Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.05.2023, Az. VIII S 3/23

8. Senat | REWIS RS 2023, 2691

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Gegenstand

Ablehnungsgesuch eines nicht vertretenen Anhörungsrügeführers


Leitsatz

NV: Ein Ablehnungsgesuch ist nicht gemäß § 62 Abs. 4 FGO als unzulässig zu verwerfen, wenn es im Hinblick auf eine Anhörungsrüge vorgebracht wird, deren Erhebung dem Vertretungszwang nicht unterliegt. Dies gilt insbesondere, wenn sich die Anhörungsrüge gegen einen ablehnenden BFH-Beschluss zur Gewährung von Prozesskostenhilfe richtet.

Tenor

Der Antrag, … wegen der Besorgnis der Befangenheit für die Mitwirkung an der Entscheidung über die vom Antragsteller erhobene Anhörungsrüge (Aktenzeichen [X.]) gegen den Beschluss des [X.] - [X.]/22 abzulehnen, wird zurückgewiesen.

Tatbestand

I.

1

Mit Beschluss vom [X.] hat der [X.]. Senat des [X.] ([X.]) die Beschwerde des [X.], Beschwerdeführers und Antragstellers (Kläger) gegen das Urteil des [X.] ([X.]) vom 25.01.2022 - 13 K 3/22 als unzulässig verworfen und seinen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) für das Beschwerdeverfahren abgelehnt. An der Entscheidung haben … mitgewirkt.

2

Mit Schriftsatz vom 13.01.2023 hat der Kläger eine Anhörungsrüge gegen diese Entscheidung erhoben. Er hat die genannten [X.]innen und [X.] am [X.] jeweils einzeln wegen der Besorgnis der Befangenheit für das Verfahren der Anhörungsrüge mit dem Aktenzeichen [X.] S 2/23 abgelehnt. Auf die Begründung des [X.] im Schriftsatz vom 16.01.2023 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

3

Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) hat sich zum Ablehnungsgesuch nicht geäußert.

Gründe

[X.]

4

Der Antrag, … für die Mitwirkung an der Entscheidung über die Anhörungsrüge im Verfahren VIII S 2/23 wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

5

1. Das vom nicht postulationsfähigen Kläger persönlich erhobene Ablehnungsgesuch ist nicht gemäß § 62 Abs. 4 [X.]O als unzulässig zu verwerfen. [X.] wird im Hinblick auf die erhobene Anhörungsrüge (§ 133a [X.]O) vorgebracht. Der [X.] für Verfahren vor dem [X.] gilt gemäß § 62 Abs. 4 [X.]O für die Erhebung einer Anhörungsrüge nur, wenn für die beanstandete Entscheidung ihrerseits ein [X.] besteht (vgl. [X.]-Beschluss vom 22.11.2019 - II S 11-13/19 und [X.], [X.]/NV 2020, 368, Rz 3). Im Streitfall wendet sich der Kläger mit der Anhörungsrüge aber nicht nur gegen die Entscheidung im [X.], sondern auch gegen die Ablehnung seines [X.], der nicht dem [X.] unterlag (vgl. zum [X.] [X.]-Beschluss vom 15.12.2010 - II S 31/10, [X.]/NV 2011, 619, Rz 5; zur Statthaftigkeit der Anhörungsrüge gegen [X.] des [X.] vgl. [X.]-Beschluss vom 31.10.2014 - IX S 19/14, [X.]/NV 2015, 222). Der [X.] hält den nicht vertretenen Kläger daher für befugt, das Ablehnungsgesuch für das [X.] vorzubringen (vgl. [X.]-Beschluss vom 15.10.2008 - I S 27/08, juris, unter [X.]a).

6

2. Die Ablehnung sämtlicher Mitglieder des [X.], die an der Beschlussfassung im Verfahren VIII B 124/22 mitgewirkt haben, ist im Streitfall nicht rechtsmissbräuchlich.

