Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.07.2015, Az. B 9 SB 17/15 B

9. Senat | REWIS RS 2015, 7978

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Gegenstand

(Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Verzicht auf mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG - prozessuale Situation - Absehen von einer mündlichen Verhandlung nach § 153 Abs 4 SGG - schwierige Rechtsfrage - Unanwendbarkeit des § 96 SGG auf spätere Ablehnungsbescheide - Amtsermittlungspflicht - Darlegungsanforderungen)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 19. November 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und [X.]. [X.]ei dem Kläger waren zuletzt ein Grad der [X.]ehinderung (Gd[X.]) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen G festgestellt. Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und [X.] lehnte der [X.]eklagte (auch) in der Folge ab ([X.]escheid vom 17.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 29.9.2011). Im Klageverfahren holte das [X.] ein Sachverständigengutachten nach Aktenlage ein, nachdem der Kläger die Untersuchung abgebrochen hatte und ein [X.]efangenheitsantrag gegen den Sachverständigen ohne Erfolg war, und wies anschließend die Klage ab (Gerichtsbescheid vom 6.3.2014). Die [X.]erufung wies das L[X.] mit Einverständnis der [X.]eteiligten ohne mündliche Verhandlung zurück und führte zur [X.]egründung ua aus, der Kläger habe auf die mündliche Verhandlung verzichtet, sodass im schriftlichen Verfahren habe entschieden werden können. Ein während des Klageverfahrens ergangener weiterer Ablehnungsbescheid vom 8.10.2013 sei nicht in das Verfahren einbezogen worden, weil der Ablehnungsbescheid keine Abänderung oder Ersetzung iS des § 96 Abs 1 [X.]G darstelle. Hinweise darauf, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen vorlägen, bestünden im Übrigen nicht (Urteil vom 19.11.2014).

2

Mit seiner [X.]eschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des L[X.] und macht den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers geltend.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die [X.]egründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des [X.] nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des [X.] darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 [X.]G), so müssen bei der [X.]ezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen [X.]eweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende [X.]egründung nicht gefolgt ist. [X.] die [X.]eschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 [X.]G), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren [X.]eweisantrag bezeichnen, dem das L[X.] nicht gefolgt ist.

5

a) Der Kläger hat die behauptete Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht ausreichend bezeichnet. Die Ausführungen, dass so gut wie keine ambulante Untersuchung durchgeführt wurde, insbesondere keine kardiologische [X.]egutachtung erfolgt sei und aufgrund des Hinweises im Widerspruchsbescheid auf die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der begehrten Merkzeichen sich das L[X.] zu weiteren Ermittlungen habe gedrängt sehen müssen, sind nicht ausreichend. Maßgeblich ist vielmehr die Darlegung, im Verfahren vor dem L[X.] einen prozessordnungsgemäßen [X.]eweisantrag gestellt zu haben, dem das L[X.] ohne hinreichende [X.]egründung nicht gefolgt ist (vgl [X.][X.] [X.]eschluss vom [X.] - [X.] 9 V 8/14 [X.]). Daran fehlt es.

6

Da § 160 Abs 2 [X.] [X.]G einen [X.]eweisantrag ohne jede Einschränkung voraussetzt, muss auch ein unvertretener [X.]eteiligter zumindest sinngemäß einen hinreichend konkreten [X.]eweisantrag stellen. Dafür muss er dem [X.]erufungsgericht auch noch am Ende des Verfahrens jedenfalls laienhaft aufzeigen, welche konkreten Punkte er weiter für aufklärungsbedürftig hält und auf welche [X.]eweismittel zurückgegriffen werden soll, um den Sachverhalt weiter aufzuklären (vgl [X.][X.] [X.]eschluss vom 22.7.2010 - [X.] 13 R 585/09 [X.] - RdNr 11; [X.][X.] [X.]eschluss vom [X.] - [X.] 2 U 80/03 [X.]). Für einen solchen zumindest sinngemäß gestellten [X.]eweisantrag des [X.] enthält die [X.]eschwerdebegründung keine Darlegung.

