Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.04.2020, Az. 1 StR 15/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 755

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Gegenstand

Ausgleich für die fehlende Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit einer noch nicht vollständig vollstreckten EU-ausländischen Strafe


Leitsatz

Der Ausgleich für die fehlende Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit einer (noch nicht vollständig vollstreckten) EU-ausländischen Strafe ist im Falle der Verhängung einer zeitigen Freiheitsstrafe bei der Strafzumessung konkret - durch eine Bezifferung des Nachteils - vorzunehmen.

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. Oktober 2019 im Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben jedoch aufrecht erhalten.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 6.000 € angeordnet.

2

Hiergegen richtet sich die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3

Das [X.] hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

4

Am 20. Februar 2001 brachte der Angeklagte den Geschädigten unter Vorhalten eines Messers dazu, ihm die Schlüssel für dessen Pkw zu überlassen, um den Pkw sodann an sich zu nehmen und dauerhaft zu behalten. Bereits am Folgetag verursachte der Angeklagte mit dem Fahrzeug, das einen Wert von 6.000 € hatte, einen Unfall; dieses erlitt einen Totalschaden.

5

Der Angeklagte ist [X.] Staatsangehöriger und in [X.] mehrfach vorbestraft. Die Verurteilungen durch die [X.] Strafgerichte hat das [X.] in den Urteilsgründen so dargestellt, dass es den ins [X.] übersetzten [X.] Strafregisterauszug einkopiert hat. Weitergehende Feststellungen zu den [X.] Vorverurteilungen hat es nicht getroffen.

6

Aus dem Registerauszug ergeben sich zwölf Verurteilungen des Angeklagten, die teilweise vor (Verurteilungen [X.]. 1 bis 9 des [X.]) und teilweise nach (Verurteilungen [X.]. 10 bis 12 des [X.]) der Tatzeit im vorliegenden Verfahren liegen. In dem Auszug enthalten sind weder die [X.] für sämtliche den Verurteilungen zugrundeliegenden Taten noch ergibt sich aus ihm, inwiefern aus den jeweils verhängten Sanktionen Gesamtstrafen gebildet wurden; zudem werden im Rahmen der einzelnen Verurteilungen in der Regel mehrere Strafen aufgeführt, deren Verhältnis zueinander ebenfalls unklar bleibt. Von 2005 bis 2012 befand sich der Angeklagte zur Vollstreckung einiger dieser Strafen (wohl aus den Verurteilungen [X.]. 1 bis 4, 6 und 8 bis 10 des [X.]) in [X.] im Strafvollzug; die Vollstreckung der Strafen aus den beiden letzten Verurteilungen ([X.]. 11 und 12 des [X.]) steht offenbar noch aus. Insoweit wurde der Angeklagte am 7. Juli 2015 (Nr. 11 des [X.]) wegen [X.] und Waffendelikten zu verschiedenen Strafen, u.a. zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren sowie von vier Monaten, verurteilt und am 3. August 2015 (Nr. 12 des [X.]) wurden gegen ihn wegen Flucht aus amtlichem Gewahrsam (Tatzeit 2. August 2015) ebenfalls verschiedene Sanktionen verhängt, u.a. eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten. Aus den durch die genannten Verurteilungen verhängten Strafen wurde – zumindest mutmaßlich – am 17. Mai 2016 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten gebildet. Darauf, dass diese vollstreckt worden wäre, findet sich weder in dem Registerauszug noch in den sonstigen Urteilsfeststellungen ein Hinweis.

7

Die [X.] Vorverurteilungen hat das [X.] im Rahmen der Strafzumessung strafmildernd dergestalt berücksichtigt, dass der Angeklagte nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat wegen der „Verurteilungen in [X.] dort eine mehrjährige Haftstrafe zu verbüßen“ hatte ([X.] 55).

II.

8

1. Das Urteil hält im Strafausspruch sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9

Dies folgt bereits daraus, dass das [X.] bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten darauf abgehoben hat, dass eine Schadenswiedergutmachung nicht erfolgt sei. Diese Erwägung ist durchgreifend rechtsfehlerhaft, da die [X.] damit das Fehlen von [X.] – eine Schadenswiedergutmachung – strafschärfend berücksichtigt (vgl. [X.], Urteile vom 24. August 2016 – 2 [X.], [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Motiv 2 Rn. 17 und vom 29. März 2012 – 3 [X.] Rn. 10; Beschlüsse vom 23. März 2011 – 2 StR 35/11 Rn. 3 und vom 30. März 2011 – 5 StR 12/11 Rn. 8; zudem LK/[X.], StGB, 13. Aufl., § 46 Rn. 62).

