Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.10.2020, Az. 2 WD 1/20

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2020, 4364

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Gegenstand

Disziplinarische Ahndung des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte


Leitsatz

Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB a.F.) die Dienstgradherabsetzung.

Tenor

Auf die Berufung der [X.] wird das Urteil der [X.] des [X.] vom 14. Oktober 2019 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.

Das Ruhegehalt des früheren Soldaten wird für die Dauer von 30 Monaten um 1/10 gekürzt; im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der frühere Soldat und der [X.] tragen jeweils die Hälfte der Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen.

Tatbestand

1

Das Verfahren betrifft die disziplinarischen Vorwürfe des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, deren Beleidigung und einer außerdienstlichen Trunkenheitsfahrt.

2

1. Der ... geborene frühere Soldat erwarb 2004 den Realschulabschluss und besuchte bis 2006 das Fachgymnasium. 2008 wurde er unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum [X.] und 2009 zum Unteroffizier ernannt. Zuletzt wurde er 2017 zum Hauptfeldwebel befördert. Seit April 2019 befindet er sich im [X.]. Seine Dienstzeit endete am 30. Juni 20...

3

Planmäßig wurde er zuletzt am 17. Juli 2015 durch den nächsthöheren Vorgesetzten mit durchschnittlich "7,29" beurteilt. Der frühere Soldat habe durch seine schnelle Auffassungsgabe und die Bereitschaft, sich aktiv einzubringen, überzeugt. Er sei gut organisiert, lernfähig, lernwillig und stehe neuen Herausforderungen stets offen gegenüber. Zudem sei er physisch und psychisch voll belastbar. Er verfüge über ein angenehmes, ruhiges Wesen, nehme Hinweise und helfende Kritik auf und setze sie um. Er habe eine gute Allgemeinbildung und sei im Kameradenkreis anerkannt. Sein Potential sei noch nicht vollumfänglich zur Geltung gekommen. Er habe die mit dem Wechsel auf die [X.] verbundenen Herausforderungen sehr gut bewältigt. Der Wunsch, Berufssoldat zu werden, werde nachdrücklich unterstützt.

4

In einer Stellungnahme vom 17. November 2017 zum Antrag auf Übernahme als Berufssoldat heißt es, der frühere Soldat sei ein hochintelligenter, leistungsstarker Portepeeunteroffizier mit vorbildlicher Berufseinstellung. Sein Auftreten sei ruhig, unaufdringlich und immer korrekt. Die [X.] habe er absolut handlungssicher und eigenständig erfüllt. Auf ihn sei jederzeit Verlass. Er sei auch ein guter Teamplayer. Sein Entwicklungspotenzial sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Er stelle persönliche Belange stets hinter dienstliche Erfordernisse zurück und sei für eine Übernahme als Berufssoldat außergewöhnlich geeignet.

5

Erstinstanzlich hat der [X.] den früheren Soldaten als äußerst zuverlässigen, ruhigen und stabilen Soldaten beschrieben, der seine Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit wahrgenommen habe. Er beurteile ihn mit "7,5" bzw. "7,6". Alkoholkonsum sei überhaupt kein Thema für den früheren Soldaten gewesen.

6

Die Sonderbeurteilung vom 24. März 2020 weist als Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung "7,43" aus. Der frühere Soldat nehme wiederholt [X.] handlungssicher war und habe sich bestens bewährt. Sein Potenzial sei noch nicht ausgeschöpft.

7

[X.] des früheren Soldaten weist dessen zum [X.] 2 sachgleiche strafgerichtliche Verurteilung des [X.] vom 28. Januar 2016 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50 € aus. Der aktuelle [X.] enthält keine Eintragungen. 2016 wurde ihm eine Leistungsprämie von 2 075 € gewährt. Ein gegen den früheren Soldaten gerichtetes Strafverfahren wegen seines zum [X.] 1 sachgleichen Verhaltens wurde nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt. Mit rechtskräftigem Beschluss des [X.] vom 3. Januar 2015 wurde die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung und deren Fortdauer im Zusammenhang mit dem [X.] 1 festgestellt.

8

Der frühere Soldat ist ledig und kinderlos. Er erhält [X.] von monatlich etwa 1 900 € bis (- nach seiner Aussage -) 2 000 € netto. Die Übergangsbeihilfe von 19 559,40 € ist einbehalten worden. Er hat nach eigenen Angaben Fixkosten in Höhe von 2 000 €, die sich unter anderem aus 800 € für Miete, 600 € für einen Autokredit und 200 € für Versicherungen ergeben.

