Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.03.2021, Az. 2 WD 13/20

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2021, 7479

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Gegenstand

Fahrlässige Körperverletzung durch einen Vorgesetzten


Leitsatz

1. Begeht ein Vorgesetzter gegenüber einem Untergebenen innerdienstlich eine fahrlässige Körperverletzung, die erhebliche Folgeschäden nach sich zieht, bildet ein Beförderungsverbot den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

2. Die Kürzung der Übergangsbeihilfe ist bruchteilsmäßig auszusprechen.

Tenor

Auf die Berufung der [X.] wird das Urteil der [X.] des [X.] vom 23. Januar 2020 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.

Gegen den früheren Soldaten wird eine [X.] in Höhe von 500 € verhängt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt der [X.].

Tatbestand

1

Das Verfahren betrifft den Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung durch einen Vorgesetzten innerhalb dienstlicher Anlagen.

2

1. Der 1988 geborene frühere Soldat verfügt über den Realschulabschluss und eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Er wurde 2010 unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit als Anwärter für die Laufbahn der Unteroffiziere übernommen, zuletzt 2011 zum [X.] befördert und 2015 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe [X.] eingewiesen. Sein Antrag auf Wechsel in die [X.] wurde wegen des laufenden Disziplinarverfahrens abgelehnt. Seine Dienstzeit endete am 31. Juli 2017. Derzeit absolviert er ein Studium mit dem Schwerpunkt Nautik und Seeverkehr.

3

Der frühere Soldat wurde zuletzt im Stab ... verwendet. 2010, 2011 und 2015 nahm er an unterschiedlichen Auslandseinsätzen teil, für die ihm Einsatzmedaillen verliehen wurden. Er ist berechtigt, das [X.] und das Sonderabzeichen "Seefahrendes Personal" jeweils der Stufe I zu tragen.

4

Zum April 2011 wurde der frühere Soldat im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit "2,75" beurteilt. Insbesondere in der Anfangsphase seiner Verwendung an Bord sei es ihm schwergefallen, theoretisch Erlerntes praktisch umzusetzen. Inzwischen erziele er "unter Laborbedingungen" zwar ausreichende Ergebnisse; wenn jedoch Belastungsfaktoren hinzukämen, seien seine Leistungen nicht mehr ausreichend. Auch seine körperliche Leistungsfähigkeit genüge nicht den Anforderungen. Er verfüge zwar über das notwendige Potenzial, werde der Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten aber nicht vollständig gerecht.

5

Beurteilungsbeiträge aus den Jahren 2010, 2011 und 2015 stellen fest, dass die Leistungserwartungen erfüllt wurden. In dem [X.] 2015 heißt es, der frühere Soldat sei als Betreuungsunteroffizier eingesetzt gewesen und habe den Einsatz aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig beenden müssen. Im ersten [X.] habe er seine Aufgaben zur vollen Zufriedenheit erfüllt. Mit dem Wechsel des [X.] habe sich seine Arbeitsmoral wegen einer Antipathie zwischen ihm und dem Kantinenführer verschlechtert.

6

Kapitänleutnant A., seit April 2016 Disziplinarvorgesetzter des früheren Soldaten, hat erstinstanzlich ausgesagt, er würde ihn leistungsmäßig im oberen Drittel einordnen. Der frühere Soldat habe oft im Sozialraum so gefeiert, dass er ihm geraten habe, dort etwas "kürzer zu treten". In seinem militärischen Auftreten und gegenüber Untergebenen sei er immer korrekt gewesen. Allerdings habe ihm eine gewisse Härte zum Durchgreifen gefehlt. Der frühere Soldat habe sein Verhalten bereut. Obwohl der Vorfall diesen bedrückt habe, habe er seinen Dienst auch nach dem Vorfall normal weiter geleistet. Als der Antrag auf Laufbahnwechsel abgelehnt worden sei, habe der frühere Soldat leistungsmäßig nicht mehr zugelegt. In der Berufungshauptverhandlung hat der Leumundszeuge seine Aussagen bestätigt. Er habe den Antrag des Soldaten auf einen Laufbahnwechsel, der an dem Disziplinarverfahren gescheitert sei, seinerzeit befürwortet.