7

Zwar ist es im Allgemeinen unzulässig, pauschal einen ganzen Spruchkörper abzulehnen, weil ein Ablehnungsgesuch sich grundsätzlich auf bestimmte [X.] beziehen muss. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Mitglieder eines [X.] im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden, weil der Betroffene wegen des [X.] nicht wissen kann, welcher [X.] die Entscheidung mitgetragen hat. In solchen Fällen liegt ein Missbrauch des Ablehnungsrechts nur dann vor, wenn das Gesuch gar nicht oder ausschließlich mit Umständen begründet wird, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen können. Letzteres ist nur dann der Fall, wenn der Ablehnungsantrag sich bereits ohne jedes Eingehen auf den Verfahrensgegenstand für sich allein --ohne jede weitere [X.] offenkundig als unzulässig darstellt. Ist hingegen wie im vorliegenden Fall, in dem der Kläger seinen Ablehnungsantrag auf die Begründung des Beschlusses vom 27.12.2022 - VIII B 124/22 und die Missachtung seines Beteiligtenvortrags stützt, ein --wenn auch nur geringfügiges-- Eingehen auf den Verfahrensgegenstand, auf den Verfahrensstand oder den Akteninhalt erforderlich, scheidet eine Verwerfung des [X.] als unzulässig aus. Denn der abgelehnte [X.] darf sich über eine bloße formale Prüfung des [X.] hinaus nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe entgegen § 45 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes zum [X.] in eigener Sache machen (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 16.10.2019 - X B 99/19, [X.]E 266, 494, [X.], 375, Rz 14, 15; vom 13.05.2020 - VIII B 146/19, [X.]/NV 2020, 1082, Rz 22 bis 24; vom 05.06.2019 - IX B 121/18, [X.]E 264, 409, [X.] 2019, 554, Rz 4 und Leitsatz). Das vorliegende Ablehnungsgesuch ist nach diesem Maßstab nicht rechtsmissbräuchlich. Die Entscheidung darüber erfordert eine Auseinandersetzung mit der Begründung des Beschlusses im Verfahren VIII B 124/22.

8

3. [X.] ist jedoch mangels [X.] unzulässig, soweit es gegen … gerichtet ist. Für ein Ablehnungsgesuch besteht kein Rechtsschutzinteresse, wenn bei Begründetheit des [X.] eine weitere richterliche Tätigkeit der abgelehnten [X.]in im konkreten Verfahren ausgeschlossen wäre, denn mit der [X.]ablehnung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO kann nur das Ziel verfolgt werden, den abgelehnten [X.] an einer weiteren Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern ([X.]-Beschluss vom 17.08.1989 - VII B 70/89, [X.]E 157, 494, [X.] 1989, 899, unter [X.] [Rz 9]). … .

9

4. [X.] ist, soweit es zulässig ist, unbegründet. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung einer [X.]in oder eines [X.]s wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Die vom Kläger vorgetragenen Umstände sind jedoch nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der … sowie des … im Hinblick auf das [X.] zu rechtfertigen.

a) Soweit der Kläger sinngemäß vorbringt, die Mitglieder des [X.], die an der Entscheidung im Verfahren VIII B 124/22 mitgewirkt haben, seien für das [X.] als vorbefasst und befangen anzusehen und daher gemäß § 45 Abs. 1 ZPO an der Mitwirkung im [X.] gehindert, ist dem nicht zu folgen.

Ein Fall des § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO ist nicht gegeben, weil das Beschwerdeverfahren VIII B 124/22 und das [X.] gemäß § 133a [X.]O zu demselben Rechtszug am [X.] gehören. Allein die Mitwirkung einer [X.]in oder eines [X.]s an einer Entscheidung, deren zugrunde liegendes Verfahren im Fall einer begründeten Anhörungsrüge gemäß § 133a Abs. 5 [X.]O fortzusetzen wäre, genügt zur Darlegung einer Befangenheit nicht, denn es ist gerade der Sinn der Anhörungsrüge, dem Spruchkörper, der die angefochtene Entscheidung getroffen hat, die Möglichkeit der Selbstkorrektur einzuräumen. Um ein Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit des abgelehnten [X.]s zu rechtfertigen, müssen vielmehr besondere zusätzliche Umstände hinzutreten (vgl. Beschluss des [X.] vom 28.05.2009 - 5 [X.] 6/09, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – [X.] 2009, 662, unter 2. [Rz 3 bis 6], m.w.N.; [X.]-Beschluss vom 03.07.2014 - V S 13/14, [X.]/NV 2014, 1572, Rz 7, m.w.N.). Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich.

b) [X.]innen und [X.] sind zu unvoreingenommener und neutraler Amtsführung verpflichtet; dies verlangt eine strenge Sachlichkeit und die Wahrung des gleichen "Abstands" zu den Parteien (sog. Sachlichkeitsgebot). Ein Ablehnungsgrund ist allgemein gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass die [X.]in bzw. der [X.] nicht unvoreingenommen entscheiden wird (z.B. [X.]-Beschluss vom 27.03.1997 - XI B 190/96, [X.]/NV 1997, 780, unter [X.]2. [Rz 24]). Aus den vom Kläger dargelegten Umständen ergeben sich aber keine Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder Voreingenommenheit der … und des … gegenüber dem Kläger.

