Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.10.2013, Az. IV ZR 52/12

4. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 1930

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Gegenstand

Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages: Widerrufsrecht bei unzureichender Belehrung; Erlöschen des Widerrufsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung


Leitsatz

1. Die Kündigung eines Versicherungsvertrages steht einem späteren Widerruf jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Versicherungsnehmer über sein Widerrufsrecht nicht ausreichend belehrt wurde.

2. Das Widerrufsrecht gemäß § 8 Abs. 4 VVG a.F. erlischt bei analoger Anwendung der Regelungen in §§ 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 2. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages.

2

Dessen Abschluss beantragte er bei der [X.] im März 1993 mit Wirkung ab April 1993. Auf der zweiten Seite des vom Kläger unterzeichneten Antragsformulars ist am Ende eines Absatzes mit Hinweisen zu verschiedenen Punkten eine Widerrufsbelehrung abgedruckt. Zwischen diesem Absatz und der Unterschriftszeile befindet sich ein weiterer Absatz mit anderen Informationen. Beide Absätze sind im Antragsformular nicht durch die Schriftgröße, aber insgesamt durch Fettdruck hervorgehoben.

3

Nachdem der Kläger ab Vertragsbeginn sieben Jahre lang die monatlichen Prämien gezahlt hatte, kündigte er im Februar 2000 die Lebensversicherung, woraufhin die Beklagte 3.240,17 DM als Rückkaufswert auszahlte. [X.] ließ der Kläger durch anwaltliches Schreiben vom 15. Februar 2010 erklären, dass "dem Vertragsabschluss … gemäß § 5a [X.] widersprochen" werde, und die Rückzahlung aller geleisteten Prämien zuzüglich Anlagezinsen abzüglich des ausgezahlten Rückkaufswertes fordern.

4

Der Kläger meint, in dem Widerspruch liege ein wirksamer Widerruf nach § 8 Abs. 4 [X.] in der vom 1. Januar 1991 bis zum 28. Juli 1994 gültigen Fassung. Die Belehrung im Antragsformular sei nicht ausreichend, da nicht gewährleistet sei, dass der Antragsteller hiervon Kenntnis nehme. Daher habe die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen; die Berufung des [X.] ist vom [X.] zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Revision des [X.], der auf Widerruf seiner Vertragserklärung gestützte [X.] weiter verfolgt.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist unbegründet.

7

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam widerrufen worden. Ein Widerrufsrecht ergebe sich nicht aus dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses anwendbaren § 8 Abs. 4 [X.] in der vom 1. Januar 1991 bis zum 28. Juli 1994 gültigen Fassung, da die Widerrufsfrist von zehn Tagen nach Unterzeichnung des Antrags abgelaufen sei. Der Kläger sei über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden. Eine besondere drucktechnische Gestaltung der Belehrung sei nach § 8 Abs. 4 [X.] a.F. nicht erforderlich. Sie müsse, um ihren Zweck zu erreichen, umfassend, unmissverständlich und aus Sicht des Versicherungsnehmers eindeutig sein. Diesen Anforderungen genüge die Belehrung, die im Antragsformular in Fettschrift unmittelbar über der Unterschriftszeile abgedruckt sei. Auf die Frage der Rechtsfolgen einer unterbliebenen Belehrung komme es daher nicht an.

8

Offen bleiben könne auch, ob mit dem Versicherungsvertrag eine Zahlungserleichterung im Sinne des bis zum 31. Dezember 2001 gültigen § 1 Abs. 2 VerbrKrG verbunden gewesen sei, da nach § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG das Widerrufsrecht spätestens ein Jahr nach Abgabe der auf den Abschluss des Kreditvertrages gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers erloschen sei.

9

Im Übrigen stehe einem Widerruf entgegen, dass sich der Kläger für die Durchführung des Vertrages und die Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen entschieden habe; damit sei sein Wahlrecht erloschen.

II. Das Berufungsurteil hält im Ergebnis der rechtlichen Überprüfung stand. In dem Widerspruch "gemäß § 5a [X.] a.F." liegt kein wirksamer Widerruf nach § 8 Abs. 4 [X.] in der vom 1. Januar 1991 bis zum 28. Juli 1994 gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.).

