Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.05.2015, Az. B 9 SB 93/14 B

9. Senat | REWIS RS 2015, 11251

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Amtsermittlung - Sachverständigengutachten - keine ausdrücklichen Angaben des Sachverständigen zu den Auswirkungen einer Gesundheitsstörung - kein erheblicher Mangel des Gutachtens - rechtliches Gehör - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 28. Oktober 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. In der Hauptsache begehrt die Klägerin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "[X.]". Bei der Klägerin waren zuletzt ein [X.]dB von 80 sowie das Merkzeichen "[X.]" festgestellt, die Feststellung eines [X.]dB von 100 sowie das Merkzeichen "[X.]" wurden hingegen abgelehnt (Bescheid vom 13.12.2011; Widerspruchsbescheid vom [X.]; Bescheid vom 21.12.2011; Widerspruchsbescheid vom 8.5.2012; Taubheit links und Schwerhörigkeit rechts, Einzel-[X.]dB 60; Augenmuskellähmung links, Einzel-[X.]dB 10; funktionelle Organbeschwerden, Kopf-Schmerz-Syndrom und Schwindel, Einzel-[X.]dB 30; Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, Einzel-[X.]dB 20; Sprechstörung, Einzel-[X.]dB 10, hyperreagibles Bronchialsystem, Einzel-[X.]dB 10; Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks, Funktionsstörung durch Zehenfehlform, Einzel-[X.]dB 10). Das S[X.] hat [X.] nach orthopädischer Begutachtung das Merkzeichen "[X.]" zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung der [X.] hat es [X.] angeführt, nach den Ausführungen des orthopädischen Sachverständigen Dr. S. bestehe durchaus ein eingeschränktes [X.]angbild, eine grenzwertige Untergewichtigkeit sowie eine mangelnde muskuläre Ertüchtigung ([X.]erichtsbescheid vom [X.]). Auf die Berufung des Beklagten hat das LS[X.] [X.] nach weiterer Begutachtung durch den Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat das LS[X.] [X.] ausgeführt, die bei der Klägerin bestehenden [X.]esundheitsstörungen führten nicht dazu, dass sie nicht mehr in der Lage wäre, ohne erhebliche Schwierigkeiten oder ohne [X.]efahren für sich oder andere eine Wegstrecke von etwa 2 km in einer Zeit von etwa 30 Minuten zurückzulegen. Die Einschätzung des orthopädischen Sachverständigen überzeuge den Senat mangels entsprechender objektivierbarer Funktionsbeeinträchtigungen nicht. Vielmehr folge er der gegenteiligen Beurteilung des Sachverständigen Dr. Sch. Dieser habe die bisher festgestellten unspezifischen Beschwerden allerdings als dem seelischen Leiden der Klägerin nicht angemessen angesehen und eine paranoide Persönlichkeitsstörung, ein Abhängigkeitssyndrom von Cannabinoiden und eine funktionelle Dysphonie diagnostiziert, abgesehen von der [X.] links indessen keine neurologischen Auffälligkeiten vorgefunden, keine Summationseffekte gesehen und hiervon ausgehend eine relevante Beeinträchtigung der [X.]ehfähigkeit nicht anzunehmen vermocht. Eine sich auf die [X.]ehfähigkeit auswirkende somatoforme Schmerzstörung lasse sich angesichts des [X.] von den [X.]utachtern beschriebenen final und bewusst aggravierenden Verhaltens der Klägerin nicht feststellen (Urteil vom 28.10.2014).

2

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LS[X.] und macht den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers geltend.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des [X.] nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 S[X.][X.]).

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] Halbs 1 S[X.][X.]), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 S[X.][X.]) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. [X.]emäß § 160 Abs 2 [X.] S[X.][X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 S[X.][X.] nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LS[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. [X.] die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 S[X.][X.]), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LS[X.] nicht gefolgt ist.

5

a) Die Klägerin hat die behauptete Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 S[X.][X.]) nicht ausreichend bezeichnet. Soweit ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht ( § 103 S[X.][X.] ) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LS[X.] nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LS[X.], auf [X.]rund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LS[X.] auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LS[X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BS[X.] SozR 4-1500 § 160a [X.] RdNr 4, 5). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

6

Selbst wenn sie einen schriftlichen Beweisantrag (vom 17.8.2014) bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrecht erhalten haben sollte (vgl BS[X.] Beschluss vom 5.8.2014 - [X.] SB 36/14 B - Juris RdNr 5 mwN), versäumt die Klägerin jedenfalls eine hinreichende Beschäftigung mit der weiteren Voraussetzung, weshalb sich das LS[X.] angesichts der vorliegenden Sachverständigengutachten zu einem Obergutachten hätte gedrängt sehen sollen. Eine Verpflichtung zur Einholung eines sog [X.] besteht auch bei einander widersprechenden [X.]utachtensergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das [X.]ericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das [X.]ericht eines von mehreren [X.]utachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres [X.]utachten einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum. [X.]ründe für eine Ausnahme sind hier nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere [X.]utachten vor, ist das [X.] nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen [X.]utachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des [X.]utachters geben (BS[X.] SozR 4-1500 § 160a [X.] RdNr 9 mwN). Derartige Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen; sie hat insbesondere nicht aufgezeigt, dass sich die den verschiedenen [X.]utachten zu [X.]runde gelegten Tatsachen widersprechen (vgl BS[X.] SozR 4-1500 § 160a [X.] RdNr 8, 9).

