Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.10.2019, Az. B 9 V 11/19 B

9. Senat | REWIS RS 2019, 2463

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - soziales Entschädigungsrecht - GdS-Feststellung - Annahme eines "schwachen" Einzel-GdS durch das LSG - entgegenstehendes Gutachten - genaue Wiedergabe des Inhalts des Gutachtens - erforderliche medizinische Sachkunde des Gerichts - tatgerichtliche Aufgabe der GdS-Bewertung - richterliche Beweiswürdigung - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Überraschungsentscheidung - Thematisierung in den Vorinstanzen - vorherige Ablehnung einer erhöhenden Wirkung des Einzel-GdS durch Verfahrensgegner - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 12. Februar 2019 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt höhere Entschädigungsleistungen für die Folgen seiner rechtsstaatswidrigen Haft in der [X.].

2

Der Beklagte hat als Schädigungsfolgen der rechtsstaatswidrigen Haft des Klägers in der [X.] und den dabei erlittenen schweren Misshandlungen ua folgende Gesundheitsstörungen festgestellt

-       

Posttraumatische Belastungsstörung,

-       

Depressionen, Ängste, Panikattacken,

-       

chronisches Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit,

        

Loch in der Nasenscheidewand mit Krusten- und Borkenbildung und behinderter Nasenatmung, [X.],

-       

Schmerzempfindlichkeit im Stirnbereich nach Entnahme eines Stirnlappens

und sie zuletzt mit einem Grad der Schädigungsfolgen ([X.]) von 50 bewertet sowie eine besondere berufliche Betroffenheit des Klägers anerkannt. Der Beklagte gewährte dem Kläger dafür ab dem [X.] Beschädigtenrente nach einem [X.] von insgesamt 60 und gestand ihm dem Grunde nach einen Anspruch auf [X.] und [X.] zu.

3

Mit einem am 1.10.2012 gestellten Überprüfungsantrag begehrte der Kläger erfolglos die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen sowie eines höheren [X.] (Bescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], [X.] vom 7.5.2015).

4

Das [X.] hat den Beklagten auf die Berufung des [X.] verurteilt, als weitere Schädigungsfolge eine relative Harninkontinenz im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennen, den geltend gemachten Anspruch auf höhere Entschädigung nach einem [X.] von 70 aber verneint. Anders als die von beiden Instanzen gehörte psychiatrische Sachverständige annehme, erhöhten die beim Kläger wegen seiner Nasenverletzung anerkannten Schädigungsfolgen nicht den [X.]. Die Beschwerden des [X.] im Zusammenhang mit dieser Schädigung seien von wechselnder Ausprägung und zudem nur teilweise schädigungsbedingt (Urteil vom 12.2.2019).

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum B[X.] eingelegt, mit der er geltend macht, das [X.] habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Bei der Bewertung der Schädigungsfolgen durch das [X.] handele es sich um eine Verletzung rechtlichen Gehörs insbesondere in Gestalt einer Überraschungsentscheidung.

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil der allein behauptete Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G).

7

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung dieses [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Dies wird aber nur dann erkennbar, wenn zuvor diese Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargestellt und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Hieran fehlt es.

8

Der Kläger wirft dem Berufungsgericht vor, es habe bei der Beurteilung seines [X.] überraschend keinen vollen [X.] von 20 für die Folgen seiner Nasenverletzung zugrunde gelegt, wie ihn die Sachverständige Prof. Dr. S in ihrem Gutachten vom 11.7.2011 aber angenommen habe. Es habe diesen [X.] vielmehr ohne eigene medizinische Sachkunde zu Unrecht als "schwachen" [X.] eingeordnet.

9

Indes kann der Senat die Stichhaltigkeit dieser Rüge auf der Grundlage des Beschwerdevortrags schon deshalb nicht abschließend beurteilen, weil es die Beschwerde versäumt hat, den Inhalt des maßgeblichen [X.] ausreichend wiederzugeben, anstatt nur dessen aus ihrer Sicht zutreffende Interpretation mitzuteilen. Es ist aber nicht Aufgabe des [X.], aus der Beschwerdebegründung unter Heranziehung von Verwaltungs- und Prozessakten das zur Substantiierung der Beschwerde Erforderliche herauszusuchen (Senatsbeschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris Rd[X.] 10 mwN).

Auch unabhängig davon ist eine Gehörsverletzung in Gestalt einer Überraschungsentscheidung und damit der geltend gemachte Verstoß gegen §§ 62, 128 Abs 2 [X.]G, Art 103 GG nicht dargetan. Eine ausreichende Gewährleistung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann (vgl [X.] Kammerbeschluss vom 15.8.1996 - 2 BvR 2600/95 - juris Rd[X.] 22 unter Hinweis auf [X.]E 31, 364, 370; 66, 116, 147; 74, 1 5). Um den Anspruch auf rechtliches Gehör und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens (vgl B[X.] Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - juris) zu wahren, darf das Gericht deshalb seine Entscheidung nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (Senatsbeschluss vom 2.12.2015 - B 9 V 12/15 B - juris Rd[X.] 20 mwN).

Diese Voraussetzungen hat die Beschwerde nicht dargelegt. Bereits das [X.] hatte es danach abgelehnt, den [X.] des [X.] auf [X.] erhöhend zu berücksichtigen. Die Beschwerde setzt sich auch nicht damit auseinander, dass daran anknüpfend auch der Beklagte die Rechtsauffassung vertreten hat, eine Erhöhung des [X.] durch die feststellbaren Funktionsbeeinträchtigungen auf [X.] sei sehr fraglich. Auf eine vergleichbare Ansicht deutet auch der von Beschwerde mitgeteilte rechtliche Hinweis des Berichterstatters vom 21.1.2019 hin. Darin wird ausgeführt, eine Erhöhung des höchsten Einzel-[X.] wegen des regelmäßigen Nasenblutens des [X.] - mithin eines Teilaspekts des [X.] auf [X.] - dürfte ausscheiden. Die Frage einer erhöhenden Wirkung des Einzel-[X.] auf [X.] war somit in beiden Instanzen Verfahrensgegenstand; die Vorinstanzen und der Beklagte haben sie ausdrücklich in Zweifel gezogen oder sogar verneint. Vor diesem Hintergrund hätte es der Darlegung bedurft, warum trotzdem ein besonnener und kundiger [X.] nicht damit zu rechnen brauchte, dass nunmehr das [X.] auch in seinem abschließenden Urteil die erhöhende Wirkung verneinen würde.

Soweit die Beschwerde insoweit dem [X.] die Sachkunde für die Bewertung des Einzel-[X.] sowie für die Beurteilung des [X.] abspricht (zur tatrichterlichen Aufgabe der [X.] vgl Senatsurteil vom [X.] - B 9 SB 4/08 R = [X.] 4-3250 § 69 [X.] 10 Rd[X.] 23 f), wendet sie sich letztlich gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 2 [X.]G indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. [X.] der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris Rd[X.] 15 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 [X.]G).

3. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 9 V 11/19 B

21.10.2019

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG München, 7. Mai 2015, Az: S 30 VH 1/13, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 62 SGG, § 106 Abs 3 Nr 4 Alt 2 SGG, § 128 Abs 2 SGG, § 411 ZPO, § 30 Abs 1 S 1 BVG, Anlage Teil A Buchst d DBuchst ee S 2 VersMedV, Art 103 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.10.2019, Az. B 9 V 11/19 B (REWIS RS 2019, 2463)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2463

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