2. Die zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen bleiben zulässig.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat hinsichtlich eines Nachteilsausgleichs im Hinblick auf eine – nach [X.] Recht – an sich gegebene Gesamtstrafenfähigkeit mit der [X.] Vorverurteilung vom 7. Juli 2015 (Nr. 11 des [X.]) auf Folgendes hin:

1. Dem Angeklagten droht (zusätzlich) eine Vollstreckung der durch das Urteil des [X.] vom 7. Juli 2015 u.a. verhängten Freiheitsstrafen von zwei Jahren und von vier Monaten (Verurteilung Nr. 11 des [X.]). Mit diesen Strafen hätte – sofern es sich um eine Verurteilung durch ein [X.] Gericht handeln würde – nach Wegfall der Zäsurwirkung der durch das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2007 verhängten Strafe (Verurteilung Nr. 10 des [X.]) infolge deren Vollstreckung – nach [X.] Recht – eine Gesamtstrafe gebildet werden können (vgl. [X.], Beschluss vom 20. November 2013 – 4 [X.] Rn. 2).

Eine Gesamtstrafenbildung mit ausländischen Strafen scheidet jedoch aus; da die Einbeziehung in eine neue Gesamtstrafe dazu führt, dass die frühere Verurteilung nicht mehr vollstreckt werden darf, ist sie aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in die Rechtskraft der ausländischen Verurteilung und die Vollstreckungshoheit des ausländischen Staates aus völkerrechtlichen Gründen unzulässig (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 4. Juli 2018 – 1 StR 599/17, [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 23 Rn. 5; Urteil vom 30. April 1997 – 1 [X.] Rn. 2, [X.]St 43, 79; vgl. zudem [X.][X.], StGB, 13. Aufl., § 55 Rn. 5; [X.], [X.], 132; [X.], Nachteilsausgleich bei nicht möglicher Gesamtstrafenbildung, S. 87 ff.).

2. Nach der bisherigen Rechtsprechung des [X.] ist Nachteilen, die dadurch entstehen, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der ausländischen Strafe nicht möglich ist, im Rahmen der Strafzumessung regelmäßig durch einen – unbezifferten – [X.] zu tragen (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 1 [X.] Rn. 6 mwN und im [X.] daran Beschlüsse vom 28. Januar 2020 – 4 StR 599/19 und vom 3. Juli 2019 – 4 StR 256/19; vgl. auch LK/[X.], StGB, 13. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 46 bis 50 Rn. 3).

a) Dem liegt – bezogen auf mehrere durch inländische Gerichte verhängte Strafen – der allgemeine Gedanke zugrunde, dass, wenn nach § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung an sich möglich ist, sie aber an zufälligen, vom Täter nicht beeinflussbaren Umständen scheitert, die darin liegende Härte bei der Bemessung der zuletzt zu verhängenden Strafe auszugleichen ist (st. Rspr.; vgl. im Einzelnen [X.], Urteil vom 30. April 1997 – 1 [X.] Rn. 3 f., [X.]St 43, 79, 80 mwN; vgl. auch [X.], Beschluss vom 25. Januar 2008 – 2 BvR 1532/07 Rn. 5). Denn der Täter soll durch den Zufall gemeinsamer oder getrennter Aburteilung weder besser noch schlechter gestellt werden ([X.] aaO Rn. 5 mwN).

Nach der Rechtsprechung des [X.] ist diesem Rechtsgedanken auch dann Rechnung zu tragen, wenn eine im Ausland und eine im Inland begangene Straftat jedenfalls vom zeitlichen [X.]auf her gleichzeitig hätten abgeurteilt werden können; denn auch insoweit hängt die getrennte oder gemeinsame Aburteilung von Umständen ab, auf die der Angeklagte keinen Einfluss hat, wie insbesondere nationale Regelungen über den Geltungsbereich des jeweiligen Strafrechts; eine Schlechterstellung des Angeklagten ist daher nicht gerechtfertigt (vgl. [X.] aaO Rn. 6 und Beschluss vom 15. März 2000 – 1 [X.] Rn. 11).

