] - ([X.]) ab 1.1.2008.

2

Der im [X.] wohnende Kläger ist 1996 geboren und leidet seit der Geburt am Lowe-Syndrom, einer unheilbaren Stoffwechselerkrankung. Bei ihm besteht eine hochgradige beidseitige Sehbehinderung, eine geistige Behinderung, ein hirnorganisches Anfallsleiden, eine Niereninsuffizienz, eine allgemeine Muskelhypotonie, eine Entwicklungsstörung, eine Sprachentwicklungsstörung sowie ein Zustand nach [X.] beider Augen bei Katarakt beidseits. Von 2000 bis Mitte 2004 hatte der Beklagte die Kosten von zuletzt 43,35 Euro wöchentlich für eine systemische Bewegungstherapie übernommen. Mit Aufnahme des [X.] in die [X.] zum Schuljahr 2004/2005 - das [X.] hatte der Erfüllung der Schulbesuchspflicht dort zugestimmt (bestandskräftiger Bescheid vom 8.7.2004) - machte der Beklagte die Übernahme der Kosten für die systemische Bewegungstherapie von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eltern des [X.] abhängig (Schreiben vom 16.9.2004); ein "Extra-Schulgeld" für [X.] im Rahmen der Eingliederungshilfe von monatlich 235,05 Euro zahlte der Beklagte jedoch (Bescheid vom 19.11.2004). Nachdem die Eltern zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen keine Angaben gemacht hatten, versagte der Beklagte die Kostenübernahme für die Bewegungstherapie wegen fehlender Mitwirkung (bestandskräftiger Bescheid vom 15.11.2004; Widerspruchsbescheid vom [X.]).

3

Den Antrag des [X.] auf Kostenübernahme ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen der Eltern vom 12.4.2007 lehnte der Beklagte unter Hinweis auf fehlenden schulischen Förderbedarf ab (Bescheid vom 1.10.2007; Widerspruchsbescheid vom 4.12.2007). Die beim Sozialgericht ([X.]) [X.] auf die Übernahme dieser Kosten ab Januar 2008 beschränkte Klage - die Forderung ist von der Therapeutin gestundet - war erst- und zweitinstanzlich im Sinne eines Grundurteils erfolgreich (Urteil des [X.] vom 14.12.2009; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das L[X.] ua ausgeführt, der Kläger habe Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die [X.] vom 1.1.2008 bis 22.2.2012 in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten und ab [X.] auf Übernahme künftig entstehender Kosten von bis zu zwei Stunden wöchentlich als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. Neben den durch die [X.] geleisteten Integrationshilfen bestehe zusätzlicher Bedarf für eine derartige heilpädagogische Maßnahme, um Auffälligkeiten des [X.] im Sozialverhalten, die auf einer Überreizung im Schulalltag beruhen könnten, entgegenzuwirken.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.] und des § 2 [X.]. Er ist der Ansicht, das L[X.] verkenne, dass Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der Eingliederungshilfe nur für den Besuch der allgemeinen Schule in Betracht komme; darunter sei die Grundschule und eine auf ihr aufbauende Schule zu verstehen, nicht aber eine Sonderschule. Dieser sei die [X.] im Sinne einer Schule für Geistigbehinderte gleichzusetzen, die der Kläger besucht habe, weil er aufgrund seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen sei, dem gemeinsamen Bildungsgang in einer allgemeinen Schule zu folgen. Dies habe das L[X.] verkannt und habe damit zugleich den Nachrang der Sozialhilfe missachtet. Es hätte zudem die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde zur Beschulung des [X.] auf ihre Richtigkeit hin überprüfen müssen; der Besuch der Freien [X.] sei keine angemessene Schulausbildung. Im Übrigen sei die Therapie nicht geeignet und erforderlich, den Schulbesuch zu ermöglichen.