9

2. Auf der Grundlage der Einleitungsverfügung des Kommandeurs ... vom 25. Mai 2016 und der Anschuldigungsschrift der [X.] vom 31. Mai 2018 hat das [X.] Süd gegen den früheren Soldaten mit Urteil vom 14. Oktober 2019 ein Beförderungsverbot für die Dauer von 48 Monaten in Verbindung mit einer Kürzung seiner Dienstbezüge um 1/20 für die Dauer von einem Jahr verhängt.

a) Als erster Tatkomplex stehe fest, dass sich der frühere Soldat am 3. Januar 2015 gegen 02:30 Uhr mit dem [X.] in ... in der Bar "..." ... getroffen habe, um mit ihm zu feiern. Dabei habe er Alkohol konsumiert, bis ihm übel geworden sei. Deshalb habe er sich mit einer anderen Person zu seinem Pkw begeben, um sich auszuruhen. Später sei versucht worden, ihm ein Taxi zu rufen. Während der Wartezeit habe der frühere Soldat angefangen, obszöne Gesten und ausfallende Kommentare aus dem geöffneten Fahrzeugfenster von sich zu geben. Gegen 06:45 Uhr habe er in Richtung des vorbeifahrenden Streifenwagens, in dem zwei Polizeibeamtinnen gesessen hätten, den Mittelfinger entgegengestreckt und ihnen wahrnehmbar "ihr Wichser" zugerufen.

Bei der anschließenden Personenkontrolle habe sich der frühere Soldat den Polizeibeamtinnen gegenüber nicht kooperativ verhalten und zunächst abgelehnt, sich auszuweisen. Nachdem sie ihm seine Ausweispflichten erläutert hätten, habe er ihnen seinen Führerschein ausgehändigt. Aufgrund seiner starken Alkoholisierung und seines vorangegangenen aggressiven Verhaltens sei zur Verstärkung eine weitere Polizeistreife gerufen worden. Insbesondere habe der frühere Soldat daran gehindert werden sollen, in fahruntüchtigem Zustand sein Fahrzeug zu lenken. Die herbeigerufenen Polizeibeamten hätten ihn an beiden Armen festgehalten, da er zunehmend aggressiver mit seinen Armen gestikuliert und sich weiteren Kontrollen verweigert habe. Die Androhung der Ingewahrsamnahme sei wirkungslos geblieben. Als die Polizeibeamten wegen der Aggressivität des früheren Soldaten versucht hätten, ihm die Hände zum Rücken zu führen, um ihm Handfesseln anzulegen, habe er sich nach vorn auf den Kofferraum seines [X.] gebeugt. Dabei habe er seine Hände aus dem Fesselungsgriff lösen können und durch die Polizeibeamten auf den Boden verbracht werden müssen. Während ihm Handfesseln hätten angebracht werden sollen, habe er seinen linken Arm unter seinen Körper geführt, um deren Anlegen zu vereiteln. Erst durch [X.]entfaltung sei es den Polizeibeamten gelungen, sie ihm anzulegen. Bei dem Versuch, ihn zum Streifenwagen zu bringen, habe er sich fallen und durchhängen lassen, so dass er von zwei Polizeibeamten habe getragen werden müssen. Wegen des Anspannens seines Körpers hätten Polizeibeamte wiederum [X.] entfalten und dem früheren Soldaten Schmerzpunkte setzen müssen, um ihn in den Streifenwagen setzen und in Polizeigewahrsam nehmen zu können.

Der frühere Soldat sei sodann gegen 07:19 Uhr in Polizeigewahrsam genommen und von zwei Polizeibeamten zur Zelle verbracht worden. Da er sich nach mehrfacher Zwangsandrohung geweigert habe, seine Kleidung abzulegen, sei er von den Polizeibeamten festgehalten, ausgezogen und durchsucht worden. Er habe sich dagegen gesperrt, indem er seinen Oberkörper gegen die ihn festhaltenden Beamten aufgelehnt habe. Zur Unterstützung der Maßnahme hätten zwei weitere Polizeibeamte hinzugerufen werden müssen. Die Blutprobe des früheren Soldaten habe eine Blutalkoholkonzentration von 2,07 ‰ ergeben. Der frühere Soldat habe diesen Sachverhalt eingeräumt. Seine Einlassung, er habe das Verhalten der Polizeibeamten als unverhältnismäßig und diskriminierend angesehen, rechtfertige sein Verhalten nicht.

