Bundessozialgericht, Urteil vom 08.03.2017, Az. B 8 SO 20/15 R

8. Senat | REWIS RS 2017, 14493

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit von Klageänderungen im Revisionsverfahren - Sozialhilfe - Sonderrechtsnachfolge gem § 19 Abs 6 SGB 12 - kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage - notwendige Beiladung des überörtlichen Sozialhilfeträgers - Eingliederungshilfe - Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft - Leistungserbringungsrecht - Zuständigkeit für den Abschluss von Vereinbarungen iS des § 75 Abs 3 S 1 SGB 12 - Nichtigkeit von Vereinbarungen eines unzuständigen Sozialhilfeträgers - Übernahme der Vergütung nach § 75 Abs 4 SGB 12)


Leitsatz

Die sachliche Zuständigkeit für den Abschluss von sozialhilferechtlichen Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen beurteilt sich eigenständig und unabhängig von den Regelungen über die Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. Juni 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist noch die Zahlung höherer Leistungen für die stationäre Unterbringung des am 17.2.2016 verstorbenen früheren [X.] L [X.] ([X.]) nach dem [X.] - ([X.]) für die [X.] vom 1.1. bis 31.3.2008.

2

[X.]er 1928 geborene [X.] lebte von April 2002 bis zu seinem Tod im [X.] in Einrichtungen der Klägerin. Zuvor hatte [X.] in seiner eigenen Wohnung in [X.] gelebt, ebenfalls im [X.] [X.] war erheblich behindert; es bestand ein hirnorganisches Psychosyndrom nach langjähriger Alkoholabhängigkeit mit schweren dis[X.] und aggressiven Verhaltensauffälligkeiten sowie dem Verlust wesentlicher Teile der Sprachfähigkeit bei tertiärer Lues (progressiver Paralyse). Ein [X.]rad der [X.]ehinderung von 100 war anerkannt, die Merkzeichen "[X.]", "[X.]", "[X.]" und "[X.]" festgestellt. Er stand unter [X.]etreuung und erhielt - neben Leistungen der [X.] Pflegeversicherung - eine monatliche Altersrente in [X.]öhe von 743,64 [X.]; über sonstiges Einkommen und Vermögen verfügte er im streitbefangenen [X.]raum nicht mehr.

3

In § 5 (Leistungsentgelt/Pflegesatz) des zwischen der Klägerin und [X.] geschlossenen [X.]eimvertrags (vom 4.11.2005 mit Wirkung vom 9.11.2005) war in [X.]ezug auf die [X.]öhe des Pflegesatzes auf die "derzeit gültige(n) Vergütungsvereinbarung (siehe Anlage 4)" verwiesen. Als Anlage 4 dem [X.]eimvertrag beigefügt war die "Vergütungsvereinbarung gemäß § 93 Abs. 2 [X.]undessozialhilfegesetz" zwischen der Klägerin und dem [X.] ([X.]). [X.]iese wies einen [X.]eltungszeitraum vom 1.2.2004 bis 31.1.2005 und eine pauschale Vergütung von 117,74 [X.] aus. [X.]arüber hinaus war vereinbart, dass [X.] bei einer vorübergehenden Abwesenheit von bis zu drei Tagen den vollen Pflegesatz, bei einer vorübergehenden Abwesenheit von mehr als drei Tagen vom ersten Tag der Abwesenheit an eine [X.] in [X.]öhe von [X.] des Pflegesatzes zu zahlen habe. Im streitbefangenen [X.]raum war [X.] insgesamt 11 Tage (davon 10 Tage im Januar und einen Tag im Februar) abwesend. Für die [X.] vom 1.1.2007 bis 30.6.2008 hatten der [X.] und die Klägerin eine Vereinbarung über eine Vergütung in [X.]öhe von pauschal 124,13 [X.] täglich getroffen. [X.]er [X.]eklagte hat weder mit der Klägerin noch einer anderen Einrichtung der stationären Eingliederungshilfe in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich Leistungs-, Vergütungs- oder Prüfungsvereinbarungen abgeschlossen.

