Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.11.2013, Az. 5 AZR 365/13

5. Senat | REWIS RS 2013, 976

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Gegenstand

Arbeitnehmerüberlassung - Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt (equal pay) - Gesamtvergleich - Darlegungslast


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 11. Januar 2013 - 3 [X.]/12 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über [X.] unter dem Gesichtspunkt des equal pay.

2

Der Kläger war seit dem 15. November 2004 bei der [X.], die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Er wurde der m GmbH (im Folgenden: Entleiherin) als Produktionshelfer überlassen und erhielt einen Bruttostundenlohn von zunächst 7,00 Euro, ab Juni 2007 von 7,20 Euro. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Formulararbeitsvertrag vom 3. Januar 2005 zugrunde, in dem es ua. heißt:

„§ 3 Tarifanwendung

Auf das Arbeitsverhältnis finden die für den Arbeitgeber einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Dies sind zur zeit die zwischen der [X.] und [X.] und dem [X.] abgeschlossenen Tarifverträge (Manteltarifvertrag, Entgeltrahmentarifvertrag, [X.] und Beschäftigungssicherungstarifvertrag).

Im Falle eines Verbandswechsels des Arbeitgebers geltend die Bestimmungen der dann einschlägigen [X.]. Für den Fall, dass ein Firmentarifvertrag abgeschlossen wird, gilt dessen Inhalt.

Soweit die nachfolgenden Regelungen mit den Bestimmungen der in Bezug genommenen Tarifverträge übereinstimmen, dient dieses der besseren Verständlichkeit dieses Vertrages. Soweit Regelungen dieses Vertrages den in Bezug genommenen Tarifverträgen derzeit oder zukünftig widersprechen sollten, gelten vorrangig die jeweils maßgeblichen tariflichen Bestimmungen. Dies gilt nicht, soweit die Tarifverträge eine Abweichung ausdrücklich zulassen oder sich aus den Regelungen dieses Arbeitsvertrages eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung ergibt.

§ 13 Ausschlußfrist

1. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind spätestens innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten ab Fälligkeit - auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses - nur schriftlich geltend zu machen.

2. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, dass der Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutender Sorgfalt verhindert war, diese Frist einzuhalten. Diese Ausschlussfrist gilt nicht für Ansprüche, die auf eine unerlaubte Handlung gestützt werden.

3. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von einem Monat nach der Geltendmachung des Anspruches, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von einem Monat nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.

…“

3

Der in Bezug genommene Manteltarifvertrag (im Folgenden: [X.]) zwischen der [X.] und [X.] ([X.]) und dem [X.] ([X.]) vom 29. November 2004 enthielt in Nr. 19.2 bis 19.4 eine Ausschlussfristenregelung, die eine zweimonatige Frist zur schriftlichen Geltendmachung vorsah und im Übrigen den in § 13 Arbeitsvertrag getroffenen Regelungen entsprach. Durch Änderungstarifvertrag vom 9. Juli 2008 wurde die Frist zur schriftlichen Geltendmachung auf drei Monate verlängert.

4

In einer dem Kläger mit Schreiben vom 12. August 2009 erteilten Auskunft der Entleiherin über die bei ihr geltenden Arbeitsbedingungen heißt ua.:

        

„…    

                 
        

Zuschläge:

a)    

für Mehrarbeit

                          

für die ersten zwei Stunden am Tage 25 %

                          

für jede weitere Stunde je 5 % mehr

                 

b)    

für Nachtarbeit

                          

in der [X.] von 20.00 bis 22.00 Uhr 15 %

                          

in der [X.] von 22.00 bis 24.00 Uhr 25 %

                          

in der [X.] von 00.00 bis 04.00 Uhr 35 %

                          

in der [X.] von 04.00 bis 06.00 Uhr 25 %

                 

c)    

für Arbeit an Sonntagen 75 %

                 

d)    

für Arbeit an allen gesetzlichen Feiertagen 150 %

                 

e)    

für Arbeit an Samstagen jeweils 25 % für die ersten 4 Stunden und jeweils 30 % für jede weitere Stunde

        

Urlaubsgeld:

        

Die gewerblichen Arbeitnehmer erhalten ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 50 % des [X.]. Das Urlaubsentgelt wird nach dem Durchschnittsverdienst mit Ausnahme der Mehrarbeit und der auf die Mehrarbeit fallenden Zuschläge der letzten drei abgerechneten [X.], mindestens der letzten 13 Wochen, berechnet.