5

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des L[X.] und des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]>); das Verfahren leidet an einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 1.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.12.2007 (§ 95 [X.]), bei dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 [X.] iVm § 9 Gesetz zur Ausführung des [X.] vom 1.7.2004 - Gesetzblatt 534), inhaltlich begrenzt auf die vom [X.] gänzlich und vom [X.] bis auf die Aufbringung der [X.]osten des Lebensunterhalts - insoweit hier nicht einschlägig - freigestellte ([X.]) Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (dazu später). Zwar könnte die systemische Bewegungstherapie ggf auch als Hilfe zum Erwerb praktischer Fähigkeiten, die geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der [X.] zu ermöglichen (§ 54 Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 55 Abs 2 [X.] behinderter Menschen - <[X.]>) förderfähig sein bzw eine Hilfe zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt (§ 54 Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 55 Abs 2 [X.]) oder eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation (§ 54 Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 26 [X.]) darstellen. Unabhängig davon, dass dem Senat eine Einordnung der systemischen Bewegungstherapie schon mangels tatsächlicher Feststellungen des [X.] zum Inhalt der Therapie nicht möglich ist (dazu später), sind derartige Leistungen jedoch nicht nach § 92 Abs 2 [X.] vom Einkommens- und [X.] des [X.] und seiner Eltern freigestellt, sodass dem [X.] entsprechend derartige Leistungen nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind. Dem stünde auch die Bestandskraft des [X.] (wegen fehlender Mitwirkung bei der Einkommens- und Vermögensermittlung) vom 15.11.2004 entgegen (vgl § 77 [X.]). Der Beklagte hat mit dem angegriffenen Bescheid gerade keinen neuen Verwaltungsakt erlassen, der den [X.] vom 15.11.2004 als sog Zweitbescheid ersetzt hätte, sondern entgegen der früheren Prüfung über einen einkommens- und vermögensunabhängigen Anspruch entschieden.

Das Verfahren leidet jedoch an einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensfehler, weil das [X.] nicht die Therapeutin, Frau S, gemäß § 75 Abs 2 [X.] [X.] [X.] hat. Nach § 75 Abs 2 [X.] [X.] sind Dritte nämlich dann beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung); diese Voraussetzungen sind in Person der Therapeutin erfüllt, weil ein Anspruch auf [X.]ostenübernahme als Sachleistung im weiten Sinne (Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung) im Streit steht, wegen der Stundung der Forderung also nicht ein Anspruch auf [X.]ostenerstattung. Der Schuldbeitritt hat einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger und einen Anspruch des Hilfeempfängers gegen den Sozialhilfeträger auf Zahlung an den Leistungserbringer zur Folge ([X.], 1 ff Rd[X.] 25 = [X.]-1500 § 75 [X.] mwN); folglich kann die Entscheidung über die Verpflichtung des Beklagten zur [X.]ostenübernahme gegenüber dem [X.]läger und der Therapeutin nur einheitlich ergehen (anders beim Streit um die Erstattung von [X.]osten als reiner Geldleistung, vgl [X.], 301 ff Rd[X.] 16 = [X.]-3500 § 54 [X.] 8; anders auch bei dem - der späteren [X.]ostenübernahme ggf vorgeschalteten - Streit um die Erteilung einer Zusicherung oder auf Erlass eines Grundlagenbescheids: vgl [X.]/[X.] in juris [X.] [X.], § 75 [X.] Rd[X.] 119.5 f). Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 [X.] [X.] ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (vgl nur: [X.], 1 ff Rd[X.] 28 = [X.]-1500 § 75 [X.]; [X.] § 75 [X.] 21; B[X.], Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VS 6/01 R -, [X.] 2003-90; anders bei der unechten notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt [X.]: B[X.] [X.]-4200 § 7 [X.] 4 und B[X.], Urteil vom [X.] - B 12 P 9/03 R -, [X.] 2005-3 mwN).

Zwar kann nach § 168 Satz 2 [X.] die Beiladung noch im Revisionsverfahren nachgeholt werden; der Senat ist hierzu allerdings nicht verpflichtet (vgl nur: B[X.] [X.]-3500 § 65 [X.] 5 Rd[X.] 10; [X.]-5910 § 39 [X.] 1 Rd[X.] 18 mwN) und hat davon abgesehen, weil tatsächliche Feststellungen, insbesondere zum konkreten Inhalt der mit dem [X.]läger durchgeführten Therapie und ihrer Auswirkungen auf dessen Schulbildung, fehlen (§ 163 [X.]); dies stünde einer Sachentscheidung des Senats ohnedies entgegen.

[X.] und [X.] haben außerdem verfahrensfehlerhaft ein Grundurteil erlassen. Dem steht § 130 Abs 1 Satz 1 [X.] entgegen, der ein Grundurteil nur bei einer Leistung in Geld vorsieht (vgl auch zur Unzulässigkeit des Grundurteils im Zivilprozess bei einem Anspruch auf Schuldbefreiung: [X.], Urteil vom [X.] -, NJW-RR 1987, 756 f). Da es sich bei der [X.]ostenübernahme um einen Schuldbeitritt, verbunden mit einem Anspruch auf Befreiung von der Schuld gegenüber dem Leistungserbringer, handelt, lagen die Voraussetzungen des § 130 Abs 1 Satz 1 [X.] mithin nicht vor. Dieser in der Revisionsinstanz fortwirkende Verstoß gegen einen verfahrensrechtlichen Grundsatz, der im öffentlichen Interesse zu beachten und dessen Befolgung dem Belieben der Beteiligten entzogen ist und (deshalb) die Grundlagen des weiteren Verfahrens berührt (vgl zur vergleichbaren Sit[X.]tion bei Erlass eines Urteils unter Missachtung der Voraussetzungen des § 131 Abs 5 [X.], Urteil vom [X.] - B 8 [X.] 21/11 R - Rd[X.] 10 ff), ist ebenfalls im Revisionsverfahren von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten.