Hinsichtlich des zweiten [X.]es stehe aufgrund der Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des [X.] vom 28. Januar 2016 und der geständigen Einlassung des früheren Soldaten fest, dass er am 13.09.2015 gegen 07:25 Uhr mit einem Personenkraftwagen in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand unter anderem die ... befahren habe. Die Untersuchung der am 13.09.2015 um 07:58 Uhr entnommenen Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 1,80 ‰ ergeben.

b) Der frühere Soldat habe dadurch nicht nur vorsätzlich gegen Strafgesetze verstoßen, sondern auch vorsätzlich und als Vorgesetzter seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verletzt (§ 10 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 SG a.F.). Hinsichtlich der Trunkenheitsfahrt liege indes eine fahrlässige Pflichtverletzung vor.

Das Dienstvergehen werde bestimmt durch den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und deren Beschimpfung sowie die fahrlässige Trunkenheitsfahrt, so dass es sehr schwer wiege. Allerdings bestünden erhebliche Milderungsgründe, so dass von der an sich gebotenen Herabsetzung im Dienstgrad abzuweichen und zu einem Beförderungsverbot überzugehen sei. Der frühere Soldat habe sich im Dienst in außergewöhnlichem Maße bewährt und leide an einer ADHS-Erkrankung. Dies führe zwar nicht zur Schuldunfähigkeit oder zu einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit; gleichwohl habe die Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass die Erkrankung einen erheblichen Einfluss auf die Handlungen des früheren Soldaten gehabt habe und man sich im Grenzbereich zu § 21 StGB bewege. Hinzu komme, dass er keinen tätlichen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet habe, womit ein minderschwerer Fall vorliege. Da sich ein Beförderungsverbot auf seinen beruflichen Werdegang nicht mehr auswirke, sei zusätzlich eine Kürzung der Dienstbezüge erforderlich.

3. Die [X.] begründet ihre maßnahmebeschränkte Berufung im Wesentlichen damit, dass Milderungsgründe unzutreffend gewichtet worden seien. Die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit aufgrund einer ADHS-Erkrankung in Verbindung mit Alkoholmissbrauch gebiete nicht, von der angezeigten Dienstgradherabsetzung abzuweichen. Auch liege kein minder schwerer Fall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor.

4. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten wird auf das Urteil des [X.]s, hinsichtlich der in das Berufungsverfahren eingeführten Zeugenaussagen und Urkunden auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der [X.] ist zulässig und teilweise begründet. Zwar ist der frühere Soldat nicht im Dienstgrad herabzusetzen; der Umfang der erstinstanzlich ausgesprochenen Kürzung der Dienstbezüge hat jedoch keinen Bestand. Die [X.] des zwischenzeitlich aus dem Dienst ausgeschiedenen früheren Soldaten sind in einem größeren Umfang zu kürzen.

1. Aufgrund der Tat- und Schuldfeststellungen des [X.]s steht für den Senat bindend fest, dass der frühere Soldat die angeschuldigten Taten begangen und dadurch überwiegend vorsätzlich und im Übrigen fahrlässig seine Pflicht zu außerdienstlichem Wohlverhalten nach § 17 Abs. 2 [X.] verletzt hat. Denn bei einer - wie hier - auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung hat der Senat seiner Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 327 [X.] grundsätzlich die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des [X.]s zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.

Etwas anderes gilt nur, wenn die erstinstanzliche Entscheidung an schweren Mängeln des Verfahrens im Sinne von § 120 Abs. 1 Nr. 2, § 121 Abs. 2 [X.] leidet. Als schwerwiegender Mangel des Verfahrens ist u.a. das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage anerkannt. Denn Voraussetzung für die im Berufungsverfahren zu treffende Entscheidung über die angemessene Disziplinarmaßnahme ist, dass die durch die Beschränkung der Berufung unangreifbar gewordenen Tat- und Schuldfeststellungen hinreichend nachvollziehbar, in sich schlüssig und widerspruchsfrei sind. Unklare, lückenhafte oder widersprüchliche Feststellungen können somit keine ausreichende Grundlage für das festzusetzende Disziplinarmaß sein (BVerwG, Urteil vom 4. März 2020 - 2 [X.] 3.19 - juris Rn. 12 m.w.N.).