7

Der Disziplinarbuchauszug und der Zentralregisterauszug verweisen auf einen Strafbefehl des [X.] vom 20. Februar 2017, mit dem gegen den früheren Soldaten wegen Betrugs eine Geldstrafe verhängt wurde. Ein gegen ihn wegen des angeschuldigten Vorwurfs geführtes Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde mangels Strafantrags gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

8

Der frühere Soldat ist ledig und kinderlos. Er erhielt von September 2019 bis Juni 2020 Übergangsgebührnisse in Höhe von monatlich 2 287,38 € netto. Die Übergangsbeihilfe in Höhe von 15 829,20 € wurde zur Hälfte einbehalten. Der frühere Soldat beschreibt seine wirtschaftlichen Verhältnisse als angespannt.

9

2. Nach der im Februar 2017 erfolgten Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens und aufgrund der Anschuldigungsschrift vom 13. Oktober 2017 - in der Fassung von zwei Nachtragsanschuldigungen - hat das [X.] gegen den früheren Soldaten mit Urteil vom 23. Januar 2020 eine Kürzung der Übergangsbeihilfe um 1 000 € ausgesprochen.

In tatsächlicher Hinsicht stellte es im Wesentlichen fest, dass der frühere Soldat und der geschädigte Obergefreite sich am Abend des 21. Dezember 2016 in dem in der ... gelegenen Sozialraum des [X.] getroffen hätten. Der Geschädigte sei freiwillig [X.] und als Kraftfahrer gelegentlich auch dem früheren Soldaten für Dienstfahrten als Fahrer zugeteilt gewesen. Der Geschädigte habe zuvor etwa vier bis fünf 0,33 l-Flaschen Bier getrunken, der frühere Soldat etwa drei bis vier Flaschen. Beide hätten ein kameradschaftliches Verhältnis gepflegt. An dem Abend hätten sie - wie bereits zu anderen Gelegenheiten - wechselseitig abfällige Bemerkungen über ihre jeweiligen [X.] gemacht. Anschließend habe einer der beiden gesagt: "Das klären wir draußen", beide seien aufgestanden, zur Tür gegangen, hätten sich unmittelbar nach Durchschreiten des [X.] umgedreht und seien augenblicklich wieder in den Raum zurückgekehrt. Dabei habe es sich um einen "Running Gag" zwischen ihnen gehandelt. Als die beiden an diesem Abend in den Raum zurückgekehrt seien, sei der Geschädigte seitlich leicht versetzt unmittelbar vor dem früheren Soldaten gegangen. Im Gehen habe der Geschädigte seinen rechten Arm nach hinten gedreht, um den früheren Soldaten am Bauch zu kraulen. In diesem Moment habe der frühere Soldat den Geschädigten an der rechten Schulter geschubst ohne die Absicht gehabt zu haben, ihn zu verletzen. Der Geschädigte, der durch seinen leicht verdrehten Oberkörper sein Gleichgewicht verlagert gehabt habe, habe durch das Schubsen das Gleichgewicht verloren und sei ungebremst zu Boden gefallen. Hierbei habe er sich die Spitzen seiner beiden Schneidezähne ausgeschlagen und ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Der frühere Soldat habe sich sofort um ihn gekümmert. Später sei der Geschädigte in das Krankenhaus gebracht worden, wo er bis zum folgenden Tag geblieben sei. Anschließend sei er für etwa vier Wochen krankgeschrieben gewesen. Ein Schneidezahn sei zwischenzeitlich abgestorben und es sei eine Wurzelbehandlung erforderlich geworden. Die Zahnbehandlung sei noch nicht abgeschlossen und die [X.] habe die weitere Behandlung des Geschädigten wegen dessen kurzer Restdienstzeit abgelehnt. Derzeit prüfe die Krankenkasse einen Kostenvoranschlag über 750 € für die abschließende Zahnbehandlung. Für die Krankenhauskosten und die Kosten der Zahnbehandlung sei der frühere Soldat in Höhe von 3 700 € in Regress genommen worden. Der Geschädigte sei dem früheren Soldaten wegen des Vorfalls nicht böse und habe dessen Entschuldigung angenommen.