Ohne Verfahrensfehler hat das [X.] hingegen von der Beiladung der [X.]rankenkasse ([X.]) und des [X.] nach § 75 Abs 2 [X.] [X.] (echte notwendige Beiladung) abgesehen (vgl dazu umfassend [X.], 301 ff Rd[X.] 10 ff = [X.]-3500 § 54 [X.] 8). Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der systemischen Bewegungstherapie um ein von der [X.] zu gewährendes Heilmittel iS der §§ 32, 92, 138 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche [X.]rankenversicherung - ([X.]) handelt. Denn als Heilmittel wäre die Therapie wohl keine Leistung zur Teilhabe iS des § 14 [X.] (zu dieser Problematik B[X.] [X.]-5910 § 39 [X.] 1 Rd[X.] 15) und schon aus diesem Grund eine Beiladung der [X.] nach der [X.] nicht erforderlich (B[X.] aaO). Jedenfalls fehlt es an der nach § 73 Abs 2 Satz 1 [X.] 7 [X.] erforderlichen ärztlichen Verordnung. Auch der Träger der öffentlichen Jugendhilfe war in diesem Zusammenhang nicht beizuladen, ohne dass darauf einzugehen ist, ob der Beklagte nicht auch als Jugendhilfeträger für die in Betracht kommende Leistung nach § 35a [X.] - ([X.]III) zuständig wäre. Denn ohnedies besteht eine vorrangige Leistungspflicht des beklagten Sozialhilfeträgers (Leistungen der Eingliederungshilfe für [X.] geistig behinderte junge Menschen) gemäß § 10 Abs 4 [X.]III (in der seit 1.10.2005 geltenden Fassung; vgl zum Ganzen [X.], 301 ff Rd[X.] 15 mwN = [X.]-3500 § 54 [X.] 8). Da beim [X.]läger jedenfalls eine wesentliche geistige Behinderung vorliegt, kann dahinstehen, ob sich eine Maßnahmenotwendigkeit auch aufgrund einer seelischen (= psychischen) Behinderung ergeben würde. Anhaltspunkte dafür liegen jedenfalls nicht vor. Ob die [X.] nach § 75 Abs 2 2. Alt [X.] (unechte notwendige Beiladung) als anderer möglicher Leistungsträger hätte [X.] werden müssen, ist mangels entsprechender Rüge vom Senat nicht zu prüfen (zur Rügepflicht im Revisionsverfahren nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 75 Rd[X.] 13b mwN).

Vor einer Beiladung der Therapeutin ist der Senat indes gehindert, über die von der Revision aufgeworfenen materiellrechtlichen Fragen für das [X.] bindend (§ 170 Abs 5 [X.]) zu entscheiden, weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 [X.], Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) der [X.] verletzt würde (vgl: [X.], 242 ff Rd[X.] 17 = [X.]-4200 § 20 [X.] 1; [X.] 103, 39 ff Rd[X.] 14 = [X.]-2800 § 10 [X.] 1). Die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen stellen damit lediglich Entscheidungshilfen für das [X.] dar.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf [X.]ostenübernahme durch den zuständigen (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 [X.] iVm § 3 Abs 2 Satz 1 [X.] und §§ 1, 2 AG-[X.]) Beklagten - zur eigenständigen Prüfung des Landesrechts ist der Senat mangels Berücksichtigung durch das [X.] entgegen § 202 [X.] iVm § 560 Zivilprozessordnung (ZPO) befugt (vgl [X.] 103, 39 ff Rd[X.] 12 = [X.]-2800 § 10 [X.] 1) - bilden § 19 Abs 3 (in den Normfassungen des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - [X.] 554 - und des Gesetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011 - [X.] 453) iVm § 53 Abs 1 Satz 1 (in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - [X.] 3022), § 54 Abs 1 Satz 1 [X.] 1 [X.] (in den Normfassungen des Gesetzes vom 27.12.2003 und des [X.] [X.] im [X.]rankenhaus vom 30.7.2009 - [X.] 2495) und § 12 Abs 1 [X.] 1 Eingliederungshilfe-Verordnung - Eingliederungshilfe-VO - (in der Fassung, die diese durch das Gesetz vom 27.12.2003 erhalten hat) iVm § 92 Abs 2 Satz 1 [X.] 2 [X.] (in den Normfassungen des Gesetzes vom 27.12.2003 und vom 24.3.2011).