7

Dies gilt vornehmlich für die behaupteten Widersprüchlichkeiten im Zusammenhang mit der Abducensparese links. Der Umstand, dass der Sachverständige Dr. Sch. nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung die (seit 1983) bekannte [X.]esundheitsstörung zwar gelistet, daraus aber keine Funktionsbeeinträchtigung abgeleitet hat, bedeutet angesichts der von [X.] unveränderten Bewertung mit einem Einzel-[X.]dB von 10 im Kontext des hier allein streitgegenständlichen Merkzeichens "[X.]" keinen unauflösbaren Widerspruch. Die Beschwerdebegründung verweist insoweit selbst auf ein stellvertretend Bezug genommenes anderes [X.]utachten, dem keine Befunde des neurologischen Formenkreises zu entnehmen seien, die sich sozialmedizinisch relevant einschränkend auf die [X.]ehfähigkeit auswirken würden. Dementsprechend fehlt weder eine Aussage zu etwaigen Summationseffekten noch eine Antwort auf die [X.], sondern nur eine Aussage zugunsten der Klägerin. Daraus ergibt sich allerdings noch kein erheblicher Mangel des [X.]utachtens.

8

Soweit die Beschwerdebegründung darüber hinaus auf Widersprüchlichkeiten zwischen orthopädischem und [X.] [X.]utachten verweist, zeigt sie insbesondere nicht auf, dass sich die den verschiedenen [X.]utachten zu [X.]runde gelegten Tatsachen widersprechen. Stattdessen beanstandet sie die unterschiedlichen Schlussfolgerungen, die die beiden Sachverständigen aus den vorliegenden [X.]esundheitsstörungen, insbesondere der fachlich unspezifischen Symptomatik eines grenzwertigen Untergewichts und der mangelnden Ertüchtigung der Muskulatur herleiten, nachdem speziell auch der neurologisch-psychiatrische Sachverständige eine Myopathie nicht sichern konnte. Dementsprechend konnte die weitere Begutachtung durch einen Obergutachter lediglich dazu dienen, die Schlussfolgerungen in Frage zu stellen, die der neurologisch-psychiatrische Sachverständige aus den erhobenen Befunden gezogen hatte; sie war nicht auf die Feststellung bisher etwa unberücksichtigt gebliebener [X.]esundheitsstörungen gerichtet. Unter diesen Umständen stellt sich die angebliche Aufklärungsrüge in Wirklichkeit als ein durch § 160 Abs 2 [X.] Alt 1 S[X.][X.] ausgeschlossener Angriff auf die Beweiswürdigung dar.

9

b) Auch die zugleich behauptete [X.]ehörsverletzung (Art 103 Abs 1 [X.][X.], § 62 S[X.][X.]; Art 47 Abs 2 S 1 Charta der [X.]rundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) ist nicht hinreichend dargelegt. Ein solcher Verstoß liegt [X.] vor, wenn das [X.]ericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BS[X.] SozR 3-1500 § 62 [X.] mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BS[X.] SozR 3-1500 § 62 [X.]). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin behauptet keine Tatsachen und Beweisergebnisse, zu denen sie sich nicht äußern konnte. Sie beanstandet, dass das LS[X.] dem neurologisch-psychiatrischen und nicht dem orthopädischen [X.]utachten gefolgt ist. Der sinngemäß auch hier verbleibende Vorwurf fehlerhafter Beweiswürdigung ist nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu begründen (s oben). Ebenso wenig ist eine behauptete Fehlerhaftigkeit der Entscheidung [X.]egenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BS[X.] SozR 1500 § 160a Nr 7).

2. Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, etwa zu einer psychischen [X.]ehstörung (vgl LS[X.] Nordrhein-Westfalen Urteil vom 16.10.2013 - L 10 SB 154/12, Revision anhängig unter [X.] SB 1/14 R) wirft die Beschwerdebegründung nicht auf.

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 S[X.][X.]).

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 S[X.][X.]).

5. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 S[X.][X.].

Meta

B 9 SB 93/14 B

12.05.2015

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Mannheim, 9. August 2013, Az: S 4 SB 2001/12, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 Alt 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 103 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.05.2015, Az. B 9 SB 93/14 B (REWIS RS 2015, 11251)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 11251

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