4

Für die [X.] vom 1.1.2007 bis 31.12.2009 bewilligte der [X.]eklagte [X.] für dessen stationäre Unterbringung täglich insgesamt 111,42 [X.] ([X.]rundpauschale 12,90 [X.], Investitionsbetrag 7,58 [X.], [X.] für [X.] 23 14,63 [X.] und für [X.] 16 76,31 [X.] - die Zuordnung zu [X.]en jeweils orientiert am Rahmenvertrag zwischen den überörtlichen [X.], ua dem [X.], den kommunalen Spitzenverbänden auf Landesebene sowie der Vereinigungen der [X.] auf Landesebene nach § 79 [X.]), lehnte aber die Übernahme der geltend gemachten höheren Vergütung (124,13 [X.]) ebenso ab wie die einer Pauschalvergütung für Abwesenheitszeiten ([X.]escheid vom 2.4.2008; Widerspruchsbescheid unter [X.]eteiligung sozial erfahrener [X.]ritter vom 23.11.2010).

5

Während die Klage des [X.] erstinstanzlich ohne Erfolg geblieben ist (Urteil des Sozialgerichts [X.]etmold vom 24.10.2012), hat das [X.] (LS[X.]) [X.] den [X.]eklagten verurteilt, "die Kosten für die stationäre Unterbringung des [X.] beim [X.]eigeladenen im Monat Januar 2008 in [X.]öhe von 3600,39 [X.], im Monat Februar 2008 in [X.]öhe von 3693,46 [X.] und im Monat März 2008 in [X.]öhe von 3941,72 [X.], jeweils unter Anrechnung bereits dafür erbrachter Leistungen, zu tragen" (Urteil vom 8.6.2015). Zur [X.]egründung seiner Entscheidung hat das LS[X.] ausgeführt, [X.] sei nach dem [X.]eimvertrag verpflichtet, täglich 124,13 [X.] an die Klägerin zu zahlen. [X.]ieser Schuld habe der für die Leistungserbringung gegenüber [X.] örtlich und sachlich zuständige [X.]eklagte in vollem Umfang beizutreten. [X.]enn er sei als "übriger Träger der Sozialhilfe" an die zwischen dem [X.] (als überörtlichem Sozialhilfeträger) und der Klägerin geschlossenen Verträge nach § 77 Abs 1 Satz 2 [X.] gebunden. [X.]iese Regelung bezwecke die Vermeidung vertragsloser Zustände; der Umstand, dass nach Landesrecht zwei Träger der Sozialhilfe für die Leistungserbringung in einer Einrichtung zuständig sein könnten, weil in [X.] die Leistungszuständigkeit für Personen vor Vollendung des 65. Lebensjahres beim überörtlichen, für Personen nach Vollendung des 65. Lebensjahres beim jeweils örtlich zuständigen Träger liege, habe der [X.]undesgesetzgeber nicht gesehen. § 77 Abs 1 Satz 2 [X.] sei in diesen Fällen so auszulegen, dass ein zwischen einem örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe geschlossener Vertrag auch den für dieselbe Leistung, wenn auch für einen anderen Personenkreis zuständigen anderen Träger - gleichsam überlappend - binde. [X.]amit bleibe das Vertragsabschlussrecht jedes Trägers gewährleistet; es gelte in der Folge ein Prioritätsprinzip, wonach der als erstes zur Abschlussreife gebrachte Vertrag für die [X.]auer seiner [X.]ültigkeit die übrigen Träger binde, ohne sie zu hindern, [X.] zu verhandeln und wiederum diese als erste zur Abschlussreife zu bringen. [X.]er [X.]eklagte habe zudem die [X.] geschuldete [X.] für die Tage des Krankenhausaufenthaltes des [X.] zu übernehmen.

6

Mit seiner Revision rügt der [X.]eklagte eine Verletzung des § 77 Abs 1 Satz 2 [X.]. Er sei nicht an die zwischen dem [X.] und der Klägerin geschlossenen Verträge gebunden. Vielmehr stehe ihm ein eigenes Verhandlungsrecht mit der Klägerin zu. Von der Regelung des § 77 Abs 1 Satz 2 [X.] würden nur jeweils gleichgeordnete Träger erfasst. [X.]a für die Leistungserbringung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres eines Leistungsberechtigten nach den landesrechtlichen Regelungen der überörtliche Träger, für alle übrigen der örtliche Träger zuständig sei, ergebe sich eine Überschneidung von Zuständigkeiten. [X.]iese könne, anders als das LS[X.] meine, nicht so gelöst werden, dass die zeitlich erste Vereinbarung, gleichgültig, von welchem Träger abgeschlossen, alle anderen binde.