Der frühere Soldat habe damit fahrlässig die Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 [X.] verletzt, die auch die Pflicht zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung einschließe und somit den vorliegenden Verstoß gegen § 229 [X.] einschließe. Darüber hinaus habe er fahrlässig gegen die Fürsorgepflicht nach § 10 Abs. 3 [X.] und die Kameradschaftspflicht nach § 12 Satz 2 [X.] verstoßen.

Ausgangspunkt der [X.] sei bei einer (außerdienstlichen) Körperverletzung, bei der die qualifizierenden Tatbestandsmerkmale der §§ 224 ff. [X.] nicht erfüllt seien, ein Beförderungsverbot im mittleren Bereich. Es lägen jedoch Umstände vor, die das Dienstvergehen als leicht ausweisen und nur eine Kürzung des Ruhegehalts rechtfertigten. Der frühere Soldat habe lediglich fahrlässig gehandelt und die Verfahrensdauer sei überlang. Die Übergangsbeihilfe sei um 1 000 € zu kürzen. Die Kürzung bruchteilmäßig auszusprechen, sei gesetzlich nicht geboten.

3. Die [X.] begründet ihre auf die Maßnahmebemessung beschränkte Berufung damit, dass das [X.] den besonderen Erfolgsunwert der Pflichtverletzung, insbesondere die gravierenden Folgen auf Seiten des Geschädigten, nicht ausreichend berücksichtigt habe. Vor allem hätte es die Kürzung [X.] aussprechen müssen.

4. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Werdegang und zur Person des früheren Soldaten wird auf das Urteil des [X.]s, hinsichtlich der näheren Details der Beweisaufnahme auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der [X.] führt zur Aufhebung der gerichtlichen und zur Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme in Form einer [X.]. Der Senat ist an einer solchen Milderung nicht gehindert, weil die Berufung der [X.] nach § 91 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 301 StPO auch zugunsten des früheren Soldaten wirkt.

1. Aufgrund der Tat- und Schuldfeststellungen des [X.]s steht für den Senat bindend fest, dass der frühere Soldat die angeschuldigte Tat begangen und dadurch fahrlässig gegen § 7, § 10 Abs. 3 sowie § 12 Satz 2 [X.] verstoßen hat. Denn bei einer - wie hier - auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung hat der Senat seiner Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 327 StPO grundsätzlich die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des [X.]s zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Der [X.] wird somit nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur von den Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Urteils bestimmt ([X.], Urteil vom 4. Mai 2019 - 2 [X.] 24.18 - juris Rn. 17). Schwere Verfahrensmängel, die eine Abweichung davon gebieten, liegen nicht vor ([X.], Urteil vom 15. Oktober 2020 - 2 [X.] 1.20 - juris Rn. 19 ff.).

2. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von [X.] wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin der [X.]", vgl. [X.], Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 [X.] 11.07 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 [X.] Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Im Einzelnen geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der [X.]".

Eine gefestigte Rechtsprechung zum Ausgangspunkt der [X.] für Fälle der fahrlässigen Körperverletzung gegen einen untergebenen Soldaten innerhalb des Dienstes oder innerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen, die erhebliche gesundheitliche Folgeschäden nach sich ziehen, gibt es nicht. Der Senat erachtet in Fällen dieser Art bei aktiven Soldaten ein Beförderungsverbot nach § 58 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 60 [X.] für angemessen. Vor allem Schwere und Eigenart des Dienstvergehens sowie das geringere Maß der Schuld streiten für eine disziplinarische Ahndung, die derjenigen außerdienstlicher fahrlässiger Körperverletzungen entspricht ([X.], Urteil vom 14. Mai 2019 - 2 [X.] 24.18 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 64 Rn. 20).

aa) Maßgeblich ist dafür die Erwägung, dass keine Misshandlung eines Untergebenen vorliegt, für die Ausgangspunkt der [X.] eine Dienstgradherabsetzung ist ([X.], Urteil vom 24. Oktober 2013 - 2 [X.] 12.13 - juris Rn. 50 m.w.N.). Die nur fahrlässig verursachte Körperverletzung verlangt eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Dienstgradherabsetzung, weil die Rechtsordnung den Unrechtsgehalt zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln unterschiedlich bewertet ([X.], Urteile vom 3. Februar 1998 - 2 [X.] 16.97 - [X.] 236.1 § 7 [X.] Nr. 19, vom 14. April 2011 - 2 [X.] 7.10 - [X.] 2012, 35, vom 17. Mai 2018 - 2 [X.] 2.18 - juris Rn. 28 und vom 1. Juli 2020 - 2 [X.] 15.19 - juris Rn. 34).