1. Zu Recht ist das Berufungsgericht von der Anwendbarkeit des § 8 Abs. 4 [X.] a.F. ausgegangen. § 5a [X.] in der ab dem 29. Juli 1994 gültigen Fassung findet nach Art. 16 § 11 des [X.][X.] zum [X.] vom 21. Juli 1994 ([X.] [X.], S. 1630) keine Anwendung auf Versicherungsverträge, die - wie hier - bis zum 31. Dezember 1994 zu von der Aufsichtsbehörde genehmigten Versicherungsbedingungen geschlossen wurden.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war allerdings die in § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. bestimmte Widerrufsfrist von zehn Tagen ab Unterzeichnung des [X.] zum Zeitpunkt des Widerrufs im Februar 2010 noch nicht abgelaufen, da der Kläger nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 4 [X.] a.F. belehrt worden war. Die Widerrufsfrist beginnt in entsprechender Anwendung der Regelungen in § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] in der Fassung vom 16. Januar 1986 und § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG in der Fassung vom 17. Dezember 1990 erst mit einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Belehrung über das Widerrufsrecht.

a) Der Kläger ist nicht im Sinne des § 8 Abs. 4 Satz 4 [X.] a.F. über sein Widerrufsrecht belehrt worden.

aa) Ihrem Wortlaut nach enthält die Vorschrift zwar keine über die Schriftlichkeit hinausgehenden Vorgaben zur Form der Belehrung. In zwei Beschlüssen vom 16. November 1995 hat der [X.] jedoch zu § 8 Abs. 4 Satz 4 [X.] a.F. klargestellt, dass eine gesetzlich angeordnete Belehrung, damit sie ihren Zweck erreichen kann, inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein muss. Weiter erfordert der Zweck einer solchen Vorschrift, dem auch der Sinngehalt des Wortes "Belehrung" entspricht, eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trägt. Deshalb kann nur eine Erklärung, die darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das Wissen, um das es geht, zu vermitteln, als Belehrung angesehen werden ([X.], Beschlüsse vom 16. November 1995 - [X.], [X.], 221 unter [X.] und [X.], [X.], 313 unter [X.]; ebenso [X.], 98; zustimmend: [X.]/[X.] in [X.], [X.] 8. Aufl. [X.] [X.]. [X.] 302; ähnlich [X.] VersR 1995, 202, 204; für eine drucktechnisch deutlich gestaltete Belehrung: [X.] in [X.]/[X.], [X.] 25. Aufl. § 8 [X.]. 10; [X.], [X.] 1991, 360, 363; [X.], [X.] 1991, 632, 635; [X.], NJW 1991, 2793, 2798; a.A.: [X.], [X.], 725, 729).

bb) Die Form der Belehrung im Antragsformular genügt diesen Anforderungen nicht; sie ist zur Aufklärung des Versicherungsnehmers über sein Widerrufsrecht nicht geeignet. Die Belehrung ist am Ende eines längeren Absatzes abgedruckt, der weitere Informationen, unter anderem über das Erfordernis wahrheitsgemäßer Angaben, über die Unzweckmäßigkeit der Aufgabe einer bestehenden Versicherung, über die Verwendung der Beiträge und über die Entwicklung der Rückkaufswerte enthält. Innerhalb dieses Absatzes ist der Hinweis auf das Widerrufsrecht nicht hervorgehoben; vielmehr ist der Absatz insgesamt fettgedruckt. Der Hinweis steht nicht unmittelbar über der Unterschrift des Versicherungsnehmers, sondern ihm folgt noch ein weiterer, ebenfalls fettgedruckter Absatz mit Hinweisen auf die auf der Rückseite abgedruckten Erklärungen und Informationen zu den einzelnen Versicherungsarten. Weder der Fettdruck noch die Stellung der Belehrung im Antragsformular reichen daher aus, um eine Kenntnisnahme des Versicherungsnehmers hiervon zu gewährleisten.

