Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.11.2017, Az. VI ZR 436/16

6. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 1994

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Gegenstand

Verbindung von Amtshaftungsklage und Schadensersatzklage gegen einen Dritten: Unzulässigkeit eines abweisenden Teilurteils zur Amtshaftungsklage mit Hinweis auf die noch nicht geklärte Ersatzpflicht des einfachen Streitgenossen


Leitsatz

Wird eine Amtshaftungsklage (hier: gegen einen beamteten Oberarzt einer Universitätsklinik) wegen desselben Schadens mit der Klage gegen einen Dritten (hier: die Universitätsklinik) verbunden und ist die Frage, ob diesen eine Ersatzpflicht trifft, noch nicht entscheidungsreif, darf die Amtshaftungsklage nicht mit dem Hinweis auf die noch nicht geklärte Ersatzpflicht des (einfachen) Streitgenossen durch Teilurteil abgewiesen werden, weil die Entscheidung hierüber für den durch Teilurteil entschiedenen Amtshaftungsanspruch präjudiziell ist (Bestätigung Senatsurteil vom 17. Februar 2004, VI ZR 39/03, VersR 2004, 785).

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 2. September 2016 und das Teilurteil der 10. Zivilkammer des [X.] vom 6. November 2013 aufgehoben, soweit über die Klage gegen den Beklagten zu 3 entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelzüge, an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagten zu 1 bis 5 auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.

2

Die Klägerin wurde am 22. November 2004 im Hause der Beklagten zu 1, einer Universitätsklinik, durch den Beklagten zu 2 an der Bandscheibe operiert. Der Beklagte zu 3 und Revisionsbeklagte war [X.] beamteter Oberarzt der Anästhesie, die von den Beklagten zu 4 und 5 durchgeführt wurde. Während der [X.] kam es bei der in Bauchlage gelagerten Klägerin zu einem Husten und einer Spontanbewegung, woraufhin der Beklagte zu 2 mit einem Wurzelhaken in die Duraöffnung geriet und diese erweiterte, so dass Liquor abfloss. Postoperativ entwickelte sich bei der Klägerin ein inkomplettes Cauda-Syndrom, u.a. mit Blasenlähmung.

3

Das [X.] hat die Klage hinsichtlich der Beklagten zu 3 und 4 durch Teilurteil abgewiesen. Etwaige Ansprüche der Klägerin gegen diese seien jedenfalls verjährt. Die Berufung der Klägerin hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Senat hinsichtlich des Beklagten zu 3 zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren gegen diesen weiter.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren noch erheblich, den erstinstanzlichen Erlass eines [X.] für zulässig gehalten, da die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen gewesen sei. In der Sache seien etwaige deliktische Ansprüche der Klägerin gegen den [X.]n zu 3 wegen behaupteter Behandlungsfehler bei Durchführung der Anästhesie sowie wegen eines vermeintlichen Verschuldens bei Auswahl und Überwachung der [X.]n zu 4 und 5 zwar nicht verjährt. Der [X.] zu 3 könne sich insoweit aber als beamteter Oberarzt auf das [X.] des § 839 Abs. 1 Satz 2 [X.] berufen. Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit der Klägerin im Sinne dieser Vorschrift sei durch die - tatsächlich auch erfolgte - Inanspruchnahme der [X.]n zu 1, 4 und 5 gegeben.

5

Verjährt seien dagegen etwaige vertragliche und deliktische Ersatzansprüche der Klägerin gegen den [X.] wegen eines Verstoßes desselben gegen die von der Klägerin mit der liquidationsberechtigten Ärztin für anästhesiologische wahlärztliche Leistungen geschlossenen Wahlleistungsvereinbarung, nach welcher der Revisionsbeklagte als Individualvertreter mit der Erbringung der wahlärztlichen Leistung beauftragt gewesen sei.

II.

6

Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Mit Erfolg wendet sich die Revision bereits dagegen, dass das Berufungsgericht die Abweisung der gegen den [X.]n zu 3 gerichteten Klage durch das [X.] in einem Teilurteil für zulässig gehalten hat.