7

b) Auch die behauptete Gehörsverletzung (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G; Art 47 Abs 2 S 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) ist nicht hinreichend dargelegt. Mit seiner [X.]eschwerdebegründung rügt der Kläger, das L[X.] habe trotz seines mit Schriftsatz vom 27.7.2014 erklärten Einverständnisses zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht im schriftlichen Verfahren entscheiden dürfen, weil die schwierige Frage der Einbeziehung des [X.]escheides vom 8.10.2013 nach Maßgabe des § 96 [X.]G im Raum gestanden habe und er deshalb im Klageverfahren noch gebeten habe, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

8

Damit hat der Kläger nicht dargelegt, dass das L[X.] verfahrensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung entschieden hätte. Die vom Kläger zuvor gegenüber dem L[X.] abgegebene Erklärung des Einverständnisses nach § 124 Abs 2 [X.]G war für ihn bindend; er konnte sie als einseitige Prozesshandlung weder anfechten noch widerrufen, da auch der [X.]eklagte zugestimmt und sich die Rechtslage nicht wesentlich geändert hatte (vgl [X.][X.] [X.]eschluss vom 11.11.2004 - [X.] 9 S[X.] 19/04 [X.] - Juris RdNr 8 mwN). Insbesondere trägt der Kläger keine wesentliche Änderung der Situation durch Übertragung auf den [X.]erichterstatter vor und kann er angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch nicht vortragen ([X.][X.] [X.]eschluss vom 29.11.2010 - [X.] 14 [X.]/10 [X.]). Die prozessuale Situation ist insoweit nicht - wie es dem Kläger offenbar vorschwebt - vergleichbar mit der des [X.] von einer mündlichen Verhandlung nach Maßgabe des § 153 Abs 4 [X.]G, die nicht vom Einverständnis der [X.]eteiligten abhängig ist. Die [X.]eschwerdebegründung belegt zudem, dass das L[X.] die Frage der Einbeziehung des [X.]escheides vom 8.10.2013 nach § 96 Abs 1 [X.]G unter [X.]erücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ([X.][X.] SozR 3-1500 § 96 [X.]) erwogen hat, wenn auch nicht im Sinne des [X.]. Ein Gehörsverstoß setzt hingegen voraus, dass das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der [X.]eteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl [X.][X.] SozR 3-1500 § 62 [X.] mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und [X.]eweisergebnisse stützt, zu denen sich die [X.]eteiligten nicht haben äußern können (vgl [X.][X.] SozR 3-1500 § 62 [X.]). Dies ist nach der [X.]eschwerdebegründung nicht der Fall.

9

c) Auch ein Verstoß gegen § 96 Abs 1 [X.]G ist nicht ausreichend bezeichnet. Denn selbst wenn der Ablehnungsbescheid vom 8.10.2013 zu Unrecht nicht in das Verfahren einbezogen worden sein sollte, versäumt die [X.]eschwerdebegründung eine Auseinandersetzung damit, wieso eine gerichtliche Entscheidung über den Antrag des [X.] auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen aG und [X.] durch Einbeziehung der erneuten negativen Entscheidung des [X.]eklagten zu seinen Gunsten hätte ausfallen können (vgl [X.][X.] SozR 3-1500 § 96 [X.]). Unabhängig davon setzt sich die [X.]eschwerdebegründung nicht mit der Rechtsprechung zur Unanwendbarkeit des § 96 [X.]G bei Ablehnungsbescheiden (vgl [X.][X.] SozR 4-1300 § 48 [X.] RdNr 27) auseinander und der dann weiteren Frage, wieso der [X.]escheid vom 8.10.2013, mit dem in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.4.2014 lediglich - vom Kläger nicht angreifbar - Merkzeichen [X.] zugesprochen wurde, in [X.]ezug auf die angefochtenen Verwaltungsakte eine Änderung oder Ersetzung darstellen könnte. Die zitierte Rechtsprechung erhellt, dass es sich bei der Frage der Einbeziehung auch nicht um eine schwierige Frage handeln konnte, die das L[X.] an einer Entscheidung nach Maßgabe des § 124 Abs 2 iVm § 153 Abs 5 [X.]G hätte hindern müssen (vgl hierzu [X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 2014, § 153 RdNr 45).

2. Die [X.]eschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

3. Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 9 SB 17/15 B

17.07.2015

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG München, 6. März 2014, Az: S 17 SB 1088/11, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 62 SGG, § 96 Abs 1 SGG, § 103 SGG, § 124 Abs 2 SGG, § 153 Abs 4 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.07.2015, Az. B 9 SB 17/15 B (REWIS RS 2015, 7978)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7978

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