b) Mangels ordnungsgemäßer Belehrung hatte der Lauf der Widerrufsfrist nicht mit Antragsunterzeichnung begonnen.

aa) In § 8 Abs. 4 [X.] a.F. findet sich zu den Folgen einer fehlenden oder nicht ausreichenden Belehrung keine Regelung. Dagegen hatte der Gesetzgeber in dem am selben Tag in [X.] getretenen § 7 Abs. 2 Satz 2 und 3 VerbrKrG ausdrücklich bestimmt, dass der Lauf der Widerrufsfrist erst mit Aushändigung einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Belehrung beginnt (Satz 2) und dass bei Fehlen der Belehrung das Widerrufsrecht erst nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung, spätestens jedoch ein Jahr nach Abgabe der auf den Abschluss des Kreditvertrages gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers erlischt (Satz 3). Auch nach § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] in der vom 1. Mai 1986 bis 30. September 2000 gültigen Fassung setzt der Lauf der Widerrufsfrist die ordnungsgemäße Belehrung voraus; nach § 2 Abs. 1 Satz 4 [X.] erlischt das Widerrufsrecht bei Fehlen der Belehrung erst einen Monat nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung.

bb) Zu der Frage, ob auch in Fällen des § 8 Abs. 4 Satz 4 [X.] a.F. der Beginn der Widerrufsfrist von einer Belehrung abhängt, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Ein Teil der Literatur legt diese Vorschrift dahin aus, dass der Lauf der Widerrufsfrist erst mit der schriftlichen ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung beginnt ([X.] in [X.]/[X.], [X.] 25. Aufl. § 8 [X.]. 10; [X.]/[X.] in [X.], [X.] 8. Aufl. [X.] [X.]. [X.] 303; [X.], [X.], 725, 729; ohne Begründung [X.], [X.], 488, 489). Zur Begründung dieser Rechtsfolge wird auch auf eine entsprechende Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] und des § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG zurückgegriffen (Sieg, [X.], 1; wohl auch [X.], [X.] 1991, 632, 635 f.) oder der Einwand der Fristversäumung als treuwidrig angesehen ([X.], [X.] 1991, 360, 363). Eine Verbindung zwischen ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung und Lauf der Widerrufsfrist wird weiter daraus abgeleitet, dass § 8 Abs. 4 Satz 4 [X.] a.F. eine vorvertragliche Informationspflicht des Versicherers normiere, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers aus Verschulden bei Vertragsschluss auslöse. Da der Versicherungsnehmer einen Anspruch habe, so gestellt zu werden, wie er bei ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung stünde, könne er sein Widerrufsrecht auch nach Ablauf der Widerrufsfrist noch ausüben ([X.], NJW 1991, 2793, 2798 f.).

Demgegenüber folgern andere aus dem Fehlen einer Regelung zu den Auswirkungen der unterlassenen bzw. nicht ordnungsgemäßen Belehrung in § 8 Abs. 4 [X.] a.F.unter Berücksichtigung der Regelungen im [X.] und im damals neuen [X.], dass die Regelungslücke vom Gesetzgeber gewollt sei, so dass eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] oder des § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG nicht in Betracht komme ([X.] VersR 1995, 1037, 1038; zustimmend [X.] in [X.]/Langheid, [X.] 1. Aufl. § 8 Rn. 68; [X.] [X.], 558; AG Köln [X.], 41, 42).