b) Geht es um frühere Verurteilungen in einem anderen Mitgliedstaat der [X.], ergibt sich dies nunmehr auch aus der Rechtsprechung des [X.] ([X.], Urteil vom 21. September 2017 – [X.]/16 Rn. 26; ebenso Urteil vom 5. Juli 2018 – [X.]/16 Rn. 26 ff.). Hiernach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass frühere in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen in gleichem Maße bei der Strafzumessung berücksichtigt werden wie nach innerstaatlichem Recht im Inland erfolgte frühere Verurteilungen (vgl. [X.], Urteile vom 21. September 2017 – [X.]/16 Rn. 26 und vom 5. Juli 2018 – [X.]/16 Rn. 28). Dieser Grundsatz soll stets und ohne weitere Bedingungen gelten. Daher kann es für die Frage der Berücksichtigung [X.] Verurteilungen auch nicht – wie vor den genannten Urteilen des [X.] in der Rechtsprechung des [X.] teilweise vertreten (vgl. insbesondere [X.], Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 [X.]) – darauf ankommen, ob für die im Ausland begangenen und abgeurteilten Taten auch ein Gerichtsstand in [X.] eröffnet gewesen wäre (so bereits [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 1 [X.] Rn. 6; ebenso nunmehr [X.], Beschlüsse vom 28. Januar 2020 – 4 StR 599/19 und vom 3. Juli 2019 – 4 StR 256/19).

3. Aus der von dem [X.] geforderten Gleichsetzung inländischer und ausländischer Strafen bei der Strafzumessung folgt aus Sicht des Senats darüber hinaus, dass bei der Verhängung einer zeitigen Freiheitsstrafe die – nach diesem „stets und ohne weitere Bedingungen geltenden“ Grundsatz – an sich gebotene Gesamtstrafenbildung im Falle von [X.] Vorverurteilungen bei der Strafzumessung konkret – durch eine Bezifferung des Nachteils – vorzunehmen ist. Der bislang vorgenommene unbezifferte Härteausgleich dürfte diesem – gleichsam absolut formulierten – Grundsatz nicht ausreichend Rechnung tragen. Dafür sind folgende Überlegungen maßgeblich:

a) Der [X.] bezieht sich in seinem Urteil vom 21. September 2017 (Rn. 25 ff.; ebenso [X.], Urteil vom 5. Juli 2018 – [X.]/16 Rn. 27 ff.) auf den Rahmenbeschluss 2008/675 des Rates der [X.] vom 24. Juli 2008 ([X.]. [X.] 2008 Nr. [X.], [X.] ff.), in dem festgelegt wird, unter welchen Voraussetzungen frühere Verurteilungen, die in einem Mitgliedstaat gegen eine Person ergangen sind, in einem neuen Strafverfahren gegen dieselbe Person in einem anderen Mitgliedstaat wegen einer anderen Tat zu berücksichtigen sind (Art. 1 Abs. 1 Rahmenbeschluss).

Nach Art. 3 Abs. 1 dieses Rahmenbeschlusses unter Berücksichtigung des [X.] fünf dieses Beschlusses haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass dabei frühere, in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen, zu denen im Rahmen geltender Rechtsinstrumente über die Rechtshilfe oder den Austausch von Informationen aus [X.] Auskünfte eingeholt wurden, zum einen in dem Maß berücksichtigt werden wie nach innerstaatlichem Recht im Inland ergangene frühere Verurteilungen und dass ihnen zum anderen gleichwertige tatsächliche beziehungsweise verfahrens- oder materiell-rechtliche Wirkungen zuerkannt werden wie nach diesem Recht im Inland ergangene frühere Verurteilungen (vgl. [X.], Urteile vom 21. September 2017 – [X.]/16 Rn. 26 und vom 5. Juli 2018 – [X.]/16 Rn. 28). Diese Verpflichtung gilt gemäß Art. 3 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses im Stadium vor dem Strafverfahren, im Strafverfahren selbst und bei der Strafvollstreckung insbesondere im Hinblick auf die anwendbaren Verfahrensvorschriften einschließlich der Vorschriften über die rechtliche Einordnung des Tatbestands, Art und Umfang der Strafe sowie die Vollstreckungsvorschriften. Damit ergibt sich aus den Erwägungsgründen zwei und sieben dieses Rahmenbeschlusses, dass das innerstaatliche Gericht, auch, um die Einzelheiten des Strafvollzugs entsprechend festlegen zu können, die in den anderen Mitgliedstaaten ergangenen Verurteilungen heranziehen können muss und dass diese Verurteilungen in jeder dieser Phasen des Verfahrens gleichwertige Wirkungen entfalten sollten wie im Inland ergangene Entscheidungen ([X.], Urteile vom 21. September 2017 – [X.]/16 Rn. 27 und vom 5. Juli 2018 – [X.]/16 Rn. 29).