Ob der [X.]läger nach diesen Vorschriften für die [X.] ab 1.1.2008 einen Anspruch auf Übernahme der [X.]osten hat, lässt sich anhand der tatsächlichen Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]) nicht abschließend beurteilen. Der [X.]läger hätte einen Anspruch auf [X.]ostenübernahme - ohne Berücksichtigung von Vermögen und ohne Berücksichtigung seines Einkommens und des Einkommens seiner Eltern 92 Abs 2 Satz 1 und 2 [X.]) - nur dann, wenn es sich bei der systemischen Bewegungstherapie um eine privilegierte Maßnahme nach § 92 Abs 2 Satz 1 [X.] 2 [X.] handeln würde, also eine Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. Der [X.]läger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 [X.]. Danach werden Leistungen der Eingliederungshilfe - als gebundene Leistung - (nur) an Personen erbracht, die durch eine Behinderung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 [X.] wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor, weil der [X.]läger nach den bindenden (§ 163 [X.]) Feststellungen des [X.] durch seine Sehbehinderung in seiner körperlichen (§ 53 Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 1 [X.] 4 Eingliederungshilfe-VO), vor allem aber in seiner geistigen Funktion wesentlich (zur Wesentlichkeit vgl nur B[X.] [X.]-3500 § 54 [X.] 10 Rd[X.] 14 mwN) beeinträchtigt ist (§ 2 Abs 1 [X.], § 2 Eingliederungshilfe-VO).

Der geltend gemachte Anspruch bestünde nach § 54 Abs 1 Satz 1 [X.] 1 [X.] iVm § 92 Abs 2 Satz 1 und 2 [X.], wenn es sich um eine Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht) handeln würde. Eine abschließende Beurteilung dazu ist nicht möglich. Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung umfasst nach § 12 [X.] 1 Eingliederungshilfe-VO heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter [X.]inder und Jugendlicher, wenn die Maßnahme erforderlich und geeignet ist, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Wie bereits § 53 Abs 1 Satz 1 [X.] verdeutlicht ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"), liegt § 54 Abs 1 Satz 1 [X.] 1 [X.] iVm § 12 [X.] 1 Eingliederungshilfe-VO ein individ[X.]lisiertes Förderverständnis zugrunde (B[X.] [X.]-3500 § 54 [X.] 6 Rd[X.] 22). Grundsätzlich kommen alle Maßnahmen in Betracht, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern ([X.] 101, 79 ff Rd[X.] 27 mwN = [X.]-3500 § 54 [X.] 1), soweit es sich nicht um solche handelt, die dem [X.]ernbereich der eigentlichen Schulbildung zuzurechnen sind (vgl zuletzt B[X.] [X.]-3500 § 54 [X.] 10 Rd[X.] 15 f). Zu diesem [X.]ernbereich gehört die lediglich unterstützende Tätigkeit der Therapeutin außerhalb des Schulbetriebs nicht.

Jedoch hat das [X.] weder den konkreten Inhalt der mit dem [X.]läger durchgeführten Therapie festgestellt noch dazu Ausführungen gemacht, wie sich die Therapie im Einzelnen auf seine Lernfähigkeit auswirkt. Das [X.] hat nur begründet, weshalb aus seiner Sicht beim [X.]läger neben den durch die Schule geleisteten Integrationshilfen weiterer Förderbedarf bestehe. Inwieweit die Therapie jedoch die Verbesserung schulischer Fähigkeiten des [X.] zum Ziel hat, kann anhand der Ausführungen des [X.] nicht nachvollzogen werden; zumindest genügen allgemein gehaltene Bewertungen der Therapie und ihrer Ziele sowie eine allgemein gehaltene Umschreibung der angewandten Methoden anhand von Internetrecherchen oder anderen Publikationen für die notwendige individuelle Beurteilung nicht ([X.], 301 ff Rd[X.] 23 = [X.]-3500 § 54 [X.] 8); denn daraus lassen sich weder Schlüsse auf konkrete Inhalte noch auf erfolgversprechende Therapieansätze im konkreten Einzelfall ziehen.