        

Weihnachtsgeld bzw. Jahressonderzahlung:

        

Die volle Jahressonderzahlung wird Arbeitnehmern gewährt, die dem Betrieb mindestens seit 4. Januar desselben Kalenderjahres ununterbrochen angehören. Sie beträgt pro Kalenderjahr 95 % eines tariflichen Monatsverdienstes. Arbeitnehmer die vor dem 1. September eingetreten sind, erhalten für jeden vollen Kalendermonat des Bestehens ihres Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel hiervon. Der Anspruch auf die Jahressonderzahlung mindert sich um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem nicht für mindestens zwei Wochen Anspruch auf Lohn oder Lohnfortzahlung bestanden hat.

        

Die Jahressonderzahlung ist spätestens am 15. Dezember auszuzahlen.

        

Die Jahressonderzahlung ist zurückzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis durch fristlose Entlassung oder infolge [X.] bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres endet. Gleiches gilt, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem 1. Januar des folgenden Kalenderjahres durch den Anspruchsberechtigten gekündigt wird.

        

…“    

5

Ergänzend teilte die Entleiherin am 19. August 2009 ua. mit:

        

„…    

        

nachstehend teilen wir Ihnen wunschgemäß die Lohnentwicklung für die [X.] mit:

        

01.04.2005 bis 31.03.2007

Stundenlohn € 10,08 brutto

        

01.04.2007 bis 30.04.2008

Stundenlohn € 10,28 brutto

        

01.05.2008 bis weiterhin

Stundenlohn € 10,64 brutto

        

…“    

6

Mit Schreiben vom 11. August 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise fristgerecht. Mit Urteil vom 2. April 2009 - 3 Ca 1136/08 - stellte das [X.] - [X.] - fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund fristloser Kündigung, sondern ordentlicher Kündigung zum 30. September 2008 endete.

7

Mit der am 24. November 2009 beim [X.] eingereichten, der [X.] am 30. November 2009 zugestellten Klage hat der Kläger für den [X.]raum 1. Juli 2006 bis 31. August 2008 die Differenz zwischen der von der [X.] erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiherin im Streitzeitraum vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben soll, verlangt.

8

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte sei verpflichtet, an ihn nach § 10 Abs. 4 AÜG [X.] zu zahlen. Produktionshelfer würden bei der Entleiherin entsprechend einer Betriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1997 in den ersten drei Monaten ihrer Beschäftigung nach [X.] und anschließend nach [X.]I des Lohntarifvertrags für die [X.] Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitende Industrie (im Folgenden: [X.]) vergütet. Demgegenüber habe er lediglich Vergütung nach [X.] geltend gemacht und diese seinen Berechnungen zugrunde gelegt. Insgesamt ergebe sich ein Differenzbetrag in Höhe von 18.694,43 Euro brutto.

9

Der Kläger hat sinngemäß zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 18.694,43 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 21. September 2009 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, vergleichbare Arbeitnehmer würden im Entleiherbetrieb nach Lohngruppe I [X.] vergütet. Die Berechnungen des [X.] seien unzutreffend. Etwaige Ansprüche des [X.] seien jedenfalls nach Nr. 19.2 [X.] verfallen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageforderungen weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist begründet. Die Beklagte ist nach § 10 Abs. 4 [X.] verpflichtet, dem Kläger für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an die Entleiherin das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiherin vergleichbaren [X.]n gewährte ([X.]). Der Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen einzuhalten (I[X.]). In welcher Höhe dem Kläger [X.] zusteht, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des [X.] nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.], § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO (II[X.]).

[X.] Der Kläger hat für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an die Entleiherin von Juli 2006 bis August 2008 Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 [X.]. Eine nach § 9 Nr. 2 [X.] zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. § 3 Arbeitsvertrag verweist auf wegen der fehlenden Tariffähigkeit der [X.] unwirksame Tarifverträge (vgl. [X.] 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 12 ff.).

I[X.] Der Anspruch des [X.] auf gleiches Arbeitsentgelt ist - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht verfallen.