7

[X.]er [X.]eklagte beantragt,
das Urteil des LS[X.] aufzuheben und die [X.]erufung gegen das Urteil des S[X.] zurückzuweisen.

8

[X.]ie Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die Entscheidung des LS[X.] für zutreffend und macht nunmehr die auf sie als Rechtsnachfolgerin übergegangenen Ansprüche des [X.] gegen den [X.]eklagten geltend.

Entscheidungsgründe

[X.]ie Revision des Beklagten ist lediglich iS der Aufhebung des Urteils des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]>).

Verfahrensbeteiligte sind nach dem Versterben des [X.] während des anhängigen Revisionsverfahrens nur noch der Beklagte und die durch ihren Prozessbevollmächtigten bereits im Klageverfahren vertretene frühere Beigeladene, jetzt als Klägerin. Mit dem Tod des [X.] ist diese als Sonderrechtsnachfolgerin nach § 19 Abs 6 [X.]II unmittelbar kraft Gesetzes (cessio legis) in das Verfahren eingetreten ([X.], 264 ff = [X.] 4-3500 § 19 [X.]). [X.]anach steht der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat - hier also der Klägerin als Trägerin der Einrichtung, in der [X.] bis zu seinem Tod gelebt und die die Leistungen an ihn erbracht hat. [X.]ieser durch die [X.] herbeigeführte [X.] ist keine Klageänderung iS der §§ 99, 168 Satz 1 [X.], sondern führt lediglich von Amts wegen zu einer Berichtigung des Rubrums (vgl [X.], 93 Rd[X.] 13 mwN = [X.] 4-3500 § 19 [X.] 3; [X.], 27, 28 = [X.] 3-2600 § 307b [X.] 9 S 92; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 99 Rd[X.] 7a mwN) und ist deshalb auch im Revisionsverfahren zulässig (jeweils zum [X.] im Rahmen der Funktionsnachfolge: [X.], 217 Rd[X.] 9 = [X.] 4-4200 § 26 [X.] 1; [X.], 248 Rd[X.] 14 = [X.] 4-5050 § 15 [X.] 6; BSG [X.] 4-4200 § 37 [X.] 5). [X.]ieser prozessualen Situation hat der Bevollmächtigte des verstorbenen [X.] dadurch Rechnung getragen, dass er im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anträge mehr gestellt hat.

Eine abschließende Entscheidung darüber zu treffen, ob höhere Leistungen an die Klägerin zu zahlen sind, war untunlich, weil das [X.] verfahrensfehlerhaft von der Beiladung des [X.] nach § 75 Abs 2 1. Alt [X.] abgesehen hat. [X.]anach sind [X.]ritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (echte notwendige Beiladung). [X.]ies setzt voraus, dass durch die Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre des [X.]ritten unmittelbar eingegriffen wird (stRspr, vgl nur [X.], 144, 145 = [X.] 3-5795 § 6 [X.] 1 S 2 f mwN; BSG [X.] 1500 § 75 [X.] 71 S 83 mwN), wobei die Möglichkeit der Rechtsbeeinträchtigung für die Beiladung genügt ([X.], 283 ff Rd[X.] 5 ff = [X.] 4-3250 § 14 [X.] 1). [X.]ies ist hier der Fall; denn denkbar ist, dass das [X.] bei seiner Prüfung zur sachlichen Zuständigkeit (dazu später) zum Schluss kommt, dass die zwischen der Klägerin und dem [X.] abgeschlossenen Vereinbarungen nach § 58 Abs 1 [X.] - ([X.]) nichtig sind. [X.]urch eine solche Entscheidung würde unmittelbar in das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem beizuladenen [X.], nämlich deren Vertragsbeziehungen, eingegriffen. Für die noch im Streit stehende Höhe des Leistungsanspruchs der Klägerin ist die Frage der Wirksamkeit der Verträge nicht nur eine Vorfrage (in solchen Fällen die Notwendigkeit der Beiladung verneinend [X.] 70, 240 ff, 242 = [X.] 3-5533 Allg [X.] 1).

