Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.04.2012, Az. B 13 R 347/11 B

13. Senat | REWIS RS 2012, 7290

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Vergleichsberechnung einer gezahlten zwischenstaatlichen Rente


Leitsatz

Bei der innerstaatlichen Berechnung der Rente nach dem europäischen Koordinationsrecht beginnt der belegungsfähige Gesamtzeitraum für die Gesamtleistungsbewertung bereits mit Vollendung des 17. Lebensjahrs, selbst wenn der Versicherte erst danach nach Deutschland gekommen ist.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 21. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Im Streit steht die Höhe der dem Kläger bewilligten Regelaltersrente.

2

Der 1940 geborene Kläger ist [X.] Staatsangehöriger; er hat zunächst in seinem Heimatland und seit Mai 1973 in [X.] Versicherungszeiten zur Rentenversicherung erworben. Ab Oktober 2000 gewährte ihm die Beklagte auf seinen Rentenantrag eine - ausschließlich nach innerstaatlichem Recht berechnete - Altersrente wegen Arbeitslosigkeit als vorläufige Leistung.

3

Nachdem der Kläger eine Bescheinigung des [X.] Versicherungsträgers vom 15.11.2001 über Beitragszeiten von 1964 bis 1966 vorgelegt hatte, stellte die Beklagte die Regelaltersrente des [X.] neu und endgültig in Höhe von monatlich [X.] 417,84 fest (Bescheid vom [X.] und Widerspruchsbescheid vom [X.]). Dem lag die - im Vergleich zur innerstaatlichen höhere - zwischenstaatliche Berechnung nach Art 46 Abs 2 EWGV 1408/71 zugrunde. Klage und Berufung des [X.] blieben erfolglos (Urteile des [X.] vom 29.1.2004 und des L[X.] vom 21.9.2005). Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] hat der Senat mit Beschluss vom 12.12.2006 das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das [X.] zurückverwiesen. Das [X.] hat eine vom [X.] Rentenversicherungsträger ausgestellte Bescheinigung [X.] PT vom 10.2.2010 (in der neben den bereits berücksichtigten 27 Monaten Beitragszeiten weitere 27 Monate sowie eine Ergänzungszeit von 20 Monaten bestätigt worden waren) beigezogen; auf dieser Grundlage stellte die Beklagte die Rente des [X.] neu in Höhe von monatlich [X.] 452,54 ab dem [X.] fest sowie eine Nachzahlung von [X.] 663,87 für die [X.] vom 1.1.2006 bis zum [X.] (Bescheid vom 1.4.2010). Auch dieser Neuberechnung lag die (höhere) zwischenstaatliche Berechnung nach Art 46 Abs 2 EWGV 1408/71 zugrunde. Bei der rein innerstaatlichen Vergleichsberechnung nach Art 46 Abs 1 Buchst a Ziff [X.] 1408/71 ging die Beklagte im Rahmen der [X.] nach § 72 Abs 2 S 1 [X.] von einem belegungsfähigen Gesamtzeitraum ab dem vollendeten 17. Lebensjahr des [X.] aus.

4

Das [X.] hat die Berufung gegen das Urteil des [X.] vom 29.1.2004 erneut zurückgewiesen (Urteil vom 21.6.2011): [X.] vom 1.4.2010 sei nach § 96 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Eine höhere als die mit diesem Bescheid zuerkannte Rente stehe dem Kläger nicht zu. Die Beklagte habe alle mitgeteilten [X.] Versicherungszeiten berücksichtigt. Weitere Beitragszeiten seien nicht ersichtlich und ergäben sich auch nicht aus dem Vortrag des [X.]. Die Berechnung der Beklagten sei zutreffend. Dies gelte sowohl für den eigentlichen Rechenvorgang als auch für die Grundannahme, dass bei der Vergleichsberechnung nach innerstaatlichem Recht der belegungsfähige Gesamtzeitraum nach § 72 Abs 2 [X.] die [X.] vom vollendeten 17. Lebensjahr bis zum Kalendermonat vor Beginn der zu berechnenden Rente unabhängig davon umfasse, wo diese zurückgelegt worden sei. Aus Art 46 Abs 1 EWGV 1408/71 folge nicht, dass für die rein innerstaatliche Rentenberechnung lediglich die [X.]räume als belegungsfähig herangezogen werden dürften, die der Versicherte im Inland zurückgelegt habe (Hinweis auf [X.] Rheinland-Pfalz vom [X.] RJ 15/03). Auch die zwischenstaatliche Berechnung habe die Beklagte zutreffend durchgeführt.