1. Der Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen aus unwirksamen Tarifverträgen der [X.] einzuhalten. Solche sind auch nicht kraft Bezugnahme als Allgemeine Geschäftsbedingungen Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden. Arbeitsvertragsparteien sind zwar grundsätzlich frei, ein kollektives Regelwerk in Bezug zu nehmen, ohne dass es auf dessen normative Wirksamkeit ankommt. Eine derartige Abrede scheidet jedoch aus, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, nur ein wirksamer Tarifvertrag habe vereinbart werden sollen. Das ist vorliegend der Fall. Nur mit einer Bezugnahme auf einen wirksamen Tarifvertrag konnte die Beklagte als Klauselverwenderin den Zweck der Bezugnahme - das Abweichen vom Gebot der Gleichbehandlung nach § 9 Nr. 2 [X.] - erreichen (vgl. [X.] 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 35).

2. Der Kläger musste die erste Stufe der - eigenständigen (vgl. [X.] 25. September 2013 - 5 [X.] -) - Ausschlussfristenregelung in § 13 Arbeitsvertrag nicht einhalten, denn diese Bestimmung hält einer [X.] nicht stand. Die Kürze der Fristen auf beiden Stufen benachteiligte den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. [X.] 25. Mai 2005 - 5 [X.] - [X.]E 115, 19; 28. September 2005 - 5 [X.] - [X.]E 116, 66).

II[X.] In welcher Höhe dem Kläger für die Monate Juli 2006 bis August 2008 [X.] zusteht, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des [X.] nicht entscheiden.

1. Die Darlegungslast des Leiharbeitnehmers umfasst neben dem Arbeitsentgelt vergleichbarer [X.] die Darlegung des Gesamtvergleichs und die Berechnung der [X.]. Dies hat [X.] zu erfolgen.

a) Zur substantiierten Darlegung des Gesamtvergleichs gehört die [X.]e Erläuterung, in welchem Umfang im Überlassungszeitraum [X.] etwa für geleistete Arbeit, aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, gewährten Urlaubs- oder Freizeitausgleichs oder Abgeltung von Stunden aus einem Arbeitszeitkonto oder eines sonstigen Tatbestands, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt, begehrt wird.

b) Diesen Anforderungen genügt der bisherige Vortrag des [X.] nicht hinreichend, denn die tabellarische Übersicht seiner Forderungen im Schriftsatz vom 7. Juni 2011 ist nicht vollständig selbsterklärend.

2. Im erneuten Berufungsverfahren wird Folgendes zu beachten sein:

a) Der [X.] kann nicht allein die mit der Beklagten vereinbarte Arbeitszeit von 130 Stunden monatlich zugrunde gelegt werden. Der Kläger hat ergänzend die regelmäßige Arbeitszeit vergleichbarer [X.] anzugeben, auf deren Grundlage auch die Höhe des [X.] bzw. der Jahressonderzahlung zu ermitteln ist. Darüber hinaus hat er - ausgehend von den beim Entleiher maßgebenden Regelungen - die tatsächlichen Voraussetzungen der beanspruchten Überstundenvergütung darzulegen.

b) Die geforderten Nachtarbeitszuschläge sind konkret, unter Angabe der Zeiten für die diese geltend gemacht werden, zu begründen. Ein Durchschnittswert, wie bislang geschehen, kann hierbei nicht in Ansatz gebracht werden, weil vergleichbare [X.] in gestaffelter Höhe erhalten.

c) Während der Überlassung hat der Leiharbeitnehmer einen Anspruch auf Urlaubsentgelt entsprechend den für [X.] geltenden Bestimmungen. Da die Entleiherin das Urlaubsentgelt nach dem Durchschnittsverdienst, mit Ausnahme der Mehrarbeit und für diese anfallenden Zuschläge, der letzten drei abgerechneten [X.], mindestens der letzten 13 Wochen, berechnet, ist die Höhe des geforderten [X.] auf dieser Grundlage darzulegen.

d) Ob dem Kläger für den Zeitraum nach Zugang der außerordentlichen Kündigung vom 11. August 2008 [X.] aufgrund bei der Entleiherin erbrachter Arbeitsleistungen oder wegen Annahmeverzugs zusteht, ist festzustellen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Biebl    

        

    Weber    

        

        

        

    Dombrowsky    

        

    Mattausch    

                 

Meta

5 AZR 365/13

20.11.2013

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Weiden, 30. Januar 2012, Az: 3 Ca 1943/09, Urteil

§ 10 Abs 4 AÜG, § 9 Nr 2 AÜG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.11.2013, Az. 5 AZR 365/13 (REWIS RS 2013, 976)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 976

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