Der Rahmenbeschluss 2008/675 wurde mit Gesetz vom 2. Oktober 2009 (Umsetzungsgesetz [X.] Einziehung und Vorverurteilungen) in [X.] umgesetzt ([X.] I 2009 Nr. 66, [X.]14 ff.). Dabei wurde allerdings vom Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 3 des Rahmenbeschlusses kein Änderungsbedarf gesehen, da ein Ausgleich für die infolge der getrennten Aburteilung entstehende Härte bereits von der Rechtsprechung praktiziert werde (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des [X.]n Bundestages vom 1. Juli 2009, BT-Drucks. 16/13673, S. 5).

b) Aus der vom [X.] nunmehr vorgenommenen Auslegung des Rahmenbeschlusses 2008/675 folgt nach Auffassung des Senats, dass die Art und Weise der Berücksichtigung [X.] Vorverurteilungen möglichst weitgehend derjenigen inländischer Vorverurteilungen anzugleichen ist.

Im Falle einer inländischen Vorverurteilung wäre – so auch im vorliegenden Fall – nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden; dies scheidet jedoch bei ausländischen Vorverurteilungen – wie bereits dargelegt – aus. Um einer – nachträglichen – Gesamtstrafenbildung, bei der aus konkret bezifferten Einzelstrafen – durch Erhöhung der höchsten Einzelstrafe – eine ebenfalls konkret zu beziffernde Gesamtstrafe gebildet wird (§§ 54, 55 StGB), möglichst nahe zu kommen, ist es aus Sicht des Senats erforderlich, den aus der fehlenden Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung resultierenden Nachteil konkret auszuweisen und von der neu zu verhängenden (Gesamt-)Strafe in Abzug zu bringen. Dafür spricht, dass es sich bei der Gesamtstrafenbildung um einen eigenständigen, gesamtstrafenspezifischen [X.] handelt (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 12. November 2019 – 1 StR 415/19 Rn. 3; Urteil vom 24. August 2016 – 2 [X.] Rn. 20; jeweils mwN), der grundsätzlich auch isoliert anfechtbar ist ([X.], Urteile vom 28. Februar 2013 – 4 StR 537/12 Rn. 6; vom 28. März 2012 – 2 StR 16/12 Rn. 7 und vom 8. September 1999 – 3 [X.] Rn. 3). Für die Bemessung der nachträglich zu bildenden Gesamtstrafe gelten die Grundsätze des § 54 StGB (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juli 2003 – 2 [X.] Rn. 5; [X.][X.], StGB, 13. Aufl., § 55 Rn. 30; [X.], StGB, 67. Aufl., § 55 Rn. 14).

Auf welche Weise der Tatrichter den Ausgleich konkret bestimmt, steht dabei in seinem Ermessen. Er kann den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der früheren Strafe ausscheidet, unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe – unter Bezifferung des abzuziehenden Teils – berücksichtigen oder etwa auch von einer unter Heranziehung der ausländischen Strafe gebildeten „fiktiven Gesamtstrafe“ ausgehen und diese um die ausländische Strafe mindern. Erforderlich ist nur, dass er einen angemessenen Ausgleich vornimmt und diesen – vergleichbar der Gesamtstrafenbildung nach §§ 54, 55 StGB – in den Urteilsgründen beziffert und begründet. Dadurch wird die Transparenz hinsichtlich des gewährten Nachteilsausgleichs, aber auch bezüglich der Straffestsetzung insgesamt erhöht. Dies ermöglicht auch die gebotene Überprüfung der „Gesamtstrafenbildung“ durch das Revisionsgericht.

c) Für die Bemessung des Nachteilsausgleichs gilt Folgendes:

aa) Eine vollständige Anrechnung der ausländischen Strafen ist grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Januar 2010 – 2 [X.] Rn. 9; vgl. auch [X.], Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 5 [X.], [X.]St 54, 259 Rn. 13; [X.], [X.], 132, 134). Entscheidend für den Umfang des Ausgleichs ist vielmehr der durch die Unmöglichkeit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung tatsächlich eintretende Nachteil ([X.] aaO mwN). Es ist Sache des Tatrichters, diesen im Rahmen der Strafzumessung zu bestimmen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die auch bei einer Gesamtstrafenbildung aus inländischen Strafen maßgeblichen Strafzumessungskriterien zu beachten, so dass der einer ausländischen Vorverurteilung zugrundeliegende Sachverhalt in der Regel ebenso wie der [X.] festzustellen sind. Auch der Umstand einer Aussetzung der ausländischen (Freiheits-)Strafe zur Bewährung wird bei der Bestimmung des Nachteils in den Blick zu nehmen sein.

bb) Demgegenüber wird es im Regelfall nicht erforderlich sein, das Gewicht des durch ihre Vollstreckung drohenden Übels dadurch näher zu bestimmen, dass die ausländische [X.] und die tatsächliche Praxis und die Bedingungen vor Ort – namentlich die Strafaussetzungspraxis, die Strafvollzugsbedingungen oder etwaige Amnestieregelungen – näher in den Blick genommen werden. Denn – wie der [X.] ausgeführt hat – ist die ausländische Strafe grundsätzlich so zu berücksichtigen wie sie von dem [X.]-Mitgliedstaat verhängt wurde (vgl. [X.], Urteile vom 21. September 2017 – [X.]/16 Rn. 36 ff., 44 ff. und vom 5. Juli 2018 – [X.]/16 Rn. 38 ff., 45). Eine – wie auch immer ausgestaltete – Transformation in das [X.] Recht findet nicht statt (vgl. [X.] aaO).