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des [X.]. Er beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] hat keinen Erfolg.

7

1. Sie ist unbegründet, soweit der Kläger folgende Rechtsfrage als grundsätzlich bedeutsam bezeichnet:

"Sind bei der innerstaatlichen Berechnung gemäß Art 52 Abs 1 Buchst a [X.] 883/2004 bzw Art 46 Abs 1 EWGV 1408/71 [X.]en im [X.] gemäß § 72 [X.] nicht belegungsfähig?"

8

Hierzu trägt der Kläger vor, zu diesem Problem liege keine Entscheidung des [X.] vor. Lediglich das [X.] Rheinland-Pfalz habe im Urteil vom [X.] (L 6 RJ 15/03) die Problematik behandelt und angenommen, es sei nicht zu beanstanden, dass in die Berechnung des belegungsfähigen Gesamtzeitraums nach § 72 [X.] auch die im [X.] zurückgelegten [X.]en des Versicherten einbezogen würden. Im Rahmen der bei der innerstaatlichen Berechnung durchzuführenden [X.] umfasse der belegungsfähige Gesamtzeitraum nach § 72 Abs 2 [X.] die [X.] vom vollendeten 17. Lebensjahr des [X.] bis zum Kalendermonat vor Beginn der zu berechnenden Rente. Nicht belegungsfähig nach § 72 Abs 3 [X.] seien Kalendermonate mit beitragsfreien [X.]en, die nicht auch Berücksichtigungszeiten seien sowie Bezugszeiten einer Rente. [X.] [X.]en würden umso höher bewertet, je geringer der belegungsfähige Gesamtzeitraum sei. Würde daher bei der Bewertung der beitragsfreien und beitragsgeminderten [X.]en lediglich auf den [X.]raum ab dem Beginn der Beschäftigung des [X.] in [X.] (Mai 1973) abgestellt (und nicht auf die [X.] ab dem 17. Lebensjahr), wären die beitragsfreien und beitragsgeminderten [X.]en höher zu bewerten; denn dann wäre der belegungsfähige Gesamtzeitraum kürzer. Es stelle sich die Frage, ob die Regelung in § 72 [X.] in der Auslegung des [X.] nicht zu einer unzulässigen [X.] werde.

9

Aus dieser Argumentation ergibt sich jedoch kein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf:

Selbst wenn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in Bezug auf die Bemessung des belegungsfähigen Gesamtzeitraums bei der innerstaatlichen Berechnung den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 [X.]) genügen sollte (§ 160a Abs 2 S 3 SGG), ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu verneinen.

a) Denn die Antwort auf die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ergibt sich zweifelsfrei aus dem Gesetz:

Bei der (im Rahmen der Vergleichsberechnung nach Art 46 EWGV 1408/71 als Zwischenschritt durchzuführenden) rein innerstaatlichen Berechnung nach Art 46 Abs 1 Buchst a Ziff [X.] 1408/71 erfolgt die Berechnung allein nach den für die Rentenberechnung maßgeblichen innerstaatlichen, dh im vorliegenden Fall [X.] Rechtsvorschriften. Hieran zweifelt auch der Kläger nicht. Im [X.] Recht sind bei der Rentenberechnung - soweit für die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage von Belang - die Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte [X.]en im Rahmen der [X.] nach den §§ 71 ff [X.] festzustellen. Hierbei umfasst (im Fall einer Altersrente) nach § 72 Abs 2 S 1 Nr 1 [X.] der belegungsfähige Gesamtzeitraum die [X.] vom vollendeten 17. Lebensjahr bis zum Kalendermonat vor Beginn der Rente. Der Wortlaut des Gesetzes knüpft mithin für die Bestimmung des Beginns des belegungsfähigen Gesamtzeitraums an ein bestimmtes Alter des Versicherten an und nicht an seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Versicherung oder an seinen Aufenthaltsort.