Dass im konkreten Fall der frühere Soldat Bezüge nach der Besoldungsgruppe [X.] erhalten hat und somit bei ihm auch nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 [X.] die Herabsetzung der Besoldungsgruppe eine zulässige Disziplinarmaßnahme bildet, weil das Amt des Obermaats der Besoldungsgruppe [X.] und [X.] zugewiesen ist, steht dem nicht entgegen. Weil nur wenige Ämter mehreren Besoldungsgruppen zugewiesen sind, stellt die Herabsetzung in der Besoldungsgruppe die Ausnahme im Kanon zulässiger Disziplinarmaßnahmen dar. Sie kann daher nicht bei einer Vielzahl vergleichbarer Dienstvergehen zum Ausgangspunkt der [X.] gewählt werden, so dass aus [X.] nur das Beförderungsverbot als nächstmildere Maßnahme dafür in Betracht kommt.

bb) Bei Soldaten, die sich im Ruhestand befinden oder - wie der frühere Soldat - wegen der noch nicht vollständig ausbezahlten Übergangsbeihilfe gemäß § 1 Abs. 3 [X.] als solche gelten (vgl. [X.], Urteil vom 15. Oktober 2020 - 2 [X.] 1.20 - juris Rn. 26), folgt daraus als regelmäßige [X.] die Kürzung des Ruhegehalts gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 1 [X.].

cc) Die Kürzung der Übergangsbeihilfe wäre dann allerdings [X.] und nicht in Höhe eines absoluten Betrages auszusprechen gewesen. Soweit der Senat in der Vergangenheit teilweise eine andere Tenorierung gebilligt oder vorgenommen hat ([X.], Urteile vom 18. September 2003 - 2 [X.] 3.03 - juris Rn. 2, 22 bis 23 und vom 26. Januar 2006 - 2 [X.] 2.05 - [X.] 449 § 7 [X.] Nr. 50, Seite 1, 7), hält er daran nicht mehr fest (wie hier: [X.], Urteile vom 4. November 1965 - 1 [X.] 28.65 - S. 7, vom 8. Juni 1971 - 2 [X.] 84.70 - S. 7, vom 20. Juni 1989 - 2 [X.] 47.88 - juris Rn. 32, vom 25. September 1996 - 2 [X.] 17.96 - und vom 28. Januar 1999 - 2 [X.] 17.98 - juris Rn. 52 = [X.] 236.1 § 12 [X.] Nr. 8, Seite 12).

Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 [X.] kann die Kürzung des Ruhegehalts bei Soldaten, die als solche im Ruhestand gelten, unter anderem in der Kürzung der Übergangsbeihilfe oder der [X.] bestehen. Dabei gilt gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 [X.] für die Kürzung der [X.] § 59 [X.] entsprechend, wobei nach § 67 Abs. 2 Satz 2 [X.] die Übergangsbeihilfe bis zur Hälfte gekürzt werden darf. Der in § 67 Abs. 2 Satz 1 [X.] in Bezug genommene § 59 [X.] legt eine bruchteilmäßige Verminderung für die [X.] fest. Daraus ist indes nicht zu folgern, dass § 67 Abs. 2 Satz 2 [X.] für Übergangsbeihilfen die Bruchteilsanordnung durchbricht. Vielmehr setzt auch diese Regelung sie voraus und modifiziert sie lediglich der Eigenart der Übergangsbeihilfe entsprechend.