Nach Maßgabe dessen mögen zwar Bedenken an der Rechtsauffassung des [X.]s bestehen, der frühere Soldat habe einen - wenn auch minder schweren - Fall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB a.F.) begangen, weil es an einer Gewalteinwirkung fehlen könnte. Mit Gewalt wird Widerstand geleistet, wenn unter Einsatz materieller Zwangsmittel, vor allem körperlicher Kraft, ein tätiges Handeln gegen die Person des [X.] erfolgt, das geeignet ist, die Vollendung der Diensthandlung zumindest zu erschweren ([X.], Beschluss vom 11. Juni 2020 - 5 [X.] - NJW 2020, 2347 Rn. 9); allein durch eine falsche rechtliche Würdigung werden die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen jedoch noch nicht widersprüchlich (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 2018 - 2 [X.] 2.18 - juris Rn. 18). Dabei steht nach der Senatsrechtsprechung ebenfalls fest, dass die Bindungswirkung einer beschränkt eingelegten Berufung auch die konkreten Straftatbestände erfasst, aus denen das [X.] die disziplinarische Relevanz - vorliegend im Sinne des § 17 Abs. 2 [X.] - abgeleitet hat (zum Verstoß gegen § 7 [X.]: BVerwG, Urteil vom 23. April 2015 - 2 [X.] 7.14 - juris Rn. 33). Ungeachtet dessen steht durch den Beschluss des [X.] vom 3. Januar 2015 fest, dass der frühere Soldat zulässigerweise in Gewahrsam genommen worden ist.

2. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von [X.] wegen allein zulässigen Zwecksetzung des [X.] auszugehen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb zu gewährleisten. Ziel des [X.] ist es, die Integrität, das Ansehen und die Disziplin in der [X.] aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 - 2 [X.] 21.18 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 65 Rn. 23). Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 [X.] Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde:

a) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine [X.] für die in Rede stehende Fallgruppe als Ausgangspunkt der [X.]. Danach bildet im Fall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB a.F. Ausgangspunkt der [X.] die Dienstgradherabsetzung.

Zwar ist Schutzgut bei § 113 Abs. 1 StGB in der bis zum 30. Mai 2017 geltenden und zur Tatzeit gemäß § 2 Abs. 1 StGB maßgeblichen Fassung (BVerwG, Urteil vom 9. Januar 2007 - 2 [X.] 20.05 - BVerwGE 127, 293 Rn. 52) ausschließlich das staatliche Gewaltmonopol; auch sollten durch den eher niedrigen Strafrahmen Personen privilegiert werden, die sich in einer konflikthaften Situation einer überlegenen Staatsmacht gegenübersahen [X.], StGB, 67. Aufl. 2020, § 114 Rn. 2). Der Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol erlangt seine besondere disziplinarische Schwere vorliegend aber dadurch, dass er durch einen Soldaten erfolgte, der seinerseits als Amtswalter das staatliche Gewaltmonopol repräsentiert und den deshalb eine weitaus größere Verpflichtung als sonstige Bürger trifft, es strikt zu wahren und auch aktiv zu schützen. Dem widerspricht [X.], als Amtsinhaber die Dienstleistung anderer Amtswalter gezielt zu erschweren und dadurch das staatliche Gewaltmonopol als Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung infrage zu stellen (BVerwG, Urteil vom 24. August 2018 - 2 [X.] 3.18 - BVerwGE 163, 16 Rn. 74, und Beschluss vom 27. Juli 2020 - 2 [X.]B 5.20 - juris Rn. 39).

b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 [X.] und die Zwecksetzung des [X.] Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten [X.] gebieten. Dabei ist zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der [X.] die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren (BVerwG, Urteile vom 18. Juni 2015 - 2 [X.] 11.14 - juris Rn. 52 m.w.N. und vom 18. Juli 2019 - 2 [X.] 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 31). Je schwerer das Dienstvergehen wiegt, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, die es gebieten, von der [X.] abzusehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2015 - 2 [X.] 13.14 - juris Rn. 45 m.w.N.).

Milderungsgründe solchen Gewichts liegen vor, so dass von der an sich gebotenen Maßnahmeart Herabsetzung im Dienstgrad (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 [X.] i.V.m. § 62 [X.]) zur Kürzung des Ruhegehalts (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 64 [X.]) überzugehen ist. Gegen den früheren Soldaten konnte diese Disziplinarmaßnahme auch verhängt werden, weil er gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 [X.] als Soldat im Ruhestand gilt. Denn er bezieht zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung noch Dienstzeitversorgung in Form von [X.]n nach § 11 SVG. Sie gelten gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] als (kürzungsfähiges) Ruhegehalt. Einer Kürzung des Ruhegehalts steht auch nicht § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.] entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2019 - 2 [X.] 25.18 - juris Rn. 26), da die Einstellung im Strafverfahren nicht den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte betraf, der vorliegend den Schwerpunkt des Dienstvergehens bildet.