Bei der Berechnung der Rentenhöhe für beitragsfreie [X.]en ([X.] nach §§ 71 ff [X.]) entfallen auf die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten [X.]en keine Beiträge (§ 71 Abs 1 S 1 [X.]); sie sind infolgedessen versicherungsrechtliche Lücken und mindern als solche den Gesamtleistungswert (vgl [X.] in juris-PraxisKomm [X.], 2. Aufl 2011, Art 57 VO 883/2004 RdNr 15). Vom belegungsfähigen Gesamtzeitraum als nicht belegungsfähig abzuziehen sind nach § 72 Abs 3 Nr 1 [X.] lediglich Kalendermonate mit beitragsfreien [X.]en (§ 54 Abs 4 [X.]), die nicht auch Berücksichtigungszeiten sind (§ 57 [X.]), und nach [X.] [X.]en, in denen eine Rente aus eigener Versicherung bezogen worden ist, die nicht auch Beitragszeiten oder Berücksichtigungszeiten sind. Ein Auslandsaufenthalt und dort ggf absolvierte rentenversicherungsrechtliche [X.]en sind hingegen weder für [X.] noch für ausländische Staatsangehörige vom belegungsfähigen Gesamtzeitraum ausgenommen. Eine gesetzliche Grundlage für eine Einschränkung dieses [X.]raums auf [X.]en, in denen sich der Versicherte im Inland aufgehalten hat, ist nicht ersichtlich und wird auch vom Kläger nicht dargelegt.

Hierin liegt - entgegen der Meinung des [X.] - keine europarechtlich bedenkliche "[X.]". Bei der rein innerstaatlichen Berechnung handelt es sich lediglich um einen Zwischenschritt bei der Feststellung der konkreten Rentenhöhe. Sinn und Zweck der innerstaatlichen Vergleichsberechnung ist es, zu verhindern, dass das Gemeinschaftsrecht dem Versicherten eine Rente entzieht, die ihm bereits nach nationalem Recht zusteht (sog Petroni-Prinzip, vgl hierzu [X.] Urteil vom 21.10.1975 - [X.]/75 - [X.]E 1975, 1149). Führt die unter Berücksichtigung der ausländischen Versicherungszeiten durchzuführende zwischenstaatliche Berechnung - wie in den Bescheiden vom [X.] und 1.4.2010 beim Kläger - zu einem höheren Rentenbetrag, ist dieser maßgeblich. Die [X.] 883/2004 hat hieran in der Sache nichts geändert (vgl nunmehr Art 52 [X.] 883/2004).

b) Diese Antwort auf die Rechtsfrage 1 entspricht auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung: Denn zum Ende des belegungsfähigen Gesamtzeitraums hat der 5. Senat des [X.] bereits entschieden, dass der Aufenthalt im Ausland einer Einbeziehung in den belegungsfähigen Gesamtzeitraum nach § 72 Abs 2 S 1 [X.] nicht entgegen steht ([X.] SozR 4-2600 § 72 [X.] RdNr 15 ff). Für den Beginn dieses [X.]raums gilt nichts Abweichendes.

2. Der Kläger hat zur zwischenstaatlichen Berechnung die Fragen aufgeworfen, ob gemäß § 54 [X.] die in [X.] zuerkannten

(a) [X.]en "für die Erlangung des Anspruchs" oder die "für die Errechnung der Leistung" als Beitragszeiten

(b) Ergänzungszeiträume nach den og [X.]en als "gleichgestellte [X.]en" zu berücksichtigen seien.

Insoweit ist jedoch die Nichtzulassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil sie die Darlegungserfordernisse (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) nicht erfüllt.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (stRspr; vgl zum Ganzen [X.] vom [X.], [X.]-1500 § 160a [X.] mwN). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen, letzteres jedoch nur, soweit sich nicht bereits aus der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit die behauptete Breitenwirkung ergibt.

Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung hinsichtlich der og Frage (b) schon deshalb nicht, weil sie deren Klärungsbedürftigkeit in keinerlei Hinsicht erläutert. Ebenso wenig kann ausreichen, dass der Kläger zur Frage (a) lediglich ausführt, das [X.] habe ohne Begründung lediglich die [X.]en "für die Erlangung des Anspruchs" zugrunde gelegt; vom [X.] sei die Frage noch nicht entschieden worden. Es fehlt an jeglicher Darlegung, welche Rechtsvorschriften einschlägig sind und ob sich nicht schon anhand derer die gestellte Frage beantwortet. Damit kann noch nicht einmal beurteilt werden, ob die Rechtsfrage Bundesrecht oder europäisches Recht, also gemäß § 162 SGG revisibles Recht (zum Europarecht vgl [X.] vom [X.], [X.]E 82, 159, 196 unter Hinweis auf [X.] vom 12.6.1970, [X.]E 35, 277 Leits 2) betrifft oder nicht revisibles ausländisches ([X.]) Recht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Meta

B 13 R 347/11 B

17.04.2012

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Hamburg, 29. Januar 2004, Az: S 9 RJ 317/02, Urteil

§ 71 SGB 6, § 72 SGB 6, Art 46 EWGV 1408/71, Art 52 EGV 883/2004, § 160a SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.04.2012, Az. B 13 R 347/11 B (REWIS RS 2012, 7290)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7290

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