cc) Die zuerst genannte Meinung ist zutreffend. Nur eine Anknüpfung des Beginns der Widerrufsfrist an eine ordnungsgemäße Belehrung wird dem Zweck der Widerrufsbelehrung gerecht. Aus der Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 4 [X.] a.F. lässt sich entnehmen, dass durch die Regelung eine Verbesserung des Verbraucherschutzes erreicht und zu diesem Zweck - im Hinblick auf die Bereichsausnahme für das Versicherungswesen in § 6 Nr. 2 [X.] - eine versicherungsvertragsrechtliche Spezialnorm geschaffen werden sollte. Dort heißt es weiter: "Wegen der Bedeutung der Belehrung über das Widerrufsrecht bedarf die Belehrung der Schriftform" (BT-Drucks. 11/8321, [X.]). Mit dem Ziel des Verbraucherschutzes und der vom Gesetzgeber hervorgehobenen Bedeutung der Widerrufsbelehrung, die in der ausdrücklichen Normierung des Erfordernisses einer schriftlichen Belehrung zum Ausdruck kommt, lässt sich eine Folgenlosigkeit ihres Fehlens nicht vereinbaren. Das in § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. eingeräumte Recht, den [X.] nach Unterzeichnung des Versicherungsantrags zu widerrufen, lässt sich nur realisieren, wenn der Versicherungsnehmer hiervon auch Kenntnis erlangt oder zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. Ein Verweis des Versicherungsnehmers auf einen Schadenersatzanspruch ist für einen effektiven Verbraucherschutz nicht ausreichend, da dem Versicherungsnehmer der Nachweis obläge, dass die Verletzung der Pflicht zur Widerrufsbelehrung ursächlich für den Vertragsschluss bzw. das Festhalten am Vertrag geworden und dass ihm hierdurch ein Schaden entstanden ist (vgl. [X.], Urteil vom 19. September 2006 - [X.], [X.]Z 169, 109 Rn. 43).

Einer derartigen teleologischen Auslegung steht zwar der Wortlaut des § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. entgegen, der den Lauf der Widerrufsfrist allein an die Unterzeichnung des Antrags knüpft. Das Gesetz enthält angesichts der mit ihm bezweckten Stärkung der [X.] aber eine planwidrige Regelungslücke, die durch eine entsprechende Anwendung der Regelungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG und des § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.], die ebenfalls einen effektiven Verbraucherschutz gewährleisten sollen, geschlossen werden kann. Beide Regelungen sehen vor, dass der Lauf der Widerrufsfrist erst mit Aushändigung einer ordnungsgemäßen Belehrung beginnt. Der zugrunde liegende Gesetzeszweck, dass ein Widerrufsrecht nur dann zum Verbraucherschutz geeignet ist, wenn der Lauf der Widerrufsfrist erst mit Erfüllung der Verpflichtung zur Belehrung über dieses Recht beginnt, lässt sich auf das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 [X.] a.F. übertragen.

3. Das Widerrufsrecht ist jedoch nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung im [X.] erloschen.

a) Allerdings schließt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die zuerst erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages den späteren Widerruf nicht aus. Zwar vertreten Teile der Rechtsprechung und des Schrifttums die Auffassung, dass die Kündigung eines Vertrages einem späteren Widerruf generell entgegenstehe, wie Teile der Rechtsprechung und des Schrifttums meinen (so: [X.] r+s 2013, 483; [X.], Urteil vom 2. Februar 2012 - 8 U 125/11, juris Rn. 45; [X.], Beschluss vom 31. August 2011 - 20 U 81/11, juris Rn. 15 f.; [X.], Beschluss vom 6. Juni 2011 - 10 U 162/11, nicht veröffentlicht; [X.], [X.], 786 Rn. 4; [X.], Urteil vom 30. September 2011 - 9 S 266/11, [X.] ff., nicht veröffentlicht; [X.], Urteil vom 18. August 2010 - 26 S 39/09, [X.] f., nicht veröffentlicht; a.A.: [X.], Urteil vom 11. Februar 2011 - 9 O 231/10, S. 10 f., nicht veröffentlicht). Dies ist jedenfalls für den hier zu beurteilenden Fall abzulehnen, in dem der Versicherungsnehmer sein Wahlrecht zwischen Kündigung und Widerruf bereits mangels ausreichender Belehrung über sein Widerrufsrecht nicht sachgerecht ausüben konnte. Bei Fehlen einer ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerrufsrecht ist nicht sichergestellt, dass dem Versicherungsnehmer zur [X.] bewusst ist, neben dem Kündigungsrecht ein Recht zum Widerruf zu haben, um so die Vor- und Nachteile einer Kündigung gegen die eines Widerrufs abwägen zu können.

