Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.06.2012, Az. 5 B 5/12

5. Senat | REWIS RS 2012, 5567

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Gegenstand

Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht; Sachkunde des Gerichts; Hinweispflicht; Bindung an erstinstanzliche Feststellungen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 14. September 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 14 672,03 € festgesetzt.

Gründe

1

1. Die auf die Zulassungsgründe eines [X.] (a) und der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (b) gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

a) [X.]ach § 132 Abs. 2 [X.]r. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die von dem Kläger erhobenen Verfahrensrügen verhelfen der [X.]eschwerde nicht zum Erfolg.

3

aa) Die Revision ist nicht wegen des geltend gemachten Verstoßes gegen die dem Gericht nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung zuzulassen.

4

Eine angebliche Verletzung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts ist unter anderem nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn im Einzelnen dargetan wird, welche Tatsachen auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig gewesen wären, welche [X.]eweismittel zu welchen [X.]eweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese [X.]eweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das angefochtene Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass auf die Erhebung der [X.]eweise vor dem [X.] durch Stellung förmlicher [X.]eweisanträge hingewirkt worden ist oder - sollte dies nicht der Fall gewesen sein - aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Sachaufklärung dem Gericht hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. z.[X.]. [X.]eschlüsse vom 13. Januar 2009 - [X.]VerwG 9 [X.] - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO [X.]r. 372 S. 18 <20> und vom 5. März 2010 - [X.]VerwG 5 [X.] 7.10 - [X.] 310 § 133 VwGO [X.]r. 94 S. 11 m.w.[X.]). Dem trägt die [X.]eschwerde nicht ausreichend Rechnung.

5

Der Kläger ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe deshalb gegen die Sachaufklärungspflicht verstoßen, weil es ohne Erhebung eines [X.] angenommen habe, in der ehemaligen [X.] habe es keinen "inoffiziellen Grundstücksmarkt" gegeben. Einen auf die Erhebung des vermissten [X.] gerichteten [X.]eweisantrag hat der Kläger nicht gestellt. Es ist auch mit [X.]lick auf die Darlegungen in der [X.]eschwerdebegründung nicht erkennbar, dass sich dem Verwaltungsgericht die Erhebung des [X.] hätte aufdrängen müssen. Das Verwaltungsgericht hat aus dem Umstand, dass nach damaliger Rechtslage in der ehemaligen [X.] Rechtsgeschäfte, die die Übertragung des Eigentums an Grundstücken betrafen, genehmigungspflichtig gewesen seien und diese Genehmigung auch die preisrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung umfasst habe, geschlossen, dass es den vom Kläger behaupteten "inoffiziellen Grundstücksmarkt" nicht gegeben habe. Daran gemessen musste sich dem Gericht eine [X.]eweiserhebung insoweit nicht aufdrängen.

6

Eine Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung ist auch nicht deshalb zu besorgen, weil - wie der Kläger unter dem Gesichtspunkt der Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs beanstandet - sich das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Frage des [X.]estehens eines "inoffiziellen Grundstücksmarkts" einer eigenen Sachkunde berühmt hätte, die es offensichtlich nicht besitzt.

7

Das [X.] entscheidet über die Art der heranzuziehenden [X.]eweismittel und den Umfang der [X.]eweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen (vgl. [X.]eschluss vom 4. [X.]ovember 2008 - [X.]VerwG 2 [X.] 19.08 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO [X.]r. 370 Rn. 11 m.w.[X.]). Es steht im tatrichterlichen Ermessen der Vorinstanz, darüber zu befinden, ob es zur Entscheidung des Rechtsstreits die Hilfe eines Sachverständigen benötigt. Die [X.] kann nur dann als [X.] beanstandet werden, wenn das Gericht für sich eine ihm unmöglich zur Verfügung stehenden Sachkunde in Anspruch nimmt oder wenn es sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es für die [X.]eteiligten und für das zur [X.]achprüfung berufene Revisionsgericht überzeugend darlegt, dass ihm das erforderliche Fachwissen in genügendem Maße zur Verfügung steht (stRspr, vgl. z.[X.]. [X.]eschlüsse vom 14. September 1992 - [X.]VerwG 7 [X.] 130.92 -[X.]VwZ 1993, 583 und vom 24. [X.]ovember 1997 - [X.]VerwG 1 [X.] 224.97 - juris Rn. 6, jeweils m.w.[X.]). Diese Voraussetzungen sind nicht dargetan.

8

Dabei kann dahinstehen, ob die hier in Rede stehende Rüge sich im [X.] gegen eine angeblich unrichtige Sachverhaltswürdigung richtet und deshalb nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht mit der Folge zuzuordnen ist, dass mit ihr ein Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 [X.]r. 3 VwGO nicht in zulässiger Weise begründet werden kann. Jedenfalls sind die aufgezeigten Voraussetzungen eines [X.] wegen unzulässiger Inanspruchnahme einer eigenen Sachkunde nicht ausreichend dargelegt. Das Verwaltungsgericht leitet - wie dargelegt - seine Annahme, in der ehemaligen [X.] habe es keinen "inoffiziellen Grundstücksmarkt" gegeben, aus dem Umstand ab, dass nach der damals geltenden Rechtslage der Eigentumsübergang an Grundstücken genehmigungspflichtig war und diese Genehmigung auch die preisrechtliche Unbedenklichkeitbescheinigung umfasste. Diese Erwägung ist schlüssig. Der Kläger beschränkt sich insoweit darauf, die Richtigkeit des vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlusses infrage zu stellen. Damit kann aber ein Verfahrensmangel wegen einer eigenständigen Tatsachenfeststellung des Gerichts trotz fehlender oder jedenfalls zweifelhafter Sachkunde nicht begründet werden.