Von der Nachholung der Beiladung in der Revisionsinstanz mit Zustimmung des [X.] (§ 168 Satz 2 [X.]), die in das Ermessen des [X.] gestellt ist (stRspr, vgl nur [X.], aaO, § 168 Rd[X.] 3d mwN), hat der Senat abgesehen. [X.]enn es fehlt auch an der Vollstreckbarkeit des Tenors der [X.]-Entscheidung. Von der verfahrensrechtlichen Situation, in der der Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 [X.]) zulässigerweise hätte erfolgen können, ist das [X.] selbst nicht ausgegangen, weil es zutreffend das Begehren des [X.] dahin verstanden hat, dass dieser den Beitritt des Beklagten zu seiner, der Klägerin gegenüber bestehenden Schuld und die Zahlung an diese im Wege der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage verfolgt hat (vgl dazu nur: [X.], 1 ff = [X.] 4-1500 § 75 [X.] 9 = [X.] 4-3500 § 53 [X.] 1 und § 75 [X.] 1). [X.]as [X.] wird allerdings die durch die Sonderrechtsnachfolge ausgelöste, geänderte verfahrensrechtliche Situation zu beachten haben. [X.]enn als zwangsläufige Konsequenz des aufgrund der Sonderrechtsnachfolge während des Revisionsverfahrens eingetretenen [X.]s hat die Klägerin den auf sie übergegangenen Anspruch vor dem [X.] als eigenen, gerichtet auf Zahlung an sich selbst und damit im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 [X.]) geltend zu machen. [X.]er Anspruch des [X.] auf Schuldbeitritt hat sich insoweit in einen Anspruch auf Leistung gewandelt. Ihr Begehren könnte die Klägerin allerdings ggf auch auf den Erlass eines Grundurteils beschränken.

Vor der Beiladung des [X.] ist der Senat indes gehindert, über die von der Revision aufgeworfenen Fragen für das [X.] bindend (§ 170 Abs 5 [X.]) zu entscheiden, weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 [X.], Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) des [X.] verletzt würde (vgl: [X.] 97, 242 ff Rd[X.] 17 = [X.] 4-4200 § 20 [X.] 1; [X.] 103, 39 ff Rd[X.] 14 = [X.] 4-2800 § 10 [X.] 1). [X.]ie nachfolgenden rechtlichen Ausführungen stellen damit lediglich Entscheidungshilfen für das [X.] dar.

Als Rechtsgrundlage für einen auf die Klägerin nach § 19 Abs 6 [X.]II übergegangenen Anspruch des [X.] auf höhere Leistungen - Leistungen zur Teilhabe am Leben in der [X.] - dürfte nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] wohl nur § 19 Abs 3 [X.]II (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - [X.] 554 - erhalten hat) iVm § 53 Abs 1 Satz 1, § 54 Abs 1 Satz 1 [X.]II iVm § 55 Abs 1 [X.] behinderter Menschen - ([X.]) in Betracht kommen. Gleichgültig, ob es sich dabei um eine stationäre Maßnahme gehandelt hat oder eine Leistung des [X.], dürfte hierfür der Beklagte entweder nach § 98 Abs 2 [X.]II (wovon das [X.] ausgegangen ist) oder nach § 98 Abs 5 Satz 2 [X.]II iVm § 97 [X.], ggf auch unter Berücksichtigung des § 14 [X.], örtlich und nach § 97 [X.]II iVm Landesrecht auch der sachlich zuständige Leistungsträger gegenüber [X.] gewesen sein.

Aus den Regelungen über die Zuständigkeit für die Leistung folgt allerdings nicht auch schon die Zuständigkeit für den Abschluss von Verträgen. Ein solcher Grundsatz ergibt sich - anders als die Beteiligten und auch das [X.] meinen - insbesondere nicht aus § 77 Abs 1 Satz 2 [X.]II. § 77 Abs 1 Satz 2 [X.]II regelt vielmehr ausschließlich die örtliche Zuständigkeit zum Vertragsabschluss, die sachliche Zuständigkeit beurteilt sich nach § 97 [X.]II iVm Landesrecht.

Nach § 77 Abs 1 Satz 2 [X.]II (idF des Gesetzes zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - [X.] 2670) sind Vereinbarungen zwischen dem Träger der Einrichtung und dem für den Sitz der Einrichtung zuständigen Träger der Sozialhilfe für alle übrigen Träger der Sozialhilfe bindend. Es handelt sich um eine Sonderregelung nur für die örtliche Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen (vgl [X.] 116, 233 ff Rd[X.]0 = [X.] 4-3500 § 76 [X.] 1). [X.]ie Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit an den Sitz der Einrichtung stellt sicher, dass auf Seiten des Sozialhilfeträgers derjenige verhandelt, der mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist und damit die erforderlichen Kenntnisse zur Beurteilung der Angemessenheit der geforderten Vergütungen am ehesten besitzt (BSG [X.] 4-3500 § 75 [X.] 8 Rd[X.] 13; vgl auch [X.], 295 ff). [X.]ies ist hier der Beklagte.