b) Das Erlöschen des Widerrufsrechts des [X.] aus § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. folgt jedoch aus einer entsprechenden Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG bzw. § 2 Abs. 1 Satz 4 [X.]. Danach erlischt ein Widerrufsrecht nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung.

aa) Allerdings ist streitig, ob das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 [X.] a.F. bei Fehlen einer ausreichenden Belehrung unbegrenzt ist (so [X.] in [X.]/[X.], [X.] 25. Aufl. § 8 [X.]. 10) oder nach vollständiger Leistungserbringung (so [X.], [X.], 725, 729; [X.], [X.] 1991, 632, 636).

bb) Letzteres trifft zu. Die Regelungslücke des § 8 Abs. 4 [X.] a.F. hinsichtlich der Folgen der fehlenden oder nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung (s.o. unter [X.]) ist nicht allein durch die entsprechende Anwendung der § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] beseitigt, wonach der Lauf der Widerrufsfrist erst mit der ordnungsgemäßen Belehrung beginnt. Dies führte bei Fehlen der Widerrufsbelehrung zu einem grundsätzlich zeitlich unbegrenzten Widerrufsrecht bei im Zeitraum vom 1. Januar 1991 bis 28. Juli 1994 geschlossenen Versicherungsverträgen, während die im selben Zeitraum gültigen Regelungen des [X.]es und des [X.]es ein solches zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht nicht vorsahen. Die planwidrige Regelungslücke erstreckt sich daher auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Widerrufsrecht bei fehlender Belehrung erlischt.

Diese Regelungslücke ist durch eine analoge Anwendung der an § 7 Abs. 2 Satz 2 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] anknüpfenden Regelungen in § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 Satz 4 [X.] zu schließen, wonach das Widerrufsrecht nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung erlischt (vgl. zu § 2 Abs. 1 Satz 4 [X.]: [X.], Urteil vom 10. November 2009 - [X.], [X.]Z 183, 112 Rn. 15 ff.). Der diesen Erlöschenstatbeständen zugrunde liegende Rechtsgedanke lässt sich auf das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 4 [X.] a.F. übertragen. Mit dem Erlöschen des Widerrufsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung wollte der Gesetzgeber Rechtssicherheit schaffen (so zu § 2 Abs. 1 Satz 4 [X.]: [X.], Urteil vom 18. Oktober 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 180 unter [X.] zu; Fischer/[X.], [X.]. § 2 Rn. 57); ein insgesamt abgeschlossener Sachverhalt sollte nicht rückwirkend wieder aufgegriffen werden ([X.] aaO). Die Regelungen beruhen auf der Überlegung, dass für einen Widerruf deshalb kein Anlass mehr besteht, weil das Schuldverhältnis durch einen "lückenlosen" Leistungsaustausch zwischen den Parteien abgewickelt worden ist ([X.]/[X.], [X.]. § 7 VerbrKrG Rn. 48; ähnlich [X.]/[X.], 3. Aufl. § 7 VerbrKrG Rn. 31; [X.], VerbrKrG 2. Aufl. § 7 Rn. 38a). Zwar kann der Widerrufsberechtigte auch nach Beendigung eines Vertrages und Erlöschen der beiderseitigen Leistungspflichten noch ein Interesse an einer Rückabwicklung des Vertrages haben; daher schließt die Kündigung einen späteren Widerruf nicht generell aus (s.o. unter a). Die im [X.] und [X.] geregelten Erlöschenstatbestände basieren jedoch auf dem Gedanken, dass bei beiderseits vollständiger Leistungserbringung dieses Interesse des [X.] gegenüber dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit zurücktreten soll.