aa) Das Dienstvergehen erlangt eine größere Schwere allerdings zunächst dadurch, dass sich der frühere Soldat einer vorsätzlichen Beleidigung und eines fahrlässigen [X.]s strafbar gemacht hat, womit zwei weitere - außerdienstliche - Pflichtverletzungen vorliegen. Dabei erlangt die Trunkenheitsfahrt wegen ihrer fahrlässigen Begehung freilich nicht das belastende Gewicht einer Vorsatztat. Dass der frühere Soldat als Inhaber von Hoheitsgewalt sich gegenüber anderen Inhabern von Hoheitsgewalt beleidigend geäußert und seine Stellung als Soldat dabei auch noch betont hat, tritt ebenso erschwerend hinzu (BVerwG, Urteil vom 24. August 2018 - 2 [X.] 3.18 - BVerwGE 163, 16 Rn. 74) wie der Umstand, dass er als Inhaber eines [X.] seiner Vorbildwirkung nicht gerecht geworden ist (§ 10 [X.]). Das [X.] im September 2015 verwirklichte er zudem zu einem Zeitpunkt, zu dem gegen ihn wegen des ersten [X.] bereits disziplinarische Vorermittlungen liefen (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. Februar 2018 - 2 [X.] 9.17 - juris Rn. 39 und vom 16. Juli 2020 - 2 [X.] 16.19 - juris Rn. 17).

bb) Dem gegenüber stehen jedoch Milderungsgründe, die die erschwerenden Umstände erheblich überwiegen.

aaa) Zu ihnen gehört die Nachbewährung des früheren Soldaten, der bei einem Vergleich der planmäßigen Beurteilung vom 17. Juli 2015 und der erstinstanzlich dokumentierten Bewertung durch den früheren [X.] eine Leistungssteigerung erbracht hat. Die Nachbewährung kann als klassischer Milderungsgrund den Übergang von der [X.] der Dienstgradherabsetzung zur - vorliegend - nächstmilderen Maßnahmeart der Ruhegehaltskürzung rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. September 2020 - 2 [X.] 18.19 - juris Rn. 73 und vom 2. Juli 2020 - 2 [X.] 9.19 - juris Rn. 33). Hinzu tritt, dass bei Art und Schwere des Dienstvergehens angesichts des zumindest überwiegend passiven Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ein minder schwerer Fall vorlag.

bbb) Im Übrigen ist weiterhin mildernd, wenn auch mit geringerem Gewicht als im Falle eines klassischen Milderungsgrundes, einzustellen, dass sich der frühere Soldat zum Zeitpunkt der Pflichtverletzungen in einer schwierigen, mit dauerhaften psychischen Belastungen verbundenen Lebensphase befunden hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2018 - 2 [X.] 4.18 - [X.] 2020, 114 <116> m.w.N.). Dies folgt zum einen aus den in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Attesten des Diplom-Psychologen ... und des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie ...; zum anderen rechtfertigen die hohen Blutalkoholwerte, die seinerzeit anlässlich der Pflichtverletzungen festgestellt worden sind, den Rückschluss auf einen ebenso massiven wie gewohnheitsmäßigen Alkoholmissbrauch.

(1) Anders als von ihm behauptet, folgt jedoch weder aus den Attesten noch aus den Feststellungen der Sachverständigen Oberärztin ..., dass der frühere Soldat zum Zeitpunkt der Pflichtverletzungen in seiner Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit analog § 21 StGB erheblich eingeschränkt war. Dies gilt insbesondere für die Pflichtverletzungen am 3. Januar 2015, zu denen er anlässlich der Befragung durch die Sachverständige erklärt hat, er habe an jenem Abend "seinen Frust rausgelassen", nachdem dieser nicht nach seinen Vorstellungen verlaufen sei (Seite 3 des Sachverständigengutachtens).