9

bb) Der geltend gemachte Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor.

Der Kläger ist der Auffassung, sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs sei deshalb verletzt, weil das Verwaltungsgericht ihn nicht darauf hingewiesen habe, dass es in seiner Entscheidung davon ausgehen werde, in der ehemaligen [X.] habe es keinen "inoffiziellen Grundstücksmarkt" gegeben. Dem ist nicht zu folgen.

Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die [X.]eteiligten müssen demgemäß auch Gelegenheit erhalten, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen sachgemäß, zweckentsprechend und erschöpfend erklären zu können. Hier war der Kläger nicht gehindert, während des Verfahrens auch zu der hier in Rede stehenden Frage vorzutragen. Diese Gelegenheit hat er auch genutzt. [X.]ereits im Widerspruchsverfahren wurde - wie er selbst darlegt - die Frage eines "inoffiziellen Grundstücksmarktes" angesprochen. Dementsprechend finden sich in dem Widerspruchsbescheid auch entsprechende Ausführungen. In der Klageschrift hat der Kläger dargelegt, es dürfte gerichtsbekannt sein, dass es noch einen "inoffiziellen" Grundstücksmarkt gegeben habe.

Das Verwaltungsgericht war nicht verpflichtet, die [X.]eteiligten im Vorhinein darauf hinzuweisen, dass es in seinem Urteil die von dem Kläger beanstandete Auffassung vertreten werde. Die Hinweispflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 3 VwGO konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl. Urteil vom 11. [X.]ovember 1970 - [X.]VerwG 6 C 59.68 - [X.]VerwGE 36, 264 <266 f.> und [X.]eschluss vom 10. Mai 2011 - [X.]VerwG 8 [X.] 87.10 - juris Rn. 5 m.w.[X.]). [X.]ach ständiger Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts folgt aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch in der Ausprägung, den er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, keine Pflicht des Gerichts zu umfassender Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte. Das [X.] ist nicht verpflichtet, die [X.]eteiligten schon in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des [X.] hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden [X.]eratung (vgl. z.[X.]. [X.]eschluss vom 27. [X.]ovember 2008 - [X.]VerwG 5 [X.] 54.08 - [X.] 310 § 86 Abs. 3 VwGO [X.]r. 60 Rn. 8 m.w.[X.]). Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt oder auf eine bestimmte [X.]ewertung des Sachverhalts abstellen will, mit dem bzw. mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. z.[X.]. [X.]eschluss vom 27. [X.]ovember 2008 a.a.[X.] Rn. 8; [X.]VerfG, [X.]eschlüsse vom 19. Mai 1992 - 1 [X.]vR 986/91 - [X.]VerfGE 86, 133 <144> und vom 7. Oktober 2003 - 1 [X.]vR 10/99 - [X.]VerfGE 108, 341 <345 f.>). Das war hier nicht der Fall. Da - wie aufgezeigt - die Frage des [X.]estehens eines "inoffiziellen Grundstücksmarkts" bereits im Widerspruchsverfahren und schriftsätzlich im Rahmen des Klageverfahrens erörtert worden war, lag es für den anwaltlich vertretenen Kläger nicht fern, dass sie auch Gegenstand der Entscheidung des [X.] sein wird. Dass das Verwaltungsgericht der Auffassung des [X.] insoweit nicht gefolgt ist, stellt keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar. Entsprechendes gilt für das von dem Verwaltungsgericht ausreichend gewürdigte Vorbringen des [X.] zur [X.]ewertung des Grundstücks.

Schließlich liegt entgegen der Auffassung des [X.] ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht darin, dass das Verwaltungsgericht das [X.]estehen eines "inoffiziellen Grundstücksmarkts" nicht festzustellen vermochte. Das Gericht hat die gegenteilige [X.]ehauptung des [X.] zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.

b) Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 [X.]r. 1 VwGO zuzulassen.

Grundsätzliche [X.]edeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die [X.]ezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die [X.]eschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. [X.]eschluss vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO [X.]r. 26 S. 14). Diesen Anforderungen genügt die [X.]eschwerdebegründung nicht.

Der Kläger möchte die Frage geklärt wissen:

"Ist bei der Ermittlung des [X.] für den Einfamilienwohnhausbau ausschließlich der Wert nach den [X.] maßgeblich und zugrunde zu legen oder ist der für vergleichbare Grundstücke durchschnittlich gezahlte 'zusätzliche Preis' - der seiner [X.]atur nach im Genehmigungsverfahren und in Vertragsurkunden verschwiegen wurde - festzustellen und hinzuzuzählen. Setzt sich also der für die Ermittlung des [X.] zugrunde zu legende Wert zusammen aus dem offiziellen Preis gemäß [X.] und dem inoffiziellen Preis, der üblicherweise daneben gezahlt wurde."

Diese Frage verhilft der [X.]eschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Sie setzt voraus, dass in der ehemaligen [X.] für Grundstücke (auch) ein "inoffizieller Preis" gezahlt wurde, es also insoweit einen "inoffiziellen Grundstücksmarkt" gab. Diese Frage würde sich in dem erstrebten Revisionsverfahren deshalb nicht stellen, weil das Verwaltungsgericht festgestellt hat, dass ein solcher Markt nicht existierte und diese Feststellung gemäß § 137 Abs. 2 VwGO das Revisionsgericht binden würde, weil sie nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden ist.

2. Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

3. [X.] folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

5 B 5/12

18.06.2012

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend VG Leipzig, 14. September 2011, Az: 1 K 130/10, Urteil

§ 86 Abs 1 VwGO, § 86 Abs 3 VwGO, § 137 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.06.2012, Az. 5 B 5/12 (REWIS RS 2012, 5567)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5567

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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