7

1. Ein Teilurteil darf auch bei grundsätzlicher Teilbarkeit des Streitgegenstandes nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - ausgeschlossen ist. Eine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist namentlich dann gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Das gilt auch insoweit, als es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen [X.] geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden. Eine solche Gefahr besteht namentlich bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen den prozessual selbständigen Ansprüchen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind ([X.]surteile vom 11. April 2017 - [X.], [X.], 888 Rn. 10; vom 1. März 2016 - [X.], [X.], 745 Rn. 30, insoweit in [X.], 157 nicht abgedruckt; vom 29. März 2011 - [X.], [X.], 79 Rn. 15; jeweils mwN). Eine materiell-rechtliche Verzahnung kann bei objektiver Häufung inhaltlich zusammenhängender Anträge, aber auch bei Klagen gegen mehrere Personen (subjektive Klagehäufung) auftreten (vgl. [X.], Urteil vom 28. November 2003 - [X.], [X.]Z 157, 133, 143). Ein Teilurteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen ist daher in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt (vgl. [X.]surteile vom 24. Februar 2015 - [X.], [X.], 271 Rn. 7; vom 25. November 2003 - [X.], [X.], 645, 646; vom 12. Januar 1999 - [X.], [X.], 734 f.). Zwar muss gegenüber einfachen Streitgenossen grundsätzlich keine einheitliche Entscheidung getroffen werden. Eine Teilentscheidung ist aber nur zulässig, wenn sie unabhängig von der Entscheidung über den restlichen Verfahrensgegenstand ist ([X.]surteil vom 24. Februar 2015 - [X.], [X.], 271 Rn. 7; [X.], Urteil vom 13. Oktober 2008 - [X.], [X.], 230 Rn. 8). Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Teilurteil nur auf Gründen beruht, die ausschließlich diesen Streitgenossen berühren ([X.] ZPO/Dressler, Stand 15. September 2017, § 61 Rn. 12; vgl. zum Ganzen [X.]surteil vom 20. Dezember 2016 - [X.], [X.], 495 Rn. 7).

8

2. Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht das Teilurteil des [X.]s nicht mit der Erwägung bestätigen, der [X.] zu 3 könne sich hinsichtlich seiner deliktischen Eigenhaftung auf das [X.] des § 839 Abs. 1 Satz 2 [X.] berufen und die Klägerin müsse sich auf die anderweitigen Ersatzmöglichkeiten gegen die [X.]n zu 1, 4 und 5 verweisen lassen. Solange nämlich diese Ersatzmöglichkeit nicht endgültig geklärt ist, besteht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen.

9

Eine Ersatzmöglichkeit gegen den [X.]n zu 4 scheidet bereits deshalb aus, weil das Berufungsgericht die Klageabweisung wegen Verjährung - rechtskräftig - bestätigt hat. Damit ist keine Aussage darüber getroffen, ob der [X.] zu 4 ursprünglich ersatzpflichtig gewesen ist und ob die Klägerin eine - vorrangige - erfolgreiche Inanspruchnahme des [X.]n zu 4 lediglich schuldhaft versäumt hat, in welchem Fall sie sich auf den Wegfall der Ersatzmöglichkeit nicht berufen dürfte ([X.], Urteil vom 19. März 1992 - [X.], [X.], 698, 700; [X.]/[X.], [X.], 2013, § 839 Rn. 297 f.; [X.]/[X.], [X.], 76. Aufl., § 839 Rn. 58). Sollte das [X.] nach weiterer Beweisaufnahme auch eine Haftung der [X.]n zu 1 und 5 verneinen, bestünde keine anderweitige Ersatzmöglichkeit der Klägerin, so dass eine persönliche Haftung des [X.]n zu 3 aus § 839 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht auszuschließen wäre. Das reicht aus, um ein Teilurteil unzulässig zu machen (vgl. [X.]surteil vom 17. Februar 2004 - [X.], [X.], 785).