Der Senat lässt offen, ob dessen ADHS-Erkrankung ein psychopathologisches Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB begründet; denn selbst wenn dem so wäre, ergeben die weiteren [X.] (vgl. ausführlich: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2014 - 2 [X.] 35.11 - juris Rn. 63 f.) nichts anderes. Sie verlangen, dass der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit des Handelnden festgestellt werden muss. Hier ist insbesondere maßgebend, ob es im Alltag - außerhalb des angeschuldigten Verhaltens - zu Einschränkungen des beruflichen und [X.]n Handlungsvermögens gekommen ist. Denn nur dann ist anzunehmen, dass nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervorgetreten sind, die sich im Rahmen dessen halten, was auch bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist wie etwa Stimmungsschwankungen, geringe Frustrationstoleranz, Tendenz zu Streitereien und Impulsivität ([X.], Beschluss vom 21. Juni 2016 - 4 StR 161/16 - [X.], 588 Rn. 18 ff.). Hinweise auf Einschränkungen des beruflichen und [X.]n Handlungsvermögens liegen beim früheren Soldaten jedoch nicht vor. In der Beurteilung vom 17. Juli 2015 heißt es ausdrücklich, er verfüge über ein angenehmes, ruhiges Wesen und nehme Hinweise auf. Auch die sonstigen Stellungnahmen enthalten keine Hinweise auf Einschränkungen des beruflichen und [X.]n Handlungsvermögens, sondern dokumentieren vielmehr die ausgeprägte Leistungsbereitschaft des früheren Soldaten. Die Pflichtverletzungen stellen sich vor diesem Hintergrund vielmehr als Folgen einer alkoholbedingten Enthemmung dar, die grundsätzlich rechtlich irrelevant bleibt.

(2) Die alkoholbedingte Enthemmung erlangt auch nicht etwa deshalb Bedeutung, weil der frühere Soldat wegen einer Alkoholerkrankung nicht oder nur eingeschränkt in der Lage gewesen wäre, seinen Alkoholkonsum zu steuern (BVerwG, Urteile vom 19. Juni 2019 - 2 [X.] 21.18 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 65 Rn. 35 m.w.N. und vom 19. Mai 2016 - 2 [X.] 13.15 - juris Rn. 42). Denn sowohl nach den Einlassungen des früheren Soldaten als auch nach der ärztlichen Begutachtung durch die Sachverständige steht zwar ein Alkoholmissbrauch, nicht aber eine Alkoholabhängigkeit von Krankheitswert fest. Dabei trägt der Senat durchaus dem Umstand Rechnung, dass entlastende Umstände nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann beachtlich sind, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind (BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 - 2 [X.] 21.18 - juris Rn. 32).

Die Sachverständige hat auf der Grundlage einer mehrtägigen stationären Begutachtung und unter Auswertung der Gesundheitsakte des früheren Soldaten festgestellt, dass dieser zwar Alkoholmissbrauch betrieben hat, jedoch noch keine Alkoholabhängigkeit vorlag. Dies wird dadurch gestützt, dass er im Rahmen des Strafverfahrens wegen Trunkenheit im Verkehr zu Protokoll gegeben hat, er würde jetzt nichts mehr trinken und habe keine Entzugserscheinungen gehabt. In der Berufungshauptverhandlung hat er sich zudem dahingehend eingelassen, "[X.]" gewesen zu sein, womit eine Steuerungsmöglichkeit des Alkoholkonsums vorliegt. Dafür sprechen auch seine überdurchschnittlichen Leistungen sowie die erstinstanzliche Aussage seines früheren [X.], Alkohol sei bei dem früheren Soldaten kein Thema gewesen.

(3) Der frühere Soldat hat sich zum Zeitpunkt der Pflichtverletzungen auch nicht in einem Vollrausch befunden, so dass auch insoweit kein Merkmal nach § 20 StGB vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 27. März 2012 - 2 [X.] 16.11 - [X.] 450.2 § 84 [X.] 2002 Nr. 6 Rn. 27).

ccc) Nicht mildernd sind Unrechtseinsicht und Reue einzustellen. Der frühere Soldat hat zwar in der Berufungshauptverhandlung erklärt, für sein Verhalten die Verantwortung zu übernehmen, es jedoch im Übrigen weiterhin mit seiner ADHS-Erkrankung zu bagatellisieren versucht. Dieses Verhalten bildet jedoch auch keinen erschwerenden Umstand (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 2020 - 2 [X.] 9.19 - juris Rn. 39).

c) Beim Maß der Ruhegehaltskürzung bildet Ausgangspunkt der obere Rand des für diese Maßnahmeart gesetzlich Zulässigen, weil nur die auf der zweiten Bemessungsstufe vorliegenden Milderungsgründe dazu führten, von der [X.] abzuweichen (BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2017 - 2 [X.] 14.16 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 53 Rn. 54 m.w.N.). Dabei ist jedoch der in die Maßnahmebemessung bislang nicht eingeflossene Umstand mildernd einzustellen, dass das Disziplinarverfahren mit etwa einem Jahr unangemessen lang war. Dies gebietet, die nach § 64 Satz 2 i.V.m. § 59 Satz 1 [X.] zulässige Höchstkürzung - von einem Fünftel für die Dauer von fünf Jahren - zu halbieren (zur Auswirkung auf das Disziplinarmaß: BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2020 - 2 [X.] 12.19 - juris Rn. 24 ff.).

