Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.10.2012, Az. 5 AZR 792/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 2252

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Gegenstand

Vergütungsvereinbarung - Inhaltskontrolle - Sittenwidrigkeit


Leitsatz

Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die den Umfang der Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung regeln, unterliegen nicht der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 17. August 2011 - 3 Sa 809/11 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Vergütung nicht - gesondert - bezahlter Arbeitsstunden.

2

Der Kläger war von Juni 1989 bis September 2011 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der [X.] beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug im März 2009 12,28 Euro brutto. Unter dem 27. März 2009 trafen eine Vielzahl von Arbeitnehmern - darunter auch der Kläger - mit der [X.] gleichlautende Vereinbarungen (fortan: [X.]) folgenden Inhalts:

        

„Es wird hiermit ab dem 01.04.2009 folgendes vereinbart:

        

1.    

[X.] erhöht sich um 3 %.

        

2.    

Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden wöchentlich, von denen 35 Stunden wöchentlich vergütet werden. Für die Differenz zur bisherigen regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Stunden wird keine gesonderte Vergütung gezahlt. Überstunden, die über 40 Stunden wöchentlich hinausgehen, werden als solche weiterhin regulär vergütet. Die Verrechnung der Stunden wird monatsweise durchgeführt, die angeordneten [X.] müssen in jedem Fall in dem aktuellen Monat erbracht werden.

        

3.    

Die Anordnung zur monatlichen Arbeitszeit erfolgt für den Folgemonat immer am Monatsende.“

3

Entsprechend verfuhr die Beklagte in der Folgezeit.

4

Mit der am 28. Dezember 2010 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger restliche Vergütung für die Monate April 2009 bis November 2010 in Höhe von 3.482,60 Euro brutto begehrt und geltend gemacht, das Verlangen nach unbezahlter Arbeit sei sittenwidrig. Zudem habe er binnen kürzester Frist ohne Gelegenheit zur Überlegung einer Modifizierung des Arbeitsvertrags zustimmen müssen. Ihm sei signalisiert worden, die Beklagte stecke in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ohne drastische Kostenreduzierungen drohe die Insolvenz. Auch sei angedeutet worden, die Maßnahme wäre zeitlich begrenzt und der Kläger müsse mit Konsequenzen rechnen, wenn er der Kürzung nicht zustimme.

5

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.482,60 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2011 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die [X.] sei wirksam.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die nach Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision (§ 74 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG, § 233 ZPO) zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

9

I. Die Beklagte hat den Vergütungsanspruch des [X.] im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt, § 362 Abs. 1 BGB. Auf eine gesonderte Vergütung der 36. bis 40. Arbeitsstunde in der Woche hat der Kläger keinen Anspruch, Ziff. 2 Satz 2 [X.]. Diese Klausel ist wirksam.

1. Die [X.] ist nicht aufgrund wirksamer Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen, § 142 Abs. 1 iVm. § 123 Abs. 1 BGB. Unbeschadet der Frage, ob der Kläger die Anfechtung überhaupt binnen der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB erklärt hat, fehlt es jedenfalls an einem Anfechtungsgrund.

Der Kläger hat keine ausreichend konkreten Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt, aus denen sich ergeben könnte, er sei zur Annahme der von der Beklagten angebotenen [X.] durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmt worden.

2. Ziff. 2 Satz 2 [X.] benachteiligt den Kläger nicht unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

a) Bei der Klausel, für die Differenz zwischen der bisherigen regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Wochenstunden und einer solchen von 40 Wochenstunden werde keine gesonderte Vergütung gezahlt, handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klausel ist unstreitig von der Beklagten für eine Vielzahl von [X.]en vorformuliert und den Arbeitnehmern einseitig gestellt worden. Anhaltspunkte dafür, die Klausel sei zwischen den Parteien „ausgehandelt“ iSv. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB liegen nicht vor. Die Beklagte hat selbst nicht vorgebracht, dem Kläger die Möglichkeit der Einflussnahme auf die streitgegenständliche Klausel eingeräumt zu haben (vgl. [X.] 19. Mai 2010 - 5 [X.] - Rn. 25 f. mwN, [X.] § 310 Nr. 13 = [X.] 2002 § 310 Nr. 10).