[X.]ass sich die Regelung des § 77 Abs 1 Satz 2 [X.]II nicht auch auf die sachliche Zuständigkeit erstreckt, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 97 Abs 1 [X.]II, der für die "Sozialhilfe" allgemein die sachliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers der Sozialhilfe bestimmt, soweit (vgl § 97 Abs 2 Satz 1 [X.]II) keine landesrechtlichen Regelungen getroffen sind ([X.] 116, 233 ff Rd[X.]0 = [X.] 4-3500 § 76 [X.] 1; BSG Urteil vom 7.10.2015 - [X.] [X.] 19/14 R). Von § 97 Abs 1 [X.]II abweichende Regelungen zur sachlichen Zuständigkeit für den Abschluss von Verträgen nach den §§ 75 ff [X.]II enthält das Landesrecht [X.] ([X.] zu [X.]II für das Land [X.] <[X.]> vom 16.12.2004 - Gesetz- und Verordnungsblatt [X.] 816 iVm der Ausführungsverordnung zum [X.]II vom 16.12.2004 - GV [X.] 816) nicht; § 1 AG-[X.]II erklärt für "die Aufgaben der Sozialhilfe" die [X.] und kreisfreien Städte als örtliche Träger für zuständig, eine Beschränkung nur auf die Leistungserbringung ist dem nicht zu entnehmen. [X.]ass die AV-[X.]II [X.] andere als für die Leistungserbringung abweichende Zuständigkeitsregelungen beinhaltet, ist bislang nicht ersichtlich. [X.]ies mag das [X.] aber nochmals verifizieren.

Keine abweichende Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit des örtlichen Trägers rechtfertigt jedenfalls § 97 Abs 3 [X.] 1 [X.]II, soweit bei fehlenden landesrechtlichen Regelungen der überörtliche Träger der Sozialhilfe für Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach den §§ 53 ff [X.]II zuständig ist. [X.]enn schon seinem Wortlaut nach enthält § 97 Abs 3 [X.] 1 [X.]II nur eine (Auffang-)Zuständigkeit des überörtlichen Trägers für die Leistungserbringung ("für Leistungen … zuständig"), was die systematische Auslegung der Norm bestätigt. Absatz 1 nennt "die Sozialhilfe" allgemein, schränkt ihren Anwendungsbereich also nicht auf die Leistungszuständigkeit ein. Entsprechendes gilt für Absatz 2, der den Landesgesetzgeber ermächtigt, die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers - nicht nur für die Leistung - nach Landesrecht zu bestimmen. Nur für den Fall fehlender landesrechtlicher Regelung zur Leistungszuständigkeit sieht Absatz 3 eigene bundesrechtliche Regelungen, allerdings nur für die Leistungszuständigkeit vor.

[X.]ie zwischen dem [X.] und der Klägerin nach §§ 75 ff [X.]II abgeschlossenen Vereinbarungen wären - sofern sich nach § 97 Abs 1 [X.]II iVm Landesrecht keine sachliche Zuständigkeit des [X.] zum Vertragsabschluss ergibt (siehe oben) - unter Verstoß gegen formelles Recht (§ 97 [X.]II iVm § 1 AG-[X.]II [X.]) zustande gekommen und nach § 58 Abs 1 [X.] iVm § 134 [X.] ([X.]) ggf nichtig. [X.]ie Regelungen der §§ 53 ff [X.] über öffentlich-rechtliche Verträge sind auf die Vergütungsvereinbarung zwischen dem [X.] und der Klägerin nach §§ 75 ff [X.]II, bei der es sich um einen Normvertrag handelt (stRspr, vgl nur: BSG [X.] 4-3500 § 62 [X.] 1 Rd[X.] 15; [X.] 4-3500 § 75 [X.] 6 Rd[X.] 16; [X.] 4-3500 § 53 [X.] 4 Rd[X.] 15; BSG Beschluss vom 18.3.2014 - [X.] SF 2/13 R), anwendbar (vgl nur [X.] 70, 240, 243 = [X.] 3-5533 Allg [X.] 1; [X.] in von [X.]/Schütze, [X.], 8. Aufl 2014, § 53 Rd[X.] 7 mwN). [X.]ie Rechtsnatur der Vergütungsvereinbarung als Normvertrag ergibt sich dabei zwingend aus der in § 77 Abs 1 Satz 2 [X.]II normierten Wirkungserstreckung auf andere als am eigentlichen Vertrag unmittelbar Beteiligte (zu den Voraussetzungen allgemein [X.] in von [X.]/Schütze, [X.], 8. Aufl 2014, § 58 Rd[X.] 6a mwN).