aa) Ein Verstoß gegen die Gewährleistung einer Verhandlung in angemessener Frist nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] und gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiver Rechtsschutzgewährung aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist bei [X.] Disziplinarmaßnahmen durch eine Verringerung des Disziplinarmaßes auszugleichen. Dabei ist es eine Frage der Umstände des Einzelfalls, ob die Dauer unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten angemessen gewesen ist. Diese Prüfung ist ohne konkrete Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungswerte durchzuführen. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur dann zu einer unangemessenen Verfahrenslänge, wenn sie auch bei Berücksichtigung des von Art. 97 Abs. 1 GG geschützten gerichtlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (BVerwG, Urteile vom 14. September 2017 - 2 WA 1.17 D - BVerwGE 159, 366 Rn. 13 ff. und vom 12. Juli 2018 - 2 [X.] 1.18 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 58 Rn. 42).

bb) Danach ist bereits die Dauer des Verfahrens vor dem [X.], berechnet ab dem Eingang der Anschuldigungsschrift im Juni 2018 bis zur Zustellung des Urteils Ende Oktober 2019, um etwa 4 Monate überlang. Die Sach- und Rechtslage gestaltete sich infolge der geständigen Einlassungen des früheren Soldaten nicht überdurchschnittlich kompliziert. Zudem stand eine Dienstgradherabsetzung und damit eine schwere disziplinarische Ahndung im Raum, sodass das Verfahren innerhalb eines Jahres zum Abschluss hätte gebracht werden müssen. Ein für die Verzögerung ursächliches Prozessverhalten des früheren Soldaten liegt nicht vor, sodass die Überlänge wohl der gerichtsbekannten Überlastung der [X.]e geschuldet und damit dem Staat zuzurechnen ist. Das Berufungsverfahren ist hingegen von angemessener Dauer, weil es binnen eines Jahres abgeschlossen wurde.

cc) Das Verfahren im vorgerichtlichen Stadium war zudem um etwa 8 Monate überlang.

Zwar hat der Zeitraum vom Erlass der Einleitungsverfügung (Mai 2016) bis zur Vorlage der Anschuldigungsschrift beim [X.] (Juni 2018) außer Betracht zu bleiben, da der frühere Soldat die Möglichkeit gehabt hätte, das Disziplinarverfahren durch einen Antrag nach § 101 Abs. 1 Satz 1 [X.] zu beschleunigen. [X.] bleibt indes der Zeitraum von der Kenntniserlangung der Pflichtverletzungen durch den [X.] - im Januar 2015 - bis zur Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens - Ende Mai 2016 -, da es einem Soldaten in dieser [X.] an einem dem § 101 Abs. 1 Satz 1 [X.] vergleichbaren Rechtsbehelf fehlt (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 2020 - 2 [X.] 9.19 - juris R. 35) und dem früheren Soldaten vorliegend auch mangels einer förmlichen Aussetzungsentscheidung der [X.] (§ 83 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 3 Satz 1 [X.]) nicht die Möglichkeit eröffnet worden ist, die damit verbundene Verlängerung der Verfahrensdauer im Rahmen eines Antrags nach § 83 Abs. 4 Satz 1 [X.] überprüfen zu lassen.