b) Einer über die Prüfung der - vom Kläger nicht in Frage gestellten - Transparenz hinausgehenden Inhaltskontrolle unterliegt die Klausel in Ziff. 2 der [X.] nicht, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB.

aa) Nach dieser Vorschrift unterfallen Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der uneingeschränkten Inhaltskontrolle nur dann, wenn durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Dazu gehören Klauseln, die (nur) den Umfang der von den Parteien geschuldeten Vertragsleistung festlegen, nicht. Im Arbeitsverhältnis sind das vor allem die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, über die §§ 305 ff. BGB den „gerechten Preis“ zu ermitteln ([X.]Rspr., vgl. zuletzt [X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 25 mwN, [X.] 2012, 908).

bb) Eine Klausel, nach der eine gesonderte Vergütung für die 36. bis 40. Arbeitsstunde pro Woche ausgeschlossen wird, betrifft allein die (Mit-)Vergütung dieser Arbeitsleistung und ist damit eine Hauptleistungsabrede. Sie regelt die Gegenleistung des Arbeitgebers für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung und unterliegt als Bestimmung des [X.] vorbehaltlich verbindlicher Mindestentgelte bis zur Grenze der Gesetz- und Sittenwidrigkeit der Parteivereinbarung.

3. Die [X.] ist nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig, § 138 BGB. Ein (zusätzlicher) Vergütungsanspruch des [X.] aus § 612 Abs. 1 BGB scheidet damit aus.

a) Der objektive Tatbestand sowohl des Lohnwuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) als auch des wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) setzt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Das ist vorliegend nicht der Fall.

aa) Ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Wert der Arbeitsleistung und der Höhe ihrer Vergütung vorliegt, bestimmt sich nach dem objektiven Wert der Leistung des Arbeitnehmers. Ausgangspunkt der Wertbestimmung sind regelmäßig die Tarifentgelte des jeweiligen Wirtschaftszweigs oder - wenn die verkehrsübliche Vergütung geringer ist - das allgemeine Entgeltniveau im Wirtschaftsgebiet. Das Missverhältnis ist auffällig, wenn es einem Kundigen, ggf. nach Aufklärung des Sachverhalts, ohne Weiteres ins Auge springt. Dafür hat das [X.] - in Anknüpfung an die Rechtsprechung des [X.] ([X.] 22. April 1997 - 1 [X.] - [X.]St 43, 53) - einen Richtwert entwickelt. Erreicht die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten [X.], liegt eine ganz erhebliche, ohne Weiteres ins Auge fallende und regelmäßig nicht hinnehmbare Abweichung vor, für die es einer spezifischen Rechtfertigung bedarf ([X.] 18. April 2012 - 5 [X.] - Rn. 11, [X.] 2002 § 138 Nr. 6; 22. April 2009 - 5 [X.] - Rn. 17, [X.]E 130, 338, jeweils mwN).

bb) Ein auffälliges Missverhältnis folgt nicht bereits daraus, dass einzelne Arbeitsstunden - scheinbar - unentgeltlich zu erbringen sind. Ob der Wert der Arbeitsleistung in einem auffälligen Missverhältnis zur versprochenen Vergütung steht, kann nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der vom Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag geschuldeten Arbeitsleistung und des vom Arbeitgeber dafür zu zahlenden Entgelts beurteilt werden (siehe zum Erfordernis der Gesamtbetrachtung auch [X.] 22. April 2009 - 5 [X.] - Rn. 20, [X.]E 130, 338). § 138 BGB soll verhindern, dass der Arbeitnehmer für seine Gesamtarbeitsleistung keine angemessene Vergütung erhält. Dabei ist die Vertragsgestaltung im Einzelnen unerheblich. Es kommt für die Sittenwidrigkeit nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer für jede erbrachte Arbeitsstunde ein gleichbleibendes [X.], für einzelne Arbeitsstunden ein besonders hohes, für andere aber ein niedriges [X.] erhält oder - wie bei der Pauschalvergütung von Überstunden (zu deren Voraussetzungen vgl. etwa [X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - [X.] 2012, 908) - mit der vereinbarten Vergütung weitere Arbeitsstunden „abgegolten“ sind. Entscheidend für die Bestimmung eines auffälligen Missverhältnisses ist vielmehr der Vergleich zwischen dem objektiven Wert der Arbeitsleistung und der „faktischen“ Höhe der Vergütung, die sich aus dem Verhältnis von geschuldeter Arbeitszeit und versprochener Vergütung für eine bestimmte Abrechnungsperiode ergibt.