Für dieses Verständnis spricht bereits der Wortlaut des § 67 Abs. 2 Satz 2 [X.], demzufolge die Kürzung der Übergangsbeihilfe nicht um oder bis zu einem absoluten Betrag, sondern "bis zur Hälfte" ausgesprochen werden darf. Der Gesetzgeber wollte mit Satz 2 lediglich die in § 67 Abs. 2 Satz 1 [X.] in Bezug genommene Bruchteilsregelung des § 59 [X.] dahingehend modifizieren, dass die Kürzung der Übergangsbeihilfe sich nicht auf höchstens 1/5 beschränkt, sondern bis zur Hälfte erfolgen darf. Er trug damit vor allem dem Umstand Rechnung, dass § 59 [X.] neben der Höhe auch eine Kürzungsdauer erwähnt, welche nur bei wiederkehrenden Leistungen und nicht bei der gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SVG in einer Summe zu zahlenden Übergangsbeihilfe Bedeutung erlangen kann (vgl. Weiß, in: [X.], Stand: Januar 2021, § 67 [X.] Rn. 15, 19).

Die Gesetzesmaterialien stützen diese Auslegung. § 67 Abs. 2 Satz 2 [X.] (vgl. zur Rechtsentwicklung: Weiß, in: [X.], § 67 [X.] Rn. 4) geht zurück auf die im Wesentlichen wortgleiche Regelung des § 49 Abs. 2 Satz 3 [X.] vom 15. März 1957 ([X.] I S. 189). Zu ihr heißt es im Regierungsentwurf, die Kürzung des Ruhegehalts oder der [X.] (Abs. 2) entspreche in ihrem Ausmaß der Gehaltskürzung (§ 44 Abs. 1 Satz 1 [X.]) und für "andere Versorgungsleistungen (Ausgleich nach § 37 des Soldatenversorgungsgesetzes, Übergangsbeihilfe) und für die Berufsförderung (sei) eine der Eigenart dieser Leistungen entsprechende Regelung vorgesehen" ([X.]. 2/2181, [X.]). Mit dem Hinweis auf eine der Eigenart dieser Leistungen entsprechende Regelung brachte der Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck, die Kürzung der Übergangsbeihilfe so weit wie möglich gleich auszugestalten wie die [X.] vorzunehmende Kürzung der [X.].

Die Eigenart der Übergangsbeihilfe steht einer [X.]en Kürzung auch nicht entgegen. Vielmehr bringt die [X.]e Kürzung nicht nur die Einstufung der Schwere des Dienstvergehens deutlich zum Ausdruck; sie trägt auch zur dogmatischen Abgrenzung gegenüber der [X.] als einfacher Disziplinarmaßnahme (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 [X.]) bei. Bei ihr sieht der Gesetzgeber ausdrücklich einen (absoluten) Betrag vor (§ 24 Abs. 1 [X.]). Die [X.]e Kürzung der Übergangsbeihilfe hat zudem den vollzugspraktischen Vorteil, dass die durch § 67 Abs. 2 Satz 2 [X.] gesetzte (hälftige) Kürzungsgrenze auch dann gewahrt bleibt, wenn die konkrete Höhe der Übergangsbeihilfe sich aus Gründen ändert, die mit dem Disziplinarverfahren in keinem Zusammenhang stehen.

Anders als vom [X.] angenommen, bewirkt die [X.]e Ausweisung einer Kürzung auch nicht, dass den individuellen Umständen in der Tat und der Person des Soldaten nicht mehr schuldangemessen Rechnung getragen werden könnte. Denn sie lässt die materiell-rechtlichen Vorgaben des § 38 Abs. 1 [X.] unberührt, demzufolge die dort bezeichneten Bemessungskriterien bei der Bestimmung von Art und dem Maß der Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigen sind.

b) Auf der zweiten Stufe liegen jedoch im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 [X.] normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vor, die es gebieten, vom Ausgangspunkt der [X.] nach unten abzuweichen ([X.], Urteil vom 25. August 2017 - 2 [X.] 2.17 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 54 Rn. 54) und lediglich eine einfache Disziplinarmaßnahme in Form einer [X.] nach § 22 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 24 [X.] zu verhängen.