cc) Das Erlöschen des Widerrufsrechts aus § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. nach vollständiger beiderseitiger Leistungserbringung verstößt nicht gegen Europarecht, insbesondere nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie 90/619/[X.] des Rates vom 8. November 1990 (Zweite Richtlinie Lebensversicherung) und der [X.]/[X.] des Rates vom 10. November 1992 (Dritte Richtlinie Lebensversicherung). Der [X.] hat für Haustürgeschäfte die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 4 [X.] als richtlinienkonform angesehen ([X.], Urteil vom 10. April 2008, [X.]. [X.]/06, [X.], 1865 Rn. 40-45 - "[X.]"). Die Befristung des Widerrufsrechts ab der vollständigen Erbringung der Leistung sei auch bei fehlender oder nicht ordnungsgemäßer Belehrung mit Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 85/577/[X.] des Rates vom 20. Dezember 1985 (Richtlinie über Haustürgeschäfte) zu vereinbaren, wonach der Verbraucher das Recht besitze, von der eingegangenen Verpflichtung zurückzutreten. Die Verwendung des Begriffs "Verpflichtung" in der Richtlinie weise darauf hin, dass das Widerrufsrecht ausgeübt werden könne, es sei denn, dass für den Verbraucher aufgrund der vollständigen Durchführung des Vertrages keine Verpflichtungen aus dem Vertrag mehr bestünden ([X.] aaO Rn. 42). Anhaltspunkte, dass für vollständig abgewickelte Lebensversicherungsverträge ein weitergehendes Schutzniveau gelten soll, ergeben sich weder aus der Richtlinie 90/619/[X.] noch aus der [X.]/[X.].

dd) Die Parteien hatten vor Erklärung des Widerrufs ihre beiderseitigen Leistungen vollständig erbracht. Die Kündigung des [X.], die zum 1. April 2000 wirksam wurde, hat die Verpflichtung des [X.] zur Prämienzahlung beendet und den Anspruch auf den Rückkaufswert ausgelöst. Mit anschließender Auszahlung des Rückkaufswertes haben die Parteien den Vertrag einvernehmlich beendet. Unerheblich ist, dass aufgrund der vorzeitigen Kündigung des [X.] die für die gesamte Vertragslaufzeit vereinbarten Pflichten, d.h. insbesondere die Pflicht des [X.] zur Beitragszahlung und die Pflicht der Beklagten zur Auszahlung der Ablaufleistung, nicht vollständig erfüllt worden sind. Denn die Kündigung des [X.] und anschließende Auszahlung des Rückkaufswertes ist als eine Möglichkeit der Vertragsbeendigung im Vertragsverhältnis angelegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats zählt zu den vertraglich versprochenen Leistungen bei einer Lebensversicherung auch der Rückkaufswert nach Kündigung des Vertrages; das Recht auf den Rückkaufswert ist nur eine andere Erscheinungsform des Rechts auf die Versicherungssumme (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 2010 - [X.], [X.], 1067 Rn. 13; vom 18. Juni 2003 - [X.], [X.], 1021 unter I[X.] b; vom 22. März 2000 - [X.], [X.], 709 unter II 3 a; so bereits [X.], Urteil vom 17. Februar 1966 - [X.], [X.]Z 45, 162, 167). Von einer vollständigen Leistungserbringung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - den Rückkaufswert akzeptiert hat.

ee) Keiner Entscheidung bedarf hier die Frage, ob das Widerrufsrecht aus § 8 Abs. 4 Satz 1 [X.] a.F. entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG unmittelbar nach beiderseitiger Leistungserbringung oder entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 4 [X.] erst einen Monat später erlischt, da der Kläger den Vertrag erst zehn Jahre nach der einvernehmlichen Abwicklung widerrufen hat.

[X.]                   [X.]                              Dr. Karczewski

            [X.] Brockmöller

Meta

IV ZR 52/12

16.10.2013

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 2. Februar 2012, Az: 8 U 124/11

§ 8 Abs 4 S 1 VVG vom 17.12.1990, § 8 Abs 4 S 4 VVG vom 17.12.1990, § 2 Abs 1 S 2 HTürGG vom 16.01.1986, § 2 Abs 1 S 4 HTürGG vom 16.01.1986, § 7 Abs 2 S 2 VerbrKrG vom 17.12.1990, § 7 Abs 2 S 3 VerbrKrG vom 17.12.1990

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.10.2013, Az. IV ZR 52/12 (REWIS RS 2013, 1930)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1930

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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