Anders als der Beklagte meint, kann dem [X.]läger allerdings nicht entgegengehalten werden, er besuche eine seiner Behinderung nicht angemessene Schule und dieser Bildungsgang vermittele keine angemessene Schulbildung. Dies würde im Ergebnis zu einer unzulässigen inzidenten Prüfung der Entscheidung der Schulbehörde über die Erfüllung der Schulbesuchspflicht durch den Sozialhilfeträger im Rahmen der §§ 53 ff [X.] führen.

Eine allgemeingültige Definition dessen, was unter einer angemessenen Schulbildung zu verstehen ist, findet sich weder im [X.] noch im [X.]; auch in § 12 Eingliederungshilfe-VO sind nur beispielhaft ("umfasst auch") Maßnahmen benannt, die Gegenstand der möglichen Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung sein können. Die Entscheidung darüber, was im Einzelfall für das behinderte [X.]ind eine angemessene Schulbildung ist, beurteilt sich, wie der Verweis in § 54 Abs 1 Satz 1 [X.] 1 2. Halbsatz [X.] deutlich macht, wonach die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben, nach den Schulgesetzen der Länder. Der Sozialhilfeträger ist folglich an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Erfüllung der Schulpflicht eines behinderten [X.]indes in einer Schule bzw über eine bestimmte Schulart gebunden (BVerwGE 123, 316 ff; 130, 1 ff; BVerwG [X.] 436.0 § 39 [X.] [X.] 5; [X.] in jurisP[X.]-[X.], § 54 [X.] Rd[X.] 48; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 18. Aufl 2010, § 54 [X.] Rd[X.] 45 und 55; Voelzke in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 54 Rd[X.] 43 a, Stand Febr[X.]r 2010; [X.] in Grube/[X.], [X.], 4. Aufl 2012, § 54 [X.] Rd[X.] 40; [X.] in Lehr- und Praxiskommentar [X.], 9. Aufl 2012, § 54 [X.] Rd[X.] 55; vgl zur Letztverantwortlichkeit der Schulbehörde über die Form des Schulbesuchs für förderungsbedürftige [X.]inder auch [X.] 96, 288 ff). Deshalb verfängt auch, solange die Schulbehörde an ihrem Bescheid vom 8.7.2004 festhält, der auf das sog [X.] des § 2 [X.] gestützte weitere Einwand des Beklagten nicht, der [X.]läger hätte der Schulbesuchspflicht eigentlich in einer Sonderschule genügen müssen, weil er aufgrund seiner Behinderung gar nicht in der Lage sei, dem Schulbetrieb an der [X.] zu folgen. Soweit der Beklagte mit seiner Revision in diesem Zusammenhang eine fehlerhafte Auslegung des [X.] durch das [X.] rügt, kommt es darauf - unabhängig davon, ob der Senat diese Auslegung überhaupt überprüfen dürfte (§ 202 [X.] iVm § 560 ZPO) - für die Entscheidung nicht an.

Bei seiner Entscheidung wird das [X.] zu berücksichtigen haben, dass das [X.] zu Unrecht nur ein Grundurteil erlassen hat (vgl zu den [X.]onsequenzen B[X.], Urteil vom [X.] - B 8 [X.] 21/11 R Rd[X.] 18); sollten die [X.]osten bezahlt werden, wäre die [X.]lage umzustellen (§ 99 Abs 3 [X.] 3 [X.]). Nur dann wären der Umfang der Maßnahme und die Höhe der Vergütung nicht näher zu prüfen, weil der [X.]läger dann einen einem Grundurteil zugänglichen Erstattungsanspruch geltend machen würde.

Das [X.] wird ggf auch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 10/12 R

23.08.2013

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 14. Dezember 2009, Az: S 6 SO 6490/07, Urteil

§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG, § 130 Abs 1 S 1 SGG, § 53 Abs 1 S 1 SGB 12, § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12, § 12 Nr 1 BSHG§47V, § 19 Abs 3 SGB 12, § 92 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB 12, § 92 Abs 2 S 2 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.08.2013, Az. B 8 SO 10/12 R (REWIS RS 2013, 3251)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3251

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 8 SO 30/10 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Übernahme der Kosten für eine Montessori-Therapie - keine Notwendigkeit einer Beiladung der …


B 8 SO 24/15 R (Bundessozialgericht)

Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung - Übernahme der Kosten für den …


B 8 SO 2/18 R (Bundessozialgericht)

Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung - Schulbegleitung - Bestimmung des Kernbereichs …


B 8 SO 20/15 R (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit von Klageänderungen im Revisionsverfahren - Sozialhilfe - Sonderrechtsnachfolge gem § 19 …


B 8 SO 8/15 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Zulässigkeit der Verurteilung zum Erlass eines Grundlagenbescheides durch das Sozialgericht - Unzulässigkeit …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.