aa) Zwar müssen Milderungsgründe umso gewichtiger sein, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt ([X.], Urteil vom 23. Januar 2020 - 2 [X.] 1.19 - Rn. 30), so dass die erheblichen Verletzungsfolgen auf Seiten des Dienstherrn und des Geschädigten, die strafrechtliche Vorbelastung des früheren Soldaten und dessen Vorgesetztenstellung (§ 10 Abs. 1 [X.]) zu dessen Lasten wirken. Dem gegenüber stehen jedoch zahlreiche entlastende Umstände, die die gegen ihn sprechenden erheblich überwiegen. Dazu gehört, dass sich der frühere Soldat geständig und reuig gezeigt hat. Die von der [X.] hervorgehobenen schwerwiegenden Auswirkungen des Dienstvergehens beruhten nicht auf einer gravierenden aggressiven Disziplinlosigkeit des früheren Soldaten während des Dienstes, sondern auf einem unüberlegten Schubsen bei einem einvernehmlichen Schabernack im Freizeitbereich. Der Sturz des Geschädigten und dessen erheblichen Verletzungsfolgen waren nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.]s auch die Folge einer Verkettung unglücklicher Umstände. Zudem stellt sich das Leistungsbild des früheren Soldaten günstiger dar als nach der letzten planmäßigen Beurteilung. Der frühere Soldat wurde zwar 2011 im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit "2,75" beurteilt; [X.] hat indes ausgesagt, dessen Leistungen hätten sich zuletzt im oberen Drittel bewegt. Mehrere Umstände, insbesondere die Aussage des [X.], sprechen auch dafür, dass dem früheren Soldaten durch das gerichtliche Disziplinarverfahren der Aufstieg in die [X.] verwehrt worden ist und er bereits durch das Verfahren als solches einen erheblichen Nachteil erlitten hat ([X.], Urteil vom 14. Mai 2019 - 2 [X.] 24.18 - [X.] 450.2 § 38 [X.] 2002 Nr. 64 Rn. 29). Der Geschädigte selbst hat zudem durch sein Vorverhalten die professionelle Distanz, die zwischen [X.] und Vorgesetztem bestehen muss, aufgeweicht, so dass der Verstoß gegen § 10 Abs. 1 [X.] an Schwere verliert. Die mehrfachen Auslandseinsätze sind ebenfalls mildernd einzustellen.

Vor allem bei der Schuld ist mildernd einzustellen, dass der frühere Soldat nach seinen Einlassungen in der Berufungshauptverhandlung unbewusst fahrlässig gehandelt, also die Möglichkeit der weitreichenden Folgeschäden seines Tuns nicht vorhergesehen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 5. April 2011 - 3 RVs 19/11 - juris Rn. 13; [X.], StGB, 67. Aufl. 2020, § 15 Rn. 24; Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 17 Rn. 42). Die Einlassung ist auch plausibel, da der frühere Soldat den Geschädigten nicht massiv körperlich attackiert, sondern ihn lediglich geschubst hat. Der Senat legt daher in Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo diese Einlassung seiner Bemessungsentscheidung zugrunde, weil entlastende Umstände schon dann beachtlich sind, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind ([X.], Urteil vom 30. Januar 2017 - 2 [X.] 1.16 - juris Rn. 68 m.w.N.). An der Einbeziehung der milderen Form von Fahrlässigkeit ist der Senat auch nicht wegen der beschränkten Berufung gehindert, weil es sich dabei um einen bemessungsrelevanten Umstand handelt ([X.], Urteil vom 27. März 2018 - 2 [X.] 10.17 - juris Rn. 26).

Die hinzutretende erhebliche Überlänge des disziplinargerichtlichen Verfahrens von 15 Monaten gebietet eine Milderung in der [X.] ([X.], Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 [X.] 17.19 - juris Rn. 54). Über die im Oktober 2017 eingegangene Anschuldigung hat das [X.] im Januar 2020 und somit erst nach gut 27 Monaten entschieden. Angesichts der geständigen Einlassungen des früheren Soldaten und des auch in rechtlicher Hinsicht nicht schwierig gelagerten Falles wäre eine Entscheidung binnen eines Jahres angemessen gewesen. Besondere Umstände, die die Verzögerung erklären könnten, sind der Verfahrensakte nicht zu entnehmen. Insbesondere hat das Prozessverhalten des Soldaten nicht zu einer Verlängerung der Prozessdauer beigetragen. Daher ist davon auszugehen, dass die Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne des Art. 6 Abs. 1 [X.] der allgemein bekannten Überlastung der [X.]e geschuldet ist. Dieser strukturelle Mangel rechtfertigt die Überlänge nicht, so dass der Staat für die mit der unangemessenen Dauer des Verfahrens verbundenen Nachteile einen Ausgleich schaffen muss. Dies rechtfertigt hier den Übergang zur nächstmilderen [X.] der [X.].

