Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.01.2016, Az. IV ZR 488/14

4. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 17100

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rückzahlung geleisteter Versicherungsprämien bei einer nach dem Policenmodell abgeschlossenen Rentenversicherung: Widerspruchsrecht bei nicht ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung sowie bei Auszahlung des Rückkaufswerts vor dem 1. Januar 2003


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] - 14. Zivilsenat - vom 17. Januar 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung.

2

Diese wurde aufgrund eines Antrags des [X.] mit Versicherungsbeginn zum 1. Januar 2000 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a [X.] in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a [X.] a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt der Kläger mit dem Versicherungsschein ein Begleitschreiben, das eine Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a [X.] a.F. enthielt. Mit Schreiben vom 28. Juni 2002 kündigte der Kläger den Vertrag; die Beklagte zahlte den Rückkaufswert unter Berücksichtigung einer Vorauszahlung aus. Mit Schreiben vom 21. Januar 2011 erklärte der Kläger "den Widerspruch gem. § 5a [X.] a.F. bzw. nach § 8 [X.], bzw. den Widerruf nach § 355 BGB".

3

Mit der Klage verlangt der Kläger Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits erbrachten Zahlungen, insgesamt 11.451,86 €.

4

Nach Auffassung des [X.] ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

5

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

6

Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das [X.] die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherungsvertrag sei wirksam zustande gekommen, da der Kläger jedenfalls nicht innerhalb eines Jahres nach Zahlung der (ersten und einzigen) Prämie gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. widersprochen habe.

9

II. Die Revision ist begründet.

1. Ein - mit der Revision allein weiterverfolgter - Anspruch des [X.] auf Prämienrückzahlung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann dem Kläger mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs des [X.] nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 [X.] a.F. über das Widerspruchsrecht. Aus der bei den Gerichtsakten befindlichen Kopie des Policenbegleitschreibens ist eine drucktechnische Hervorhebung der Widerspruchsbelehrung nicht ersichtlich. Für die von der Revisionserwiderung in Bezug genommene Behauptung, die Belehrung sei durch Fettdruck im [X.] hervorgehoben, hat die Beklagte - wie bereits das [X.] ausgeführt hat - keinen Beweis angeboten. Im Übrigen ist die Belehrung inhaltlich unzulänglich, weil der erforderliche Hinweis auf die Schriftform des Widerspruchs (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - [X.], [X.], 497 unter 3 b) fehlt und der Fristbeginn nur an die Übersendung des Versicherungsscheins, nicht auch der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation geknüpft wird (vgl. Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - [X.], [X.], 1101 Rn. 27; [X.], [X.], 1104 Rn. 25).

Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] vom 19. Dezember 2013 ([X.], 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ([X.], [X.], 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der [X.] und der [X.] keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) Die vorherige Kündigung des [X.] steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.).

cc) Das Widerspruchsrecht des [X.] ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entsprechend den Regelungen des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (im [X.] [X.]) und des Verbraucherkreditgesetzes (im [X.] VerbrKrG) nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung mit Auszahlung des Rückkaufswertes erloschen.

(1) Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften hat der Senat für den Fall angenommen, dass ein Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] in der vom 1. Januar 1991 bis zum 28. Juli 1994 gültigen Fassung (im [X.] ebenfalls [X.] a.F.) belehrt worden war (Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 - [X.], [X.], 1513 Rn. 25 ff.). Die Regelungslücke in § 8 Abs. 4 [X.] a.F. zu den Folgen einer fehlenden oder nicht ausreichenden Widerrufsbelehrung war in dem seinerzeit zu entscheidenden Fall dergestalt zu schließen, dass die Widerrufsfrist in entsprechender Anwendung der Regelungen in § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] in der Fassung vom 16. Januar 1986 und § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG in der Fassung vom 17. Dezember 1990 erst mit einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Belehrung über das Widerrufsrecht beginnen konnte (Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 aaO Rn. 12, 17 ff.). Allerdings stand dem Versicherungsnehmer bei Fehlen einer ausreichenden Widerrufsbelehrung kein unbegrenztes Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. zu; dieses erlosch vielmehr nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung (Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 aaO Rn. 25 ff.). Auch insoweit hat der Senat eine planwidrige Regelungslücke in § 8 Abs. 4 [X.] a.F. gesehen und diese durch analoge Anwendung der an § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] anknüpfenden Regelungen in § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 Satz 4 [X.] geschlossen, wonach das Widerrufsrecht nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung erlischt. Der diesen Erlöschenstatbeständen zugrunde liegende Rechtsgedanke - die Schaffung von Rechtssicherheit nach Abwicklung des Schuldverhältnisses - lässt sich auf das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. übertragen (Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 aaO Rn. 28).