Verträge sind nach § 58 Abs 1 [X.] nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des [X.] ergibt. Bei einem Verstoß gegen Regelungen, die einer vertraglichen Gestaltung nicht zugänglich sind - wie den hier in Rede stehenden gesetzlichen Regelungen zur sachlichen Zuständigkeit - liegt die Annahme eines qualifizierten Rechtsverstoßes nach § 58 Abs 1 [X.] iVm § 134 [X.] (BSG [X.] 4-3500 § 106 [X.] 1 Rd[X.] 31) gerade wegen der Wirkungserstreckung auf andere Träger der Sozialhilfe, die die Rechtsnatur der Vereinbarung als Normvertrag ausmacht, nahe.

[X.]er Beklagte kann sich, ohne sich dem Vorwurf der Treuwidrigkeit (§ 242 [X.]) auszusetzen, allerdings nicht auf eine fehlende Vereinbarung mit der Klägerin berufen und die zu zahlende Vergütung nach freiem Belieben festsetzen. Vielmehr ist in diesem Fall die zu zahlende Vergütung unter Orientierung an § 75 Abs 4 [X.]II zu bestimmen. Nach § 75 Abs 4 Satz 1 [X.]II darf der Träger der Sozialhilfe, sofern eine der in § 75 Abs 3 [X.]II genannten Vereinbarungen nicht abgeschlossen ist, Leistungen durch eine Einrichtung nur erbringen, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten ist. [X.]er Höhe nach wird der Vergütungsanspruch eines nicht vereinbarungsgebundenen Leistungserbringers normativ auf die Vergütung beschränkt, die der Sozialhilfeträger für vergleichbare Leistungen vereinbarungsgebundener Leistungserbringer am Ort der Hilfeleistung oder in seiner näheren Umgebung zu übernehmen hat (§ 75 Abs 4 Satz 3 [X.]II).

Folgt man der Argumentation des Beklagten, dass eine Vergütungsvereinbarung (zwischen [X.] und der Klägerin) zwar bestehe, diese allerdings (nur) für ihn nicht gelte, er vielmehr selbst Verträge mit Einrichtungen in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich schließen dürfe, liegt eine von § 75 Abs 4 Satz 3 [X.]II vorausgesetzte Situation vor. [X.]enn nach der bisherigen Sichtweise des Beklagten gibt es einen Vertrag, den er - rechtsirrig - im Grundsatz für wirksam hält und der für vergleichbare Leistungen am Ort der Hilfeleistung Vergütungen vorsieht. Mit dieser vertraglich vereinbarten Vergütung wäre dann auch die an die Klägerin zu zahlende Vergütung zu vergleichen. Entsprechendes dürfte im Hinblick auf die sog [X.] für Abwesenheitstage gelten, für die das [X.] im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine Leistungspflicht des Beklagten bejaht hat.

[X.]as [X.] wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des verstorbenen [X.] zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 20/15 R

08.03.2017

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Detmold, 24. Oktober 2012, Az: S 16 SO 313/10, Urteil

§ 168 S 1 SGG, § 99 SGG, § 75 Abs 2 Alt 1 SGG, § 54 Abs 1 SGG, § 19 Abs 6 SGB 12, § 53 Abs 1 S 1 SGB 12, § 54 Abs 1 S 1 SGB 12, § 75 Abs 3 S 1 SGB 12, § 75 Abs 4 S 1 SGB 12, § 75 Abs 4 S 3 SGB 12, § 77 Abs 1 S 2 SGB 12, § 97 Abs 1 SGB 12, § 97 Abs 2 S 1 SGB 12, § 97 Abs 3 Nr 1 SGB 12, § 55 Abs 1 SGB 9, § 58 Abs 1 SGB 10, § 134 BGB, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 08.03.2017, Az. B 8 SO 20/15 R (REWIS RS 2017, 14493)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 14493

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