bb) Dazu ist auch das Wehrdienstgericht gemäß § 58 Abs. 6 [X.] befugt. Zwar können nicht alle in § 22 Abs. 1 [X.] aufgelisteten einfachen Disziplinarmaßnahmen auch gegenüber früheren Soldaten verhängt werden, weil etwa [X.] oder Ausgangsbeschränkungen naturgemäß mangels Vollstreckbarkeit nicht mehr in Betracht kommen (vgl. § 56 Abs. 2 [X.]). Dies steht jedoch der Verhängung einer [X.] oder eines einfachen Verweises nicht entgegen, wenn sich in einem gemäß § 82 Abs. 1 [X.] fortzuführenden Disziplinarverfahren gegen einen früheren Soldaten wegen eines in seiner aktiven Dienstzeit begangenen Dienstvergehens eine mildere Maßnahme als geboten erweist. Daher hat das Gesetz auch in § 2 Abs. 2 Satz 3 [X.] für vergleichbare Fälle die Verhängung einer Geldbuße oder eines Verweises ausdrücklich zugelassen. Soweit bislang entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 58 Abs. 6 [X.] die Verhängung einfacher Disziplinarmaßnahmen gegenüber früheren Soldaten als unzulässig angesehen worden ist ([X.], Urteil vom 27. Januar 2011 - 2 [X.] 39.09 - [X.] 450.2 § 108 [X.] 2002 Nr. 1 Rn. 11), hält der Senat daran nicht mehr fest. Ihrer Verhängung steht auch nicht § 17 Abs. 2 [X.] entgegen, weil durch die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens der halbjährige Fristlauf gemäß § 17 Abs. 5 [X.] gehemmt wurde ([X.], Urteil vom 1. Juli 2020 - 2 [X.] 15.19 - Rn. 34). § 16 Abs. 1 Nr. 1 [X.] steht dem ebenso wenig entgegen, da die Einstellung im Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgte. Bei der Höhe der [X.] ist gemäß § 24 Abs. 2 [X.] dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der frühere Soldat trotz seiner finanziell angespannten Situation etwa 4 500 € auf eigene Kosten für die medizinische Behandlung des Geschädigten anstandslos gezahlt und dieser den Vorfall nicht als Übergriff eines Vorgesetzten, sondern als Unglücksfall empfunden hat.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 3 Satz 1 [X.].

Meta

2 WD 13/20

25.03.2021

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Urteil

Sachgebiet: WD

vorgehend Truppendienstgericht Nord, 23. Januar 2020, Az: N 7 VL 39/19, Urteil

§ 1 Abs 3 WDO 2002, § 16 Abs 1 Nr 1 WDO 2002, § 17 Abs 2 WDO 2002, § 22 Abs 1 Nr 3 WDO 2002, § 24 Abs 1 WDO 2002, § 58 Abs 1 Nr 2 WDO 2002, § 58 Abs 2 Nr 1 WDO 2002, § 58 Abs 2 Nr 2 WDO 2002, § 58 Abs 6 WDO 2002, § 38 WDO 2002, § 59 WDO 2002, § 60 WDO 2002, § 67 Abs 2 WDO 2002, § 91 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 139 Abs 2 WDO 2002, § 140 Abs 3 S 1 WDO 2002, § 223 StGB, § 229 StGB, § 170 Abs 2 StPO, § 301 StPO, § 327 StPO, § 7 SG, § 10 Abs 1 SG, § 10 Abs 3 SG, § 12 S 2 SG, § 12 Abs 1 S 2 Halbs 2 SVG, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.03.2021, Az. 2 WD 13/20 (REWIS RS 2021, 7479)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7479

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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