cc) Im Streitfall haben die Parteien die Abrechnungsperiode Kalendermonat gewählt. Maßgeblich ist damit das „faktische“ [X.] pro Monat. Dieses betrug im Streitzeitraum unter Berücksichtigung der in der [X.] vorgesehenen Erhöhung des Stundenlohns um 3 % und bezogen nicht nur auf die „vergüteten“ 35, sondern auf die zu leistenden 40 Wochenstunden 11,07 Euro brutto. Dass er damit weniger als zwei Drittel der (tarif-)üblichen Vergütung erhalten hätte, hat der Kläger nicht behauptet. Legt man als Vergleichsmaßstab den ab 1. Mai 2010 geltenden Lohn- und Gehaltstarifvertrag für die Polstermöbel- und Matratzenindustrie in [X.] zugrunde, hat der Kläger immer noch 81 % des Stundenlohns der höchsten Lohngruppe für gewerbliche Arbeitnehmer bezogen.

b) Fehlt es in objektiver Hinsicht an einem auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung, kommt es nicht darauf an, ob die vom Kläger nur pauschal behaupteten, von der Beklagten bestrittenen Umstände bei Abschluss der [X.] überhaupt die subjektiven Voraussetzungen des Lohnwuchers bzw. des wucherähnlichen Geschäfts (vgl. dazu [X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 25 ff., [X.] 2002 § 138 Nr. 7; 27. Juni 2012 - 5 [X.] - Rn. 11 mwN) erfüllen könnten (zum Verhältnis der §§ 123, 138 BGB siehe etwa [X.] 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - Rn. 11, NJW 2008, 982; [X.]/[X.] 6. Aufl. § 138 BGB Rn. 6; [X.]/[X.] 72. Aufl. § 138 BGB Rn. 15, jeweils mwN).

c) Solange der Wert der Arbeitsleistung nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu dem für die Arbeit gezahlten Entgelt steht (zur Berücksichtigung der weiteren Entwicklung der Verhältnisse nach Vertragsschluss vgl. [X.] 22. April 2009 - 5 [X.] - Rn. 10, [X.]E 130, 338), findet die Auffassung des [X.]s und der Revision, schon die fehlende Befristung der [X.] könne die Sittenwidrigkeit begründen, in § 138 BGB keine Stütze. Den Arbeitsvertragsparteien steht es grundsätzlich frei, eine verschlechternde Änderung der Vergütung zeitlich - etwa auf einen „Sanierungszeitraum“ - zu befristen oder unbefristet zu vereinbaren. Lässt sich der Arbeitnehmer auf eine unbefristete Vertragsänderung ein, muss er sich daran festhalten lassen, sofern er nicht durch widerrechtliche Drohung oder arglistige Täuschung dazu bestimmt wurde. Das Erfordernis dringender betrieblicher Erfordernisse besteht nur für die einseitige Entgeltsenkung durch Änderungskündigung (§ 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG), nicht jedoch für eine einvernehmliche Verschlechterung der Vergütungsregelung.

II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    R. Rehwald    

        

    Bürger    

                 

Meta

5 AZR 792/11

17.10.2012

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Paderborn, 8. April 2011, Az: 3 Ca 2273/10, Urteil

§ 134 BGB, § 138 BGB, § 305 Abs 1 BGB, § 307 Abs 1 S 1 BGB, § 307 Abs 3 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.10.2012, Az. 5 AZR 792/11 (REWIS RS 2012, 2252)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2252


Verfahrensgang

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Az. 5 AZR 792/11

Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 792/11, 17.10.2012.


Az. 3 Sa 809/11

Landesarbeitsgericht Hamm, 3 Sa 809/11, 17.08.2011.


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Referenzen
Wird zitiert von

1 Ca 1446/21

8 Ca 2199/22

8 Sa 45/17

2 Sa 1442/12

16 Sa 1775/11

2 Sa 1443/12

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