Der Kläger verweist in seiner Begründung des [X.] auf nach seiner Ansicht vorliegende schwerwiegende Fehler des [X.] im Veranlagungsverfahren und des [X.] im finanzgerichtlichen Verfahren. Er kritisiert vor diesem Hintergrund den Beschluss im Verfahren VIII B 124/22, in dem seine Nichtzulassungsbeschwerde wegen einer Nichteinhaltung der Beschwerdefrist als unzulässig verworfen und der [X.] aus diesem Grund mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgewiesen wurde. Aus den behaupteten Fehlern des [X.] und des [X.] folgert der Kläger, dass diese schwerer wögen als seine Fristversäumung, so dass der [X.] sein Vorbringen im Beschwerdeverfahren habe behandeln und die Revision zulassen müssen. Der [X.] habe sein Vorbringen in willkürlicher Weise übergangen.

Aus der Begründung des [X.] kann nicht auf eine Voreingenommenheit der abgelehnten [X.]smitglieder gegenüber dem Kläger geschlossen werden. Sein Vortrag wurde bei objektiver Betrachtung nicht willkürlich übergangen. Denn wenn eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Nichteinhaltung der Beschwerdefrist (vgl. § 116 Abs. 2 Satz 1 [X.]O) unzulässig ist, bedarf es keiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit den geltend gemachten Zulassungsgründen in der Begründung des Beschlusses. Dies gilt gleichermaßen für die Begründung zur Ablehnung des [X.]. Da die Gewährung der [X.] dazu dient, die Nichtzulassungsbeschwerde zu ermöglichen und gemäß § 142 [X.]O i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO von deren Erfolgsaussichten abhängt, bedarf es keiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des [X.] in der Beschlussbegründung, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen ist.

Im Übrigen können (vermeintlich) falsche Rechtsansichten einer [X.]in oder eines [X.]s eine Besorgnis der Befangenheit nur rechtfertigen, wenn sie auf einer unsachlichen Einstellung des [X.]s gegenüber dem Kläger oder auf Willkür beruhen. Hierfür muss die Fehlerhaftigkeit der Würdigung ohne Weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen; die hierfür sprechenden Umstände sind darzulegen (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 27.07.1992 - VIII B 59/91, [X.]/NV 1993, 112 [Rz 15]; vom 20.06.2013 - IX S 12/13, [X.]/NV 2013, 1444, Rz 3; vom 12.09.2013 - [X.], 31/13, [X.]/NV 2014, 51, Rz 8; vom 22.05.2017 - V B 133/16, [X.]/NV 2017, 1199, Rz 12, 13, m.w.N.). Wird zur Begründung des [X.] --wie hier-- die Nichtberücksichtigung von [X.] als Verletzung des Gehörsanspruchs herangezogen, muss substantiiert und schlüssig dargelegt werden, dass der Vortrag objektiv willkürlich übergangen worden ist ([X.]-Beschluss vom 20.06.2016 - X B 167/15, [X.]/NV 2016, 1577, Rz 25). Solche besonderen Umstände werden vorliegend vom Kläger nicht dargelegt und sind auch sonst nicht erkennbar.

5. Der Einholung dienstlicher Äußerungen der abgelehnten … gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO bedurfte es nicht. Die geltend gemachten Ablehnungsgründe beziehen sich auf das aus Sicht des [X.] nicht berücksichtigte [X.] und auf die Begründung des Beschlusses im Verfahren VIII B 124/22. Dies sind aktenkundige Vorgänge. Einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten [X.]s zu einem Ablehnungsgesuch bedarf es nicht, wenn der Sachverhalt, auf den das Ablehnungsgesuch gestützt wird, feststeht ([X.]-Beschluss vom 24.11.2000 - II B 44/00, [X.]/NV 2001, 621, unter [X.] am Ende [Rz 12], m.w.N.; Beschluss des [X.] vom 20.09.2016 - [X.] ([X.]) 61/15, Neue Juristische Wochenschrift-[X.] Zivilrecht 2017, 189).

6. Für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch sind keine Kosten zu erheben, da es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt ([X.]-Beschlüsse vom 24.08.2011 - V S 16/11, [X.]/NV 2011, 2087, Rz 15; vom 17.03.2010 - X S 25/09, [X.]/NV 2010, 1293, Rz 17).

7. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 1 und Abs. 2 [X.]O).

Meta

VIII S 3/23

11.05.2023

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend BFH, 27. Dezember 2022, Az: VIII B 124/22, Beschluss

§ 62 Abs 4 FGO, § 51 Abs 1 S 1 FGO, § 133a Abs 1 FGO, § 133a Abs 5 FGO, § 142 FGO, § 42 ZPO, § 44 Abs 3 ZPO, § 45 ZPO, § 114 Abs 1 S 1 ZPO, § 41 Nr 6 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.05.2023, Az. VIII S 3/23 (REWIS RS 2023, 2691)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2691

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