Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.08.2020, Az. 1 StR 252/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2012

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Härteausgleich bei der Strafzumessung: Ausgleich für die fehlende Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit einer Vorverurteilung im EU-Ausland


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. Februar 2020 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tatzeit: bis Januar 2017) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiter hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 280.000 € angeordnet und die Anrechnung der in [X.] erlittenen Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 bestimmt.

2

Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch und ist im Übrigen offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift genannten Gründen der Erfolg versagt.

4

2. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Dieser erweist sich insoweit als durchgreifend rechtsfehlerhaft, als ein [X.] im Hinblick auf die in [X.] ergangene frühere Verurteilung, hinsichtlich derer im Falle einer inländischen Verurteilung die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 [X.] vorgelegen hätten, unterblieben ist.

5

a) Bei der Strafzumessung sind etwaige Härten in den Blick zu nehmen, die durch die zusätzliche Vollstreckung von Strafen drohen, die von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der [X.] verhängt wurden, wenn diesbezüglich in zeitlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 [X.] erfüllt wären (vgl. [X.], Beschlüsse vom 23. April 2020 - 1 StR 406/19 Rn. 9 und 1 StR 15/20 Rn. 18 ff.; vom 28. Januar 2020 - 4 StR 599/19; vom 3. Juli 2019 - 4 StR 256/19 und vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 508/18 Rn. 6 mwN). Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.], Urteil vom 21. September 2017 - [X.]/16 Rn. 26) haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass frühere in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen in gleichem Maße bei der Strafzumessung berücksichtigt werden wie nach innerstaatlichem Recht im Inland erfolgte frühere Verurteilungen. Dieser Grundsatz gilt stets und ohne weitere Bedingungen ([X.], Beschluss vom 23. April 2020 - 1 StR 406/19 Rn. 11 mwN). Hiernach ist bei zeitigen Freiheitsstrafen ein [X.] vorzunehmen, um den sich daraus ergebenden Nachteil, dass eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 [X.] bei einer früheren Verurteilung durch ein Gericht eines anderen [X.] nicht erfolgen kann, auszugleichen ([X.], Beschluss vom 23. April 2020 - 1 StR 15/20 Rn. 18 ff.).

6

Dies hat das [X.] nicht beachtet; die frühere Verurteilung des Angeklagten durch ein Gericht in M.    (Tatzeit: 3. Juni 2015), die am 19. September 2018 ergangen und am selben Tag rechtskräftig geworden ist und deren Strafe damit, wenn es sich um eine inländische frühere Verurteilung handeln würde, nach § 55 [X.] einbeziehungsfähig wäre, hat das [X.] in keiner Weise bei der Strafzumessung berücksichtigt.

7

b) Die Strafzumessung beruht auf dem fehlerhaft unterbliebenen [X.]. In Anbetracht des Umstands, dass vorliegend eine Einzelstrafe verhängt und keine Gesamtstrafe gebildet wurde, hätte sich ein den Anforderungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] entsprechender, den Nachteil der allein wegen der früheren Verurteilung durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates ausgeschlossenen Gesamtstrafenbildung nach § 55 [X.] kompensierender [X.] bei der Höhe der Strafe ausgewirkt. Denn eine zu bildende Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Dieser Grundsatz muss nach der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] auch im Falle einer früheren Verurteilung durch ein Gericht eines anderen [X.], die in zeitlicher Hinsicht dem § 55 [X.] unterfällt, Beachtung finden und daher zu einem [X.] bei der Bemessung der vom [X.] Gericht zu verhängenden Einzelstrafe führen. In Fällen, in denen eine Gesamtstrafe nach §§ 53 ff. [X.] zu bilden ist und das mit der ausländischen Verurteilung verbundene [X.] bei der Bemessung der Gesamtstrafe nicht ins Gewicht fällt, kann allerdings ein [X.] unterbleiben, ohne dass die Anforderungen des § 54 [X.] verfehlt sind.

8

c) Dem Senat ist es nicht möglich, den gebotenen [X.] in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst vorzunehmen. Denn das Urteil teilt weder mit, wie hoch die in [X.] ausgeurteilte Strafe ist, noch verhält es sich zum dortigen [X.]. Eine Beurteilung, in welcher Höhe ein [X.] zu erfolgen hat, ist dem Senat damit nicht möglich. Auch eine Entscheidung nach § 354 Abs. 1a StPO kommt nicht in Betracht, weil die verhängte Rechtsfolge mangels vorgenommenen [X.]s nicht als angemessen anzusehen ist.

9

d) Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil es sich bei dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler um einen bloßen Wertungsfehler handelt (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht wird ergänzende Feststellungen zu der in [X.] ergangenen früheren Verurteilung und dem dortigen [X.] zu treffen haben, die nicht mit den bisherigen Feststellungen in Widerspruch stehen dürfen.

3. Im Übrigen hat die revisionsgerichtliche Überprüfung des Urteils keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

Jäger     

        

Fischer     

        

Bär     

        

Leplow     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 252/20

04.08.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Freiburg (Breisgau), 6. Februar 2020, Az: 2 KLs 14/19

§ 46 StGB, § 54 Abs 2 S 1 StGB, § 55 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.08.2020, Az. 1 StR 252/20 (REWIS RS 2020, 2012)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2012

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 461/21 (Bundesgerichtshof)

Strafzumessung: Erforderlichkeit der konkreten Bezifferung der fiktiven Gesamtstrafe bei einem Härteausgleich wegen von Gerichten anderer …


1 StR 130/22 (Bundesgerichtshof)

Strafbemessung: Härteausgleich für den aus der fehlenden Gesamtstrafenbildung mit den Strafen aus in anderen Mitgliedstaaten …


1 StR 15/20 (Bundesgerichtshof)

Ausgleich für die fehlende Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit einer noch nicht vollständig vollstreckten EU-ausländischen Strafe


3 StR 37/21 (Bundesgerichtshof)

Härteausgleich bei Gesamtstrafenbildung: Berücksichtigung einer im EU-Ausland verhängten "Geldbuße" mit Ersatzhaft bei Nichtbezahlung


1 StR 130/22 (Bundesgerichtshof)

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung des Rahmenbeschlusses zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.