Hintergrund ist, dass mit dem Rahmenbeschluss 2008/675, wie in seinem zweiten Erwägungsgrund ausgeführt wird, der in Art. 82 Abs. 1 A[X.]V vorgesehene Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen in Strafsachen umgesetzt werden soll (vgl. [X.], Urteile vom 21. September 2017 – [X.]/16 Rn. 36 und vom 5. Juli 2018 – [X.]/16 Rn. 38; näher zum Anerkennungsprinzip: [X.], [X.], S. 132 ff.). Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen beruht seinerseits auf dem Prinzip wechselseitigen Vertrauens in die Grundrechtskonformität des Verhaltens sämtlicher Mitgliedstaaten (vgl. [X.] aaO S. 225 ff.; [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., Einleitung Rn. 107). Beiden Grundsätzen kommt im Unionsrecht fundamentale Bedeutung zu, da sie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglichen (vgl. [X.], Urteil vom 12. Dezember 2019 – [X.]/19 [X.] Rn. 33). Die gegenseitige Anerkennung beruht auf der Prämisse, dass zwischen den Mitgliedstaaten ein gegenseitiges Vertrauen besteht im Sinne der Gewissheit, dass alle [X.] Bürger Zugang zu einem Justizwesen haben, das hohe Qualitätsnormen erfüllt (vgl. Schlussanträge vom 11. April 2019 – [X.]/17 Rn. 79). Folglich verlangt sie, dass die Mitgliedstaaten, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten die im Unionsrecht anerkannten Grundsätze beachten, und impliziert, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sein können, die Beachtung der Grundrechte durch die übrigen Mitgliedstaaten zu unterstellen ([X.], Urteil vom 12. Dezember 2019 – [X.]/19 [X.] Rn. 33 mwN; Schlussanträge aaO). Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar (Schlussanträge aaO Rn. 80; vgl. den Hinweis auf den Grundrechtsschutz in Art. 1 Abs. 2 und Erwägungsgrund 12 Rahmenbeschluss 2008/675).

cc) Die [X.] Prinzipien der gegenseitigen Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens gebieten es daher, von der Einhaltung gemeinsamer Mindeststandards durch die [X.]-Mitgliedstaaten und einer grundsätzlichen Vergleichbarkeit der [X.] [X.]en in dem einheitlichen Rechtsraum auszugehen. Nur wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Vergleichbarkeit im Einzelfall nicht gegeben ist, hat das Tatgericht hinsichtlich der Strafaussetzungspraxis, der Strafvollzugsbedingungen oder auch etwaiger Amnestieregelungen weitergehende Feststellungen zu treffen.

4. Die Strafzumessung des [X.]s genügt diesen Anforderungen nicht, indem es die noch nicht vollstreckten Strafen gar nicht in seine Betrachtung einbezogen, sondern lediglich die in [X.] – in der Vergangenheit von 2005 bis 2012 – verbüßte Haft zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat. Das neue Tatgericht wird daher den Nachteil, den der Angeklagte durch die (zusätzlich) drohende Vollstreckung der durch das Urteil des [X.] vom 7. Juli 2015 u.a. verhängten Freiheitsstrafen von zwei Jahren und von vier Monaten (Verurteilung Nr. 11 des [X.]) zu erwarten hat, in den Blick zu nehmen haben. Um den aus der fehlenden Möglichkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung resultierenden Nachteil bemessen zu können, sind konkrete Feststellungen zu dieser Vorverurteilung notwendig.

Raum     

      

Jäger     

      

Bär     

      

Hohoff     

      

Leplow     

      

Meta

1 StR 15/20

23.04.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 2. Oktober 2019, Az: 202 Js 111628/01 - 3 KLs

§ 46 Abs 2 StGB, § 54 Abs 1 S 2 StGB, § 55 Abs 1 StGB, Art 3 Abs 1 EURaBes 675/2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.04.2020, Az. 1 StR 15/20 (REWIS RS 2020, 755)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 755

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