Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.07.2010, Az. V ZB 203/09

V. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5039

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[X.]BESCHLUSS [X.] 203/09 vom 8. Juli 2010 in der [X.]- 2 - Der V. Zivilsenat des [X.] hat am 8. Juli 2010 durch den [X.] Richter Prof. Dr. [X.] und [X.] [X.], [X.], [X.] und [X.] beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der [X.]uss der 18. Zivilkammer des [X.] vom 29. Oktober 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000 •. Gründe: [X.] Der Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Betroffener) ist [X.] Staats-angehöriger und hält sich seit dem 1. März 2003 ohne Aufenthaltstitel in [X.] auf. [X.] ist er nach seinen Angaben über [X.]. Mit [X.] vom 29. August 2009 hat das Amtsgericht auf Antrag der [X.] und nach Anhörung des Betroffenen die Abschiebungshaft für die Dauer von längstens sechs Wochen angeordnet. Auf weiteren Antrag der Ausländerbehörde hat das Amtsgericht am 6. Oktober 2009 nach erneuter Anhörung des Betroffenen die Verlängerung der Haft längstens bis zum 1 - 3 - 5. Januar 2010 mit der Erwägung ausgesprochen, die [X.] nehme längere [X.] in Anspruch als zunächst angenommen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] mit [X.]uss vom 29. Oktober 2009 nach Anhörung des Betroffenen mit der Maßgabe zurückgewiesen, die [X.] ende spätestens mit Ablauf des 27. November 2009. Am 5. November 2009 wurde der Betroffene aus der Haft entlassen, weil über den am 7. Oktober 2009 bei dem [X.] (im Folgenden: [X.]) eingegangenen Asylantrag nicht in-nerhalb von vier Wochen entschieden wurde. Mit der Rechtsbeschwerde [X.] der Betroffene die Feststellung, dass er durch den [X.]uss des Amtsgerichts vom 6. Oktober 2009 und den des [X.] vom 29. Okto-ber 2009 in seinen Rechten verletzt worden ist. 2 I[X.] Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Haftanordnung sei nicht zu beanstanden. Aufgrund der unerlaubten Einreise sei der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig. Es bestehe zudem die Gefahr, dass dieser sich der Abschiebung entziehe. Gründe, die der Abschiebung binnen drei Mona-ten entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Üblicherweise könne das Pass-ersatzpapierbeschaffungsverfahren in drei Monaten abgeschlossen werden, so dass der Betroffene abgeschoben werden könne. Auch im Hinblick auf den gestellten Asylantrag sei eine Begrenzung der Haft auf höchstens vier Wochen nicht veranlasst. 3 - 4 - II[X.] 1. Das Rechtsmittel ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Rechts-beschwerde des Betroffenen auch dann ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft, wenn sich die Hauptsache durch die Haftentlassung - wie hier - erledigt hat und mit dem Rechtsmittel nur noch das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG festzustellen (vgl. nur [X.]. v. 25. Februar 2010, [X.], [X.]. 9 ff., juris = [X.] 2010, 249, 250). 4 2. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Beschwerdeent-scheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. 5 a) Sowohl die Beschwerde- als auch die Ausgangsentscheidung des Amtsgerichts, die im [X.] ebenfalls Gegenstand der [X.] ist (vgl. etwa Senat, [X.]. v. 4. März 2010, [X.], [X.]. 14, juris), halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. 6 aa) Soweit der Betroffene rügt, die Vorinstanzen hätten die [X.] nach § 417 Abs. 2 Satz 3 FamFG beiziehen müssen, scheitert diese Verfahrensrüge schon daran, dass die Rechtsbeschwerde nicht aufzeigt, welche entscheidungserheblichen Tatsachen der Tatrichter der Ausländerak-te hätte entnehmen müssen (vgl. auch Senat, [X.]. v. 4. März 2010, [X.], [X.]. 19 = [X.] 2010, 246, 248 f.). 7 [X.]) Ebenfalls ohne Erfolg beanstandet die Rechtsbeschwerde, im [X.] auf den von dem Betroffenen gestellten Asylantrag hätte die [X.] auf vier Wochen begrenzt werden müssen. Ob die Vorschrift des § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG zu einer dahin gehenden Einschränkung der [X.] - 5 - ordnung nötigt (so wohl [X.], AsylVfG, 7. Aufl., § 14 [X.]. 92), erscheint dem Senat zweifelhaft, kann hier jedoch auf sich beruhen, weil sich ein solcher Rechtsverstoß jedenfalls nicht zum Nachteil des Betroffenen ausgewirkt [X.]. Ein Asylantrag lag frühestens mit dem Eingang bei dem [X.] am 8. Oktober 2009 vor (vgl. Senat, [X.]. v. 6. Mai 2010, [X.], zur [X.] vorgesehen). Die [X.] lief danach erst am 5. No-vember 2009 ab. Da die Haft aber nicht über diesen [X.]raum hinaus voll-streckt worden ist und auch nicht mehr vollstreckt werden kann, ist der Be-troffene durch die Fassung der Haftanordnung jedenfalls nicht mehr be-schwert. Für die bis zum 5. November 2009 vollzogene Haft ist die unterblie-bene zeitliche Einschränkung der Haftanordnung ohnehin unerheblich. [X.]) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde jedoch, dass die Erwägung der Vorinstanzen zu § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] - es stehe nicht fest, dass die Ab-schiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kön-ne - einer rechtlichen Überprüfung nicht stand hält. Diese tatrichterliche Würdi-gung ist zwar im [X.] nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. dazu etwa Senat, [X.]. v. 6. Mai 2010, [X.] 193/09, [X.]. 20, juris), in diesem Rahmen aber zu beanstanden. Die für die Anwendung des § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] erforderliche Prognose darf nur auf einer hinreichend vollstän-digen Tatsachengrundlage getroffen werden. Hierzu sind konkrete Angaben erforderlich zum Ablauf des Verfahrens und zu dem [X.]raum, in welchem die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden. Der [X.] darf sich insoweit nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der [X.] beschränken, die Abschiebung werde voraussichtlich innerhalb von drei Monaten stattfinden können. Soweit die Ausländerbehörde hierzu [X.] konkreten Tatsachen mitteilt, obliegt es gemäß § 26 FamFG dem Gericht nachzufragen (Senat, [X.]. v. 6. Mai 2010, [X.] 193/09, [X.]. 20, juris). 9 - 6 - Diesen Anforderungen wird die getroffene Prognose nicht gerecht. Sie stützt sich in [X.] zunächst auf die Mitteilung des [X.], wonach die Ausländerbehörde am 21. Oktober 2009 die zur Einleitung des Ver-fahrens der Passersatzbeschaffung notwendigen Unterlagen an die zuständige Regierung von [X.] weitergeleitet hat. Dem schließt sich lediglich die unzureichende - in keiner Weise näher konkretisierte - Erwägung an, aufgrund der Erfahrungen der Ausländerbehörde könne mit einer Rücknahmeerklärung der [X.] Behörden innerhalb von drei Monaten gerechnet werden. Aber auch davon abgesehen vermag die zugrunde gelegte Erfahrung die erforderli-che Prognoseentscheidung nicht zu tragen. Denn bei einem Eingang der Rück-nahmeerklärung innerhalb von drei Monaten ist keineswegs sichergestellt, dass innerhalb dieses [X.]raumes auch noch die sich daran anschließende Rückfüh-rung des Betroffenen gelingen wird. Dies erschiene nur dann plausibel, wenn [X.] zumindest in der Regel deutlich vor Ablauf von drei Monaten eingehen. Das gilt umso mehr, als der für die Prognose nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] maßgebliche [X.]raum von drei Monaten bereits mit der ersten Haftanordnung zu laufen beginnt (Senat, [X.]. v. 25. März 2010, [X.]; [X.]. 18, juris). 10 b) Allerdings rechtfertigt nicht schon dieser Verfahrensmangel die Fest-stellung der Rechtswidrigkeit. Vielmehr kommt es auf die noch zu klärende [X.] an, ob die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] vorlagen. Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt zwar Maßstäbe auch für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tat-sächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen ([X.] NJW 2009, 2659, 2660). Anders als etwa bei der unterbliebenen Anhörung nach § 420 Abs. 1 FamFG (vgl. dazu nur [X.] [X.] 2006, 462, 464), durch die dem Be-troffenen das Kernstück der Amtsermittlung im Freiheitsentziehungsverfahren ([X.], aaO, 2661) vorenthalten und damit eine grundlegende Verfahrensga-11 - 7 - rantie als solche missachtet wird, stellen unzureichende Ermittlungen im Zu-sammenhang mit der nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] zu treffenden Progno-se keine vergleichbar gravierende Verletzung der Aufklärungspflicht dar (vgl. [X.]. v. 10. Juni 2010, [X.] 204/09, zur [X.] vorgesehen). Sol-che Mängel entziehen der Haftanordnung nicht von vornherein jede Grundlage und drücken der vollzogenen Haft nicht ohne weiteres den Makel einer rechts-widrigen Freiheitsentziehung auf. Daher hängt die Begründetheit des [X.] in Konstellationen der vorliegenden Art davon ab, ob die Voraussetzungen nach § 62 Abs. 2 Satz 4 [X.] gegeben waren. Die Sache ist deshalb an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). [X.], dass das Beschwerdegericht zu einer Zurückweisung des Fortsetzungsfeststellungsantrages gelangen sollte, weist der Senat im Hinblick auf die Kostenentscheidung darauf hin, dass in [X.] von der Erhebung der [X.] abzusehen ist (Senat, [X.]. v. 4. März 2010, [X.], [X.]. 20, juris). 12 - 8 - V. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 128c Abs. 2 i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO. 13 [X.] [X.] Lemke Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 06.10.2009 - 58 [X.]/09 B - [X.], Entscheidung vom [X.] - 18 T 8796/09 -

Meta

V ZB 203/09

08.07.2010

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.07.2010, Az. V ZB 203/09 (REWIS RS 2010, 5039)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5039

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