Ist ein Beamter wegen einer Amtspflichtverletzung nach § 839 [X.] auf Leistung von Schadensersatz allein verklagt, so kann zwar, wenn eine anderweitige Ersatzmöglichkeit nicht auszuschließen ist, die Klage als (derzeit) unbegründet abgewiesen werden. Wird aber die Amtshaftungsklage - wie hier - wegen desselben Schadens mit der Klage gegen einen Dritten verbunden, und ist die Frage, ob diesen eine Ersatzpflicht trifft, noch nicht entscheidungsreif, dann darf die Amtshaftungsklage nicht mit dem Hinweis auf die noch nicht geklärte Ersatzpflicht des (einfachen) Streitgenossen durch Teilurteil abgewiesen werden, weil die Entscheidung hierüber für den durch Teilurteil entschiedenen Amtshaftungsanspruch präjudiziell ist ([X.]surteile vom 17. Februar 2004 - [X.], [X.], 785 f.; vom 8. Dezember 1992 - VI ZR 349/91, [X.]Z 120, 376, 380).

III.

Da etwaige deliktische Ansprüche der Klägerin gegen den [X.]n zu 3 auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht verjährt sind und das [X.] des § 839 Abs. 1 Satz 2 [X.] wie ausgeführt eine Klagabweisung im Wege des [X.] nicht rechtfertigt, stellt dessen Erlass einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Angesichts der teilweise noch ausstehenden, teilweise vom [X.] zwischenzeitlich weiterbetriebenen umfangreichen Beweisaufnahme wäre das Berufungsgericht im Streitfall auch nicht aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit befugt, den im ersten Rechtszug anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits zur Beseitigung des Verfahrensfehlers an sich zu ziehen und darüber mitzuentscheiden (vgl. hierzu [X.], Urteile vom 13. Juli 2011 - [X.], NJW 2011, 2800 Rn. 33; vom 10. Oktober 1991 - [X.], NJW 1992, 511, 512 unter [X.] mwN). Das Berufungsgericht hätte das erstinstanzliche Urteil vielmehr aufheben und die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO an das [X.] zurückverweisen müssen. Der [X.] holt diese Entscheidung gemäß § 563 Abs. 3 ZPO im Umfang der Anfechtung durch die Revision nach (vgl. [X.], Urteile vom 11. Mai 2011 - [X.], [X.], 356 Rn. 29; vom 4. Oktober 2000 - [X.], NJW 2001, 155, 156; vom 12. Januar 1994 - [X.], NJW-RR 1994, 379, 381; vom 21. Februar 1992 - [X.], NJW 1992, 1769, 1770 unter [X.]; vom 29. Oktober 1986 - [X.], NJW 1987, 441, 442 unter II.; vom 18. Dezember 1954 - [X.], [X.]Z 16, 71, 82).

Das [X.] wird im Rahmen des weiteren erstinstanzlichen Verfahrens Gelegenheit haben, auch das übrige Vorbringen der Parteien im [X.] zu berücksichtigen.

von [X.]     

      

[X.]     

      

[X.]

      

[X.]     

      

Klein     

      

Meta

VI ZR 436/16

21.11.2017

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Rostock, 2. September 2016, Az: 5 U 156/13, Urteil

§ 823 Abs 1 BGB, § 839 Abs 1 S 1 BGB, § 839 Abs 1 S 2 BGB, § 301 Abs 1 ZPO, § 538 Abs 2 S 1 Nr 7 ZPO, Art 34 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.11.2017, Az. VI ZR 436/16 (REWIS RS 2017, 1994)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 210-211 REWIS RS 2017, 1994


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI ZR 436/16

Bundesgerichtshof, VI ZR 436/16, 21.11.2017.


Az. 5 U 156/13

Oberlandesgericht Rostock, 5 U 156/13, 02.09.2016.

Oberlandesgericht Köln, 5 U 156/13, 14.07.2014.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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