(2) Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung hat der Senat im Anwendungsbereich des § 5a [X.] a.F. für Fälle, in denen der Rückkaufswert ab dem 1. Januar 2003 ausgezahlt wurde, abgelehnt, weil eine entsprechende Anwendung der Regelungen in den §§ 7 Abs. 2 VerbrKrG, 2 Abs. 1 Satz 4 [X.] nach Außerkrafttreten dieser Gesetze - auch unter Berücksichtigung der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB - nicht mehr möglich ist (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

Auch für Fälle, in denen - wie hier - der Rückkaufswert vor dem 1. Januar 2003 ausgezahlt wurde, kommt im Rahmen des § 5a [X.] a.F. ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung nicht in Betracht. Die Erwägungen für eine entsprechende Anwendung der §§ 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG, 2 Abs. 1 Satz 4 [X.] auf das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. lassen sich nicht auf das Widerspruchsrecht nach § 5a [X.] a.F. übertragen. Zwar mag auch bei dieser Konstellation ein Bedürfnis des Versicherers nach Rechtssicherheit bestehen. Es fehlt aber an einer planwidrigen Regelungslücke, die sich sowohl hinsichtlich des Beginns der Widerspruchsfrist als auch hinsichtlich einer zeitlichen Begrenzung des Widerspruchsrechts mittels der Vorschriften der § 7 Abs. 2 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 [X.] schließen lässt. Für den Fall des Widerrufsrechts nach § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. sind § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 Satz 4 [X.] deshalb entsprechend anwendbar, weil sie an die Regelungen in § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] anknüpfen und mit diesen korrespondieren (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 aaO Rn. 28). Die Bestimmungen über das Erlöschen des Widerrufsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung können nicht losgelöst von diesem Regelungskontext auf das Widerspruchsrecht nach § 5a [X.] a.F. angewandt werden, wenn es - wie dargelegt - aufgrund richtlinienkonformer teleologischer Reduktion des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. fortbesteht.

dd) Die Ausübung des Widerspruchsrechts ist - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - auch nicht ausnahmsweise deshalb treuwidrig, weil der Kläger hier ein sogenanntes "Policendarlehen" des Versicherers in Anspruch genommen habe. Dies folgt im Streitfall schon daraus, dass es sich um eine Vorauszahlung auf die künftige Versicherungsleistung handelte, die der Versicherer entsprechend nach der Kündigung des [X.] mit dem Rückkaufswert verrechnet hat. Mit Rücksicht darauf, dass der Kläger nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt worden war, ließ die Inanspruchnahme dieser Vorauszahlung keinen Schluss darauf zu, der Kläger hätte auch bei Kenntnis des Widerspruchsrechts an dem Versicherungsvertrag festgehalten und werde von dem ihm zustehenden Widerspruchsrecht keinen Gebrauch machen.

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem [X.] (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. Der [X.] war bei Erhebung der Klage im Oktober 2011 noch nicht verjährt. Die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB konnte erst mit Schluss des Jahres 2011 beginnen, da der Kläger erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a [X.] a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte der Versicherungsnehmer Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - [X.], [X.], 700 Rn. 19 ff.).

3. Der Höhe nach umfasst der [X.] nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich der Kläger bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 ([X.], [X.], 1101 Rn. 36 ff.; [X.], [X.], 1104 Rn. 34 ff.) sowie vom 11. November 2015 ([X.], [X.], 33 Rn. 31 ff.) zu beachten haben.

[X.]                          [X.]                                Dr. Karczewski

               [X.] Brockmöller

Meta

IV ZR 488/14

27.01.2016

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 17. Januar 2013, Az: 14 U 2153/12

§ 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB, § 2 Abs 1 S 2 HTürGG vom 16.01.1986, § 2 Abs 1 S 4 HTürGG vom 16.01.1986, § 7 Abs 2 S 2 VerbrKrG vom 17.12.1990, § 7 Abs 2 S 3 VerbrKrG vom 17.12.1990, § 5a Abs 2 S 4 VVG vom 21.07.1994

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.01.2016, Az. IV ZR 488/14 (REWIS RS 2016, 17100)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17100

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV ZR 488/14 (Bundesgerichtshof)


IV ZR 52/12 (Bundesgerichtshof)

Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages: Widerrufsrecht bei unzureichender Belehrung; Erlöschen des Widerrufsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung


IV ZR 52/12 (Bundesgerichtshof)


20 U 108/15 (Oberlandesgericht Köln)


IV ZR 24/14 (Bundesgerichtshof)

Altvertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung nach dem sog. Antragsmodell: Auslegung eines Widerspruchs des Versicherungsnehmers als …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.