Werden dem Wehrdisziplinaranwalt Tatsachen bekannt, welche die Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme erwarten lassen, hat er nach § 92 Abs. 1 Satz 2 [X.] Vorermittlungen aufzunehmen und die Entscheidung der Einleitungsbehörde herbeizuführen. [X.] hat die [X.] ein disziplinargerichtliches Verfahren gemäß § 92 Abs. 1 [X.] bereits, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht eines Dienstvergehens vorliegen, bei dem als Sanktion eine gerichtliche Disziplinarmaßnahme zu erwarten steht. Zwar reichen für einen Anfangsverdacht vage Anhaltspunkte und vage Vermutungen nicht aus, jedoch bedarf es - vergleichbar der Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nach § 152 Abs. 2 [X.] - weder eines bereits hinreichenden noch gar eines dringenden Verdachts ([X.]/[X.], [X.], 63. Aufl. 2020, § 152 Rn. 3b, 4; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 152 Rn. 18, Stand Februar 2019). Ausreichend ist ein durch konkrete Tatsachen belegter, in der Lebenserfahrung begründeter Anhalt dafür, dass ein Dienstvergehen vorliegt (vgl. [X.]/[X.], Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2014, § 39 Rn. 15). Ist das der Fall, dürfen Einleitungsbehörde und [X.] die Vorermittlungen nicht weiterführen, bis der Sachverhalt anschuldigungsreif aufgeklärt ist. Vielmehr haben sie das Verfahren einzuleiten und danach die noch nötigen weiteren Ermittlungen zu veranlassen. Ansonsten würde die gesetzliche Zweiteilung zwischen Einleitung des Verfahrens und Anschuldigung ebenso umgangen wie die verfahrensmäßige Sicherung einer beschleunigten Durchführung des vorgerichtlichen Verfahrens durch einen Antrag nach § 101 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Dabei unterliegt auch die Zeitdauer der Prüfung, ob ein hinreichender Anfangsverdacht vorliegt, dem Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 [X.] (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 - 2 [X.] 19.18 -, BVerwGE 166, 189 Rn. 43).

Vorliegend hat sich die [X.] jedoch über ein Jahr und vier Monate im Stadium disziplinarer Vorermittlungen (§ 92 Abs. 1 [X.]) bewegt, obwohl am Vorliegen von objektiven, ein Dienstvergehen begründenden Umständen angesichts der übereinstimmenden Aussagen der beteiligten Polizeibeamten und der grundsätzlich geständigen Einlassungen des früheren Soldaten kein Zweifel bestanden hat.

Bei der Bewertung der Überlänge des [X.] ist einerseits zu berücksichtigen, dass der [X.] für die erforderlichen Beteiligungen und die Anhörung des Betroffenen (§ 93 Abs. 1 Satz 2 [X.]) ein angemessener Bearbeitungszeitraum von drei Monaten einzuräumen ist. Andererseits muss eingestellt werden, dass sie bei früherer Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens berechtigt gewesen wäre, es im Hinblick auf die laufenden strafprozessualen Verfahren nach § 83 [X.] vorläufig auszusetzen ([X.], [X.], 7. Aufl. 2017, § 83 Rn. 9). Die regelmäßig ermessensgerechte Aussetzung im Hinblick auf vorgreifliche strafrechtliche Verfahren ist im Einleitungsverfahren ebenso wie im truppendienstgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. März 2019 - 2 [X.] 13.18 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 62 Rn. 34 und vom 4. März 2020 - 2 [X.] 3.19 - juris Rn. 42). Vor diesem Hintergrund hätte im Hinblick auf das erste strafrechtliche Ermittlungsverfahren um weitere drei Monate und im Hinblick auf das zweite strafrechtliche Ermittlungsverfahren um weitere zwei Monate ausgesetzt werden können. Räumt man der [X.] zur Durchführung des [X.] einen Bearbeitungszeitraum von drei Monaten und Aussetzungszeiträume von fünf Monaten ein, hat die [X.] das Verfahren bis zur Einleitungsverfügung um mindestens acht Monate nicht gefördert, sondern es in einer für den früheren Soldaten mit ordentlichen Rechtsbehelfen nicht anfechtbaren Weise verfahrensfehlerhaft faktisch ausgesetzt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 3, § 140 Abs. 5 Satz 1 [X.], da der [X.] nur teilweise obsiegte.

Meta

2 WD 1/20

15.10.2020

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Urteil

Sachgebiet: WD

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 14. Oktober 2019, Az: S 4 VL 15/18, Urteil

§ 7 SG, § 10 Abs 1 SG, § 17 Abs 2 SG, § 2 Abs 1 StGB, § 20 StGB, § 21 StGB, § 113 Abs 1 StGB vom 01.11.2011, § 316 Abs 1 StGB, § 316 Abs 2 StGB, § 1 Abs 3 WDO 2002, § 16 Abs 1 Nr 2 WDO 2002, § 38 Abs 1 WDO 2002, § 58 Abs 2 Nr 3 WDO 2002, § 58 Abs 7 WDO 2002, § 62 WDO 2002, § 83 WDO 2002, § 91 Abs 1 WDO 2002, § 92 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 101 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 120 WDO 2002, § 121 WDO 2002, § 139 Abs 3 WDO 2002, § 140 Abs 5 S 1 WDO 2002, § 153a Abs 2 StPO, § 327 StPO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 97 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 S 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.10.2020, Az. 2 WD 1/20 (REWIS RS 2020, 4364)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4364

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